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Die vierte Vision: Von Seele und Leib.

1. Und dann sah ich einen unbeschreiblich heiteren Glanz, der wie in zahllosen Augen aufflammte. Gegen die vier Seiten der Welt hatte er Ecken. Er versinnbildete das Geheimnis des himmlischen Schöpfers und wurde mir geoffenbart im tiefsten Mysterium. In diesem Glänze erschien noch ein anderer, der der Morgenröte gleich die Helle eines Purpurblitzes in sich barg. Dann sah ich auf der Erde Menschen Milch in Tongefäßen tragen und zu Käse verarbeiten. Teils war die Milch dick, und aus ihr wurde starker Käse hergestellt. Ein anderer Teil war dünn, woraus magerer Käse gerann. Anderer Käse, der mit Feuchtigkeit vermischt war, gerann zu bitterem Käse. Ich sah auch eine Frau, die eine vollkommene Menschengestalt in ihrem Leibe trug. Siehe da, durch eine geheime Anordnung des himmlischen Schöpfers erhielt diese Gestalt lebensvolle Bewegung, und eine feurige Kugel, ohne die Umrisse eines menschlichen Körpers, ergriff Besitz vom Herzen dieser Gestalt und berührte ihr Gehirn und ergoß sich in alle ihre Glieder. Und dann ging die so belebte Menschengestalt aus dem Leibe der Frau heraus, so wie die Kugel sich in jenem Menschenkörper bewegte, und änderte auch ihre Farbe.

