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Es fängt an

Heut ist der 11. September. Der dritte Tag der Hermannschlacht, der Tag der Entscheidung. Am Tage der Hermannschlacht bin ich geboren.

Am dritten, am Tage der Entscheidung. Das sind immer meine Schlachttage. Da muß mir was in den Weg kommen.

Hermannschlacht: auch das säet hinüber, wie zwischen Heimat und Heimatling die Dinge sich austauschen. Eine unheimliche Kette. Unheimlich: weil Leben. Alles Leben ist unheimlich. Findet in uns ein Gesetz nicht. Und von diesem Dunkel manches blieb. Von dieser Feindschaft. Und feindet weiter. Ist wild und stark und unerklärlich. Mich umwächst, wie ich hinübersehe, was von drüben. Geflossen trübes Grün. Feindisch. Geister der Kämpfenden. Die nicht Ruhe finden konnten. Und weiter stritten. Weiter stritten. Böses Grün. Hämisch. Versenkend. Und die Leuchte: Irrwisch. Weisend, winkend: »Komm, hier ist's am versenkendsten.«

Gurgelnd jäher, ungeregter, ungerächter Tod. Und andere Leuchten: da oben an verhaltenen Hängen. Ein Licht, das kicherte: grinsende Freude.

Und dieser kichernde Grimm funkt, dieses Licht jubelnden Hasses lodert unter Ungeheuerflügeln, mutwillig krausgeschwungenen Waffen: den Hörnern, den gewundenen Flammen des Angriffs. Und da droben dicht über den verzweifelten goldenen Adlern der zusammenschmelzenden Legionen krächzende Schatten. Da biegen aus ihren Federkrägen die heiser-grauen Geier weitaus ihre magernackten Hälse, und die schwarz-bestattenden Raben künden: »Krahkrah, die Stunde ist da!«

Und wie des Waldtals tückisch einsenkender Lauf zu Ende ist, da ist auch zu Ende, was bestimmt und deutlich war und kantig wollte – erobern Gewohnheit – fallen müssend, alle die dunkelfesten Augsterne rat- und sinnlos, und über alledem ein dumpfes Gespenst, das noch lange weiter schlief darauf und schlafen wird: die deutsche Freiheit.

Schlafwandelnd hatte sie die Runde gemacht durch ihre Wälder diese drei nachtenden Tage, dann wieder sich hingelegt. Das war. – Nun, was da ist: Munterer Strudel...

Das erste Beste!

Ein Kranz von Blech: »Zum Stadtbach«.

Eine Reihe von langen, meistens Briloner Pfeifen an Pflöcken. Eine große Schnupftabaksdose auf dem runden Tisch.

Inschrift: Schnupf, wer will.

Die Lippsche Landeszeitung.

Die hol ich mir hinüber an meinen Katzentisch für Fremde, und mache eine leichte Verbeugung an die beiden, die daran schon langer sitzen müssen. Der eine etwas finster Bestimmtes in den Zügen, etwas feindlich über alle Hinwegstechendes, der andere zerschwollen zu dumpfer Empörung und Übertäubung.

Eine Reihe von Flaschen mit der eingegossenen Inschrift: »Brauereigesellschaft Falkenkrug«, deren trübgelbliche Bräune jedenfalls den Seelenzustand der ihnen Zusprechenden wiedergeben soll, steht vor ihnen; eine Flasche Hermannsbomer Sprudel, auf ihrem Schilde Hermann mit hochgezündetem Schwert, nimmt's mit ihnen allen auf in seiner besonnenen Rache.

Die trüben Brünste betrunkenen Blutes müssen erbleichen vor ihm in Reue und Umkehr: schon hat er die Hand ans Werk getan.

Der eine der beiden, der am meisten verwüstete, rotblond Bart und Haar, blau die hamsterartigen Wangen, die Nase ein illuminiertes Kupferbergwerk, hat sich erhoben und reicht mir die Zeitung zu, nach der meine Frage: »Sie erlauben?« zu fassen gedachte.

