Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Mit beflügelten Schritten, von Zeit zu Zeit einen kleinen Freudenschrei ausstoßend, eilte der glückliche Maler den Abhang hinunter und erreichte seinen Gasthof gerade zur Essensstunde. Es war ihm aber unmöglich, im Gastzimmer unter seinen täglichen Tischgenossen sein Mahl einzunehmen. Unter einem beliebigen Vorwande ließ er sich das Essen auf sein Zimmer tragen, genoß aber nur wenig und warf sich dann auf das kurze, unbequeme Sofa, die Füße über einen Stuhl gestreckt, um ungestört seinen aufgeregten Gedanken nachzuhängen.

Schon einigemale hatte der Blitz der Schönheit mit ähnlicher Gewalt in seinem Herzen gezündet, das letztemal in Verona, wo er im Laden eines Pizzicarol die bildschöne Verkäuferin, ein vollkommenes Exemplar der lombardischen Frauenrasse, mit so verzückten Augen angestarrt hatte, daß es selbst der Angestaunten auffiel, so lange sie auch schon an dergleichen Huldigungen gewöhnt war. Zum Glück für unsern jungen Freund machte aber der Gatte kurzen Prozeß, bedeutete ihn höflich, daß hier kein Museum sei, wo man lebende Bilder angaffen dürfe, überreichte ihm seinen aufgeschnittenen, etwas streng duftenden Schinken und komplimentierte ihn zur Thür hinaus.

Andern Tags hatte er ohnehin abreisen wollen, und auf der kühlen Fahrt über den Brenner war der blitzartig entstandne Brand unschädlich wieder erloschen.

Seit er nun der »neuen Richtung« sich zugewandt, hatte er sich zwar geflissentlich alles Schwärmens für schöne Formen enthalten; sein strenges Fasten aber war nicht im stande gewesen, den eingebornen Trieb jeder gesunden jungen Natur zu ersticken, hatte vielmehr heimlich desto mehr Zündstoff in seinem Blute angesammelt, so daß die mystischen Flämmchen unter den bewußten breiten Augenlidern keine sonderliche Mühe hatten, einen lichterlohen Brand anzufachen.

Ihn zu schüren, trug die Hoffnungslosigkeit nicht das wenigste bei. Hier war durch ein leidenschaftliches Werben nichts zu erreichen; das reizende Menschenbild würde sich ewig niemals zu seinem Anbeter herabneigen, sowenig wie irgend eine gemalte Heilige jemals einem verliebten Gläubigen die geringste Gegenliebe geschenkt hat.

Und doch labte sich der Einsame auf seinem harten Lager an diesen selig unseligen Gefühlen, da er sich nach langer selbstauferlegter Entbehrung zum erstenmal wieder in die Gewalt der Schönheit wehrlos ergab. Er verglich im Geiste seine Veroneserin mit diesem Münchener Kinde und war keinen Augenblick in Zweifel, daß die Frau des Pizzicarol hinter der Tochter des Regierungsrats zurückstehen müsse, ganz abgesehen von dem Unterschiede der Düfte eines italienischen Fleischwarenladens und der Rosen und Reseda atmenden Luft in Fräulein Annerls Garten.

Er nahm sich vor, sein Bestes zu thun und sich von den jungen Augen nicht verwirren zu lassen.

Als er jedoch um die bestimmte Stunde, mit seinem Malgerät versehen, wieder zu der Villa hinaufstieg, konnte er sich doch einer zitternden Erregung nicht erwehren und mußte oben ein Weilchen stillstehn, sein Herzklopfen zu beruhigen, ehe er die Klingel zog.

Eine sauber gekleidete Magd führte ihn sogleich die Treppe hinauf in den obern Stock und öffnete ihm die Thür in das geräumige Gemach über dem Fremdenzimmer, das, wie es schien, zum eigentlichen Wohnzimmer der Familie eingerichtet war. Hier stand auch ein Pianino und daneben ein hohes Notenpult für den geigenden Hausherrn. An den Wänden war allerlei Schmuck verbreitet, der auf die fromme Gemütsart der Hausgenossen deutete: ein paar Raffaelische Kupferstiche, eine buntfarbige Madonnenstatuette, zu deren Seiten zwei altertümliche Heiligenbilder in Oel aus einer Fabrik des vorigen Jahrhunderts hingen, in einer Ecke, unter einem ziemlich geschmacklosen Strauß vergoldeter Palmenfächer und Palmkätzchen ein großes vergoldetes Kruzifix mit einem silbernen Weihwasserbecken, vor dem in einem Rubingläschen ein ewiges Lämpchen brannte.

