Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Es war zehn Uhr geworden, als der Maler sein volles Herz durch die dunkle Nacht nach Hause trug. Er fand aber lange noch keinen Schlaf. Die Stimme des lieben Mädchens klang in seinem Herzen nach, er fühlte, daß es um seine Ruhe für immer geschehen sein würde, wenn diese Stimme ihm hinter starren Klostermauern verhallte.

Leider hatte der Föhn seine abendliche Mahnung wahr gemacht: als Franz Florian am Morgen erwachte, goß es in Strömen vom dichtverhangenen Himmel herab. Kein Gedanke daran, das Freilichtporträt auf der Veranda fortzusetzen, und im Innern des Hauses mußte es bei solchem Wetter stichdunkel sein. Gleichwohl wanderte der Maler am Nachmittag nach der Villa. Er hatte einen klugen Einfall gehabt, seinen Tag dennoch nicht zu verlieren: er schlug der Tante Babette vor, eine Zeichnung nach ihr zu machen, was ihr alter Verehrer eifrig befürwortete. Ein leidlich beleuchteter Platz am Fenster ließ sich finden, und die Arbeit ging so rüstig von statten, daß schon nach der ersten Sitzung die gute Frau ihr Bildnis sichtbar geschmeichelt betrachten konnte und die beiden Männer erklärten, es sei nie ein besseres Porträt der Tante zu stande gekommen.

Schon am andern Tage wurde es fertig, und nun durfte sich der Hausherr nicht weigern, da der Regen noch immer anhielt, auch sein Gesicht dem jungen Künstler zur Verfügung zu stellen. Es gelang in gleicher Weise, und das Annerl, das mit einer Handarbeit den Sitzungen beiwohnte, war aufs freudigste überrascht, als der Maler äußerte, er mache sich ein Vergnügen daraus, ihre Angehörigen zu zeichnen, um ihr die Bilder in ihre Klosterzelle mitzugeben.

Ein frohes Lächeln und Erröten, das ihr Gesicht mehr als je verschönte, belohnte ihn für sein Anerbieten. Nur müsse ihm jetzt auch der Pate sitzen, bemerkte das Annerl, wenn es nicht unbescheiden sei, auch das noch ihm zuzumuten.

»Im Gegenteil, Kind!« rief der alte Herr, sich vergnügt die Hände reibend. »Du erweisest unserm jungen Freunde nur einen Dienst, wenn du auch meine alte Visage von ihm zu erhalten wünschest. Bei deinem Bilde ist er seinen heiligsten künstlerischen Gelübden untreu geworden. Nun findet er sich vom Schönen und Ewig-Weiblichen auf Umwegen über die Frau Gevatterin und Papa Isidor wieder zum Charakteristischen zurück, von deinem Stumpfnäschen bis zu meiner Habichtsnase – ein ziemlicher Abfall, aber nach dem neuesten Credo gerade das Richtige.«

In einigen Sitzungen, in denen der Alte durch sein ewiges Rauchen, Plaudern und Hin- und Herfahren dem Maler Not genug machte, wurde auch diese Aufgabe glorreich gelöst. »Ich wußte gar nicht,« bemerkte der Medizinalrat, »daß ich so viel Aehnlichkeit mit Julius Cäsar habe. Hätte mich ein Maler vor Jahren darauf aufmerksam gemacht, so hätte ich's doch am Ende bei meiner Gevatterin durchgesetzt – ›ich kam, sah und siegte‹ – und wer weiß, wenn das Annerl großmütig ist und der Tante das Blatt überläßt, ob sie nicht doch noch ein Einsehen bekommt und diesen wohlkonservierten cäsarischen Anbeter erhört.«

»In Bleistift möcht' es hingehen,« versetzte die mutwillige Frau. »Aber wenn Herr Florian seine Farben dazu thut – ich weiß nicht, ob Julius Cäsar auch so graue Haare hatte, als er kam, sah und siegte.«

»Er hatte gar kein Haar mehr und bedeckte sich den kahlen Scheitel mit seinem Lorbeerkranz. Auf den freilich hat hier nur einer ein gutes Recht, unser junger Tizian, will sagen Ostade oder Jan Steen; und« – setzte er halblaut mit einem Seitenblick auf sein Patenkind hinzu – »hoffentlich wiederholt auch er noch eines schönen Tages das stolze Cäsarensprüchlein.« –

Hierzu war nun freilich wenig Aussicht.

Zwar betrug sich das Annerl dem Maler gegenüber so freundlich und mitteilsam, wie es nach jenem ersten Bruch des Eises wohl zu erwarten war, zumal, wenn er sie auf ihre klösterlichen Zustände, ihre Freundinnen und Lehrstunden zu sprechen brachte. Und sie selbst wurde nicht müde, sich von seinen Künstlerfahrten und Abenteuern im Süden erzählen zu lassen. Sobald er aber Miene machte, die Rede wieder auf geistliche Dinge zu lenken, brach sie ab, und ihre schlanken Fingerchen spielten mit dem silbernen Kreuz, als ob sie das geweihte Zeichen zum Schutz gegen irgendwelche Versuchungen eines bösen Geistes bei der Hand haben wolle.

Auch war sie nicht zu bewegen, ihm ein zweites Mal zu sitzen, zu einer Zeichnung von vorn, die er gern für sich selbst gemacht hätte. Er wurde darum freilich seines Gastrechts in der Villa nicht verlustig, da er nun als Maler nichts mehr darin zu thun hatte, vielmehr verging kaum ein Abend, wo er nicht zum Essen dort blieb, und kein Spaziergang oder weiterer Ausflug wurde unternommen, ohne daß man ihn dazu eingeladen hätte. Diese günstigen Gelegenheiten benutzte er eifrig, sich in der guten Meinung des geliebten Mädchens und ihrer Angehörigen zu befestigen, und wurde bald so sehr der erklärte Günstling der Tante Babette, daß ihr alter Verehrer in seiner scherzhaften Weise davon Anlaß nahm, auf den Wankelmut des weiblichen Geschlechtes zu schelten, das »der Jugend lockige Scheitel« so leichtsinnig dem in Ehren ergrauten Haupte der erprobtesten Freunde vorziehe.

Ueber solche schalkhafte Reden lächelte das Annerl niemals, wie sie eben auch stets, wenn zufällig das Gespräch über irgend eine Liebesgeschichte sich erging, wie abwesenden Sinnes ins Weite blickte. Doch wurde ihre Stimmung mehr und mehr ungleich, und jeder andern, als einer verlobten Himmelsbraut, hätte ein feiner Beobachter auf ihr ehrliches Gesicht zugesagt, daß irgend ein zärtliches Geheimnis auch in ihrem Herzen gehütet werde. Sie erschien sogar ein paarmal mit rotgeweinten Augen und gab ihrem Vater, der sie sorgenvoll betrachtete, Gelegenheit, mehr als sonst zu seufzen und sich die Augen mit der Hand zu bedecken.

Wurde sie darauf angeredet, so erklärte sie, ihr fehle nicht das Geringste, sie habe sich die Augen nur ein wenig ermüdet bei der feinen Stickerei an der Decke, die sie für den Altar in der Sankt Annakapelle anfertigte.

 


 


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