Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Herbst und Winter waren vergangen, ohne daß sich irgend etwas ereignet hätte, was auf das Schicksal des weltentrückten Marienkindes und seiner »tieftrauernd Hinterbliebenen« von Einfluß gewesen wäre.

Gegen Ende März, an einem jener erfreulichen Tage, an denen die Natur aus ihrem Winterschlaf sich aufzurütteln und die schwere Eisdecke von ihren Gliedern abzustreifen beginnt, rollte ein offener Bauernwagen, auf dem sonst Kälber oder Getreidesäcke über Land geschafft zu werden pflegten, die noch sehr unwegsame Straße dahin, die von der Eisenbahnstation zu dem zwei Stunden entfernten Kloster und Erziehungsinstitut der Salesianerinnen führte. Die tiefeingefahrenen Geleise waren mit Schneeschlamm und losem Steingeröll ausgefüllt, so daß es kein sonderliches Vergnügen war, auf dem hölzernen Sitzbänkchen, dem nur eine Pferdedecke zum Polster diente, die Stöße der schwerfälligen, federlosen Achse zu erdulden, davon abgesehen, daß die bleiche Märzsonne die scharfe Luft nur wenig durchwärmte und die Hufe der beiden langsam trottenden Bauernpferde den Schlamm der Straße hoch hinaufspritzten.

Gleichwohl zeigte das Gesicht des jungen Mannes, der neben dem Fuhrmann saß, und in welchem wir auf den ersten Blick unsern wohlbekannten naturalistischen Maler Franz Florian wiederfinden, keine Spur von Mißbehagen an der unerfreulichen Fahrt, höchstens eine wachsende Ungeduld, da Viertelstunde auf Viertelstunde verging, ohne daß sich die tröstliche Versicherung des Bauern: das werden wir gleich haben, das Kloster! erfüllt hätte.

Doch »eine Freude erwarten, ist auch eine Freude«, und die unruhige Spannung in den Zügen des jungen Mannes wich bald wieder einer gewissen träumerischen Glückseligkeit, mit der er das breite Flachland überblickte, die Augen auf das schneeglänzende Gebirge geheftet, das weit dahinten bleiben sollte, wenn er bereits am ersehnten Ziel seiner Wallfahrt angelangt wäre.

Von Zeit zu Zeit warf er einen raschen Blick hinter sich auf eine große flache Kiste, in der allem Anschein nach ein Bild verwahrt lag, um dann mit stiller Genugthuung die Augen wieder auf die braunen, dampfenden Rücken der kleinen Gäule zu richten. Nur selten fiel ein Wort zwischen ihm und seinem rosselenkenden Nachbar, der eine kurze Pfeife zwischen den Zähnen hielt, sie aber längst nicht mehr in Brand erhalten hatte.

Auch der Maler hatte die Cigarette, die er nach dem Besteigen des Fuhrwerks angezündet, halb ausgeraucht weggeworfen und sich fest in den dicken Winterrock eingehüllt, aus dessen hohem Kragen sein hübsches, etwas blaß gewordenes Gesicht mit dem weichen blonden Stutzbart fröstelnd herausschaute.

Endlich aber, als sie eine mit kahlen Bäumchen bestandene Anhöhe erklommen hatten, lag das Ziel vor ihnen. Der ansehnliche Bau mit seinen Turmspitzen und grauen Dächern, zum Teil durch eine hohe Mauer gegen die schneebedeckten Felder und dunklen Fichtenwaldungen abgegrenzt, lag gegen das Herkommen klösterlicher Ansiedelungen in einer flachen Thalmulde, so daß der Blick in das Gebirge sich nur aus den oberen Fenstern und vom Turmkranz der Kirche öffnete. Etwa hundert Schritt, ehe man zu dem geweihten Ort gelangte, stand ein geringes Wirtshaus neben der Straße, und auf der andern Seite, hinter dem Kloster, hoben etliche verstreut liegende Bauernhäuschen ihre schneebedeckten Dächer in die dünne Märzenluft.