2. Und ich sah, daß viele Wirbelstürme auf die Kugel im menschlichen Körper hereinbrachen und sie bis zur Erde niederdrückten, doch sie gewann ihre Kräfte wieder und richtete sich mannhaft auf. Sie leistete kräftigen Widerstand und klagte seufzend: »Wo bin ich Fremdling? Im Schatten des Todes! Auf welchem Wege gehe ich? Den Weg des Irrtums. Und welchen Trost habe ich? Den, welche fremde Pilger haben. Ich sollte ein Wohngezelt aus Quadersteinen haben, das von der Sonne und leuchtenden Sternen geschmückt ist. Die untergehende Sonne und die Sterne sollten in ihm nicht leuchten, denn in ihm sollte Engelsglanz sein; das Fundament müßte aus Topas und das ganze Gebäude aus Edelsteinen sein. Seine Treppen sollten kristallen und seine Hallen aus Gold sein. Eigentlich müßte ich eine Genossin der Engel sein, weil ich der lebendige Hauch bin, den Gott dem trockenen Schlamme einblies. Daher müßte ich Gott erkennen und fühlen. Aber weh! Da mein Gebäude sah, daß es mit seinen Augen auf alle Wege sehen konnte, setzte es seinen Schmuck nach Norden. Weh, weh! Wo bin ich gefangen! Ich bin meiner Augen beraubt und ohne Freude des Wissens, mein ganzes Gewand ist zerrissen, und so meines Erbteils entsetzt, bin ich an einen fremden Ort geführt, der aller Schönheit und Zier ermangelt, und wo ich schlimmster Knechtschaft unterworfen bin. Und die, welche mich gefangen nahmen und mit Backenstreichen schlugen, mich mit den Schweinen essen ließen und an einen einsamen Ort schickten, reichten mir sehr herbe, in Honig getauchte Kräuter zur Speise. Schließlich peinigten sie mich noch mit den Qualen der Kelter, zogen mich aus und fügten mir neue Leiden zu, jagten mich umher, wo scheußliche Giftschlangen, Skorpione und Nattern mich gefangen nahmen und mich mit ihrem Gift bespieen, so daß ich entnervt und geschwächt ward. Sie verlachten und verspotteten mich deswegen! »Wo ist nun deine Ehre?« Da schauerte es mich, und ich sprach in tiefer Trauer zu mir: »Wo bin ich? Woher bin ich an diesen Ort gelangt? Welchen Tröster suche ich in dieser Gefangenschaft? Wie kann ich diese Kette zerreißen? Welches Auge kann meine Wunden schauen? Kann eine Nase diesen Gestank ertragen? Welche Hand salbt mich mit Öl? Wer läßt meinem Schmerze Barmherzigkeit widerfahren? Der Himmel möge mein Rufen erhören, die Erde ob meiner Trauer erzittern und alles Lebendige sich barmherzig meiner Gefangenschaft zuwenden. Es bedrängen mich bitterste Schmerzen, da ich ohne Trost und Hilfe eine Fremde bin. O, wer wird mich trösten, da sogar meine Mutter mich verließ, weil ich vom Heilswege abirrte. Kann mir einer helfen außer Gott? Wenn ich aber an dich denke, o Mutter Sion, in der ich wohnen sollte, dann schaue ich die bitterste Knechtschaft, der ich mich unterworfen habe. Und wenn ich mich an die vielfältige Musik erinnere, welche in dir ertönt, dann spüre ich meine Wunden. Wenn ich aber vollends mir ins Gedächtnis rufe deine glorreichen Freuden, dann überkommt mich Ekel ob des Giftes, mit dem ich mich verwundete. Wohin soll ich mich wenden? Wohin fliehen? Mein Schmerz ist ja unermeßlich, denn beim Verbleiben in diesen Übeln werde ich Genossin jener, mit denen ich in Babylon schmählich mich einließ. Wo bist du, Mutter Sion? Weh mir, daß ich Unglückliche mich von dir entfernte! Kennte ich dich nicht, so wäre mein Schmerz nicht so tief! Jetzt aber will ich die schlechte Gesellschaft fliehen, da das unglückselige Babylon mich auf die bleierne Wage warf und mit gewaltigen Balken mich bedrängt, daß ich kaum atmen kann. Während ich nun meine Tränen, o Mutter Sion, mit Wehklagen dir darbringe, läßt das Unglück bringende Babylon seine Wasser so zusammenschlagen, daß du meine Stimme nicht hören kannst. So will ich also mit größtem Eifer die engen Wege suchen, auf denen ich meinen schlimmen Genossinnen und meiner unglückseligen Gefangenschaft entrinnen kann,« Während ich dies sprach, entkam ich auf schmalem Pfade, wo ich mich in einer kleinen Höhle, die nach Norden lag, bitter weinend verbarg. Ich überdachte hier meinen ganzen Schmerz, meine Mutter verloren zu haben, und alle meine anderen Wunden. So heftig weinte ich, daß aller Schmerz und die Striemen meiner Wunden von ihnen überströmt und naß wurden. Und siehe da, süßester Duft wurde mir wie linde Luft von meiner Mutter entgegengesandt und erfüllte meine Nase. Welche Seufzer und wie viele Tränen weinte ich jetzt, als ich geringen Trost mir nahe fühlte? Und solche Freudenrufe stieß ich unter vielen Tränen aus, daß selbst der Berg, in dessen Höhle ich mich verborgen hatte, davon erschüttert wurde. Und ich rief: »Mutter, Mutter Sion! Was wird aus mir werden? Wo ist jetzt deine edle Tochter? Wie lange, wie lange war mir fern deine mütterliche Süße, die mich in Wonnen liebkosend nährte«? Weinend empfand ich dennoch solche Freude, als wenn ich meine Mutter sähe. Aber meine Feinde hörten mein Schreien und sprachen: »Wo ist die, welche wir, wie es uns gefiel, bisher in unserer Gesellschaft hielten, und die uns zu Willen war? Seht, nun ruft sie die Himmlischen an! Wir wollen alles aufbieten, sie so sorgfältig und eifrig bewachen, daß sie uns nicht entfliehen kann. Wir unterwerfen sie uns mehr als bisher. Erreichen wir das, so wird sie uns williger folgen denn früher.« Ich aber verließ heimlich die Höhle, wo ich mich verborgen hatte, und wollte hinaussteigen, wo mich meine Feinde nicht finden könnten. Aber sie warfen mir ein so tobendes Meer entgegen, daß es mir unmöglich war, es zu überschreiten. Eine kleine und schmale Brücke gestattete mir dies auch nicht. Am Ende des Meeres erschien ein Gebirgszug von solcher Höhe, daß ich merkte, auch dort meinen Weg nicht einschlagen zu können. Da rief ich: »Was soll ich Unglückliche jetzt tun?« Ein Weilchen fühlte ich die Süßigkeit meiner Mutter, und ich glaubte, sie wollte mich zu sich zurückführen, aber, weh, wird sie mich jetzt wieder verlassen? Wohin soll ich mich wenden? Kehre ich in meine frühere Gefangenschaft zurück, so werde ich meinen Feinden jetzt mehr als früher als Spielball dienen, weil ich meiner Mutter mich getreulich zuwandte und ihre Süßigkeit ein Weilchen spürte und nun wieder von ihr getrennt bin. Durch die Süßigkeit, die ich zuvor von meiner Mutter herkommend verspürte, hatte ich noch so viele Kraft in mir, daß ich mich gen Osten wandte und wieder auf ganz engen Wegen zu gehen versuchte. Jene Pfade waren so voller Dornen und anderer Hindernisse, daß ich kaum darauf gehen konnte. Nur mit größter Mühe und in Schweiß gebadet, ging ich darüber hinweg, wurde aber so müde, daß mir der Atem auszugehen drohte. Endlich gelangte ich zur Bergesspitze, in dessen Höhle ich mich zuvor verborgen gehalten hatte. Ich wollte zum Tale herniedersteigen, aber Schlangen, Skorpione, Drachen und ähnliche Tiere stürzten sich mir zischend entgegen. Ich ward sehr erschreckt, heulte furchtbar und schrie: »Wo bist du, meine Mutter? Mein Schmerz wäre geringer, wenn ich die Süße deiner Heimsuchung nicht zuvor gefühlt hätte, jetzt aber kehre ich in die alte Gefangenschaft wieder zurück, in der ich so lange gelegen. Wo ist jetzt deine Hilfe?« Ich hörte meine Mutter also zu mir sprechen: »Eile, meine Tochter; Flügel sind dir vom mächtigsten Geber geschenkt worden, dem niemand widerstehen kann. Überfliege also geschwind alle Widerstände.« Ich ward getröstet und gestärkt, nahm die Flügel und überflog in Eile all das giftige und todbringende Gewürm.

