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2. Buch

Die erste Vision: Vom Erlöser.

Ich sah etwas wie ein sehr helles, nicht zu begreifendes, unauslöschliches Feuer, das ganz lebendig war, in sich aber eine erzfarbene Flamme beschloß, welche auf sanften Anhauch hin hell brannte, und diese Flamme haftete so an dem leuchtenden Feuer, wie auch im Menschen die Eingeweide von diesem nicht zu trennen sind. Und ich sah, daß jene Flamme lichterloh erglühte. Siehe da, es entstand plötzlich eine runde, dunkle Luftmasse von riesiger Größe, welcher die Flamme Stöße versetzte, so oft Funken aus der Luft her vor schlugen, bis die Luft vollkommen abgetrieben wurde, und so Himmel und Erde in voller Ordnung leuchteten. Darauf breitete sich auch die Flamme im Feuer und jener Glut aus bis zu dem kleinen Klümpchen schlammiger Erde, das im Hintergrunde der Luft lag, die es erwärmte, so daß Fleisch und Blut daraus wurde und durch Anhauchen bewirkte, daß eine lebendige Seele entstand. Darauf bot jenes hellglänzende Licht durch die Flamme, welche infolge leichten Anhauchens lichterloh brannte, dem Menschen selbst eine strahlendweiße Blume dar, die in der Flamme hing, wie der Tau auf dem Grase, dessen Geruch der Mensch zwar mit der Nase wahrnimmt, aber nicht mit dem Geschmack des Mundes kostet, noch mit den Händen betastet, und auf diese Weise sich abwendend in tiefste Finsternis fällt, aus welcher er sich nicht wieder zu erheben vermag. Das Dunkel aber in jener Luft breitete sich mehr und mehr aus und erfüllte alles. Dann erschienen drei große Sterne in jenem Dunkel, die in ihrem Glanze zusammenhingen; nach ihnen viele kleine und große, in sehr hellem Glanze erstrahlend, und darauf ein ganz großer Stern mit wunderbarer Helligkeit, der seinen Glanz zur Flamme hinwandte. Aber auch auf der Erde erschien ein helles Leuchten wie die Morgenröte, der noch eine größere Flamme wunderbar beigegeben ist, welche dennoch nicht getrennt ist vom oben erwähnten hellen Licht; und in dem hellen Licht der Morgenröte ist der größte Wille entzündet. Da ich das Entzünden dieses Willens sorgfältiger betrachten wollte, wurde mir bei dieser Vision ein geheimes Siegel vorgeschoben. Ich hörte eine Stimme aus der Höhe zu mir sprechen: »Von diesem Geheimnis kannst du nichts weiter erschauen, als was dir wegen des Wunders des Glaubens gewährt wird.« Aus dem Leuchten der Morgenröte sah ich einen sehr hellen Menschen hervorgehen, welcher seine Klarheit in das erwähnte Dunkel ergoß und von diesem zurückgeworfen wurde. In Blutesröte und fahlste Blässe verwandelt, durchbrach er mit solcher Kraft das Dunkel, wie jener Mensch, der in ihr lag, durch diese Berührung zu leuchten schien und so aufwärts erhoben davon ging. Und so erschien jener strahlende Mensch, der aus der Morgenröte hervorgegangen war, in solcher Helligkeit, mehr als die menschliche Sprache es auszudrücken vermag, und wandte sich zur unglaublichsten Höhe unbeschreiblicher Herrlichkeit, wo er in der Fülle jeder Art von Fruchtbarkeit und Duft herrlich erstrahlte. Aus dem lebendigen Feuer hörte ich eine Stimme zu mir sprechen: »Du, die du zerbrechliche Erde und unbelehrt bist in aller Lehre menschlicher Lehrer, da du den Namen einer Frau trägst, noch es verstehst, die Buchstaben nach ihrem wahren Sinn zu lesen, sondern nur durch die Berührung mit meinem Licht, welches dich innerlich mit einem Brand berührt wie die brennende Sonne, rufe, erzähle und schreibe auf meine Geheimnisse, welche du hörst und siehst in mystischer Vision. Der lebendige Gott nämlich, der alles durch sein Wort erschaffen hat, führte eben durch dieses menschgewordene Wort die arme Menschenkreatur, welche sich in Finsternis selbst versenkt hatte, zur Erlösung im Glauben zurück.