Der Bauer dachte nicht anders, als daß er vor dem Wirtshaus halten und ausspannen würde. Sein Fahrgast aber bedeutete ihn mit einer hastigen Gebärde unverzüglich weiterzufahren, bis vor das Hauptthor, das in dem mittleren Gebäude schon von weitem erkennbar war. Es duldete ihn nicht länger auf seinem Sitz, zumal der Radschuh eingelegt werden mußte. Er schwang sich auf die schlüpfrige Straße hinab und ging dem schwerfällig nachschwankenden Wagen voran, dem Klosterthore zu.

Als er dort aber angelangt war und, da er keine Klingel fand, mit seinem Schirmgriff kräftig angepocht hatte, öffnete sich ein Thürchen zur Seite, ein in Schwarz gekleidetes Klosterfrauengesicht erschien an der Schwelle und fragte nach seinem Begehr.

Er wünsche die Frau Aebtissin zu sprechen, da er ein Altarbild für die Klosterkirche abzuliefern habe.

Die Nonne betrachtete einen Augenblick die schwere Kiste auf dem inzwischen herangekommenen Wagen und erklärte dann mit einer leisen, gleichsam eingerosteten Stimme, dies hier sei die »Porte«, durch die würden nur die kleineren Sendungen eingelassen. Wenn er die bonne mère zu sprechen wünsche, müsse er sich an den Eingang auf der andern Seite des Hauses bemühen, da werde er von einer andern Schwester eingelassen werden. Sie sei die »Windenschwester« und könne ihn nicht zu der ehrwürdigen Frau Oberin führen.

Das Pförtchen schloß sich sofort, der Bauer, der hier nicht ortskundig war, ließ die Gäule verdrießlich wieder anziehen und fuhr um die Ecke herum, wo er bald vor einer dritten Thür Halt machte.

Franz Florian zog an der Glocke, alsbald erschien eine dienende Schwester, die sein Anliegen mit gesenkten Augen anhörte, dann einen Blick auf die Kiste warf und verschwand, die Aebtissin zu benachrichtigen. Wenige Minuten vergingen, so erschien sie wieder und äußerte leise, die bonne mère werde sogleich in das Sprechzimmer kommen.

Ein ziemlich breiter Gang, auf den sich mehrere Thüren öffneten, führte ins Innere des Hauses, und an seinem Ende, wo eine Thür offen stand, sah man in die Klosterküche, in der mehrere dienende Schwestern, alle in dem gleichen schwarzen Habit, die Gesichter mit schneeweißen gesteiften Schleierhauben eingerahmt, das silberne Kreuz über der weißen Pelerine, geschäftig hin und her gingen. Dem Fremdling schlug das Herz bei diesem Anblick. Dieser weiße Kragen mit dem Kreuz am blauen Bande – wie lange hatte er ihn nicht wieder gesehen, und doch in wie vielen seiner Träume bei Tag und Nacht hatte er die Hauptrolle gespielt.

Nun trat er in das Sprechzimmer, wo die Schwester Pförtnerin ihn allein ließ.

Er hatte Zeit, sich den Ort, wo er warten mußte, zu betrachten. Es war ein großes, freundliches Gemach, mit einer lichten grünen Farbe ausgemalt, die Fenster mit weißen Vorhängen verschleiert. Ein Kanapee, davor auf einem großen Teppich ein Tisch mit einigen Stühlen, ein paar Pfeilertischchen – die Ausstattung einer etwas kahlen weltlichen »guten Stube«. Nur ein großes Kruzifix an der gegenüberliegenden Wand, zu dessen Füßen ein Betschemel angebracht war gab dem Raum eine ernste geistliche Weihe, die nicht dazu angethan war, das Herzklopfen des Besuchers zu beschwichtigen.

