Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Diese Nachricht wirkte so niederschmetternd auf den Liebenden, daß er kein Wort hervorbringen konnte und sich wieder empfahl, ohne zu bedenken, daß dem einsamen Manne gerade jetzt ein freundliches Gespräch und eine Partie Schach eine Wohlthat gewesen wäre.

Die schüchterne Hoffnung, es könne nun doch noch alles gut werden, da der junge Klosterzögling sich in das häusliche Leben ohne Widerstreben zurückzufinden schien, war auf einen Schlag für immer vernichtet. Ueber die heiligsten natürlichen Pflichten hinweg hatte das bethörte Seelchen sich wieder zu seinen Heiligen geflüchtet und den selbstgeschmiedeten Stachelgürtel des übereilten Gelübdes sich von neuem umgelegt. Nein, es wäre eine Thorheit gewesen, noch länger dem Traum eines Glückes nachzuhängen, das ihn nur äffte, ihm ein Weilchen zulächelte, um, wenn er die Hand danach ausstreckte, mit einem kühl andächtigen Knix zu entschwinden.

Er haßte jetzt sogar die so leidenschaftlich Ersehnte und überhäufte sie in seinen Selbstgesprächen mit ehrenrührigen Worten der Geringschätzung, unter denen »Bild ohne Gnade«, Muckerin und »sancta simplicitas« die gelindesten waren. Nein, er liebte sie nicht mehr. Wie gut, daß er noch beizeiten von dieser Narrheit geheilt worden war. Wer wird eine Raffaelische Madonna heiraten wollen? Die mag in ihrem Goldrahmen bleiben und sich anbeten lassen. Mit einem Heiligenschein geht man nicht in die Küche oder auf den Markt und läßt sich höchstens herab, dem heiligen Lukas Modell zu sitzen, natürlich nur in vollem Ornat.

So höhnte er in sich hinein. Auch machte er Anstalten, sein früheres Leben wieder zu beginnen, um das immer noch leise fortglimmende Gefühl vollends zu ersticken. Mit einigen seiner alten Kameraden, die er im »Verein« wieder aufsuchte, saß er die Nächte durch, trinkend und kartenspielend, und lud auch eine schöne, nicht eben klösterlich gesinnte Person, die früher ihre Netze nach ihm ausgeworfen hatte, in sein Atelier, um sie zu malen, in einem sehr unheiligen Kostüm. Doch schon bei der ersten Sitzung, da sie sich gar zu unbefangen benahm, übermannte ihn so ein unüberwindlicher Widerwille, daß er Kopfweh vorschützte und das höchlich erstaunte und enttäuschte Geschöpf mit einem reichen Geschenk wieder fortschickte.

So trieb er es vierzehn Tage lang und ließ sich bald auch bei seinen Freunden nicht mehr blicken. Unfähig zur Arbeit, an all seinen künstlerischen Idealen irre geworden, verließ er gewöhnlich schon früh sein Atelier, und durchstrich ziellos in dumpfem Mißbehagen die Straßen, seine Schwäche vor sich selbst damit beschönigend, daß man auch arbeite, wenn man nur mit den Augen studiere.

Da geschah es auf einem dieser Streifzüge, daß er in die Nähe der alten Pinakothek gelangte, die er lange nicht mehr betreten hatte. Ein uneingestandenes Heimweh nach seinen früher so hochverehrten alten Meistern lenkte seine Schritte die Straße hinunter längs der eisernen Umfriedung dem Eingange zu, vor dem zu dieser frühen Stunde nur wenige Fiaker standen, die fremde Besucher hierhergebracht hatten. Eben wollte er in das Thor eintreten, da sah er eine schlanke weibliche Gestalt in schwarzer Kleidung von der andern Seite herankommen. Er blieb mit einem plötzlichen Herzklopfen stehen und sah ihr scharf entgegen, die mit langsamen Schritten, den Kopf auf die Brust gesenkt, ahnungslos sich ihm näherte. Nun war sie bis auf drei Schritte herangekommen und hob das Gesicht.

