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Der Kurdirektor

Eines Tages bekamen die Dohlen, diese trauerbewußten Küster unter den Vögeln, die sich mit Vorliebe mit alten Kirchen und vergangener Herrlichkeit beschäftigen, gar einen gewaltigen Schreck.

Während sie sich noch mit ihren feierlichen, gleichsam verbrieft und versiegelten Stimmen um ihre respektiven, hergestammten Rechte an diesem oder jenem Mauerloch, an dieser oder jener Spalte stritten, da wimmelte es frohfarben und durcheinanderschnatternd, schlimmer als Gänse, den gewundenen Weg hinan, der von der Rückseite, die leichter zugänglich war, her auf den Berg führte.

Sofort war es still unter den Dohlen: die Abneigung gegen das leichtfertige Gesindel, das kam, um den ernsten Frieden, die gesammelte, erinnerungsreiche Weihe dieses Ortes zu stören, war stärker als ihre gegenseitigen Streitigkeiten. Denn die Burg war ihr Gemeinsames, ihr Streit betraf nur das Einzelne daran.

So zogen sie sich denn in ihre Gemächer zurück, bis die Gesellschaft da oben wieder abgezogen sein würde.

Die alte Burg aber schmunzelte: lebte doch die alte Zeit, die Jugend, wieder in ihr auf, als sie diese kavaliermäßigen Verbeugungen sah, als die Herren an dunklen Stellen der mit ihrem Geländer tief in den Stein der Mauer eingehauenen Wendeltreppe die Damen erwarteten und ihnen heraufziehende Hände entgegenstreckten.

Ganz aber in frühere Tage zurückversetzt glaubte sie sich, als die Herrschaften oben im Saale angelangt waren, als die Herren die Fensterläden aufstießen und das langabgesperrte Licht seine ewigen Weltpläne auf den Boden zeichnete. Und sie lachte mit dem Gesichte, als sich die Paare graziös voreinander verneigten und in zierlichen Spiralen, lebenden Blumen gleich, gar behend über den eichenbraunen Estrich hinzogen.

Nur der Lautenäre fehlte, der ritterliche Spielmann. Erleichtert atmeten die Dohlen auf, als die bunte Gesellschaft wieder aus dem rundbogigen Portal, woraus sich die Zeit bereits hier und da ein besonders schmackhaftes und mürbes Stück Stein herausgenommen hatte, hervorquoll.

Verfrühte Freude!

Man breitete Tücher über das Gras, stellte Büchsen, Pasteten und kurmäßig erlaubten Rotwein darauf.

»Das kann nett werden!« knurrten die Dohlen und kehrten der Gesellschaft verachtungsvoll ihren Rücken zu, um auf unbestimmte Zeit wieder in ihre Löcher hineinzumarschieren. Hätten sie nur was gehabt, sich damit die Ohren zuzuhalten! So aber mußten sie alles über sich ergehen lassen. Und die unten konnten gar kein Ende finden. Wenn man meinte: So, nun ist es vorbei - auf einmal war dann wieder so eine quengelige Stimme da. So weibisch, so sinnlos, so albern! Eine widerliche Gesellschaft!

Wenn die häufiger kommen, dann können wir ruhig ausziehen!

Der einzig Vernünftige in diesem durcheinanderschwatzenden Haufen schien ein älterer Herr zu sein, mit rotem, ebenso strengen wie lebenslustigen, also militärischen Gesichte, ein Wappen gleichsam zwischen zwei weißen Parlamentärfahnen, von zwei weißen, langherniederhängenden Ergebungszeichen von Backenbart. Der suchte die so abscheulich zwitschernden Vögel mit roten und blauen Federn durch Händeklatschen zu verscheuchen; aber das half alles nichts: sie lachten ihn aus, blieben sitzen und piepten ruhig weiter. Da konnten sich die Dohlen nicht mehr halten. Aus allen Löchern kamen sie hervor und flogen in wilden Kreisen um ihren unten bedrohten Turm und suchten mit aller Stimmengewalt das Gequiek da unten zu übertönen. Besonders, wenn sie über der Gesellschaft schwebten, die ihnen Bauchgrimmen verursachte, dann ließen sie ihren Gefühlen freien Lauf und veranlaßten so die erstaunt und vorwurfsvoll aufblickende Gesellschaft zu baldigem Aufbruch, den sie mit begeistertem Triumphgesang bis weit den Berg hinunter begleiteten: Ein Tedeum aus befreitem Vogelherzen. Ein Herr aber meinte zu seiner Nachbarin: »Einfach scheußlich! Die reinen Harpyien!«

Er war nämlich Dr. phil. und, wie sich von selbst versteht, Reserveoffizier.