Nun ging die Thür, und herein trat, in dem gleichen Habit, wie die geringeren Klosterfrauen, die »ehrwürdige Mutter«, eine schlanke Gestalt, deren Bewegungen unter dem härenen schwarzen Gewände verrieten, daß sie vornehmem Geschlecht entstammte. Mochte sie nun wirklich, wie das Annerl gesagt hatte, »Schicksale« gehabt haben, ihr zartgefärbtes, noch immer anziehendes Gesicht zeigte keine Spur von Seelenkämpfen, die sie zur Flucht in diesen sturmlosen Hafen getrieben hätten.

Eine der Schwestern war ihr gefolgt und hielt sich bescheiden im Hintergrund, während die Oberin sich dem Maler näherte.

Sie warf einen raschen, nicht unfreundlichen Blick auf den jungen Mann, der sich ehrerbietig verneigte, grüßte ihn mit einem leisen, würdevollen Neigen des Hauptes, das unter der weißen, dichten Schleierhülle nicht erkennen ließ, ob das Haar schon erblichen sei, und fragte nach seinem Namen und Anliegen.

Der sanfte und doch feste Klang ihrer Stimme ermutigte ihn. Er sagte, wer er sei, und daß er gekommen, der Frau Oberin für die Sankt Annenkapelle ein Bild der Heiligen anzubieten, das er gemalt und dem Kloster zum Geschenk machen wolle.

Sie hatte ihn nicht zum Sitzen eingeladen und maß ihn nach dieser Erklärung noch einmal vom Kopf bis zu den Füßen, was ihn wieder in Verwirrung brachte.

»Wie sind Sie dazu gekommen?« fragte sie, »eine solche Schenkung machen zu wollen?«

Im vorigen Jahre sei er zufällig auf einer Studienfahrt hierher gekommen und habe natürlich auch die Kirche besucht. Da sei ihm unter so vielen schönen Gemälden, die sie schmückten, der traurige Zustand jenes Sankt Annenbildes aufgefallen, das vom Alter und dem Kerzendampf völlig geschwärzt, überhaupt als Kunstwerk ganz wertlos sei, und da er, aus persönlichen Gründen, gerade diese Heilige besonders verehre, sei ihm der Gedanke gekommen, an Stelle desselben ein besseres Bild zu stiften. Er habe das mit allem Fleiß den Winter über ausgeführt und stelle nun die Bitte, daß die ehrwürdige Mutter die Güte haben wolle, sein Werk in Augenschein zu nehmen.

In dieser Erklärung war Dichtung und Wahrheit unbefangen gemischt. Im vorigen Sommer, wenige Tage nach der fluchtartigen Rückkehr des Marienkindes ins Kloster, hatte Franz Florian, dem der Verkehr mit dem trauernden Geschwisterpaar in der Villa das Herz beklemmte, sich zu Fuß aufgemacht, den Spuren der Entflohenen zu folgen. Er konnte sich vernünftigermaßen keine Hoffnung machen, bis zu ihr zu dringen, oder gar sie in ihrem Entschlusse zu erschüttern. Doch zog es ihn besinnungslos ihr nach, und erst, nachdem er mehrere Tage die hohen Mauern, die ihn von ihr trennten, umkreist, in der Kirche das Gitter auf dem hohen Oratorium angestarrt hatte, hinter welchem nur die Pelerinen der Zöglinge beim Gottesdienst spukhaft sichtbar wurden, und jeder Versuch, ein Briefchen an sie einzuschmuggeln, an der strengen Regel des Hauses gescheitert war, hatte er sich in dumpfer Entsagung abgewendet und den Heimweg in die Stadt eingeschlagen.

Der bonne mère jedoch schien der fromme Eifer eines so artigen jungen Mannes, der so bescheiden vor ihr stand, nichts Unwahrscheinliches zu haben. Hatte es doch zu allen Zeiten Künstler gegeben, die ihr Talent mit Vorliebe in den Dienst der Kirche und ihrer Heiligen gestellt hatten.