»Fräulein Annerl!«

»Herr Florian!«

Also war sie wieder in der Stadt. Und er wußte es nicht, sie hatte ihm keine Nachricht von ihrer Rückkehr zukommen lassen. Freilich, so war es ja das Beste, Menschenfreundlichste. Sie würde ja doch über kurz oder lang ihrer »inneren Stimme« wieder folgen und zu ihrem Noviziat zurückkehren. Wozu also den Faden noch einmal anknüpfen, der doch aufs neue zerrissen werden mußte.

Sie sah aber wunderhübsch aus in ihrem schlichten schwarzen Straßenkostüm, nicht mehr von dem dichten Kreppschleier über und über verhangen, wie von einer schwarzen Taucherglocke. Und auch die Augen in dem reizenden Gesicht glänzten ihm so freudig wie lange nicht unter dem Trauerhütchen entgegen.

Noch aber gelang es ihm, seine Brust gegen diesen Zauber zu feien. Es wäre allzu demütigend gewesen, wenn er sich noch einmal hätte bethören lassen.

»Ich wußte nicht, gnädiges Fräulein, daß Sie wieder in der Stadt sind,« sagte er, mit eisiger Höflichkeit den Hut ziehend. »Wahrscheinlich nur ein kurzer Besuch. Es wird Ihren Herrn Vater recht freuen. Bitte, mich ihm zu empfehlen. Leben Sie wohl!«

Er verbeugte sich linkisch, als wolle er seinen Weg fortsetzen, kam aber doch nicht von der Stelle. Denn er hörte sie mit etwas unsicherer Stimme erwidern: »Ich werde es dem Papa ausrichten. Er hat Sie sehr vermißt. Warum haben Sie sich nicht mehr bei ihm sehen lassen?«

»Ich – o, ich war – ich hatte dringende Arbeiten. Ich werde mir aber gewiß nächstens einmal die Ehre geben, – wenn er wieder allein ist und nach einer Ansprache verlangt.«

Sie wurde dunkelrot. Um so besser, dachte er, wenn sie sich getroffen fühlt. Sie soll nur wissen, daß ich nicht ihretwegen ins Haus komme.

Er blieb aber doch stehen. Es reizte ihn, sich an ihrer Betroffenheit zu weiden. So unweltlich sie gesinnt war, ihre natürliche Eitelkeit mußte sich doch verletzt fühlen, daß sie ihm so gleichgültig geworden war.

Sie sagte aber nach einer Pause: »Wenn Sie erst zu Papa kommen wollen, nachdem ich wieder fortgegangen, würde er sehr lange auf Sie warten müssen, ja überhaupt Sie nie wiedersehen. Ich werde nämlich bei ihm bleiben, für immer. Er braucht mich jetzt, es macht es ihm niemand im Hause so zu Dank, seit die Tante gestorben ist – es ist ja auch das Natürlichste.«

Er sah sie erstaunt an.

Also hatte sie es endlich begriffen, was ihre natürlichste Pflicht war. Doch freilich, der Vater mochte auch ihr, wie ihm bei seinem letzten Besuch, gesagt haben, daß er nicht lange mehr leben werde. So handelte sich's nur darum, ihn zu Tode zu pflegen, um nach einer kurzen Wartezeit, wenn sie dem guten Manne die Augen zugedrückt und einem Trauergottesdienst erster Klasse für seine arme Seele beigewohnt, endlich ungehindert ihrer Marienkindschaft wieder froh zu werden und der bösen Welt endgültig Valet zu geben.

Das kühlte seine schon wieder aufflackernde Liebe und Hoffnung hurtig ab.

»Ich freue mich für Ihren Herrn Vater, gnädiges Fräulein,« sagte er mit bitterer Schärfe, »daß Sie ihm seine letzten Lebenstage verschönern wollen. Hernach ist ja auch noch Zeit genug, sich dem Himmel zu weihen. Uebrigens wird der Herr Regierungsrat mich dann nicht entbehren, da er sich in der besten Gesellschaft befindet, und – auch Sie will ich nicht länger aufhalten. Sie werden zu Hause erwartet werden.«

Wieder machte er eine Bewegung, als ob er sie verlassen wolle. Als er aber noch einen letzten raschen Blick auf sie warf, verwandelte sich sein mühsamer Trotz in Bestürzung und Mitgefühl. Denn er sah, wie aus ihren Augen, die in traurigem Staunen auf ihn gerichtet waren, große Tropfen hervorquollen.