Die Dame verstand nicht: »Wie meinen?«

Die Gesellschaft vertiefte sich in den Hohlweg, kam auf Grävenburg und bat um Gastlichkeit und Milch.

Als Ludmilla erschien, die Honneurs zu machen, da leuchtete ein seit langem nicht gewohnter Schein auf in den jedenfalls nicht vom Wasser so wasserblauen Augen des alten Herrn, wie die Sonne widerleuchtet in einem blauen Weiher, daran alte Weiden stehen. War er als Kurdirektor schon von Beruf aus der geborene Kavalier: wie ganz anders packte er nun seine Liebenswürdigkeiten aus.

Er bat, seinen Besuch zu einer gelegeneren Zeit wiederholen zu dürfen, um auch den Herrn Bruder kennenzulernen, und lud die Herrschaften auf den bevorstehenden goldenen Sonntag nach Pyrmont ein: es sei das wirklich sehenswert. Überall Lampions und in der berühmten, vielhundertjährigen Kastanienallee lauter Pyramiden mit Flammen. Sie würden ihm ein angenehmer Besuch sein. Er sei zwar nicht verheiratet, aber eine ältere Verwandte würde die Honneurs des Hauses machen.

Auch Ludmilla war nie so freundlich, so liebenswürdig gewesen wie heute.

Und als der Bruder zurückkam, rot und feucht vom Atem des Gambrinus, und diese Kunde vernahm: wer dagewesen, was besprochen sei, da ging ein ahnungsvolles Leuchten über sein Gesicht, und er schmetterte noch einen Kognak und noch einen und noch einen.

Und als Puljohann kam, um nach den Aufträgen des Herrn zu fragen, bekam er nur ein kindliches Lallen und eine sinnlose Bewegung des an der Sofalehne niederhängenden Armes zur Antwort.

Als Puljohann noch einmal fragte, war die Geduld des Herrn erschöpft: »Laß mich zufrieden!« schrie er ihn an.

Puljohann ging, das Heu blieb uneingefahren, und ein Landregen stellte sich ein, der vier Tage anhielt.

So gedieh die Wirtschaft auf Grävenburg.

Doch was kommt auf ein Fuder Heu an? Das ist ja alles so egal, wenn man solche Aussichten hat!

Graf von Hersdorf – so stand auf der abgegebenen Visitenkarte – hatte eine kleine Abkühlung erfahren, als er durch seine Auskunftei die finanzielle Lage auf Grävenburg des Näheren kennenlernte. Er war sein Leben lang ein flotter Kavalier gewesen, auch legte ihm seine Stellung in der Gesellschaft Repräsentationspflichten auf, so wäre ihm eine kleine Vergoldung seines gräflichen Wappens durchaus nicht unerwünscht gewesen.

Das war nun nichts!

Aber der alte Herr hatte seinen Johannistrieb. Er beschloß, dem zu folgen. So schritt er auf dem einmal betretenen Wege weiter.

Die Verlobung kam, die Visiten wurden geschnitten, die Hochzeit fand statt, die Gesellschaft war von diesem erfreulichen Ereignis benachrichtigt, Graf und Gräfin beehrten sich ... einzuladen. U. A. w. g.

Grävenburg hatte einen Esser weniger; sonst aber durch die Veränderung keinerlei Vorteil erfahren, noch zu erhoffen. Graf von Hersdorf war keine Kreditzugabe. Er stand in dem Bewertungsregister der Geldleute genauso niedrig eingeschätzt wie Hassenburg: = 0.

 


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