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Glücksfall

Alles war beglichen. Wir hatten uns erkundigt, genau erkundigt, auf wieviel Kurgäste man in der Saison wohl rechnen könnte. Was für Preise genommen werden könnten. Wir wollten es wagen: der Baron mußte endlich einmal heraus aus seinem Hangen und Bangen!

In drei Tagen sollte die Hochzeit sein.

Eine Hochzeit: wie ich sie verstand.

Nicht wie die Bauernhochzeiten, die Gebehochzeiten, wie sie in dieser Gegend manchmal ganze Völkerscharen versammeln. Das ist eine Begebenheit, von der man lange spricht, vorher und nachher. Spricht so lange, bis eine neue die alte ablöst und in den Schatten stellt.

Und gerade dieser Ehrgeiz, dieser Wetteifer des Ansehens ist der Schwellkörper, der die an sich schon kolossale, ungeschlachte Genußlust bäuerischer Kreise zu so gewaltigen Leistungen bringt.

Musikanten werden geworben und irgendwo auf dem Heuboden einkampiert. Da für die besonders Eingeladenen, näheren Angehörigen und Respektspersonen, die nicht im Orte selbst ansässig sind, unmöglich das Haus genug Raum und Betten aufzubringen vermag, man so angesehenen Leuten auch nicht gut ein Massenquartier auf Heu oder Stroh zumuten kann, da muß die Nachbarschaft aushelfen. Und sie tut das bereitwillig, wie man eben den Bräuchen der Sitte nachkommt. Es ist das so eine eigene Natur geworden; als gehöre es zu uns selbst.

Am bestimmten Tage, schon vor der festgesetzten Zeit, füllt sich die festliche Halle. Zur selben Zeit, wie sich die Linnensäcklein mit harten Talerstücken füllen, schwellen und sich nach oben straffen. Dies Linnensäcklein ist das Bauernherz. Ohne baren Inhalt ein leerer Windbeutel.

Nun geht es zur Kirche: voran wie ein Herold mit bebändertem Stabe der bewährte Witzbold der Umgegend: der Hochzeitsbitter – der Lustigkeitsmacher.

Auch in Trauer macht er, dann heißt er Leichenbitter. In seinen Mußestunden hütet er Schweine.

Von selbst kommt hier nichts, alles muß künstlich gemacht worden.

Es ist schon genug, wenn die Gäste einen guten Magen mitbringen; daß sie noch besonders Geist entwickeln sollten, für die Unterhaltung sorgen: das kann man von ihnen nicht gut verlangen.

Das paßt sich auch nicht für schwere Leute.

Dafür hat man seine Handwerker, deren Fach das ist, die das besorgen und die man dafür entschädigt.

Ordentlich entschädigt, wie es Brauch ist.

Hinter dem Lustigmacher das Brautpaar. Nicht etwa zusammen; die beiden haben noch nichts miteinander zu tun: noch sind sie nicht Mann und Frau.

Deshalb an ihrer Seite der Brautführer.

Auch der Bräutigam hat seinen Wächter, damit er nicht etwa in letzter Stunde Angst bekommt und sich davonmacht.

Und nun streng, nach Familien-, Standes- und Wertrang das Gefolge: eine Hofsitte kann nicht strenger geregelt sein. Dann Rührung und Opfergroschen, die sich rechts auf der Altarseite aufhäufen.

Während die Leute in der Kirche sind, ist die Küche in vollster Aufregung, um dem ersten Ansturm des Hungers, dem Frühstück, zu genügen.

Ein sonderbares Schauspiel, so eine von der Kirche zurückkehrende Hochzeitsgesellschaft. Wie der deftige, würdige Putz der feierlichen Handlung schon halb und halb von ihr herunterfiel, wie ihre Schritte schon eine gewisse Eile annahmen! So regt dein Pferd behende die Beine, je näher es die Gegend erkennt, die um seine Krippe sich breitet. Je mehr ihnen die heute weithin sich bemerkbar machende Küche als verheißungsvolle Boten ihre Gerüche entgegenschickte, um so angeregter fühlten sie sich, um so mehr gingen auch sie aus sich heraus; sie wurden witzig, mitteilsam, wie sie das unter gewöhnlichen Umständen niemals imstande waren.

So kamen sie in hellem Gespräche, in einer Konversation, wie pausenloser kein Salon es verlangen konnte, über die gastliche Schwelle gezogen. Rot wie der Widerschein des Herdfeuers erglühten ihre Gesichter. So setzten sie sich nieder und begannen den guten Dingen zuzusprechen, die nun aufgetragen wurden.

Weinend aber kam aus der Küche die Mutter auf die Tochter zu. Auch die weinte am Halse der Mutter. Das waren nicht Tränen, nicht besonders tiefe Empfindung. Das waren die Tränen der Sitte. Sie hörten auch auf wie ein Gewitterregen, mit einem Male war es vorbei.

Das geht nun mehrere Tage so. Einer stärkt sich am Beispiel des andern.

