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Mein Schloß

Ich hatte einen stillen Winter verbracht. Immer noch in Schwalenberg. Aber nicht mehr in meinem Gasthauszimmer. Als ich die Kaufangelegenheit ins Reine gebracht: sechzehntausend Mark sollte der Steinhaufen kosten – da hatte ich mich in einem Kaufmannshause am Fuße meiner Burg eingemietet. Sofern es die Schneeverhältnisse erlaubten, verkehrten der Baron und ich fast täglich. Diese täglichen Spaziergänge, mit einer gewissen Anstrengung und Überwindung der Kälte auszuführen, hatten seiner etwas verdumpften und entzündeten Art gut getan. Er sah frisch und stramm aus, verkehrte gar nicht mehr im Wirtshause und ließ es sich bei mir munden, sei es, daß wir dem nicht unebenen Rotspohn meines Hauswirts zusprachen, sei es, daß wir Tee tranken – mit einem ordentlichen Schuß Rum hinein – oder uns einen gediegenen Grog brauten: Temperenzler wollten wir nicht sein, nur nicht verdumpfen und versumpfen im Wirtschaftsbrodem.

Jedesmal, wenn der Baron kam und ging, so war's mit Büchern, die er mitnahm oder wiederbrachte. Er war nun ein eifriger Leser geworden. Besonders gefiel ihm sein Standesgenosse Detlev von Liliencron. Das war sein Fall!

Besonders die Kriegsnovellen.

»Teufel, das hat Hand und Fuß!«

»Und wie das alles stimmt!«

»Ja, so geht's da zu!«

»Und ein Goldkerl muß es sein, den müßt' ich hier haben!«

Das alte Soldatenblut in ihm fing wieder an zu sieden: aber künstlerischer, vaterländischer. Warf nicht so viel Blasen. So beobachtete ich.

So verging der Winter.

Die Höhen sahen mit ihrer durchscheinenden braunen Grundfarbe und dem weißen, immer mehr zusammenmürbenden Schnee, in Schlucht und Furche rege, lebendig aus wie ein unterhaltendes Buch. Des Mittags sandte die nähere Sonne schon etwas wie Wärme nieder aus ihrer wärmefarbigen Schale.

Die meiste Wärme aber schien von innen zu kommen, aus der Erde heraus.

Die ahnungsfrohe Amsel schlug ihr hoffnungsfestliches Lied. Der munter behende Distelfink, der schon den winterfleißigen Germanenmägden und den einem jungen Krieger verlobten Herzogstöchtern sein »Spinndicke, Spinndicke« mahnend zugerufen, da der Winter und damit die Arbeit dieser Art, die Rüstung der Mitgift zu Ende ginge, belebte die noch kahlen Zweige des alten Apfelbaumes, der etwas Ehrwürdig-Germanisches vorzustellen wußte trotz seiner Vermorschtheit – vorzustellen durch die weichgrüne, mit klebrigen Beeren bedeckte Mispelwucherung innerhalb der rötlichen Fäulnis seines halb abgestorbenen Stammes.

Wie Kätzchen hingen die Knospen der Weiden herab, wie wollige Schäfchen erschienen die frühzeitigen Blüten des Haselstrauches. Frisch und verdutzt guckte das Schneeglöckchen über den kaum weißgescheckten Boden. Der Himmelschlüssel sprach mit sanften Blütensternen, mit seelisch weichem Munde von dem Reiche der Liebe, das nun da droben anbrechen werde.

Die bräunlich purpurnen Veilchen waren wie die duft- und gestaltgewordene Blume des sprossenden Bodens.

Die Tauzeit war vorüber, das Schneegewässer in die Erde gezogen.

So, nun kann das Bauen losgehen!

Der Baumeister hatte mir seinen Plan vorgelegt, ich ihn genehmigt. Umgebaut wurde gar nicht, nur ausgebaut, ergänzt. Alles im Sinne des Bestehenden.

Und nun konnte ich, wenn sonst nichts vorlag, mich stundenlang ans Fenster stellen und zusehen, wie sich da droben auf Gerüsten kleine Gestalten abmühten, es da oben für mich wohnlich zu machen. Als weitere vierzehn Tage vergangen waren, sah schon die Spitze des Bergfrieds, der an passender Stelle in der Weise des ausgehenden Mittelalters wieder sich erhob, steigend und wachsend auf mich hernieder. Und wieder vierzehn Tage, da setzte sich der Bergfried schon kriegsgewappnet seinen Dachhelm auf.

Nun hielt es mich nicht mehr, nun mußt' ich dabei sein, mit Händen und Füßen antreiben, gleichsam als seien die Steine lebende Wesen, die sich tummeln können nach meinem Befehle.

Der Baron war meist den ganzen Tag bei mir. Jeden Tag mußte er sehen, wie die Sache gewachsen. Wenn ich ihm aber davon sprach, wie ich zwei oder drei Zimmer für ihn einrichten lassen würde, so schüttelte er den Kopf: davon wollte er nichts wissen.

»Nein, nein, auf keinen Fall, das nicht!«

Ich fragte nicht nach dem Warum.

Ich verstand: wo man als Herr gehaust, da will man nicht geduldet sein, nicht aus Gnade wohnen. Und sei's auch beim besten Freunde.

Das wäre zu beschämend!

Die Ehre über alles!

War das ein fideles Leben, als das Richtfest kam.

Oben auf der äußersten Spitze des Gerüstes am Dachfirst war eine Blumenkrone angebracht. Bunte Bänder wehten im Winde.

Der Zimmermann sprach seinen althergebrachten Spruch, trank seinen hergebrachten Schnaps und schleuderte das leere Glas in weitem Bogen, daß es in viele Stücke zerspringe.

Das bedeutet Glück!

Als ich den Baron am Abend dieses denkwürdigen Tages nach Hause geleitete, schwärmend, schwankend wie ein Mulus: was für ein merkwürdiges fröhliches Fieber, was für ein Wallen und Heben in ihm war!

Es war, als ob ein Neues, ein Wiederschönes, ein unendlich Frohwerden in ihm keime.

Er wußte es selbst nicht, aber es brach heraus aus ihm.

Auch ich wußte nicht, was da war, was geschehen, was bevorstehe – nur das wußte ich: dieser Mensch ist wieder er geworden und muß nun das Seinige, das Richtige finden. Es muß ihm begegnen, er muß es antreffen auf seinem Wege.

Wir waren angelangt. Dicht über seinem Hause, fast schon hineintauchend in den düstern Wipfel des schauernden Eichenbaumes, von dem eine unheimliche Kälte ausging, stand in zartem Schein die Venus.

»Nun hinein ins Hundeloch – adieu, mein Freund!«

Da kam er noch einmal zurück, beugte sich flüsternd zu mir und meinte:

»Mit dem muß ich doch fertig werden können! Das macht mir Spaß! Jetzt, er muckt auch nicht mehr –«

»Aber mein Recht krieg ich in alle Ewigkeit nicht mehr. Dafür sorgen schon die Gerichte und Advokaten.«

»Adieu, alter Kerl, bis morgen!«

 


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