2. Was bedeutet das? Jenes hellstrahlende Feuer, welches du erblickst, bezeichnet den allmächtigen und lebensvollen Gott, der in seiner hellsten Heiterkeit niemals durch irgendeine Bosheit verdunkelt wird und unbegreiflich bleibt. Denn er kann durch keine Teilung gespalten werden, weder im Anfang noch am Ende, noch kann ein Funke seines Wissens von einem Geschöpf verstanden werden, und er verweilt unauslöschlich; da er ja selbst die Fülle ist, welche keine Begrenzung hat. Und er ist voller Leben, weil überhaupt kein Ding ihm verborgen ist, so daß er es nicht kennte. Er ist ganz Leben, weil alles, was lebt, von ihm das Leben empfängt.

3. Auch ist in der Allmacht jenes Schöpfers die Bewegung von allem Lebendigen und Irdischen. Der Geist aber erhebt sich auf zweierlei Weisen, nämlich da er das Seufzen und Sehnen nach Gott besitzt, oder die Herrschaft und den Wunsch nach verschiedenen Dingen, indem er sie im Gebote sucht, weil er die Unterscheidungsgabe in der Vernunft hat. Daher trägt auch der Mensch die Ähnlichkeit von Himmel und Erde in sich.

4. Du siehst, daß das Feuer in sich eine eherne Flamme hat, welche durch lindes Anblasen hell aufflackert und dem leuchtenden Feuer so unzertrennlich innewohnt, wie die Eingeweide dem Menschen. Das ist so, weil in der Ewigkeit vor der Erschaffung der Kreatur in der Zeit das unendliche Wort, welches in der Glut der Liebe im Verlauf der in Verfall geratenen Zeiten ohne Schmutz und Beschwerung durch Sünde durch die süße Kraft des heiligen Geistes in der Morgenröte der seligsten Jungfräulichkeit geboren werden mußte, aber so, wie es vor der Fleischesannahme unzertrennbar im Vater war, so auch nach der Menschwerdung untrennbar in ihm verblieb. Denn wie der Mensch nicht ohne zum Leben gehörige Berührung mit den Sinnen ist, so kann auch niemals das lebendige Wort vom Vater getrennt werden.

5. Und warum wird es »das Wort« genannt? Wie durch das irdische Wort, welches in den menschlichen Staub eingeht, die Befehle des Lehrers klug verstanden werden von denen, welche den Befehl des Gebietenden wissen und voraussehen, so wird auch durch das unirdische Wort, das in nicht auszulöschendes Leben eingeht, wahrhaft der Wille des Vaters von den verschiedenen Geschöpfen der Welt erkannt. Und wie durch das amtliche Wort die Macht und Ehre des Menschen anerkannt wird, so leuchten auch durch das göttliche Wort die Heiligkeit und Güte des Vaters.

6. Du siehst, wie jene Flamme weiß aufblitzt, weil das Wort Gottes seine Kraft gleichsam erglühend zeigt, da jedes Geschöpf durch ihn begründet worden ist.

7. Die Luftmasse ist aber dunkel und rund und sehr groß, die plötzlich entstand, weil sie das Werkzeug jener ist in der Dunkelheit des Nichtvollendetseins; denn es ist noch nicht erleuchtet durch die Fülle der Geschöpfe. Rund ist es, weil es unter der unbegreiflichen Macht Gottes steht, der niemals die Gottheit fehlt.

