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Schöne Tage

Der Baron hatte mir seinen Schatz anvertraut. So war sie zu mir gekommen auf mein Schloß, sah etwas nach dem Haushalt und ließ sich unterrichten, soweit Schwalenberg imstande war, höhere Bildung zu gewähren.

Wir fuhren viel aus. Es war mir eine Freude, den Baron und sein Glück auszufahren.

Das heißt: das Fahren mußte er besorgen. Das war ein Genuß, den er um keinen Preis missen mochte.

Ja, da lernt man erst Gottes weite Welt kennen, wenn man hübsch in der Nähe bleibt, nicht weiter sich entfernt, als ein guter Brauner traben kann.

Lupinenfelder flammen und qualmen fast vor heftigem, Kopfweh machendem Geruch, der Raps ergießt sein weiches Gold, wie große Stücke rötlichen Tuch, es sind Esparsette und Kleefelder hingespreitet. Die Leute auf den Feldern und in den Dörfern grüßen zu uns herauf, wie wir an ihnen vorüberfahren.

Da alles macht so rüstig, so frei, wir fühlen unsere Seele fluten. Hüten in uns, fluten da draußen in der schönen, weiten Gotteswelt.

»Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Bächlein von den Bergen springen,
Die Berge jubeln hoch vor Lust,
Wie sollt' ich nicht mit ihnen singen,
Aus voller Kehl und frischer Brust!«

Die Venus, der die Schule noch zunächst lag, hatte angestimmt, der Baron war eingefallen; nur ich schwieg eigensinnig. Meine Stimme, ich kenne sie nur zu gut, ist allewege ein Mißton, ein schauerliches Krächzen.

Ich würde nur den Unglücksraben vorstellen.

Eine böse Vorbedeutung sein.

Deshalb schwieg ich und machte ein strenges Gesicht.

Es ging nach Externstein.

Schon hatten wir hinter uns den Wald, vor uns das rotdachige Städtlein Horn mit seinem breiten altersgrauen Kirchturm. Links nach Westen hin sahen wir auch schon aus dem anmutigen Leopoldstal heraus mit seinen fröhlich jungen Buchenhängen, den reichlich eingestreuten Höfen und Bauernschaften, auf denen hochgewachsene Thusneldastöchter sinnig und ahnungsvoll über die zartrosigen Rücken molliger Ferkel, über die borstigen Hanken grunzender Säue strichen, dieser Wappentiere des Teutoburger Waldes – da erblickten wir schon auf heidebewachsenen Hügeln einige dieser großen Wanderblöcke. Das aber waren nur die kleineren. Der größeren wird man erst ansichtig, wenn man Hörn, das mit seinen inschriftbewimmelten Schnitzfirsten mehr ein hölzernes Buch als eine Stadt ist, hinter sich hat und nun die vier mächtigen Felsen mit den Bäumen der Anlagen und des Waldes wetteifern und sie überragen sieht.

Und während wir rasselnd über das Kopfsteinpflaster des Städtchens fuhren, fing unsere Venus gleichsam herausfordernd an zu singen:

»Die Trägen, die zu Hause liegen,
Erquicket nicht das Morgenrot,
Sie wissen nur von Kinderwiegen,
Von Sorgen, Last und Not und Brot.«

Jedenfalls das entsprechende Benehmen für eine angehende Baronin! Sonderbarer der Umstand, daß der Baron seiner unerzogenen Braut dies Benehmen nicht verwies, sondern kräftig miteinstimmte in den letzten Vers.

Das Gerassel hatte aufgehört, der Wagen fuhr nun den immer mehr hervorwachsenden Steinen entgegen.

Anna hatte ihre Hand in die des Barons gelegt und schloß, von ihm begleitet, ihren mutig anschwellenden Sopran:

»Den lieben Gott laß ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd' und Himmel will erhalten,
Hat auch mein Sach' aufs best' bestellt.«

»Hat auch mein Sach' aufs best' bestellt!« wiederholte sie.

Dann jubelte Anna auf: so etwas Schönes hatte sie in ihrem Leben nie gesehen.

Nur drei Stunden davon, und doch war sie nie hier gewesen: die Arbeit der unteren Stände hat keine Zeit zum Naturgenuß! Aufrecht stand sie im Wagen und schwenkte ihren malvenroten Sonnenschirm diesen altersgrauen Wanderburschen entgegen, die vielleicht die Sintflut noch gesehen.

