Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Der Medizinalrat aber wurde von Tag zu Tage schlechterer Laune.

Er hatte seine Sommerfrische viel weiter ausgedehnt, als er anfangs im Sinn gehabt. Die dritte Woche ging zu Ende, und er mußte sich mit stillem Ingrimm gestehen, daß er auch mit seinem Latein am Ende war. Und nun zog ihn sein Beruf in die Stadt zurück, und er verließ die Dinge hier draußen genau so, wie er sie gefunden hatte.

Am Abend vor seiner Abreise fand noch ein »Henkersmahl« in der Villa statt, bei dem es ziemlich trübselig und einsilbig zuging. Die Scherze des alten Herrn klangen gezwungen, und er selbst war fast der einzige, der sie belachte. Er gestand seine melancholische Laune endlich zu und schob sie auf die fatale Notwendigkeit, seinem jungen Rivalen nun bei seiner alten Liebe das Feld räumen zu müssen. Die Versicherung der Tante, das »Austräglerstübchen« in ihrem Herzen stehe jederzeit für ihn allein bereit, konnte ihn nicht trösten. Unter dem Vorwande, noch packen zu müssen – die Botanisiertrommel! – erhob er sich früher als sonst vom Tische, und da er am andern Morgen vor Tau und Tage aufbrechen wollte, nahm er gleich heut' abend Abschied, küßte seiner Gevatterin die Hand, das Annerl auf die Stirn, fing eine Mahnrede an das Mädchen an, unterbrach sich plötzlich und eilte hinaus.

Auch Franz Florian verabschiedete sich, nachdem er hatte versprechen müssen, der Villa nicht untreu zu werden, ja nur um so fleißiger zu kommen, da er verpflichtet sei, die Lücke, die der alte Hausfreund in ihren kleinen Kreis gerissen, nach Möglichkeit ausfüllen zu helfen.

Annerls Augen waren feucht geworden, als ihr Pate sie umarmte. Sie nickte leise zu dem Versprechen des Malers, mit einem Blick auf den Vater, um den es ihr offenbar leid that. Dann schloß sich die Thür hinter dem jungen Gast, dem die Tante selbst hinausgeleuchtet hatte.

Draußen aber, auf der Bank unter der alten Linde, saß der Medizinalrat und erhob sich, Florian zuwinkend. »Ich begleite Sie noch ein Streckchen,« sagte er. »Es war drinnen so schwül, der Mond scheint so wacker herunter, auch hätte ich noch etwas mit Ihnen zu reden.«

Eine Weile jedoch schritten sie schweigend nebeneinander her. Dann stand der Alte still und sagte, den jungen Freund scharf anblickend: »Hand aufs Herz, mein Bester – wie weit sind Sie mit dem Mädel?«

Franz Florian wurde dunkelrot.

»Warum fragen Sie mich das, verehrter Herr?« rief er. »Sehen Sie nicht selbst, daß sie so fremd neben mir hergeht, wie am ersten Tage? Vermeidet sie es nicht ängstlich, jemals mit mir allein zu sein, und wenn sie mit mir spricht, etwas zu sagen, was nicht jeder hören könnte? Heute glaube ich aus ihrem Benehmen schließen zu dürfen, daß ich ihr nicht gleichgültig bin, und morgen bin ich Luft für sie. Wie weit ich mit mir bin, das zu erkennen braucht man kein so scharfer Diagnostiker zu sein, wie Sie es sind. Aber bei den ewigen Göttern, ich bin nachgerade so weit, daß ich's nicht weiter kommen lassen darf, ohne darüber zu Grunde zu gehen. Nicht einen Pinselstrich hab' ich gemacht in diesen drei Wochen, außer an ihrem Bilde, meine Kunst ist mir so gleichgültig, ja so zum Ekel geworden, daß ich eben so gern Steine klopfen würde, und selbst der Verkauf meines Bildes auf der Ausstellung hat mich nicht ein bißchen gefreut. Ich habe schon gedacht, ob es nicht das Klügste wäre, ich schlösse mich Ihnen morgen an und beträte mit keinem Fuß mehr diese verhexte Schwelle.«