3. Ich kam auf meinem Wege zu einer im Innern ganz aus hartem Stahl gefertigten Burg, ging hinein, tat Werke des Lichts, während ich mich früher der Finsternis hingab. In die innere Burg stellte ich nach Süden eine Säule von ungefeiltem Eisen, an der ich die Schwanzfedern verschiedener Vögel aufhing. Ich fand Brot und verspeiste es. Nach Osten aber errichtete ich eine Schutzmauer aus vier Steinen und zündete darauf ein Feuer an. Mit Myrrhe vermischten Wein trank ich. Gen Süden errichtete ich einen Turm aus viereckigen Steinen, an denen ich Schilder von roter Farbe aufhing, und an die Fenster Posaunen aus Ebenholz. Inmitten jenes Turmes aber goß ich Honig aus, aus dem ich kostbare, aromatische Salbe herstellte. Der Duft davon war so stark, daß er die ganze Burg erfüllte. Nach Westen stellte ich nichts, weil er der Welt zu gelegen ist. Während ich mühevoll an diesen Dingen arbeitete, warfen meine Feinde ihre Köcher nach mir aus und schleuderten ihre Pfeile gegen die Burg. Ich war so eifrig beschäftigt, daß ich lange ihrer Wut nicht achtete, bis die Burgtüren voll von Pfeilen steckten. Keiner derselben verletzte die Türen, keiner konnte den Stahl durchdringen, und so blieb auch ich unversehrt. Als meine Feinde das sahen, sandten sie große Wassermengen, um mich und meine Burg zu zerstören; aber ihre Bosheit blieb ohne, Erfolg. Ich verlachte sie kühn, Der Meister, der diese Burg fertigte, ist weiser und stärker als ihr: »Legt daher eure Pfeile beiseite, denn euer Wille kann über mich keinen Sieg davon tragen. Mit großem Schmerz und Mühe habe ich viele Kriege wider euch geführt, da ihr mich dem Tode überliefern wolltet, es ist euch aber nicht gelungen; denn ich bin mit ganz starken Waffen gesichert, habe scharfe Schwerter gegen euch geschwungen und meine Verteidigung mit ihnen heftig geführt. Weichet also, weichet zurück! Ich gehöre euch nicht mehr an!«

4. Ich schwaches und ungelehrtes Wesen sah auch, wie viele Wirbelstürme die Seele auf eine andere Kugel schleudern wollten, es aber nicht vermochten, weil sie sich tapfer verteidigte und den Ort nicht ihrer Wut preisgab. Dennoch rief sie klagend: »Obgleich ich sehr klein bin, ist mir doch eine große Aufgabe zugefallen. O, was bin ich? Und welches ist meine Klage? Ich bin der lebendige Hauch im Menschen, in der Wohnstätte aus Mark, Adern, Knochen und Fleisch. Ich belebe sie, bewirke ihre Bewegungen überall hin. Aber weh! Die Sinnlichkeit bringt Schmutz und Zügellosigkeit und Pest der Sitten und alle Arten von Lastern hervor. Mit welchem Seufzen beklage ich dies! Während ich mein Leben in den Werken meines Gebäudes gedeihen sehe, eilt teuflische Verführung mir entgegen, will mich stolz und aufgebläht machen! Ich will nach dem Gelüsten der Kräfte meines Bodens schaffen: In meinem Gebäude nämlich verstehe ich alle Werke, werde aber so von der Begierlichkeit behindert, daß ich meine Werke nicht unterscheiden kann, bis ich böse Wunden in mir fühle. Darauf klagte ich sehr: »O Gott, bist du nicht mein Schöpfer? Siehe, die niedrige Erde stürmt wider mich. Soll ich fliehen, wie? Da mein Gebäude fleischliche Begierde hat, habe ich Lust am Werke und vollende das Werk. Aber die Einsicht, welche gleich dem Wissen in mir wächst, zeigt mir, daß ich von Gott erschaffen wurde: in ihr auch fühle ich, daß Adam sich furchtsam verbarg, nachdem er das göttliche Gebot übertreten hatte. So verberge auch ich mich in Furcht vor Gottes Angesicht, weil ich die Werke in meinem Wohnhause Gott feindlich sehe. Ich verschmähe alle jene Werke, die von fleischlichen Begierden brennen, weil ich die bleierne Wage mit Sünden überlaste.