Sie könne freilich in dieser Sache nicht selbst entscheiden, versetzte sie nach einem kurzen Besinnen. Was die Kirche und ihre Ausstattung betreffe, habe der hochwürdige Herr Erzbischof allein das Recht, Aenderungen zu genehmigen. Doch sei sie jedenfalls für das dem Kloster bewiesene Interesse dankbar und werde das Gemälde gern besichtigen.

Die Schwester erhielt nun den Auftrag, dem fremden Herrn bei dem Hereinschaffen seines Bildes behilflich zu sein. Der Maler eilte hinaus und legte selbst Hand an, die Kiste vom Wagen herunterzuheben und den Deckel abzulösen. Nach zehn Minuten war alles gethan, der Fuhrmann belud sich mit dem großen flachen Kasten und trug ihn, von Florian unterstützt, durch den Hausgang in das Sprechzimmer, ihn dort nach der Weisung des Künstlers gegen den Tisch lehnend, so daß vom Fenster aus ein günstiges Licht auf die tiefgefärbte Leinwand fiel.

Da sah man in einer offnen, mit Passionsblumen umrankten Laube eine reizende jugendliche Mädchengestalt sitzen, in einem lichtgranatroten Kleide, das die eben aufgeblühten Formen der Schultern und des Busens faltenlos umschloß. Das Gesicht war der freien Landschaft zugewendet, so daß man zwei starke braune Flechten über den Nacken herabfallen sah, während ein ziemlich umfangreicher massiver Goldschein das Hinterhaupt überglänzte, fast wie ein goldgelber Sommerhut. Sie hatte an einer großen weißen Decke gearbeitet, in die sie mit Goldfäden Kreuze und Lilien zu sticken begonnen, und die nun in ihrem Schoße ruhte, da die junge Heilige träumerisch über die Ranken hinweg in die lachende Gegend blickte, hinüber zu einem jungen Hirten, der im Mittelgrunde eine Schafherde weidete. Sein langer Schäferstab endigte nicht in die übliche Schaufel, sondern hatte durch ein Querhölzchen die Form eines Kreuzstabes erhalten. Hinter ihm, der auf einem niederen Hügel stand, sah man Türme und Mauerzinnen eines umfangreichen Gebäudes, das auf den ersten Blick als das Urbild des gegenwärtigen Klosters zu erkennen war, obwohl es durch leichte Zuthaten ein altertümliches Gepräge erhalten hatte.

So sehr indessen der Künstler sich bemüht hatte, sein Werk zur Aufstellung über einem Altar geeignet zu machen, war es doch von jedem kränklichen nazarenischen Anhauch frei geblieben. Wenn man die Gloriole um den schönen Mädchenkopf wegwischte, konnte das Bild als eine liebliche Idylle angesehen werden, deren malerischer Reiz verriet, daß der Künstler in der Akademie zu Venedig wochenlang mit offnen Augen herumgegangen war.

Auch die ehrwürdige Mutter schien von dem unschuldigen Zauber des Bildes völlig gefesselt zu sein. Nachdem sie es jedoch eine geraume Zeit stillschweigend betrachtet hatte, wandte sie sich zu dem jungen Donator und sagte: »So wenig Kennerin ich bin, so möchte ich doch glauben, daß Sie da etwas sehr Schönes und Anmutiges geschaffen haben, und es würde mir Freude machen, dies Bild öfter betrachten zu können. Nur zweifle ich dennoch, ob Se. Hochwürden, der Herr Erzbischof, die gewünschte Zustimmung zur Aufstellung in der Sankt Annenkapelle geben werde.«

Der Maler sah sie bestürzt an. Sie kam seiner Frage zuvor, indem sie milde lächelnd fortfuhr: »Wir sind gewohnt, die Mutter der allerheiligsten Jungfrau Maria als eine ältere Frau dargestellt zu sehen. So erscheint sie auch auf dem alten nachgedunkelten Altarbild unsrer Annenkapelle. Ich fürchte, Ihre Auffassung wird Bedenken erregen, da sie mit geheiligten Traditionen im Widerspruch steht. Wie sind Sie nur dazu gekommen, da Sie das frühere Bild doch gesehen hatten?«

Eine tiefe Glut schoß dem Maler in die Wangen.