»Das wäre die größte Dummheit – verzeihen Sie – und eine schmähliche Feigheit obenein!« antwortete der alte Herr nachdrücklich. »Halten Sie mir meine unhöflichen Ausdrücke zu gute, mein Lieber, aber wenn ich sehe, wie der einzige Mensch, von dem noch Rettung zu hoffen ist, die Flinte ins Korn wirft und an Ausreißen denkt –«

»Können Sie im Ernst glauben, daß ich allein im Kampf mit allen Heiligen und himmlischen Heerscharen den Sieg davontragen würde? Ich bin nicht ganz ohne Eitelkeit, aber so viel traue ich mir nimmermehr zu!«

»Sie haben einen Bundesgenossen, der ein ganzes Heer streitbarer Teufel, will sagen Engel, aufwiegt: die Jugend, nicht Ihre allein, auch die des verrückten Kindskopfs, aus dem die Litaneien und Rosenkränze und englischen Grüße doch unmöglich jeden Rest von Natur und Vernunft ausgetrieben haben können. Allerdings wird es noch Künste kosten, aber fortes fortuna juvat, mein junger Ritter! Es ist nicht wahr, daß die Abwesenden immer Unrecht haben. Der Seelenbräutigam wirkt auf so eine verschrobene junge Phantasie gerade, weil er unsichtbar über den Wolken thront. Aber lassen Sie nur noch einige Zeit nicht nach, Ihre besten Seiten hervorzukehren, vor allem ein bißchen sichtbarer zu machen, daß Sie lichterloh brennen und todesunglücklich werden würden, wenn man Sie nicht erhört, – erst wird sich das Mitleiden in dieses siebzehnjährige Herzchen einschleichen, das die Werke der Barmherzigkeit bisher nur aus dem Katechismus kennt, und dann – das Weitere findet sich. Sie waren bisher viel zu bescheiden. Donner und Doria! Ein junges Genie wie Sie, wenn auch ohne Samtrock – und das sollte einer kleinen Betschwester nicht das ewige Meßbuch aus der Hand schmeicheln und Heines Buch der Lieder dafür einschmuggeln? Schämen Sie sich Ihres Kleinmuts und ändern Sie Ihre Taktik! Ich stehe Ihnen für den Erfolg.

»Sie werden mich vielleicht für einen unverschämten, in Sünden ergrauten Kuppler halten, daß ich Ihnen bei Ihrer Verliebtheit noch gute Lehren gebe,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, da sein Begleiter finster schweigend zur Erde sah. »Weiß der Himmel, ich war stets ein so eingefleischter Junggeselle, daß ich vor dem Ehestiften eine heilige Scheu gehabt habe. Hier aber handelt es sich nicht bloß darum, Ihnen zu einer hübschen und vermöglichen Frau zu verhelfen, – zu einer solchen kämen Sie auch ohne mich, und es brauchte nicht gerade das Annerl zu sein, – sondern das unselige Kind vor einem lebenslangen Unglück zu bewahren und ihrem guten Papa den Trost seiner alten Tage nicht zu rauben. Ich darf Ihnen – ganz im Vertrauen – sagen, daß mein alter Freund sich keinen bessern Schwiegersohn wünscht, als Sie, mögen Sie nun schöne oder häßliche Bilder malen, und daß er zu Ihrem Charakter das vollste Zutrauen hat. Sie würden sein einziges Kind auf Händen tragen. So! Dixi et salvavi animam. Und nun handeln Sie als ein kluger und tapferer Mann, als ein zweiter Ritter Sankt Georg, der das unschuldige Marienkind dem Klosterdrachen aus den Zähnen reißt!«

Er schlug ihn auf die Schulter, umarmte ihn dann aber lebhaft und eilte von ihm weg, die Straße nach dem Landhause zurück mit großen Schritten durchmessend.

 


 


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