5. Weh mir Irrenden, wie kann ich in diesen Gefahren standhalten? Der Teufel will mich überreden: »Ist das ein Gut, das du nicht kennst, nicht siehst, noch ausführen kannst? Warum verlassest du aber, was du kennst, einsiehst und tun kannst?« Was soll ich nun tun? Schmerzvoll will ich antworten: »Wohl bin ich elend, weil mir von Adam schädliches Gift eingehaucht wurde, da er selbst das göttliche Gebot nicht achtete und auf die Erde hinausgeworfen, fleischliche Wohnstätten vereinigte. Durch den Geschmack, den er am Apfel bei seinem Ungehorsam hatte, teilte sich schädliche Süßigkeit dem Blut und Fleisch mit und bringt die Befleckung der Laster hervor. Daher fühle ich auch die Sünde in meinem Fleische, den reinsten Gott aber verachte ich aus trunkener Schuld. Weil Adam bei seiner ersten Erscheinung rein und einfältig von Gott erschaffen war, fürchte ich Gott, weil auch ich rein und einfältig durch ihn erschaffen war. Aber durch die üble Gewohnheit der Laster bin ich in Unruhe versetzt worden. O, ich bin bei alledem fremd und irrend geworden! Daher erzeugen diese verschiedenen Wirbel viele Lügen in mir: »Wer bist du? Und was sagst du? Welche Kämpfe hast du zu bestehen? Du bist unglückselig, denn nicht weißt du, ob ein gutes oder schlechtes Werk dein eigen ist, wo du endlich einmal hingehst, und wer dir Bestand schenken wird. Welches sind die Irrtümer, welche mich dem Wahnsinn zuführen? Vollendest du, was dich erfreut, fliehst du, was dich beengt? Was willst du tun, da du dieses weißt und jenes verkennst? Was dich erfreut, ist dir verwehrt zu tun, was dich beengt, heißt dich Gottes Gebot zu tun. Woher weißt du, ob es sich so verhält? Es wäre dir besser, nicht geboren zu sein!« Und nachdem sich diese Wirbel in mir erhoben hatten, beginne ich einen andern Weg zu wandeln: ich beginne die Gerechtigkeit zu tun, welche meinem Fleische schwer fällt. Aber wiederum beginnen meine Zweifel, ob dies aus dem Geschenk des heiligen Geistes sei oder nicht, und ich spreche bei mir: »Es ist unnütz.« Und dann will ich über die Wolken fliegen, will über meinen Geist hinaus und beginnen, was mir unmöglich ist. Während ich aber dies versuche, verschaffe ich mir tiefste Traurigkeit, weil ich weder in heiliger Höhe noch auf der Ebene des guten Willens irgendein Werk vollende, sondern unruhigen Zweifel, ja Verzweiflung, Kummer und Bestürmung aller Art in mir fühle. Während mich teuflische Überredung so beunruhigt, befällt mich tiefes Unglück. Weil alle Übel, die im Tadel, Verfluchung, im Tod, von Körper und Seele, in schmählichen Worten gegen die Reinheit, das Heil und die Erhabenheit, die in Gott sind, sich mir Unglücklichen entgegenstellen. Diese Unruhe will mir einreden, daß alles Glück und Gut, das sich im Menschen wie bei Gott findet, mir sehr beschwerlich sein wird, mir mehr den Tod als das Leben vorstellend. Weh, weh, ein unglücklicher Kampf, der mich von Mühsal zu Mühsal treibt, von Schmerz zu noch größerem, von Trennung zu Trennung, und mir jedes Glück nimmt!