»Baron von Hassenburg, Leutnant a. D.«, schlägt er die Hacken zusammen, so daß man die nichtvorhandenen Sporen glaubte klingen zu hören.

So zusammengenommen der ganze Mensch: Stimme und Haltung. Wie noch einmal angeblasene Kohlen die bläuliche Aschenschicht heben wollen, irrend bestimmt ein Funken darüber, so seine Augen. Auch ich nannte meinen Namen und Stand, verbeugte mich noch einmal ausgeprägter und kehrte an meinen Tisch zurück.

Kaum hatte ich begonnen, mich in die Wünsche, Hoffnungen, Beschwerden der Lippischen Lande, die zusammen eigentlich nur ein großes gesundes Gut bilden mit apfelroten Wangen, etwas zu vertiefen, da unterbrach meine einsiedlerische Andacht schon wieder die Stimme des zuvorkommenden Herrn: »Sie sind Schriftsteller, so sagten Sie doch? Da müßten Sie eigentlich mit uns hinausfahren nach Willebasen auf den Pferdemarkt.«

»Willebasen?« staunte ich, »den Ort kenne ich ja gar nicht. Und doch stamme ich hier aus der Gegend.«

»Das will ich meinen!« lachte das Kupferbergwerk auf in wallender Freude. »Den kenne ich auch nicht. Den soll wohl keiner kennen. Ist ja auch kein Ort. Ist mal ein Ort gewesen. Vor vielen hundert Jahren. Das Land da heißt so. Und ein Pferdemarkt ist da. Zweimal im Jahre, der größte der ganzen Gegend. Und Zigeuner kommen hin, sag ich Ihnen! Dem seine Leute!« Damit wies er auf den Finstern zu seiner Linken.

»Eine nette Gesellschaft!«

Der Finstere war aufgestanden und riß den Redenden roh am Ärmel seiner grauen Jacke empor:

»Genug der Faselei! Nach Hause mit dir, du Lump!«

Doch mit einer starken bestimmten Bewegung machte sich der kleine untersetzte, etwa 35jährige Mann los von dem Zangengriffe des magern drohäugigen schwarzen Gesellen, der ganz nur Sehne schien. Die ganze Seele nur Sehne.

Der Kleine erklärte: »Ich bleibe hier, Rotnacht.«

Der Schwarze, der gerade seinen Hut vom Pflock nahm, meinte höhnisch:

»Ganz wie du willst. Wenn dir der Wirt pumpt. Ich bezahle keinen Heller.«

Der Kleine, dessen Blau ganz rot belaufen war und der dadurch ein bestimmtes, gekränktes, mithin menschliches Aussehen gewonnen hatte, wandte sich an mich: »Sie gefallen mir. Sie gestatten doch, daß ich Ihnen etwas Gesellschaft leiste?«

»Das da ist der Teufel!« Damit nickte er nach der Tür hin, aus der sein unheimlicher Genosse schon längst entschwunden war. »O Sie glauben gar nicht, was mir der Mensch alles angetan hat! Um jeden Pfennig hat er mich gebracht. Er war mein Rentmeister. Mein Vater hat ihn aufgelesen auf der Straße zwischen Eilversen und Vörden oben auf dem Berge. Es war Weihnachtsabend, und die Tatern hatten ihn verstoßen, weil er was gemaust und ihnen nicht abgeliefert hatte. Alles können die vertragen, nur das nicht. Und wie mein Vater einen Narren gefressen hatte an dem Luder, an diesem verdammten Halunken. Wie er einen angucken konnte, so frech, so höhnisch, daß man vor Galle nicht mehr wußte, was man tat; und verwichste man ihn dann, glauben Sie, daß der Bengel sich gewehrt hätte? Trotzdem er viel, viel stärker war als ich. Nein, da konnte er weinen, als habe ihm der Bock das Herz abgestoßen. Und dann ging er nicht etwa hin und verklagte mich bei meinem Vater. Nein, er wußte es immer so anzustellen, daß mein Vater zuerst aufmerksam wurde darauf, und ließ sich langsam und mühselig alles erst abfragen.