»Was ist Ihnen, Fräulein Annerl?« sagte er hastig. »Habe ich Ihnen wehgethan? Verzeihen Sie mir, das wollte ich wahrhaftig nicht – ich dachte nicht – ich meinte –«

Sie fuhr mit der Hand rasch über die Augen.

»Es ist so einfältig –« stammelte sie; »was werden Sie von mir denken – aber seit dem Tod der Tante greift mich alles so an. Es ist schon vorbei. Ich wollte eine Freundin besuchen, und sie konnte mich nicht annehmen, da ihre Mutter in der Nacht krank geworden war, – das hat mir alles Traurige wieder in Erinnerung gebracht, was in der letzten Zeit – aber ich will Sie nicht länger aufhalten – Sie wollten in die Pinakothek –«

»Allerdings, Fräulein Annerl. Ich wollte einmal wieder etwas Schönes sehen. Auch ich habe die letzte Zeit nicht eben heiter verbracht, und die große Kunst – für unsereinen wenigstens ist's immer eine Herzstärkung. Auch Sie sehen gern schöne Bilder, Fräulein Annerl. Hätten Sie vielleicht Lust, da Sie doch bei Ihrer Freundin ein Stündchen geblieben wären, statt dessen – es ist wohl schon lange her, daß Sie nicht in der Pinakothek waren?«

Sie bedachte sich einen Augenblick. »Ich war überhaupt nur erst einmal darin, als achtjähriges Kind, mit dem Papa. Ich weiß noch, daß ich bald wie betäubt war von all dem Schauen und auf einem Sofa einschlief. Sie werden mich deshalb verachten, aber so ein dummes Kind. – Seitdem war ich ja im Institut und in den Ferien am Land. Und jetzt, wo ich gern hineinginge – der Papa hat immer so wenig Lust, irgend etwas zu unternehmen.«

»Wenn ich Ihnen zumuten dürfte, sich meiner Führung anzuvertrauen? Ich sehe, Sie nehmen Anstand, mit einem fremden Herrn – aber wahrhaftig, Sie können es dreist wagen, niemand wird darüber schwätzen. Denn die Münchner, zumal die hiesigen Frauen und Mädchen, gehen nur in den Kunstverein, niemals in eine der Theken, und meine Bekannten, die Herren Maler, meiden diese Räume ebenfalls. Sie würden fürchten, sich an den alten Meistern den neuesten Geschmack zu verderben.«

Sie warf einen Blick über die Straßen und nach dem Portal des hohen Gebäudes, zu dem nur ein paar lange Engländer hinaufstiegen. »Wenn Sie meinen,« sagte sie dann mit einem lieblichen Erröten, – »ich glaube, mein Papa würde nichts dagegen haben, und einen so guten Führer fände ich nicht so bald wieder. Nur – ich bin schrecklich unwissend – Sie müssen Nachsicht mit mir haben.«

»O,« sagte er, »Sie haben auch in meiner Mappe gleich das herausgefunden, was einigen Wert hatte. Ich erwarte gar nicht, schon eine perfekte Kunstkennerin in Ihnen zu finden. Jedenfalls wird es mich sehr freuen – –«

Er verneigte sich höflich, um sie vorangehen zu lassen, und sie trat nun ohne Bedenken ein. Ein lang entbehrtes Gefühl des Glücks überkam ihn, als er die Treppe zwischen den großen steinernen Löwen an ihrer Seite hinaufstieg, ganz wie vor Jahr und Tag, als er neben ihr die schönen Spaziergänge durch die Wiesen und Wälder machen durfte und noch nichts zwischen sie getreten war. Was ihn jetzt von ihr trennte – warum sollte er sich's nicht auf eine kurze Stunde aus dem Sinn schlagen, sich der Wonne hingeben, das liebe Gesicht neben sich zu sehen und die Stimme zu hören, die ihm das Herz rascher schlagen machte?