6. Woher kommt das Übel dieses Irrens? Die alte Schlange hatte List und Verschlagenheit und das tödliche Gift der Sünde. In ihrer List flößt sie mir Trotz vor den Sünden ein und entfernt meinen Geist von der Furcht Gottes. So fürchte ich mich nicht, zu sündigen und spreche: »Wer ist Gott?« Ich weiß es nicht. In ihrer täuschenden Schlauheit verstopft sie mich vollends. Durch das mörderische Gift der Sünde raubt sie mir alle geistliche Freude; denn ich kann mich weder im Menschen noch in Gott freuen. Sie erfüllt mich mit vollkommener Verzweiflung, ob ich gerettet werden kann oder nicht. Weh, welches sind diese Wohnhäuser, welche Gefahren durch teuflische Irreführung aushalten müssen! Erinnere ich mich aber durch Gottes Geschenk, daß ich von ihm erschaffen ward, dann antworte ich bei solchem Ansturm den Verführungen des Teufels: »Ich weiche nicht schwächlich der Erde, sondern führe kraftvolle Kriege. Will meine Wohnstätte die Werke der Ungerechtigkeit vollbringen, so zwinge ich mein Mark, Blut und Fleisch, in weiser Geduld sich zu verteidigen, wie der tapfere Löwe sich verteidigt und die Schlange sich in ihrer Höhle, den Todeswurf fliehend, verbarg. Ich darf weder die Pfeile des Teufels in mich aufnehmen, noch dem Willen des Fleisches nachkommen.

7. Will Zorn um mein Gebäude zielen, so schau ich auf Gottes Güte, der immer frei ist von Zorn und die trockene Erde mit Sanftmut benetzt, so werde auch ich gelassener und genieße die geistliche Freude. Die Tugenden in mir zeigen dann erst ihre Kraft. So fühle ich die göttliche Güte. Will aber Haß mich verdunkeln, so blicke ich zum Erbarmen und Martyrium des Sohnes Gottes und zügle mein Fleisch. Dabei erinnere ich mich getreulich, daß der süße Rosenduft von den Dornen ausgeht und erkenne meine Erlösung. Aber den Stolz gelüstet es, den Turm seiner Eitelkeit, welcher ohne Fundament ist, in mir in große Höhe zu bauen, welcher nichts neben sich duldet, sondern immer höher als alles Übrige scheinen will, dann spreche ich trauernd: »Wo ist mein König und Gott? Kann ich etwas Gutes tun ohne Gott? Nichts!« und so blicke ich wieder zu Gott, der mir das Leben schenkte, und eile zu jener glückseligsten Jungfrau, welche den Hochmut der alten Schlange zertrat. Ich erkenne das süßeste Gut, die Demut in der Höhe Gottes und die Demut der holdesten Jungfrau in der Erinnerung aller und fühle die Süßigkeit des nie versiegenden Balsams. Ich freue mich in Gott und weise auch alle übrigen Fehler gegen die Demut starkmütig zurück.

8. Ich armes Wesen sah darauf, daß eine andere Kugel sich zurückzog, ihre Knoten löste und sich von ihnen mit Stöhnen loswand und ihren Sitz trauernd zerstörte und sagte: »Ich will aus meinem Gezelte gehen. Aber wohin soll ich Kummergestalt mich wenden? Auf grauenvollen Pfaden zur Richtstätte, wo ich gerichtet werde.« Die Werke, welche ich nämlich in meinem Hause tat, werde ich vorzeigen und dort die Vergeltung nach meinen Verdiensten empfangen. O Furcht! Welche Angst wird sich meiner bemächtigen?« Als sie derartig nachsann, kamen leuchtende und schattenhafte Geister, welche Genossen ihres Aufenthaltsortes gemäß ihrem Glauben gewesen waren. Sie machten diese Erklärung: »Nachdem sie sich gelöst hätte, würden sie sie mit sich fortführen.« Ich hörte eine lebendige Stimme ihnen sagen: »Gemäß ihren Werken wird sie von Ort zu Ort geführt.« Wiederum hörte ich vom Himmel eine Stimme zu mir sprechen: »Die selige und unaussprechliche Dreifaltigkeit hat sich der Welt geoffenbart, als der Vater den durch den hl. Geist empfangenen und von der Jungfrau geborenen Sohn in die Welt sandte, solange die Menschen vielartig geboren und durch viele Sünden gezwungen zu ihm auf den Weg der Wahrheit zurückgeführt werden; von den Fesseln der körperlichen Last befreit, tragen sie Güte und heilige Werke in sich und werden die Freuden der himmlischen Erbschaft erlangen.«

9. Damit du, o Mensch, dies tiefer erfassest und klarer unterscheiden könntest, siehst du einen außerordentlich großen Glanz wie in zahllosen Augen aufstrahlen, der vier Ecken nach den vier Weltseiten hin hat. Das bedeutet die große und reine Weisheit Gottes in den Mysterien und Offenbarungen, die in der größten Tiefe und Durchsichtigkeit erglänzt und die vier sehr scharfen Kanten in Festigkeit zu den vier Seiten der Welt hinaus streckt, wo sie die, welche verworfen, und jene, welche gesammelt werden, klar vorher sieht und so das Geheimnis der höchsten Majestät kundtut.