Wir fuhren vor, die Kellner wedelten heran. Kaum hatten wir Platz genommen und bestellt, da flog auch mein Notizbuch heraus. Die Liebe dieses jungen Menschenkindes war übergeglüht auf mich, und ich schrieb auf eine frische Seite:

 

Brautseele

Darunter fing ich an:

»Das Gewand meiner Seele erzittert
im Sturm deiner Liebe
Wie tief im Hain
Das Herz des Frühlings zittert.
Ja, mein heftiges Herz,
Wir haben Frühling:
Auf einmal ist dann alles Blühen da.«

Die Sache ward immer glühender, immer sehnsüchtiger:

»Was schön ist auf dieser Weltwiese,
Ist nur aus Sehnen und Liebe schön,
Und will dich holen mit Farbe und Duft.
O komm, ich bin ja so schön nach dir!
O komm, ich bin ja so süß nach dir!
Ich, deine wartende Zier, deine lebendige
Vergehe nach dir.

Jeden Tag kommt Alter, kommt Welken,
Komm du dem Alter, dem Welken zuvor!«

Die Externsteine: geheimnisvoll wie die Tage ihrer Herkunft ist auch ihr Name.

Soll es heißen Eggesteine?

Oder heißen sie so von den Elstern, diesen schwatzhaft unheimlichen Vögeln? (Exter gleich Elster in der Mundart dieser Gegend.)

Einer von ihnen hat, wahrscheinlich weil er früher heidnischer Opferstein gewesen, wie das immer dann geschah, zur christlichen Kapelle herhalten müssen. Zu Anfang des elften Jahrhunderts wurde hier das Opfer dargebracht; nicht wie früher gefangene Feinde oder Pferde – in reinen Händen hielt der Christenpriester den Kelch des Heils dem Vater empor und brachte ihn dar an des Heilands Statt der Welt zur Entsühnung.

Wie es schien, hatte Wuotan diese Beschlagnahme seines Eigentums übel vermerkt; denn Regen und Sturm, die Boten seines Unwillens, hatten die Darstellungen fast verwischt, die der Christenglaube hier in den Felsen gemeißelt hatte: den Baum des Unheils mit der Schlange, den Baum des Heiles, von dem Jünger und Mutter und Joseph von Arimathia behutsam die Frucht der Erlösung herabnahmen.

Wie ein hineingetriebener Keil, gleichsam um eine Benutzung zu kirchlichen Zwecken unmöglich zu machen, trieben die zähen knolligen Wurzeln von allerlei Gesträuch, wo's eben nur anging, die Felsen auseinander.

Wie eine wilde Flamme ungezügelten Lebens: wie das Heidentum sahen sie aus, die schon vor der Zeit vergilbten, mit Wind und Fels kämpfenden Büsche.

Und er selbst, dieser Fels, war wie rasende, hassende Flamme:

Haß gegen Liebe.

Als nämlich Satan sah, wie die welterlösende Liebe Besitz ergriffen hatte von seinem Hause des Hasses und der Wildheit, da ergriff er einen Stein und zielte damit nach dem Priester, der in diesem Augenblick die Hostie, den Leib des Sohnes, emporhob zum rächend verzeihenden Vater.

Der Stein verfehlte sein Ziel, ward abgelenkt durch die fromme Hand eines gottsinnigen Engels und fiel auf einen der beiden Felsen, die als Wächter zu beiden Seiten der Straße stehen, die in den Teutoburger Wald gen Detmold führt.

Da liegt er nun so lose, daß jeder starke Wind ihn bewegt wie ein Schicksal, das deine Schritte bedroht.

Es geht die Sage, dieser Stein werde die letzte Fürstin von Lippe-Detmold erschlagen. Und die so bedrohte Fürstin wird den Namen Pauline führen.

Den Grimm über das verfehlte Ziel hauchte der Böse in züngelnd wirbelnden Flammen gegen die Rückseite des Felsens, auf dessen Höhe unter göttlichem Schutz der Priester seine Messe fortsetzte, ohne eine Ahnung von der Gefahr zu haben, die von ihm abgelenkt worden durch höhere Kräfte.

Ich kannte einen, der auch so gegen diesen Stein hauchen würde, so in Haß und Kälte die versengende Glut seines Lebens hinauswerfen würde gegen diesen Felsen, auf dem in Glück und aufleuchtender Zukunft, unter meinem im Namen Gottes waltenden Schutz der Feind stand, der nun der Macht seiner Bosheit entrückt war.

Der Feind, wie er stolz sorgend und freudig seinen Arm um die Knie seiner Geliebten legte, die wagehalsig draußen auf einem Felsen jenseits der Brüstung der Zinne stand und hinausrief, hinausjauchzte vor unbändiger, aus Niedrigkeit emporgestiegener Lebenslust.

