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Andere Schützlinge

Ich hatte eine Welt- und Walddichtung im Kopfe. Es sproßte dramatisch und nannte sich »Merlin«. So ging ich denn damit fleißig in den Wald, es unter seinen rauschenden Wipfeln auszutragen und die Waldesstimmen hineintönen zu lassen, in seine urbrünstigen Tiefen.

Mein Lieblingsplatz waren die Farnkräuter. Diese standen palmenhoch hereinhängend über meine Dichterstirn und hatten so etwas Eigenes, eine feinnervige Eigenart in ihren krausen, rostbraunen Wedeln.

Da sah ich unter zwei gewaltigen von unten aufgegabelten Lärchen, Bäumen, wie sie mir in dieser Größe nie mehr vorgekommen sind, zwei Gestalten, die sahen aus, als seien sie aus einem Volksliede gekommen.

Geradewegs etwa aus:

»Es steht ein Baum im Odenwald,
Der hat viel grüne Äst',
Da bin ich wohl vieltausendmal
Mit meinem Schatz gewest.«

Als die beiden meiner ansichtig wurden, verrieten sie kein Erschrecken: im Gegenteil, sie sahen sich an, als hätten sie schon von mir gesprochen, als hätten sie sich zu etwas ermuntert.

Der Forstmann faßte kurzen Entschluß und trat auf mich zu: »Verzeihen der Herr: Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Daß Sie so anders sind.«

»Mein Herr!« fuhr ich auf.

Der Forstmann ließ sich nicht einschüchtern:

»Ich will Sie nicht beleidigen. Ganz im Gegenteil: Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie – daß Sie ein Mensch sind, von dem man etwas haben kann, das man bei andern nicht findet. Womit man sich nur lächerlich machte –bei denen. Sie aber müssen Verständnis dafür haben. Sie sind doch ein Dichter!«

Das behagte mir nicht: »Ein Dichter bin ich nicht. Dann schon eher, wenn Sie wollen, ein Stück Mensch.

Hoffentlich bin ich kein Stümper, denn ich bin der Ansicht: gerade die Pfuscher, die Dilettanten lassen sich mit Vorliebe Dichter nennen. Wer aber wirklich Dichter ist, der fühlt mit Schmerzen, wie weit er noch zurück ist auf dem Wege zur Menschheit. Wie er nur Werkzeug.

Und um doch etwas hinter sich, etwas erreicht zu haben, sich dieses zu sagen, so nennt er sich: ein Stück Mensch. So war doch nicht alles Täuschung, nicht alles vergebens!«

Der junge Forstmann lächelte: »Ich sehe schon, ich muß ganz kurz sein, sonst verhaspele ich mich wieder. Also die Dichter schreiben immer so viel von der Liebe. So müssen sie doch auch was davon verstehen, so müssen sie wissen, wie einem zumute ist. Sie müssen das zu würdigen wissen. Sonst wären sie ja doch keine Dichter. Sie müssen etwas davon halten, etwas dafür übrig haben, unter Umständen auch etwas dafür tun, sich dafür ins Zeug legen – sonst wär's ihnen kein Ernst damit, sie wären Wortemacher, Lügner. Es müßte ihnen eine Freude sein, wenn nun einmal so etwas, wie sie's in ihren Gedichten schreiben, wirklich ist, wenn sie dazu beitragen könnten! Das müßten sie doch nicht mehr als gerne tun.«

Ich begriff.

»Ach so!« lachte ich, »Schutzpatron soll ich spielen! Selbstverständlich! Aber mit größtem Vergnügen! Wollen Sie nur die Güte haben, mir des näheren auseinanderzusetzen, womit ich Ihnen dienlich sein kann!«

Nun trat die Dame vor, verneigte sich ein wenig und sah mich fest mit ihren feinen grauen Augen an. Dann öffnete sie die Lippen, die wie sehnende Blumen waren, wie vornehm-sehnende Blumen, die von sich wußten und von ihrem Rechte.

Die für sich einstanden.

Sie sahen aus wie die feinroten leidenschaftszarten Korallen ihrer Nadel.

»Mein Name ist Komteß Breitenhaupt. Der Herr hier ist Förster bei meinem Papa. Wir heben uns. Sie begreifen: das kann, das darf nicht in die Öffentlichkeit. Würden Sie nun die große Freundlichkeit haben, uns vielleicht die Benutzung Ihrer Bibliothek zu gestatten? Die meines Vaters hört mit Gustav Freytags ›Ingo und Ingraban‹ auf. Ich möchte gern auch die neue Richtung, zu der ja auch Sie gehören, kennenlernen. Vielleicht zu einer Zeit, wo Sie dieselbe nicht benutzen? Einen Spaziergang machen vielleicht? Lange würden wir diese Liebenswürdigkeit nicht in Anspruch nehmen, da wir in einigen Wochen zu verreisen gedenken.«

Die Sache machte mir Spaß: so mal Pandaros zu spielen, es war mal was Neues.