10. Es erscheint darauf noch ein anderer Glanz, welcher der Morgenröte gleich, die Seligkeit eines Purpurblitzes in sich schließt. Auch dies versinnbildet die Weisheit Gottes, indem sich der Eingeborene des Vaters, der aus der Jungfrau Fleisch annahm, würdigte, sein Blut im Glanze des Glaubens für das Heil der Menschen zu vergießen.

11. Du siehst sodann auf der Erde Menschen Milch in Tongefäßen tragen und Käse daraus bereiten. Das sind die Männer und Frauen, die den menschlichen Samen in ihrem Körper tragen, aus dem das Geschlecht der verschiedenen Völker hervorgeht: ein Teil ist dick, woraus Käse gemacht werden soll, weil dieser Same in seiner Stärke nützlich ist und gut gekocht und gemischt starke Menschen hervorbringt: Sie haben große Klarheit der geistigen und fleischlichen Güter, kommen voran durch Klugheit, Maßhaltung und Nutzbarmachung ihres Lebens in ihren Werken vor Gott und den Menschen, weil der Teufel keinen Teil an ihnen findet. Ein anderer Teil der Milch ist dünn und läßt dünnen Käse gerinnen. Dieser Same bringt in seiner Schwäche, und da er unvollkommen gekocht und gemischt ist, zarte Menschen hervor, welche wie die meisten törichten, lauen und unnützen Menschen vor Gott und der Welt in ihren Werken zurückbleiben und Gott nicht standhaft suchen. Ein anderer Teil ist gemischt mit Flüssigkeit, woraus bitterer Käse wird, weil dieser Same durch seine schwache Mischung nachlässig hergestellt und unrichtig gemischt, haltlose Menschen hervorbringt, welche oft Bitterkeiten, Schwierigkeiten und Bedrängnisse des Herzens haben, so daß sie ihren Geist nicht zur Höhe heben können. Viele von diesen werden nützlich, leiden zwar dennoch unter vielen Stürmen und Unruhen, sowohl körperlicher als geistiger Art, gehen aber als Sieger hervor. Gott züchtigt sie und steht ihnen bei und führt sie zum Wege des Heiles, wie geschrieben steht: »Ich töte und mache lebendig; ich schlage und heile, keiner kann meiner Hand entrinnen.«

12. Du siehst sodann eine Frau, die eine vollkommene Menschengestalt in ihrem Leibe trägt. Das bedeutet: Nachdem ein Weib menschlichen Samen empfangen hat, wird das Kind mit allen seinen Gliedern in dem verborgenen Gezelte des weiblichen Leibes gebildet, und siehe, durch die geheime Anordnung des höchsten Schöpfers regt sich die lebendige Gestalt, weil durch geheimen Befehl und Willen Gottes das Kind im mütterlichen Schöße rechtmäßig und von Gott bestimmt zu seiner Zeit Geist empfängt und durch die Bewegung seines Körpers zeigt, daß es lebt, wie die Erde sich öffnet und Blumen und Früchte hervorbringt, wenn Tau auf sie niedergefallen ist. Die Feuerkugel hat keine Umgrenzungen eines menschlichen Körpers und erfüllt das Herz des Menschen, weil die Seele gleichsam brennend im Feuer tiefer Erkenntnis die verschiedenen Dinge im Umkreis unterscheidet. Sie hat nicht die Gestaltung menschlicher Glieder, weil sie unkörperlich ist, noch ist sie hinfällig in bezug auf den Körper. Sie stärkt das Menschenherz, weil sie gleichsam das Fundament des Körpers ist und ihn ganz regiert. Sie ist wie das Firmament des Himmels, das alles unter sich zusammenhält und das Darüberliegende berührt. Die feurige Kugel berührt auch das Gehirn im Menschen, weil es mit seinen Kräften nicht nur Irdisches, sondern auch Himmlisches versteht, indem es Gott weise erkennt. So durchdringt sie alle menschlichen Glieder, weil sie dem ganzen Körper die Kraft des Markes, der Adern und aller Glieder verleiht, wie der Baum aus seiner Wurzel allen Zweigen Saft und Grün zubringt. Dann geht die so belebte Menschengestalt aus dem Mutterleibe hervor, gemäß den Bewegungen der Kugel in dem Menschen, ändert auch so die Farbe. Nachdem der Mensch im Mutterleib den Lebensgeist empfangen hat und geboren worden ist, gibt er entsprechend den Werken, welche die Seele gemeinsam mit dem Körper wirkt, die Bewegungen seiner Betätigung. Demzufolge bestehen auch die Verdienste des Menschen; ob der guten Werke hüllt er sich in Licht, ob der bösen in Dunkelheit.