Das vermehrte die Wut meines Alten natürlich nur mehr. Und meine Schwester erst? Ganz verrückt war sie auf den Bengel.«

»Ja?« wandte ich ein. »Wie konnten Sie denn einen Menschen, den Sie so als Ihren Feind kannten, den Sie so aus ganzer Seele haßten, wie konnten Sie den zu Ihrem Rentmeister machen? Wie konnten Sie dem diese Vertrauungsstellung geben?«

Hassenburgs Augen flammten mich an. Sein Erstaunen über diese meine Vermutung war so glühend, daß sie die Färbung des Unwillens annahmen. Des Unwillens, als habe ich selbst diese Ungeheuerlichkeit begangen, die ich an eine falsche Stelle setzte.

»Ich? für so einen Esel müssen Sie mich doch nicht halten! Mein Vater hat das getan – na, Gott verzeih es ihm!

Er konnte mal nicht anders. Er hat's nicht besser gewußt. Keiner kann für sein Schicksal. Das seh ich an mir. Sie glauben doch nicht, daß ich immer so war? Das wird man nicht so mir nichts dir nichts. Besonders nicht, wenn man von den Kreuzrittern abstammt. Wie unser Geschlecht. Da muß schon etwas Schweres vorliegen. Wie bei meinem Vater die Gutmütigkeit. Besonders wenn er getrunken hatte. Wie da am Weihnachtsabend. Meine Mutter war kurz vorher gestorben. Da suchte er denn Vergessenheit. Und wenn er die hatte, dann mußte er so verteufelt gutmütig sein. Nach der falschen Seite hin. Nach der andern konnte er streng genug sein. Davon weiß mein Buckel ein Lied zu sagen.

So ein Unglück ins Haus zu bringen! Am heiligen Christabend. Eine nette Bescherung! Noch immer kann ich's nicht glauben. Es ist gar zu verrückt! Meistens glaube ich, daß ich träume. Aber wenn ich den Halunken sehe – na, man muß es eben tragen.

Also, Sie kommen morgen mit. Sie stehen doch früh auf? Um sechs fahren wir. Ich schicke Ihnen einen Jungen. Sie wohnen doch im Lippischen Hofe? Sie sollen mal sehen, es wird Sie nicht gereuen.«

Ich überlegte:

»Wenn's Ihnen keine Ungelegenheiten macht, möcht ich schon.« Der Baron sprang auf und ballte die Faust, die er kräftig nach einer Richtung hin schüttelte:

»Ungelegenheit? Mir? Einem Hassenburg macht nichts Ungelegenheit! Lassen Sie sich das gesagt sein, Herr, Herr ... Ach so, Sie meinen wegen dem! Das hat lange genug gedauert. Und wenn er mich umbringt. Gefallen lassen tu ich mir nichts mehr von ihm! Das hat aufgehört!« Und schnell wie es gekommen, verlor sich das stolze harte Aufleuchten seiner in der Regel mattblauen wesenlosen Augen, die wie ein bleichsüchtiger Himmel in unentschiedener Jahreszeit waren. So nach der Ernte – so vor dem Säen – nun lag ein weiches, ängstliches Flehen darin, Seine Seele hielt sich fest an mir: »– Und nicht wahr? Sie helfen mir? Gegen den! Sie lassen mich nicht im Stich. Auf Sie kann ich bauen, auf Sie mich verlassen. Sie sind der erste Mensch in dieser Gegend. Der erste Mensch, den ich je gesehen.

