Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Wie in einer Verzauberung war Franz Florian zurückgeblieben. Er saß auf dem niederen Feldstühlchen in sich zusammengekauert, nicht unähnlich einem Käuzchen, das auf freiem Felde durch einen strahlenden Sonnenaufgang überrascht worden ist und die geblendeten Augen nun eine Weile schließen muß, um sich von seiner Bestürzung zu erholen.

Wie lange er so gesessen haben würde, ist nicht zu vermuten, wenn sein Modell auf dem Brunnentroge nicht endlich die Geduld verloren und sich hinuntergeschwungen hätte. Da fuhr er in die Höhe, blickte wild umher, erkannte erst allmählich den Ort, wo er sich befand und packte dann, von einem plötzlichen Widerwillen übermannt, seine Siebensachen zusammen, indem er dem Kinde zurief, er werde nicht wiederkommen, und hier sei die Bezahlung für die heutige Sitzung.

Dann wanderte er langsam nach dem Marktflecken zurück, den Kopf immer zur Erde gesenkt, nichts um sich her eines Blickes würdigend.

In diesem Zustande, dumpf vor sich hin brütend, verbrachte er den Abend und ging lange vor seiner gewohnten Zeit zu Bett. Doch war an Einschlafen so bald nicht zu denken, zumal der Mond ihm bis Mitternacht ins Fenster schien. Er stand sogar einmal wieder auf, tastete nach seinem Skizzenbuch und machte Licht an, als ob er irgend ein Bild, das ihm vorschwebte, eilig festhalten müßte. Als er aber nur ein paar Striche gemacht, eine Stirn und eine feine Nase im Profil, und nun das Auge zeichnen wollte, merkte er, daß er nicht damit zu stande komme, strich den Anfang unmutig aus und warf sich wieder aufs Bett.

Am Morgen, als er endlich aufwachte, sah er, daß er die Kerze zu löschen vergessen hatte, die zum Glück in dem zinnernen Leuchtern unschädlich erloschen war.

Er wartete hierauf ungeduldig, indem er sein Zimmer nicht verließ, daß es elf Uhr schlagen möchte. Den ganzen Morgen hatte er damit zugebracht, sich aufs sorgfältigste zu frisieren, seinen Bart zu stutzen und sich überhaupt so schön zu machen, wie es mit den bescheidenen Mitteln seiner Reisetasche irgend herzustellen war. Da er endlich die Zeit zu dem versprochenen Besuch gekommen glaubte, stieg er mit klopfendem Herzen die Treppe des Gasthofes hinunter und schlug den Weg nach dem höher gelegenen Landhause des Regierungsrates ein, die schwere Mittagsglut verwünschend, die ihm große Schweißtropfen auf die Stirn lockte.

Die Villa lag auf einer luftigen Anhöhe und blickte weit ins Land hinaus, über die niedrigen Bäume und Büsche des Gärtchens hinweg, das sich auf ihrer Rückseite ziemlich weit in die umliegenden Wiesen hinaus erstreckte. Zu dieser heißen Stunde schien alles darin zu schlummern. Nur das Rauchwölkchen aus dem Schornstein kündigte einiges Leben an. Eine alte Frau, die über ihrer Gartenarbeit auf einer Bank eingenickt war, ermunterte sich bei der Annäherung des Malers und wies ihn nach der Hinterseite des Hauses, wo er den fremden Herrn finden werde. Es führte da ein Treppchen in ein luftiges Gartenzimmer hinauf, in welchem Franz Florian seinen alten Gönner in Hemdärmeln, behaglich rauchend, auf einem Ruhebett ausgestreckt fand. Er warf das Heft einer medizinischen Wochenschrift, in welchem er gelesen, auf den Tisch und erhob sich munter, seinen Besucher zu begrüßen.

»Schön, daß Sie Wort halten!« rief er ihm entgegen. »Stecken Sie sich nun gleich eine Cigarre an und helfen Sie mir, die verdammten Mücken zu narkotisieren. Ich bin sehr froh, Sie zu sehen, denn wahrhaftig, hier im Hause geht alles mit solchen Ecce-homo-Gesichtern herum, daß man meint, der jüngste Tag wäre vor der Thür. Aber Sie scheinen ja auch nicht mehr in der alten fröhlichen Kampf- und Siegeslaune zu sein? Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen? Aergert Sie bloß das bißchen unverschämter Sonnenschein?«

Der Maler erwiderte errötend, er befinde sich ganz wohl und habe gegen das schöne Wetter nichts einzuwenden.

»Um so besser!« rief der alte Herr, »Ich fürchtete schon, einen neuen Inkurabeln an Ihnen zu finden, und habe schon genug Aerger mit dem schweren Fall hier im Hause. Warum soll ich Ihnen ein Geheimnis daraus machen? Die Kranke, wegen deren ich hier herauscitiert worden bin, jenes junge Mädchen, von dem ich Ihnen sagte – aber Sie haben sie ja gestern selbst gesehen – stellen Sie sich vor, mit ihren siebzehn Jahren, ihrem hübschen Gesicht – ich wenigstens, als ihr Pate, finde sie hübsch – und in den besten Verhältnissen, von aller Welt gehätschelt und auf Händen getragen – und doch läßt der kleine Querkopf sich einfallen, der Welt, die sie noch gar nicht kennt, den Rücken drehen und ins Kloster gehen zu wollen.«