13. Solchen Anlagen entsprechen auch die menschlichen Kräfte; im Kindesalter zeigt er Einfalt, im Jünglingsalter Tapferkeit; im Vollalter, wenn seine Adern strotzend sind, zeigt er riesenstarke Kräfte in Weisheit. Er ist dem Baume gleich, der zuerst in zartem Grün steht, darauf Fruchtansatz zeigt, schließlich nützliche Fülle hervorbringt. Später aber, im Greisenalter, wenn das Mark und die Adern des Menschen schon schwach zu werden beginnen, zeigt die Seele leichtere Kräfte, gleichsam als empfände sie Ekel vor dem Menschenwissen; sie ähnelt darin dem Safte des Baumes, welcher sich in den Zweigen und Blättern zusammenzieht, wenn die Winterzeit herannaht, und der Baum schon anfängt, sich greisenhaft niederzubeugen.

14. Der Mensch hat drei Wege in sich: Die Seele, den Körper und die Sinne. Die beiden Hauptkräfte sind Verstand und Wille, gleichsam ihre beiden Arme. Doch ist es nicht so, als bedürfe die Seele der Arme, um sich zu bewegen, sondern sie offenbart sich nur in diesen Kräften, wie die Sonne sich kenntlich macht durch ihren Glanz.

15. Der Geist haftet der Seele an wie der Arm dem Körper. Wie der Arm, dem die Hand mit den Fingern verbunden ist, sich vom Körper fortstreckt, so geht auch der Geist sicherlich mit der Leistung der andern Seelenkräfte, mit denen er die Werke des Menschen erkennt, aus der Seele hervor. Er erkennt nämlich mehr als die andern Seelenkräfte, was an dem Werk gut und was schlecht ist. Man erhält Einsicht durch ihn wie durch einen Lehrer, denn die Seele untersucht alles, so wie der Weizen von allem Nichtzugehörigen gereinigt wird. Sie durchforscht, ob etwas nützlich oder nutzlos sei, liebenswürdig oder hassenswert, was zum Leben und was zum Tode führt. Wie die Speise ohne Salz geschmacklos bleibt, so sind auch die übrigen Seelenkräfte ohne den Geist dumpf und können nichts unterscheiden. Er erkennt die Gottheit und Menschheit in Gott.

16. Der Wille erwärmt das Werk, die Seele nimmt es auf, und die Vernunft führt es fort und der Geist zeigt, ob es gut oder böse ist. Die Engel haben auch einen Intellekt, der das Gute liebt und das Böse verabscheut. Wie der Körper das Herz hat, so hat die Seele den Intellekt. Der Wille hat nämlich große Kraft über die Seele. Die Seele steht in einer Ecke des Hauses, im Herzensgrund, wie der Mensch in einer Ecke seines Hauses, so daß er das ganze Haus überblicken kann, um alle Werkzeuge des Hauses zu leiten, und sich nach Osten kehrend, gibt er mit der erhobenen Rechten ein Zeichen, was zum Nutzen des Hauses getan werden soll. So macht es die Seele, gen Sonnenaufgang gewendet, durch alle Straßen des ganzen Körpers.

17. Der Wille ist gleich einem Feuer, das alles in einem Ofen kocht. So ist auch der Wille die Stärke des ganzen Werkes, denn er zermahlt in der Überlegung und gibt in die Form den Sauerteig hinein und zermürbt in seiner Härte. Während die Speise des Menschen manchmal aufhört, überdauert das Werk des Willens in ihm bis zur Trennung von Leib und Seele.

18. Der Wille hat in der Menschenbrust eine Art von Gezelt, das Gemüt. Der Intellekt, Wille und jede Seelenkraft hauchen es in der ihnen eigenen Stärke an. Sie erwärmen sich alle in diesem Gezelt und vereinigen sich miteinander. Erhebt sich eine schändliche Lust, dann wird der Brand der Wollust in seiner eigenen Materie entzündet, und der Mutwille erhebt sich, der zur Sünde gehört, und vereinigt sich in diesem Gezelte. Es gibt aber noch eine andere liebenswerte Freude, die vom hl. Geist in seinem Gezelt entfacht wird. Die Seele nimmt sie voll Freude im Glauben auf und vollendet mit himmlischer Sehnsucht das gute Werk. Es gibt auch eine Art Traurigkeit, durch die im selben Gezelte aus jenen Säften um die Galle Lähmung entsteht. Sie erzeugt im Menschen Unwillen, Verhärtung, Starrköpfigkeit, drückt die Seele nieder, wenn die Gnade Gottes ihr nicht schnell zu Hilfe eilt und sie eilends herausreißt. Wenn aber der Wille will, so bewegt er die Werkzeuge seines Gezeltes und legt sie in der Gluthitze nieder, seien sie gut oder schlecht. Es erhebt sich in diesem Gezelte eine Riesenmenge von Gutem und Bösem, wie wenn sich ein Heer an einem Orte versammelte, kommt aber der Fürst des Heeres, so nimmt er es auf, wenn die Schar sein Gefallen findet. Mißfällt sie ihm aber, läßt er sie abziehen; so macht es auch der Wille.