8. Die Flamme aber breitet sich im Feuer und in der Glut aus bis zu einem Klümpchen schlammiger Erde, welches im Hintergrund der Luft liegt, weil das Wort Gottes in der starken Kraft des Vaters und in der Liebe überirdischer Lieblichkeit des heiligen Geistes durch die andern Geschöpfe die zerbrechliche Materie der weichen und zarten Gebrechlichkeit der Menschheit, sowohl aller schlechten als auch aller guten Menschen erblickte; denn die Erde ist die fleischliche Materie des Menschen, die ihn ernährt mit ihrer Frucht, wie eine Mutter mit Milch ihre Kinder.

9. Darauf bot das helle Licht durch jene Flamme, die durch sanften Hauch lichterloh brannte, dem Menschen selbst eine blendend weiße Blume, welche in jener Flamme hing, wie der Tau auf dem Grase, da ja nach Erschaffung des Adam das hellste Licht, der Vater, durch sein Wort im heiligen Geist Adam selbst das Gebot klarsten Gehorsams gab, durch welchen dieser dem Worte in einem großen Regenstrom fruchtbringender Tugend anhängen sollte. Diesen Geruch nimmt der Mensch mit der Nase wahr, aber kostet ihn nicht mit dem Geschmack des Mundes, noch betastet er ihn mit den Händen, da er das Gesetzesgebot mit einsichtiger Weisheit wie mit Riechorganen an sich zieht, aber die Kraft jener inneren Vollendung nicht vollständig in den Mund einließ, noch durch das Werk der Hände in der Fülle des Glückes erfüllte, und sich so fortwendend in tiefste Finsternis fällt, aus der er nicht wieder hervorkommen kann. Daher konnte er zu seiner wahren Kenntnis nicht gelangen, da er von Sünde belastet war, bis jener kam, welcher seinem Vater vollkommen ohne Sünde gehorchte. Die Herrschaft des Todes aber nahm in der Welt immer mehr nach der Menge der Laster zu.

10. Drei große Sterne, die in ihrem Glanze aneinander hängen, erscheinen im Dunkel, dann noch mehrere kleine und große in heller Lichtmenge: diese bedeuten in der Versinnbildung der heiligsten Dreieinigkeit große Lichter, nämlich Abraham, Isaak und Jakob, welche sich durch Treue im Werk wie auch durch fleischliche Verbindung angehören und durch ihre Verkündigungen die weltliche Finsternis überwinden und die vielen kleinen und großen Propheten, die ihnen nachfolgten, in großen und staunenswerten Wundern bestrahlten.

11. Dann erschien aber ein sehr großer Stern mit wunderbarer Helligkeit, der seinen Glanz zur Flamme hinwandte. Es ist dies der bevorzugte Prophet Johannes der Täufer, der durch treuestes und hellstes Werk in Großtaten schimmert und in ihnen das wahre Wort, nämlich den Sohn Gottes zeigt.

12. Auf der Erde aber erscheint jener Glanz wie die Morgenröte, dem eine größere Flamme wunderbarerweise beigegeben ist. Diese ist dennoch nicht getrennt von dem hellen Feuer. Das ist so, weil Gott am Orte der allgemeinen Dinge einen großen Glanz rötlichen Lichtes pflanzte und sein Wort mit vollkommenem Willen sandte, das aber nicht von ihm getrennt ist: sondern er gab ihnen die reichliche Frucht, den großen Quell, aus welchem jede gläubige Kehle trinkend fernerhin nicht mehr dürstet.

