Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Im zweiten Sommer nach diesen Ereignissen sah man auf der Ausstellung im Münchener Glaspalast ein ziemlich umfangreiches Bild, das aus Italien geschickt worden war, aber von einem deutschen Maler, und zwar einem Münchener herrührte.

Man sah es freilich nur mit einiger Mühe, an besonders hellen Tagen und wenn man es eigens aufgesucht hatte. Denn obwohl es eine treffliche Arbeit war und einen nicht mehr ganz unbekannten Namen trug, war es dennoch von der Aufnahmejury beinahe abgelehnt und endlich nur mit geringer Majorität, aus persönlicher Rücksicht für einen alten Genossen, zugelassen, aber in eine dunkle Ecke eines der Außenkabinette verwiesen worden. Wer es hier entdeckte, ohne ein leidenschaftlicher Verehrer der neuesten Richtung zu sein, hatte seine Freude daran.

Es stellte eine junge Frau dar, die im Schatten eines knorrig zerklüfteten Olivenbaumes auf einem roten Plaid sich niedergelassen hatte und vielleicht von dem mittäglichen Gesang der Cikaden eingelullt in Schlaf gesunken war. Sie lag in ungezwungenster, doch überaus reizvoller Haltung hintenübergelehnt, das schöne junge Haupt in die verschlungenen Hände geschmiegt, während zwei dicke braune Zöpfe hinter dem weißen Nacken sich vordrängten. Gekleidet war sie wie eine nordische Städterin, die Züge ihres Gesichts und das matte Elfenbeinweiß ihres Inkarnats ließen jedoch eher eine Südländerin vermuten.

Neben ihr in einem flachen Korbe hatte ein Säugling geschlummert. Ein Streichen der leichten Blouse, das sich über der schwellenden Brust der Schläferin verschoben hatte, schien anzudeuten, daß Mutter und Kind, nachdem das Geschäft der Stillung abgethan, sich der Ruhe hingegeben hatten. Das Bübchen aber war früher erwacht, hatte die leicht übergeworfenen Windeln abgestreift und sich auf den kleinen nackten Knieen an den Rand des Wiegenkorbes hingearbeitet, über den es nun mit großen glänzenden Augen nach der Mutter hinstarrte, mit dem Ausdruck eines drolligen Erstaunens, als ob hier die verkehrte Welt sei, da das Kind wache und die Mutter schlafe.

Im Hintergrund, wo die Sonne über silbergraue Felsen und tiefgrüne Lorbeer- und Myrtenbüsche schien, sah man das Meer in seiner purpurnen Bläue glänzen, darüber einen wolkenlosen Himmel ausgespannt von so durchsichtigem Azur, wie er eben nur über den glücklichen Inseln des Südens sich ausbreitet.

Zwei Kunstjünger hatten wohl fünf Minuten lang vor dem Bilde gestanden und ihren Eindruck nur mit Achselzucken und mißgelaunten Naturlauten zu erkennen gegeben.

»Schade um den Florian!« sagte endlich der eine. »Talent hat er gehabt – auch hier noch – wie sich die Luft gegen das Laub absetzt – und da die grauen Töne in den Steinen – aber was hat man davon? Der frische Zug fehlt, keine Spur von Schmutz auf der ganzen Leinwand, als ob der in irgend einem Capreser Winkel fehlte!«

»Und diese breiten Augenlider der Frau – der reine Raffael – von da zu Paul Thumann ist's nicht mehr weit auf der abschüssigen Bahn des Akademischen. Es soll übrigens ein Porträt seiner Frau sein.«

»Wirklich? Na, im Leben mag so was hingehen; in der Kunst ist's nur eine manierierte Phrase. Seit er wieder nach Italien gegangen ist, habe ich ihn aufgegeben. Aber schade ist's doch um ihn. Seine ersten Bilder – seine Skizzen – du entsinnst dich des Mädels auf dem Brunnentrog, das er uns 'mal im Verein zeigte – da war noch Schneid' drin. Uebrigens wenn er glücklich und versorgt ist – mit einem reichen Schwiegerpapa braucht man ja nicht an der Zukunft der Kunst mitzuarbeiten.«

Und sie gingen lachend und kopfschüttelnd vorüber.

 

Ende.

 


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