19. Im Geist und im Willen zeigt sich die Vernunft wie der Klang der Seele. Sie vollendet Gottes- oder Menschenwerk. Der Klang hebt nämlich das Wort in die Höhe, wie der Wind den Adler aufhebt, um fliegen zu können. Ebenso entsendet auch die Seele im Gehör und Intellekt des Menschen den Ton der Vernunft, so daß seine Kräfte Einsicht erlangen und jedes Werk zur Vollendung geführt wird. Der Leib aber ist das Gezelt und die Hilfe für alle Seelenkräfte.

20. Die Sinne heften sich an die inneren Seelenkräfte an. Der äußere Mensch erwacht zuerst mit den Sinnen, bevor er aus dem Mutterleibe geboren wird, während die übrigen Seelenkräfte noch verborgen bleiben. Was heißt das? Die Morgenröte verkündet das Tageslicht; so zeigt das Empfindungsvermögen des Menschen alle Kräfte der Seele mit der Vernunft an. Der Mensch wird an seinem Antlitz erkannt, sieht mit den Augen, hört mit den Ohren, öffnet den Mund zum Sprechen, tastet mit den Händen, geht mit den Füßen. Deshalb sind die Sinne im Menschen kostbare Edelsteine und wie ein kostbarer, in einem Gefäße versiegelter Schatz.

21. Die Seele ist die Meisterin, das Fleisch die Magd. Die Seele regiert den ganzen Körper durch Belebung, der Leib aber nimmt die Belebung in sich auf. Denn würde die Seele nicht den Leib beherrschen, so würde er aufgelöst auseinanderfließen. Die Seele gleitet so in den Leib hinein wie der Saft in den Baum. Durch den Saft grünt der Baum, treibt Blüten und gewinnt Früchte. So auch der Körper durch die Seele. Und wann reift die Baumfrucht? Zur Sommerszeit. Die Sonne erwärmt sie, der Regen befruchtet sie, und so wird sie durch richtige Witterung reif. Das Erbarmen göttlicher Gnade erleuchtet wie eine Sonne den Menschen. Der Hauch des hl. Geistes näßt ihn wie ein Regen.

22. Die Seele ist im Körper wie der Saft im Baume, und ihre Kräfte sind wie das Gestaltende im Baume. Der Geist ist in der Seele wie das Grün der Zweige und Blätter des Baumes; der Wille wie die Blüten, das Gemüt wie der erste Fruchtansatz; die Vernunft aber gleicht den reifen Früchten; das Empfinden wie die weite Ausdehnung. Solcherart wird der Leib des Menschen von der Seele gefestigt und erhalten.

23. Du siehst, daß in eine andere Kugel sehr viele Wirbel eindringen, um sie zu vertreiben. Aber nichts vermögen sie, weil die Seele sie tapfer zurückweist und ihnen keinen Einlaß zum Wüten gewährt, wenn auch teuflische Nachstellungen versuchen, sie zu schändlichen Lastern zu verleiten. Die Seele steht fest dank göttlicher Eingebung und eilt zu ihrem Erlöser.

24. Eine andere Kugel löst die Knoten, weil die Seele die Glieder ihrer körperlichen Wohnung verläßt, da die Zeit ihrer Auflösung nahe ist. Mit Besorgnis erhebt sie sich von ihrem Körper und läßt ihre Wohnstätte mit großer Furcht fallen, voll Sorge über das Gericht des höchsten Richters. Helleuchtende und verfinsterte Geister kommen, welche Genossen ihres Wandels im Glauben sind. Bei der Trennung der Seele vom Körper sind die englischen Geister, böse und gute, nach der gerechten und wahrhaftigen Anweisung Gottes zugegen, welche Zuschauer ihrer Werke, die sie im Körper mit dem Körper vollbrachte, waren. Ihre Auflösung erwartend, führen sie sie körperlos fort, wohin der höchste Richter nach den Verdiensten ihrer Werke bestimmt.


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