Und nun, da ich weiß, woran ich schon lange verzweifelt hatte, daß es doch Menschen gibt« – neu lohte Feuer in ihm auf – diesmal kein Hassesdrang, diesmal Freudenfeuer – »und nun lohnt es sich auch zu leben. Nun mag ich wieder Mensch sein. Nun will ich das Trinken aufstecken. Der Teufel soll mich holen, wenn – Aber wozu Mensch sein? Wovon? Er hat mich ganz in den Klauen.« So trieb diese verrostete Wetterfahne auf einem verfallenen Schlosse um. Ich sah ihm wärmend ins Auge:

»Wollen Sie Mensch werden, wollen Sie es wirklich im Ernst, so will, so kann ich Ihnen die Hand dazu bieten.

Erst müssen Sie fest in sich selbst sein. Das ist Ihre Sache. Das kann kein Mensch für den andern tun. So wie Sie dann Geld brauchen, Geld verwenden können, Geld richtig verwerten, so werd ich das Notwendige für Sie wohl haben.«

Er reichte mir die Hand hin:

»Dank!«

Das war alles. Sein Blick aber sagte mehr. Viel mehr. Eine ganze Geschichte. Eine Werdegeschichte heraus aus der Geschichte der Vergangenheit, der Geschichte des Zerfalls. So, da hatte ich ja das, was ich wollte. Das Eine. Das von der großen Liebe. Dahinter tritt die kleine zum Mädchen zurück.

Die wird schon kommen.

Oder nicht kommen.

Egal!

Hier aber habe ich vor mir das schönste Werk, die erlesenste Aufgabe, die nur irgend jemand haben kann. Denn das Eine, das Allergrößte, das ist immer in seiner schwindelnden Höhe wie unmöglich. Nämlich ein Kind zu bilden. Wie sich's gehört. Mit all seiner fröhlichen Wildheit, mit all dem munteren Tau darauf so einen jungen Menschen aus sich steigen zu lassen, wie eine Wurzel zur Blüte steigt. Und nichts vom Eigenen, mithin dem Kinde Fremden dazu zu tun. Es nicht zu überschwemmen mit seiner Seele Feindlichem. Auch das meinte Jesus, als er von denen sprach, die das Kind ärgern.

Nein, das Kind sollen wir in uns empfinden, und nur da, wo das Kind von seinem eigenen Sinne abirren will, die Hand legen gegen den schlanken Schaft seines seelischen Wachstums, um es in seinem Sinne steigen zu lassen zur Blüte.

Doch auch dieses zweite, einem Verwüsteten beizuspringen, war Glück.

Wieviel Vergangenheit lernt man, wieviel Heimat, lebendige Heimat, wenn man Zerstörung und Verfall zurückergründend zu heben hat. Ich sah den Baron prüfend an. Es drängte mich zu etwas Herzlichem.

Und der Wein ist so etwas herzlich Feierliches.

Dieses glutenklare Blut, dies Himmelslicht!

Nur darf man das Himmelslicht nicht mit dem Brennglas auffangen wollen: dann versengt es.

Würde es hier versengen?

Ich glaube: Nein.

Viel Seele ernüchtert den Körper, von dem aus doch nur etwas Trunkenheit in die Seele hinüber steht. Und hier waren starke Seelengüsse gewesen. Und dann das banale: Wein auf Bier rat ich dir. So beorderte ich also den Wirt, einen rotblonden Hünen mit jenen Lapislazuli-Augen, die den Römern in der Nähe verhängnisvoll genug in ihre letzte Stunde mögen geschienen haben, da sein Vorfahre sie entzündet vor Wut in die ihren bohrte.

Nun sahen sie fast träumerisch drein.

Wein? Ja, den hatte er. Roten oder Champagner?

Ja das war eine Gewissensfrage. Bordeaux in dieser Abgelegenheit? Abgelagert mochte er ja sein, aber wer weiß, ob er nicht diesem selben Keller, worin er lagerte, seine Geburt verdankte?

So entschied ich mich denn für Champagner. Obwohl mir dieser mit dem feierlich weihevollen Tone der Stunde, dem Zeichen höherer Menschlichkeit, das er vorstellen sollte, in Widerspruch zu stehen schien. Also wir tranken und stießen an.

»Also morgen schicke ich den Jungen!«


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