13. Aus dem Scheine der Morgenröte siehst du einen blendendstrahlenden Menschen hervorgehen, der seine Helligkeit ins Dunkel ergießt, daß diese von ihm zurückgeworfen wird; er, der sich in blutiges Rot und weiße Blässe verwandelte, stieß die Dunkelheit mit solcher Kraft zurück, daß jener Mensch, der in ihr lag, durch die Berührung zu leuchten schien und aufrecht hinausging. Dies bedeutet, daß Gottes Wort, welches sich im Schimmer der unversehrten Jungfräulichkeit unverletzt inkarnierte, ohne Schmerz geboren, sich dennoch nicht vom Vater trennte. Als Gottes Sohn in der Welt von der Mutter geboren ward, erschien er im Himmel im Vater. Daher erzitterten auch bald die Engel und jubelten Lobgesänge. Dieser Sohn Gottes, der ohne eine Makel von Sünde in der Welt weilte, sandte die lichtvollste Lehre des Glückes und der Errettung in das Dunkel des Unglaubens hinaus, wurde aber vom ungläubigen Volke verworfen, zum Leiden geführt, vergoß sein rosenfarbenes Blut und kostete körperlich den Todesnebel. Er überwand den Teufel und befreite seine Auserwählten aus der Hölle, die in ihr zurückgehalten und hinabgeworfen waren; so führte er sie durch die Berührung mit seiner Erlösung zu ihrer Erbschaft, welche sie in Adam verloren hatten, barmherzig zurück. Der Teufel aber sieht niemals jenen, der rechtmäßig denkt, und nie werden jene ihn erblicken, die Gott getreulich fürchten. Denn er erhebt sich immer gegen Gott, indem er vorgibt, Gott zu sein. Daher ist seine Bosheit so vertieft, daß kein Heilmittel seine Sünden, welche er ruchlos im verachtungswertesten Hochmut beging, reinigen kann. Deshalb verbleibt er in andauerndem Schmerz wie eine Gebärende in verzweifelter Trübsal, welche es nicht glauben will, daß sie bei Eröffnung ihres Leibes leben kann. Diese Unseligkeit wird immer über ihm bleiben, weil er von der Seligkeit ausgeschlossen ward, denn die Weisheit der Söhne floh von ihm, der nicht zu sich zurückkehrt, wie der verschwenderische Sohn, der von seiner Sünde zurückkommt, sich zu seinem Vater begibt. Deshalb vertraut er niemals auf jene Zerknirschung, mit welcher die Söhne der Erlösung auf den Tod des höchsten Sohnes, den Tod der scheußlichsten Sünde zertreten, welche die listige Schlange bewirkte, als sie dem ersten Menschen die List, die er nicht kannte, anriet. Ich will die Seelen jener, welche mich lieben und verehren, die Seelen der Heiligen und Gerechten von der Höllenstrafe erlösen. Denn niemand von den Menschenkindern konnte den Fesseln des Teufels entrissen werden, mit welchen er in grausamen Tode wegen der Übertretung von Gottes Geboten gefesselt ist, wenn nicht durch die Erlösung jenes, der seine Erwählten in seinem eigenen Blute loskaufen will.

14. Du siehst einen leuchtenden Menschen der Morgenröte entsteigen und in solcher Helle erscheinen, wie keine menschliche Zunge es künden kann. Das zeigt, daß der erhabenste Leib des Sohnes Gottes aus der köstlichsten Jungfrau geboren und drei Tage lang im Grab gelegen war, um uns einzupflanzen, daß drei Personen in einer Gottheit vorhanden sind; die väterliche Klarheit leuchtete, und er erhielt so den Geist zurück und erstand in leuchtendster Unsterblichkeit, welche kein Menschenkind mit Gedanken oder Worten erklären kann.

15. Wie die Kinder Israels aus Ägypten befreit, vierzig Jahre lang durch die Wüste schritten und in das Land von Milch und Honig gelangten, so zeigte sich auch gnädig Gottes Sohn, der vom Tode erstanden war, vierzig Tage seinen Jüngern und den heiligen Frauen, welche nach ihm seufzten.

16. In die höchste Höhe unbeschreiblicher Herrlichkeit strebte der Mensch, wo er in der Fülle von Tau und Wohlgeruch wunderbar leuchtet. Wer mit wachen Augen sieht und mit aufmerksamen Ohren hört, gewähre meinen mystischen Worten, welche lebendig aus mir ausströmen, den Kuß der Umarmung.


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