Er hütete sich auch wohl, diesen Waffenstillstand seiner Qualen zu brechen, indem er irgend etwas sagte, was die Gedanken auf ihr persönliches Verhältnis hätte zurücklenken können. Sobald er den ersten Saal betreten hatte, befliß er sich eifrig, den Cicerone zu machen und sie zu den Bildern hinzuführen, die ihr, wie er meinte, vornehmlich gefallen mußten. Doch erkannte er bald, daß sie durchaus nicht geneigt war, die religiösen Gegenstände mir Vorliebe zu betrachten. An etlichen altertümlichen Altartafeln aus der Kölnischen Schule sah sie ohne sonderliches Interesse vorüber, die Dürerschen Apostel freilich fesselten sie lange, doch in dem Rubenssaal waren es nicht vorzugsweise die Darstellungen des Jüngsten Gerichts und die Madonna, bei denen sie sich aufhielt, sondern das zärtliche Doppelbildnis des Malers mit seiner jungen, schöngeputzten Frau in der Jelängerjelieberlaube, das Bild seiner zweiten Gattin mit dem nackten Bübchen auf dem Schoß, das Familienbild im Garten, ja auch vor der Löwenjagd stand sie wohl fünf Minuten lang, und selbst an jener gewaltsamen Entführung der beiden hilflosen schönen Frauen durch die zu Pferde herangestürmten Brüder sah sie nicht mit prüdem Augenblinzeln vorbei, was ihrem Führer in seinem innersten Malerherzen wohlthat.

Dann aber – sie hatten noch nicht die Hälfte der Säle durchwandert – erklärte sie plötzlich, daß sie nichts mehr sehen könne, so viel auf einmal könne sie nicht genießen; er würde sonst am Ende erleben, daß sie ihm unter den Händen einschliefe, wie jenes erste Mal vor zehn Jahren.

Ob sie nicht einen Augenblick sich ausruhen wolle, fragte er, indem er sie, ohne ihre Antwort abzuwarten, zu einem Kanapee in der Mitte des Saales führte. Sie habe noch einen weiten Weg bis nach Hause, und allerdings sehe man ihr an, daß der ungewohnte Kunstgenuß sie angegriffen habe.

Sie ließ sich auf das Polster sinken und schloß ein paar Sekunden die Augen, während er in schicklicher Entfernung neben ihr Platz nahm. Er mußte sie unverwandt betrachten. Eine schmerzliche Empfindung stieg in ihm auf, da er dachte, daß eine solche Stunde nie wiederkehren würde.

Plötzlich schlug sie die Augen wieder auf, sah aber an ihm vorüber auf das Bild der nackten Knäbchen, die ein Frucht- und Blumengewinde zwischen sich zu tragen bemüht sind.

»Sagen Sie mir aufrichtig,« flüsterte sie: »nicht wahr, Sie haben sehr schlecht von mir gedacht?«

»Ich?« versetzte er betroffen. »Wie können Sie denken, Fräulein –«

»Nein, ich weiß es ganz gewiß, ich merkte es Ihnen an, als wir uns vorhin begegneten. Sie haben es mir übel genommen, daß ich den Papa noch einmal verlassen habe und nach dem Kloster zurückgekehrt bin. Gestehen Sie es ehrlich: war es nicht so? Aber ich sagte ihm ja, ich würde wiederkommen. Ich mußte nur zuerst – ich bin ja dort erzogen worden – können Sie mir's verdenken, daß ich mich darüber beruhigen wollte, was meine geistlichen Oberen dazu sagen würden?«

Sie sah ihn mit unschuldiger Zutraulichkeit an. Er fühlte aber wieder seinen alten Schmerz und Trotz in sich aufsteigen und erwiderte, finster zu Boden blickend: »Und wenn man dort nicht damit einverstanden gewesen wäre? Entschuldigen Sie mich, wenn ich Ihre Anschauung nicht teilen kann. In meinen Augen haben Sie vor Gott und Menschen keinen höheren ›Oberen‹ als Ihren Vater.«

»O,« sagte sie eifrig und stockte doch wieder – »was den Vater betrifft, das wußte ich ja, was ich dem schuldig war, und daß es meine Pflicht ist, ihm eine gute, treue Tochter zu sein, jetzt, da er mich nicht entbehren kann. Aber Sie wissen ja – mein Gelübde – Sie werden begreifen –«

