Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Marienkind? Was für ein Unsinn!« rief der Medizinalrat ingrimmig aus, als der junge Maler ihm und seinem Freunde, da sie in der Abenddämmerung von ihrem Bergsteige zurückkehrten, sein Gespräch mit dem Annerl berichtet hatte. »Das ist wieder so ein schlauer Köder, womit sie die dummen Goldfischchen fangen, um sie dann in ihre Klosterkirche zu setzen. Hast du je etwas von Marienkindern gehört, Isidor?«

»Sie hat es mir selbst mitgeteilt, daß sie es geworden. Auch ihre Mutter war ein Marienkind,« versetzte der Regierungsrat, indem er sich seufzend über die Augen strich.

»Hinc illae lacrimae!« murrte der alte Herr. »Da haben wir's! Das Aepfelchen ist nicht weit vom Stamm gefallen. Aber die Frau Mama war doch gescheiter, ist nicht ins Kloster gegangen, sondern hat sich mit dem profanen Brautschleier begnügt. Wenn ich noch einmal freien sollte, erkundige ich mich zuerst, ob meine Erkorene nicht etwa auch so eine verhenkerte Schaumünze unterm Kleide trägt. Obwohl – höchstens nimmt mich ja noch deine Frau Schwester, Isidor, und bei der bin ich ja wohl sicher davor, daß sie jemals so ein Ausbund von Tugend und Gottseligkeit gewesen ist, um auch ihrer Nachkommenschaft die Muckerei zu vererben.«

Er war wütend und fuchtelte mit dem Schirm zwischen dem hohen Grase, als ob die Schafgarbendolden Nonnenhäupter wären, an denen er seinen Zorn auslassen könne.

»Uebrigens,« sagte er plötzlich ruhiger, sich zu Franz Florian wendend, »übereilen Sie sich nur ja nicht mit dem Porträt! Sie haben offenbar einen günstigen Einfluß auf das verdrehte Ding, den halsstarrigen Kindskopf. Mir wenigstens hat sie von ihrer Marienkindschaft kein Wörtel verraten, sie fürchtet am Ende von so einem alten Praktikus ausgelacht zu werden, und Ihr junges Gesicht flößt ihr mehr Zutrauen ein. Wer weiß,« fügte er schmunzelnd hinzu, »wohin Sie das arme verirrte Lamm nicht noch bringen. Sie junger Fuchs. Also avanti Bester, und corragio!« – –

Es war wohl nötig, ihm Mut einzusprechen, denn die Beichte der jungen Himmelsbraut hatte seine schüchterne Hoffnung, daß er sie am Ende doch noch für die Welt zurückgewinnen möchte, unsanft niedergeschlagen. Doch war er auch weit davon entfernt, ganz zu verzweifeln, und je öfter er sich all ihre Worte zurückrief, je mehr befestigte er sich in dem Vorsatz, alles aufzubieten, um ihren Entschluß zu erschüttern. Denn er fühlte nur zu lebhaft, daß es ihn das beste Stück von seinem Herzen kosten würde, wenn er auf sie verzichten müßte. Wie unglaublich reizend war sie gewesen in ihrem so drollig pedantischen theologischen Eifer, wie rührend in der Ehrlichkeit, mit der sie ihre vermeintliche schwere Sünde bekannte: den Hochmut, den sie ob ihrer Marienkindschaft in sich aufkeimen gefühlt hatte! Und er selbst – in wie ungünstigem Lichte war er ihr erschienen mit den fatalen Studien, die von der herrlichen Schöpfung unsres Herrgotts nur die armselige Kehrseite zeigten! Wenn sie an einer solchen Welt keinen Geschmack fand, war es ihr wahrlich nicht zu verdenken.

Er schickte sofort ein eiliges Telegramm an seine Wirtin in der Stadt, daß sie ihm umgehend eine gewisse Mappe heraussenden solle, und war glücklich, das schwere, umfangreiche Paket schon am andern Mittag zu erhalten. Als er dann zu der gewohnten Stunde in der Villa erschien, trug er nicht nur das Buch mit dem angefangenen Aquarell, sondern einen großen Haufen andrer Skizzenbücher und sorgfältig aufgezogener Studienblätter unterm Arm.

Diesmal fand er die kleine Familie vollzählig beisammen und bat um die Erlaubnis, einen Teil der Früchte seiner italienischen Lehrjahre vorlegen zu dürfen. Nun breitete er eine Fülle der schönsten farbigen Scenerieen vor den bewundernden Augen der guten Leute aus, Landschaften aus Rom, Neapel und Sizilien, reizende Gartenwinkel, in denen die Kletterrosen sich um Mauerreste alter Aquädukte schlangen, Klösterchen auf Berghalden, zu denen stille Oelwälder sich hinaufzogen, rasch entworfene Straßenbilder mit lustigen Staffagen und hin und wieder ein ausgeführteres Blatt, das einen schönen, dunkeläugigen Frauenkopf zeigte, oder einen schlanken, braunen halbnackten Fischerbuben mit roter, phrygischer Mütze, an seinem Boot lehnend, oder eine in Lumpen gekleidete junge Hexe, auf ihrem Eselchen dahintrottend zwischen zwei mit Orangen gefüllten Körben.