»Ehrwürdige Mutter,« stammelte er, »in der That, ich glaubte, mir auch einmal eine Abweichung von der Regel erlauben zu dürfen, wenn das Bild nur sonst so ausfiele, daß es eine andächtige Stimmung hervorrufen könnte. Die heilige Anna ist doch auch einmal jung gewesen, und ist so darzustellen, gleichsam in die Ahnung versunken, daß sie einmal gewürdigt werden sollte, die Großmutter Gottes zu werden –«

Ein scharfes Hüsteln der bonne mère ließ ihn seinen Satz nicht vollenden. Aus den gewöhnlich so milden Augen traf ihn ein strafender Blick, er fühlte bestürzt, daß er sich eines unpassenden Ausdrucks bedient hatte.

»Verzeihung!« stotterte er, »ich wollte sagen, wie man ja auch die heilige Jungfrau vielfach ganz jugendlich, nicht immer als mater dolorosa, abgebildet sieht, so möchte es erlaubt sein, auch ihre Mutter einmal in dem Alter darzustellen, in welchem die Zöglinge dieses Hauses sich gewiß mehr zu ihr würden hingezogen fühlen, als zu einem Gesicht mit allen Spuren des hohen Alters.«

Er schwieg und fragte sich, ob er etwa wieder etwas Ungehöriges gesagt habe. Denn er sah jetzt, wie die Schwester, die bisher kein Wort geäußert und das Bild genau ins Auge gefaßt hatte, sich der Oberin näherte und ihr etwas zuraunte, was die bonne mère offenbar betroffen machte.

Sie trat plötzlich noch einen Schritt näher an das Bild heran und betrachtete das Profil der Heiligen mit scharfer Prüfung. Dann wandte sie sich rasch zu dem Maler um und fragte mit ganz verändertem Ton: »Das Bild scheint das Porträt einer lebenden jungen Dame zu sein. Wer hat Ihnen dazu gesessen?«

Obwohl er im Grunde auf diese Frage hätte gefaßt sein müssen, traf sie ihn doch so jählings, daß er Mühe hatte, seiner Verwirrung Herr zu werden.

»Ich kann versichern, ehrwürdige Mutter,« sagte er, zu Boden blickend, »daß mir niemand zu dem Bilde gesessen hat. Leugnen will ich nicht, daß die Züge eines Fräuleins aus einem befreundeten Hause mir dabei vorgeschwebt haben mögen, um so mehr, als die junge Dame in diesem Institut erzogen worden ist. Indessen sah ich darin nichts Unschickliches. Man weiß, daß selbst Raffael zu seinen Madonnenköpfen sich lebender Modelle bediente, die nicht immer dieser Ehre so würdig waren, wie ein Zögling Ihres Hauses doch jedenfalls sein möchte.«

Darauf trat eine Pause ein in dem frommen Kreise, es blieb unklar, ob der Verlegenheit oder der Entrüstung.

»Gleichviel,« sagte endlich die Oberin; »Sie werden begreifen, daß nun überhaupt nicht mehr die Rede davon sein kann, Ihrem Bilde einen Platz in unsrer Kirche zu geben. Die Aehnlichkeit ist so auffallend, daß ich mich wundre, sie nicht sofort selbst entdeckt zu haben. Zu einem Andachtsbilde – das werden Sie zugeben – ist daher Ihr Porträt durchaus ungeeignet, und ich kann daher nur die Mühe bedauern, die Sie darauf verwendet haben.«

Sie neigte kühl und würdevoll das Haupt gegen den bestürzten jungen Mann und wandte sich zum Gehen.