»Lassen Sie uns abbrechen,« unterbrach er sie mit harter Stimme. »Wir werden uns darüber nicht verständigen. Und wozu das hoffnungslose Gespräch fortsetzen, das uns beiden peinlich ist? Was bin ich Ihnen, daß Ihnen daran liegen könnte, mich zu überzeugen? Ueberdies – wir werden uns ja auch, solange Sie noch bei Ihrem Vater sind, nicht mehr begegnen. Ich bin entschlossen, sehr bald von hier wegzugehen, nach Italien, Spanien, irgendwohin. Die Luft hier bekommt mir nicht. Haben Sie Dank für die freundliche Stunde, die Sie mir noch gegönnt haben, und lassen Sie uns –«

Er konnte den Satz nicht beenden. Im Begriff, aufzustehen, sah er, daß ihr die Augen voll Thränen standen. Da neigte er sich zu ihr und ergriff ihre Hand.

»Mein teures Fräulein,« sagte er mit zitternder Stimme, »es schneidet mir ins Herz, daß ich Sie schon wieder betrüben oder verletzen mußte. Aber glauben Sie mir, auch mir ist schlimm dabei zu Mute. Was Sie mir sind – Sie wissen es ja – seit jenem Begegnen in der Kirche draußen. Aber da ich sehe, daß Sie gebunden sind, durch eine Fessel, die Sie für heilig halten, – daß es eine Pflicht der Selbsterhaltung gibt, werden Sie nicht leugnen – und diese Pflicht treibt mich in die Welt hinaus, so gering die Hoffnung ist, daß ich das Marienkind draußen vergessen werde.«

»Nein,« sagte sie plötzlich mit großem Nachdruck und so lauter Stimme, daß die wenigen Fremden in diesem Saal sich verwundert nach der Sprecherin umblickten, – »Sie haben mich gar nicht verstanden. Aber wenn Sie fortreisen wollen – und wirklich draußen in der schönen Welt noch manchmal an mich denken möchten – sollen Sie's wenigstens mit keiner falschen Vorstellung von mir thun. Ich bin ins Kloster gereist, um von meinem Beichtvater und der bonne mère zu hören, ob ich auf jeden Fall mein Gelübde halten müßte, – auch wenn ich erkannt hätte, daß es eine Uebereilung war, auch wenn ich keinen Beruf zum klösterlichen Leben in mir fühlte.«

Er starrte sie mit leidenschaftlich gespannten Augen an. »Ist es wahr, Fräulein Annerl? Sie fühlen, daß Sie –«

»Ja wohl,« nickte sie und ein schüchternes Lächeln glänzte über ihr erglühendes Gesicht, »daß ich nicht zur Klosterfrau tauge, das hab' ich deutlich empfunden – schon damals – draußen – da aber dacht' ich, es sei nur eine Versuchung. Jetzt aber –«

»Jetzt? Und was haben Ihre geistlichen Berater Ihnen geantwortet?«

»Daß es Gott und der heiligen Jungfrau kein wohlgefälliges Opfer wäre, wenn ich ihnen ein Herz darbrächte, das ihnen nicht ganz und gar gehörte und in vollem Glauben sei, das bessere Teil zu erwählen. Und bonne mère hat mich umarmt und geküßt und gesagt: Wir erziehen ja unsre lieben Zöglinge meist für die Welt, und nur, wenn eine aus freiem Willen ihr entsagt und wir hoffen dürfen, sie werde es nie bereuen, nimmt sie die Gnadenmutter hier im Kloster für das ganze Leben unter ihre schirmenden Flügel. Du aber, meine Tochter, warst noch unmündig an Geist, als du dich ihr verlobt hast. Ziehe hin, und der Herr segne dich, und wohin er dich auch führen möge, wenn dein Herz rein bleibt und du die Kindespflichten gegen deinen Vater treu erfüllst, wirst du auch in der Welt der Gnade der heiligen Jungfrau nicht verlustig gehen und immer würdig sein, zu den Marienkindern gezählt zu werden.‹

»Ich war so beschämt, wie bonne mère so gütig zu mir sprach, ich fiel vor ihr nieder und drückte das Gesicht gegen ihre Kniee und stammelte: ich müsse ihr noch etwas beichten, damit sie mich ganz kennen lernte und mich nicht für besser hielte, als ich sei. Und dann sagte ich ihr, es sei nicht allein meines Vaters wegen, ich hätte – o mein Gott, was werden Sie denken? Lassen Sie mich fort, ich habe schon zu viel gesagt. Reisen Sie glücklich und – vergessen Sie mich!«

Sie war von dem Sitz aufgefahren und hatte den Schleier von ihrem Hütchen vors Gesicht gezogen. Er haschte aber ihre Hand und hielt sie fest.