Und wenn sie den Blick hinabwagte in das grüne, mahnrufend durcheinanderschlagende Gesträuch, das unter ihr halbwegs aus dem Felsen hervorquoll, und sich in prüfender Wagnis weiter vorbeugte, dann durfte er nur den Arm fester um sie legen, sie innig sicherer zu umfangen.

Wagnis der Liebe!

Stolzer und freier mögen die Götter nicht schreiten, die Einheriar, wenn sie über Bifrost die Reifbrücke herniedersteigen aus Walhalla, um auf der Erde nach dem Rechten zu sehen und einen besonders in Gunst stehenden Helden ehrend zu besuchen, wie wir nun die kühn geschwungene Holzbrücke betraten, die den höchsten, den Opferfelsen der Liebe mit dem zweiten mehr niedrigen verbindet.

Wir hatten Eile: wollten wir doch noch zum Hermann. Und das waren gut anderthalb Stunden, mitten durch den tiefsten Wald, durch grüne Versunkenheit, die fast böse, krank und beängstigend sich fühlbar macht, vorbei an der klar rieselnden Berlebecke.

Das war wirklich Wildnis, das war Urwald.

Immer neue Buchenhänge wurden erstiegen, immer neue Abgründe gewonnen, indem wir uns mit eiligen Händen von Stamm zu Stamm hinabfallen ließen: alles unter der Leitung des Barons, der hier Weg und Steg kannte, hier die Honneurs seiner Heimat machte.

»Das hier ist das Winfeld!«

Und in der Tat: das war so eine Art Heldendichtung der Natur, diese fast stundenweite (wie Heldenstirn), von einem Fichtenkranze eingefaßte Waldwiese.

In der Tat: eine Gedenktafel.

Geschichtliche Gesichtszüge hat dieser Boden.

Und weiter: Großrören.

Winfeld: die eine Seite der Medaille: die heiterstarke, das Siegesfeld steht auf Seiten der Deutschen.

Das andre: Großweheklagen gedenkt auch des Feindes: es ist Stolz darin und Mitleid, sonderbar gemengt.

Wie das Leben mengt und der Sinn des Menschen; der vielgestaltige.

Die Gegend ist Großrören: nicht bloß der Name.

Gepensterhaft und fast Mummenschanz der Trauer so die zottigen Zwergweiden mit ihren sonderbaren Köpfen und langen Framen. Die alten Germanen, ins Gnomische verwandelt, und dahinter dicht aneinander wie immer neue Framensaat die alles verdüsternd jungen Buchenstämme.

Noch einmal treten wir heraus aus Wald und Schlucht, da steht er vor uns auf seinem kuppelartigen Berggewölbe, der Hermann, und weist uns nach oben, vollends nach oben.

Wir folgen seinem Winke, aber langsam und erleichtert.

Schon etwas uns erholend. Vorerholend.

Denn hier beginnt die Kunststraße: der sorgsam aufgeschüttete, langsam die Bergeskuppe umwandelnde, in mehrfachen Schleifen sich dem Hermann zu Füßen legende, gar zierlich wie ein Band am Kranz zu Füßen des Denkmals niederlegende Wendelweg.

Während wir, noch mächtig uns zusammenatmend, stumm vor ihm standen und dem Meisterwerke Bandels, diesem so tapferen und gewaltigen Lebenswerke, wie auch dem deutschen Sinne in ehrerbietiger Stille unsere vaterländische Huldigung brachten, war ein Direx mit seiner weißbemützten Prima schon in vollem Gange.

In wohlgesetzter Rede und einwandfreien Perioden trug er ihnen einen begeisternden Aufsatz vor, der späteren Jahrgängen für die Klausurarbeit von großem Nutzen sein dürfte.

Nur schade, daß er hier so in die Winde verweht.

Auch eine Gruppe von Offizieren stand auf dem Platze. Jedem, der Freude hat am ausgebildeten Manne und seiner Haltung, wird nach der Gestalt hin dieser Anblick erfreulich sein: einerlei wie seine staatliche Auffassung ist von der Notwendigkeit dieser schönen Männlichkeit.

Bewundernd sah der Baron hin.

Dann meinte er: »Sonderbar, wie man sich so etwas einbilden kann. Ich habe mich so als Militär gefühlt, daß ich manchmal wirklich glaubte, ich sei es gewesen. Doch seit ich Anna kenne, ist mir das gleichgültig.«

»Änneken!« lachte seine Seele sie zärtlich an, die in ihrer Seele rot war vor Freude.

Vor Freude des Weibes: daß sie einem etwas bedeuten kann.

Diese Wissenschaft ist überall gleich: sei's Gänsehirtin oder Prinzessin.

 


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