Vermittler zu sein, zu allerlei Begütigungen herangezogen zu werden, das war mir schon mehr passiert. Mit mäßigem Erfolg allerdings.

Kam da mal bei Pyrmont bei Tal ein Zigarrenarbeiter, der nach Tabak, mehr aber noch nach Schnaps roch, dem das Blut wie ein losgegangener Schal von der Schläfe herunterhing, und beschwor mich, beim Vorsteher dafür einzutreten, daß sein Hauswirt seinen Hausrat wieder hineinnehmen müßte, den er mit seiner Familie und ihm an die Luft gesetzt.

»Sehen Sie nur her, wie er mich zugerichtet hat: der Saukerl, der Unmensch der!«

Der Mensch mußte ein Pole sein, denn er hatte es sehr pathetisch, inszenierte seitens seiner Frau und Kinder einen Fußfall, Handküsse und dergleichen Scherze mehr. Hundeblut! Das ist das Schlimmste an dem armen Volke, das nimmt ihm jede Aussicht auf Hebung seiner Lage. Diese seine feierliche Lüge, seine einfältige Gewundenheit! – Der Vorsteher sah mich merkwürdig an: »Was geben Sie sich mit so einem Manne ab!« Damit war die Sache erledigt.

Also antwortete ich:

»Wollen die Herrschaften einen Besuch machen, Sie werden mir sehr angenehm sein. Bitte mein Haus als das Ihrige zu betrachten, auch im Falle meiner Abwesenheit. Besucht mich jemand, so ist es mir äußerst willkommen. Besuchen mich zwei, so ist die Freude doppelt.«

So ließ ich die beiden denn Romane lesen in meiner Bibliothek, wo so viele Romane ungelesen standen.

Ich grüßte sie, wenn ich ihnen begegnete, weiter bekümmerte ich mich nicht um sie.

Das ging so einige Wochen. Dann wetzte sich das Gerücht seine Zunge – es bekam nun so viel zu tun:

»Komteß Breitenhaupt ist mit ihrem Förster durchgegangen!«

Hier und da vernahm ich, wie auch mein Name in der Affäre genannt wurde, wie meine Beteiligung darin verlautbarte.

Nun erwartete ich das Strafgericht, das mit dem alten Herrn über mich hereinbrechen würde, demnächst hereinbrechen müßte.

Und es kam!

Der alte Herr sah gar nicht so sehr alt und erst recht nicht wie ein Strafgericht aus.

»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sind ein Feiner. Begünstigen Stelledicheins! Stecken mit dem jungen Volk unter einer Decke! So ein dummes Lud: reißen beide aus, ohne erst mal mit mir gesprochen zu haben. Sehr mutig, in der Tat, von dem Herrn Waidmann! Solche Manschetten vor mir zu haben! Als wenn ich der Tor wäre, gegen Liebe und Dummheit streiten zu wollen! Meinen Segen hat sie. Da werde ich schon ein Übriges tun müssen und ihnen die Mitgift nachschicken. Daß sich der Herr Schwiegersohn ein Gut kaufen kann. Und meinen Verwalter. Daß er auch mit dem Gute was anfangen kann. Keine Dummheiten macht und das Geld in einem Jahre verposamentiert. Sogar zur Hochzeit will ich kommen. Sie doch auch? Haben sich ja so verdient gemacht: es wäre Undank, wenn die jungen Leutchen sich Ihrer nicht erinnern würden. Schwärzester Undank. Mehr kann man doch nicht von mir verlangen; was meinen Sie?«

»Daß Sie ein vernünftiger Vater sind!« ergänzte ich dahinter.

»Na ja, also. Übrigens Strafe muß sein! Haben Sie nicht einen vernünftigen Tropfen, den man auf das Wohl der Ausreißer trinken könnte?«

Ich schellte und gab Auftrag.

Graf Breitenhaupt hatte sich endlich wiedergefunden: er saß noch ganz erschöpft im Sofa und wischte sich die Augen aus, so hatte ihn die Lachböe mitgenommen:

»Wenn ich daran denk, wie es denen wohl zumut sein mag! Und was sie denken mögen, was ich anstelle nun! Wie ich tobe, rase, fluche, enterbe! In diese Unkosten wollen wir uns schon nicht stürzen, diesen Gefallen wollen wir ihnen schon nicht tun. Nil admirari! sagt Horaz. Und warum auch! Ich kann's dem Mädchen gar nicht verdenken. Sie verkümmern lassen – wo man frisches Leben haben kann – ich tät's auch nicht. Ein ganzer Kerl, das Mädchen. Das gefällt mir. Das Leben geht vor. Wir Adligen von heute sind schlimm daran.Wir sind ein verwilderter Garten und haben einen sehr scharfen Gärtner, der ordentlich aufräumt mit Ranken und Schoß. Und zeitgemäß ausrichtet. Das Mädchen hat den Gärtner verstanden. In ihrer Weise.«

Der Wein war gekommen.

»Prosit!«

 


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