»Was haben Sie der bonne mère noch gebeichtet, Fräulein Annerl? Ich muß es wissen!«

Kaum hörbar kam's unter dem Schleier hervor: »Das, was draußen in der Kirche zwischen uns vorging – Sie wissen ja – was ich für eine so schwere Sünde hielt und doch – selbst meinem Beichtvater immer verschwiegen hatte –«

»O Annerl,« flüsterte er, »haben Sie das wirklich gethan? Warum hat Ihnen das Ihr Gewissen beschwert? Wenn's eine Sünde war, so war's ja meine Sünde!«

Aber sie schüttelte hastig den Kopf. »Nein, nein, auch meine war's! Ich habe Ihnen ja nicht darum böse sein können – ich war ja sogar glücklich, als Sie mir sagten – obwohl ich das Gelübde gethan hatte – und das gestand ich der bonne mère, und sie –«

»Nun, und sie?«

»Sie hat mich auch davon losgesprochen. Sie hat zwar geseufzt und erst ein wenig geschwiegen. Sie wissen, sie hat selbst Schicksale gehabt. Und dann sagte sie, man dürfe es mit so einem Weltkind nicht zu streng nehmen, zumal einem Künstler, die alle leichtes Blut hätten. Aber den meinen – so sagte sie, ich wurde ganz rot – den kenne sie ja, sie habe ihn sich genau angesehen, als er das Bild für die Kirche gebracht habe – o Herr Florian, das hätten Sie nicht thun sollen! Ich bin so furchtbar von meinen Freundinnen damit geneckt worden, es sprach sich natürlich gleich im ganzen Kloster herum – aber bonne mère meinte dennoch, Sie seien ein guter, redlicher Mensch und meinten es ehrlich mit mir – und so sollte ich mir's nicht zur Sünde anrechnen, daß ich Sie – aber das ist ja alles eine Thorheit – Sie reisen; verzeihen Sie, daß ich Ihnen das alles vorgeschwatzt habe, was Sie gar nichts angeht.«

Er stand auf in tiefster Bewegung. Ihre Hand hielt er immer noch fest und sah sich im Saal um. Kein Mensch war im Augenblick mehr darin zu erblicken, als ein altes Fräulein in der andern Ecke, das an einer armseligen Kopie herumpinselte. Da zog er ihre Hand rasch an seine Lippen und sagte dann: »Wenn die bonne mère ihren Segen gegeben hat, obwohl ich ein leichtsinniges Künstlerblut bin und eines Marienkindes unwürdig, so werd' ich wohl besser thun, meine Reise zu verschieben, bis ich sie zu zweien antreten kann – oder zu dreien, denn den armen Papa dürfen wir doch nicht allein lassen. O Annerl, mir ist so selig zu Mut, daß ich laut aufjauchzen könnte. Aber wenn meine Kollegin da drüben auch die blinde Rosel wäre und taub dazu – ich will zeigen, daß auch unsereins ehrbar und vernünftig sein kann. Gib mir deinen Arm, mein süßer Schatz! Jetzt haben wir das Auge der Welt nicht mehr zu scheuen. Willst du?«

Sie lehnte einen Augenblick ihren Kopf wie schwindelnd an seine Schulter; aus den schönen breiten Lidern flossen große Tropfen. »Ich will, was du willst!« hauchte sie. »Verzeih, was ich dir zu leide gethan habe. Ich will gewiß –«

»Still!« sagte er. »Wir müssen eilig zum Vater gehen. Komm!«

Indem er sie aber hinausführte, blieb er noch einmal vor dem Bilde der jungen Frau Rubens stehen und sagte: »Ich werde schwerlich je ein so gutes Bild von dir machen, wie der große Meister von seiner Helena Formans. Aber es soll doch noch in späten Tagen bewundert werden und der Glückliche beneidet, der es malen durfte.«

 


 


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