Wo's das Animieren nicht tut, das während der Mahlzeit die Hauptobliegenheit der Wirtin ist, da tut es der Gedanke: du willst doch für deinem Taler was haben.

Deinen Taler!

Ist doch der Taler so recht eigentlich der Bauer im Münzwesen: so gewichtig, so protzenhaft – und so gediegen!

Ist das Mahl zu Ende, dann kommen die Bierfässer, die bräunlichen Kruken mit Branntwein an die Reihe.

Für die ganz Feinen gibt es im kleinen Extrastüblein einen gewöhnlich sehr grün aussehenden Wein oder einen Bordeaux, den man nur in kleinen Dosen einnehmen kann, wie Medizin.

Ja, die Honoratioren sind schlimm daran bei solchen Gelegenheiten: auf die hat man es abgesehen. Der Pastor ist schlau genug, sich zu empfehlen.

Was aber die Kinder angeht, die Schulkinder, so freuen sie sich jedesmal auf so eine Hochzeit: denn erstens halten sie am Ausgange der Kirche so lange eine Schnur vor, bis der Bräutigam einen Groschen als Liebeszoll zahlt und nun frei passieren darf. Zweitens holt sich der Lehrer bei der Hochzeitsfeier jedesmal eine Krankheit, eine Unpäßlichkeit, die ihnen für kürzere oder längere Zeit frei gibt.

Das geht nun mehrere Tage so: man trennt sich des Abends nach ländlichen Begriffen spät: schon zwischen neun und zehn Uhr – um sich am nächsten Morgen ausgeschlafen, mit ungeschwächten Kräften wieder zusammenzufinden zu weiteren Taten.

So knüpfen ans fröhliche Ende den fröhlichen Anfang wir an. Das junge Volk tanzt, die Alten spielen Karten.

Das sind die Gebe-Hochzeiten, die den Lebenskeim umwuchern mit aller strotzenden Daseinsfülle, deren nur das Bauerntum fähig ist.

Daß sie ihn damit gedunsen machen, ihm allerlei Säfte zuführen, die er in sich verarbeiten muß und nachher nicht mehr ausscheiden kann, daß sie ihn dumpf und stumpf machen, wie die Leute waren, die ihn feierten, daran denken sie nicht.

Wir wollten das anders haben.

Eine Girlande an die Tür, ein Glas Wein zusammen, und da mochten die Herrschaften über ihre zwei Ehrenzimmer im Schlosse verfügen, solange es ihnen behagte, um dann erst überzusiedeln nach Pyrmont. Um einen Tag indes mußte die Hochzeit verschoben werden. Und das war weiter auch nicht schlimm, denn da war nichts angerichtet, da brauchte kein großer Apparat abbestellt zu werden: es ging nur mich, die beiden und die Mutter des Mädchens an, und diese konnte ruhig einen Tag länger bei mir verweilen.

Das kam so:

Trotzdem die Schwelle des März bereits überschritten war, lag der Schnee noch recht fest. Als ich den Wendelweg, der über den Stadtbach hin von der Rückseite her auf mein Schloß führt, hinanstieg, sah ich auf einmal etwas Schwarzes mitten im Weißen vor mir liegen.

Es war ziemlich dunkel, so konnte ich die Züge des unvorsichtigen Menschenkindes, das hier erfrieren, zum mindesten sich eine gründliche Erkältung holen konnte, nicht recht erkennen.

Ich beugte mich vor, studierte die Gesichtszüge und glaubte zu erkennen: »Sind Sie es, Herr Baron?«

»Ja, es ist der Baron«, klang es schwer und belastet herauf.

Belastet von der eigenen Verachtung.

»Aber, Sie können doch hier nicht liegen bleiben! Sie holen sich ja den Tod! Wissen Sie, was morgen für ein Tag ist?«

Müde und geisterhaft kam die Antwort: »Morgen ist mein Hochzeitstag.«

Ich lachte los: »Aber Mann, da liegen Sie hier? Sie halten hier wohl Ritterwacht? Aber kommen Sie, ermannen Sie sich, ich gebe Ihnen den Arm.«

Gehorsam und still suchte er sich aufzukrabbeln, fiel ein paar Mal wieder zurück, endlich stand und wankte er. Schon drehte er sich wieder um sich selbst, wie ein gefällter Baum, der sich den Platz sucht, wohin er fallen will, da griff ich ihn noch: »Nur vorwärts!«

Zwar gingen die Wogen in ihm bisweilen noch hoch und schleuderten ihn und mich mit ihm eine Strecke fort, hin und wieder; endlich aber konnte ich ihn in den Hafen eines Zimmers landen.

Das war der Polterabend des Barons.

Am andern Morgen sah er sehr beschämt und in sich finster aus.

Ich aber faßte ihn um die Schulter und lachte: »Das ist nicht so schlimm, mein Freund. Das ist nichts anderes als – wenn man will – die Furcht vor dem Glücke. Der Rausch des Abschieds vom Alten.«

 


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