»Darf ich nur noch um ein einziges Wort bitten?« sagte der Verabschiedete rasch, indem er ihr näher trat. »Ich kann der Wahrheit gemäß beteuern, daß ich in reinster Absicht hierher gekommen bin. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, so bedaure ich es tief, aber ich hoffe, die bonne mère wird ihn meiner Unerfahrenheit zu gute halten. Ich bin, wie gesagt, mit der Familie des Fräuleins befreundet, die nächstens ihr Noviziat hier beginnen will. Wäre es mir nicht gestattet, sie nur auf einen Augenblick zu sehen? Ich hätte ihr Grüße ihres Vaters und ihrer Tante zu überbringen.«

Die bonne mère sah ihm mit eisiger Kälte ins Gesicht.

»Haben Sie einen Brief des Vaters an mich, der Sie beglaubigt und mich ermächtigt, diese Zusammenkunft zu gestatten?«

Einen solchen Brief hatte er nun allerdings nicht mitgebracht. Er hatte überhaupt von seinem Vorhaben keiner Seele etwas verraten, das Bild in tiefster Heimlichkeit gemalt und thörichterweise sich auf sein gutes Glück verlassen.

Nun aber hatte er die Stirn, auf die verfängliche Frage rasch zu erwidern: »Ich wußte nicht, daß es einer besondern Empfehlung bedürfe, um einen Ihrer Zöglinge in Gegenwart einer der Schwestern hinter dem Gitter des Sprechzimmers zu begrüßen. Auch der Herr Regierungsrat hatte gedacht, da ich mich durch das Bild bei Ihnen einführte –«

»Ich bedaure, diese Einführung nicht als genügend ansehen zu können,« sagte die Oberin. »Es ist strenges Hausgesetz, unsern Zöglingen nur dann den Besuch eines Fremden, der nicht zur nächsten Familie gehört, zu gestatten, wenn es auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern geschieht. Und somit – leben Sie wohl!«

Sie neigte noch einmal ihr feines, jetzt alabasterkühles Gesicht dem jungen Manne zu und verließ das Sprechzimmer.


Eine Viertelstunde später rollte das Bauernwägelchen mit der wieder fest zugenagelten Bilderkiste beladen, vom Portal des Klosters hinweg die Straße nach dem Wirtshaus hinan, wo diesmal endlich gerastet werden sollte, denn den erschöpften Tieren konnte nicht zugemutet werden, den weiten Weg ungestärkt und unausgeruht sofort wieder anzutreten, was dem Maler freilich das liebste gewesen wäre. Nach so gründlichem Scheitern seines lange gepflegten und gehätschelten Planes war ihm der Anblick dieser starren Mauern, hinter denen sein verlornes Lebensglück sich verbarg, schier unerträglich. Zu hoffen, daß er es diesmal besser treffen möchte, als im vorigen Jahr, etwa bei einem Ausgang aus der Kirche ihr begegnen – auch dahin ging sie ja nicht ohne Bewachung – oder durch die »Windenschwester« ihr eine heimliche Botschaft zukommen lassen könnte, wäre Wahnsinn gewesen. Die Wachsamkeit ihrer Hüterinnen mußte ohne Zweifel durch seine Nähe noch gesteigert werden, und ganz nutzlos mit der Stirn gegen die Mauer anzurennen, fühlte er keine Neigung.

Nachdem er in der unseligsten Verfassung die zwei Stunden ausgeharrt hatte, bis die Pferde gefüttert waren, hüllte er sich in seinen Mantel, vergrub das Gesicht tief in den Kragen und verließ die verhaßte Stätte, wo ein junges Leben, das ihm so teuer war, einem lebendigen Begräbnis sich geweiht hatte.

 


 


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