Doch machte der Raum trotz dieses kirchlichen Aufputzes keinen feierlich beklemmenden Eindruck, da die große Glasthür dem Eintretenden gegenüber sich auf die Veranda öffnete, die von üppig blühenden Schlingpflanzen leicht verschattet war und den Ausblick über die Wiesen und zu den fernen, sanftgeschwungenen Bergen gewährte. Der Maler verlor denn auch, sobald er über die Schwelle getreten war, seine Befangenheit. Er fand die ganze Familie bereits versammelt, wurde von dem Hausherrn zwar seufzend, wie immer, aber mit einem herzlichen Händedruck bewillkommnet, von Tante Babette mit einem zutraulichen Kopfnicken begrüßt, und selbst in dem Gesicht des jungen Fräuleins war kein Zug, der einen entschiedenen Widerwillen gegen den Zweck seines Kommens verraten hätte.

Am muntersten zeigte sich der Medizinalrat, der ein Tischchen auf die Veranda hinausgetragen und zwei leichte Rohrstühle rechts und links daneben gestellt hatte. Er fragte dann den Maler, welchen Platz er seinem Modell anweisen wolle, führte das Annerl dorthin und schärfte ihr ein, möglichst freundliche Gedanken zu haben, wie es ja auch beim Photographieren Sitte sei. Er strich ihr dabei leise über das braune Haar und rieb sich, als der Maler seinen Sitz eingenommen, vergnügt die Hände, sichtlich sehr erfreut, daß alles so gut eingeleitet sei.

»Wir wollen den Künstler jetzt nicht weiter stören,« sagte er, dem Hausherrn zuwinkend. »Aller Anfang ist schwer, und der Genius pflegt vor profanen Augen seine Hexenkünste nicht gern zur Schau zu stellen.«

Auf den Zehen gehend, verließ er mit dem Freunde das Zimmer. Nur die Tante blieb zurück, setzte sich in einen bequemen Stuhl nahe der Balkonthür, so daß sie das Nichtchen im Auge behielt, und beschäftigte sich die erste Zeit emsig mit einer Handarbeit.

Als es aber draußen zwischen den Zweien unheimlich still blieb, so daß man nur unten vom Garten hinauf das Schwirren der Heimchen und das leise Plätschern des Springbrünnchens hörte, ging ihr lebhaftes Temperament mit ihr durch, und sie fing an, den Maler nach seinen Verhältnissen, Bekanntschaften und Reisen auszufragen, wobei sich herausstellte, daß sie durch allerlei, freilich weithergesponnene Fäden mit seiner verstorbnen Mutter verbunden war. Das gewann ihm, zumal er in seinen Antworten einen heiteren und doch respektvollen Ton anschlug, bald die volle Sympathie der lebhaften Frau, und sie begann mancherlei hübsche Histörchen aus ihrer Mädchenzeit auszukramen, an denen auch die spätere Frau Florian einen Anteil gehabt. So sprach sie schließlich allein, was dem Maler das liebste war.

Denn seine ganze Seele war in seinen Augen, und er bot alle Kunst und Hingebung auf, das Gesicht, das so regungslos wie ein in Marmor gemeißeltes Heiligenfigürchen ihm gegenüber saß, mit feinen, lebensvollen Zügen nachzubilden.

Er hatte sie so den Kopf zu wenden gebeten, wie er sie bei jenem ersten Begegnen auf der freien Landstraße lange betrachtet hatte, die Gestalt ihm von vorn zugekehrt, das Gesicht aber fast ganz im Profil, die Augen ruhig ins Weite gerichtet. Je genauer er sie studierte, desto mehr wurde er von dem Zauber dieser jungen Anmut hingerissen, so daß er oft eine Minute lang den Pinsel ruhen ließ und über dem Anschauen das Nachbilden versäumte.

Mehr und mehr aber fiel ihm die tiefe Weltentrücktheit aufs Herz, in welcher das schöne junge Wesen alles über sich ergehen ließ, ohne selbst durch das geringste Erglühen zu verraten, daß ihr die unverhohlene Bewunderung des jungen Meisters irgend welchen schmeichelhaften Eindruck mache. Auch die drolligen Geschichtchen der Tante schienen in ihren kleinen Ohren nicht anders zu klingen, als das Vogelgezwitscher in den Gartenbüschen. Dabei sah sie nicht eigentlich traurig aus ihren geheimnisvollen Augen ins Weite, nur wie von einem magischen Traum umgeben, der die Gestalten des wachen Lebens ihrem Geiste fern hielt.

 


 


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