Während des Umblätterns streute er kurze Erläuterungen dazwischen und verweilte hie und da ein wenig länger, wenn sich an ein Lokal oder eine Menschengruppe irgend eine hübsche Erinnerung knüpfte. Es erfüllte ihn mit besonderer Genugthuung, daß auch das Annerl nicht wie sonst mit kaltsinnigen Augen dabei stand, sondern die Bilder sehr aufmerksam betrachtete und den Erläuterungen mit gespannter Teilnahme lauschte. Von Zeit zu Zeit ließ der Medizinalrat, der sich als Kenner dieser herrlichen Dinge enthusiastisch geberdete, zwischen den Lobsprüchen eine sarkastische Aeußerung fallen, wie: daß es doch auch um das Schöne eine recht hübsche Sache gewesen sei und fast schade, daß man das nun alles zum alten Eisen werfen müsse, oder: Herr Franz Florian habe sich wohl nur in der italienischen Konversation vervollkommnen wollen, als er diese Chiaruccias, Nannarellas und Beppinas mit so geduldigem Fleiß abkonterfeit habe.

Die Tante Babette lachte und stimmte in die Scherze ein, der Papa sah etwas verlegen auf seine Tochter, die aber in ihrer Klosterunschuld dergleichen verfängliche Reden nicht verstand, oder wenigstens nicht die Miene danach machte.

Ueber die Besichtigung der großen Studiensammlung war die Zeit zur Sitzung für diesmal verstrichen. Der alte Herr schlug vor, einen gemeinsamen Spaziergang zu machen, und der Maler durfte sich nicht ausschließen. Nur die Tante blieb zu Hause, so daß, als sie auf die Straße hinunterkamen und sich dem Walde zuwandten, die älteren Herren vorangingen und das junge Paar ihnen in angemessener Entfernung folgte.

Das Annerl war sehr nachdenklich, aber sichtbar nicht in trübselige Gedanken vertieft. Ein Widerschein von all dem ungeahnten Schönen, das sie soeben im Bilde geschaut, leuchtete ihm aus den Augen. Franz Florian, der diese günstige Stimmung wohl erkannte, versäumte nicht, sich dieselbe zu nutze zu machen, und setzte seine Erzählungen von den Menschen und Dingen in jenen glücklichen Gegenden des Süden eifrig fort. Einen ganzen Sommer hatte er auf Capri zugebracht, dort an dem Leben der Inselbewohner, ihren Leiden und Freuden teilgenommen. Das schilderte er nun mit den warmen, satten Lokalfarben, für die sein Künstlerblick so empfänglich gewesen war, und als seine andächtige Zuhörerin harmlos fragte, wie er's nur übers Herz habe bringen können, sich von einem so bezaubernden Leben loszureißen und diesseits der Alpen sich mit so viel dürftigerer Umgebung zu begnügen, errötete er und wußte nur zu erwidern, seiner Heimat könne man auf die Länge nicht untreu werden, und auch hier gebe es ja Gott sei Dank noch so Schönes und Bezauberndes, wenn es auch immer ein viel seltneres Glück sei, ihm zu begegnen.

Hierauf verstummte das sinnige Fräulein, da auch ein Marienkind eine feine Witterung dafür zu haben pflegt, wenn ein junger Mann im Begriffe ist, die Unterhaltung auf ein persönliches Gebiet hinüberzulenken. Die Sonne ging blutrot zwischen dunklen Wolkenstreifen unter und warf ihren Feuerschein über das Häuschen auf der Höhe und die Waldwipfel, doch ohne daß weder der Maler noch seine Begleiterin der phantastischen Illumination eine sonderliche Beachtung schenkte. Nur die alten Herren standen still und tauschten ihre Befürchtung aus, daß der Föhn, der über die Wiesen sauste, die Wolkenwand über Nacht herabwälzen und einen feuchten Tag bringen werde.

Das junge Paar hatte Wichtigeres zu bedenken, als Regen oder Sonnenschein.

Der Maler mußte heut' zum Nachtessen bleiben, das sehr munter verlief, da der Medizinalrat und seine Gevatterin beständig auf dem Neckfuß miteinander standen. Auch an sein Patchen richtete der alte Herr dann und wann ein lustiges Wort, ohne sie doch aus ihrer Versonnenheit herauslocken zu können. Ja sie schien heute noch mehr als sonst mit ihrem Innern zu schaffen zu haben, und der Maler, der neben ihr saß, konnte nicht viel mit ihr plaudern, da er in das Kreuzfeuer der Scherze mit hineingezogen wurde.

Annerl hatte ihre Pelerine und das silberne Kreuzchen abgelegt und sah in der leichten häuslichen Bluse, die ihre schlanke, und doch schon voll aufgeblühte Gestalt aufs vorteilhafteste zeigte, noch weit reizender aus. Zumal als sie dann neben dem Pianino stand und der Tante, die eine Violinsonate des Papas begleitete, die Notenblätter umwendete. Hernach sangen die beiden Frauen, die Tante mit einer kleinen, aber gut geschulten Sopranstimme, während aus der jüngeren Kehle ein voller Strom des Wohllauts hervordrang, so daß sie die Führung behielt, obwohl sie die zweite Stimme sang. Sie begannen mit dem lieblichen »O sanctissima«, wie es einem richtigen Marienkinde geziemte, und ließen noch zwei oder drei geistliche Gesänge folgen. Dann aber stimmte die Tante das schöne alte Volkslied von dem Baum im Odenwald an, und darauf das Lied vom Wendelstein, und es war herzerfreuend zu hören, wie auch der junge Klosterzögling sich nicht zu gut hielt, in den Jodler am Schlusse so frisch und fröhlich einzufallen, daß eine Sennerin sie als ein echtes Hochlandskind würde anerkannt haben.

 


 


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