»Ins Kloster? Um Gottes Willen!« entfuhr's dem betroffenen Künstler. »Was gibt sie für einen Grund an? Und hat der Vater nicht die Macht, sie zurückzuhalten?«

»Der Vater? Mein werter, junger Freund, wenn Sie selbst einmal Vater geworden sind, nehmen Sie sich vor der Schwäche in acht, die gute Väter, wie es scheint, fast immer gegen einzige Kinder zu beweisen pflegen. Dieser mein alter Freund – Sie sehen es ihm jetzt schwerlich mehr an, was für ein flotter Kamerad er war, als ich ihn kennen lernte, freilich nicht als Kommilitone, sondern in ärztlicher Eigenschaft, da er bei einer Paukerei eine sehr schwere Verwundung davon getragen hatte. Ich war damals schon als ›alter Herr‹ seinem Korps zugethan und verliebte mich förmlich in diesen jungen Patienten. Er war der beste Schläger, Tänzer, Reiter, den man nur wünschen konnte, ein Tausendsasa, sag' ich Ihnen, und so viel Glück bei den Weibern, daß drei andre daran genug gehabt hätten. Nu, das letztere wird Sie nicht wundern. Sie müssen ihm angesehen haben, was er so in den Zwanzigern für ein bildschöner Junge gewesen ist. Das Annerl, seine Tochter, gleicht ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, aber bei einem Mädel ist das nichts so Apartes. Dabei ein guter, treuherziger Kamerad, nur schrecklich faul, und vom Studieren ein abgesagter Feind. Er hatt' es auch nicht so dringend nötig; sein Papa war sehr wohlhabend.

»Aber für jeden kommt einmal eine Schicksalsstunde, und meinem flotten Taugenichts kam sie in Gestalt eines adligen Fräuleins, an dem ich für mein Teil garnicht 'mal was Besondres finden konnte. Sie war sogar gleichaltrig mit ihm, wie es hieß, ungeheuer gelehrt, talentvoll und tugendhaft, übrigens nicht, was man eine gute Partie nennt. Die Schwester meines Freundes, die jetzige Tante Babette – Sie haben sie ja auch gesehen – die war sauber! Ein Prachtmädel, sag' ich Ihnen, und neben ihr konnte sich das Baroneßchen nicht sehen lassen. Aber Gott weiß, wie es kam, gleich auf dem ersten Ball, wo er den Kotillon mit ihr tanzte, fing mein guter Isidor Feuer, und gleich auf Tod und Leben, so daß alles Vernunftpredigen vergeblich war.

»Wir alle schüttelten die Köpfe. Unser vielbeneideter Don Juan wurde auf einmal eine sittsame Schlafhaube, hockte Tag und Nacht in den Hörsälen und über den Pandekten und ging sogar in die Kirche, selbst ohne die Hoffnung, seine Angebetete dort zu treffen, da sie gar nicht in München lebte und nur bei einem zufälligen Besuch in der Stadt auf jenen Ball gekommen war. Um es kurz zu machen: gleich nach seinem Staatsexamen verheiratete er sich mit dieser schon nicht mehr ganz frischen Studentenliebe, und als sie acht Jahre darauf mit Tod abging, war er rein untröstlich.

»Das einzige Pfand seiner kurzen Liebe und Ehe, das Annerl, hätte er nun gern bei sich behalten, als seine einzige Lebensfreude. Aber die Familie seiner Seligen redete ihm zu, das Kind in dasselbe Erziehungsinstitut bei den Salesianerinnen zu thun, wo die Mutter bis in ihr zwanzigstes Jahr gelebt hatte. Von da war ihr auch der übermäßig kirchliche Sinn verblieben, mit dem sie ihren Mann angesteckt hatte, so daß der Aermste für seine Jugendsünden in der gestrengen ehelichen Zucht vollauf Buße that. Also ergab er sich drein, das kleine Mädchen von sich zu lassen, und setzte die ersten Jahre sein einsames Leben langweilig und philisterhaft genug fort, immer die Selige beweinend und zu keiner neuen Heirat zu bewegen. Darüber wurde er vorzeitig alt und grau. Werden Sie glauben, daß er heute erst fünfundvierzig Jahre alt ist? Und geht so duckmäuserig, seufzend und schwerblütig herum, wie ein Greis! Es ist ein Jammer!«

Er warf die ausgerauchte Cigarre ingrimmig weg und zündete sich sofort eine neue an. »Ja, ja, der Väter Sünden! – Es ist eine nachdenkliche Sache um das alte Bibelwort. Ich habe das Meinige gethan, das Unheil, das ich kommen sah, abzuwenden. Sein Schwesterchen nämlich, das Babettel – nun, heute kann ich ja davon sprechen; ich hatte selbst ein Auge auf sie geworfen, und sie hätte bloß den kleinen Finger auszustrecken gebraucht, so saß ihr mein Ring daran, obwohl ich immer eine gewisse Ehescheu hatte. Aber das wählige, verzogne und sehr gefeierte Mädel – ich war ihr nicht mehr jung genug, sie zog mir einen ihrer Tänzer und Courmacher vor, einen Apotheker, bei dem sie auch so weit ganz wohl aufgehoben war. Der Mann hatte Vermögen und keinen üblen Charakter, bis auf gewisse Eigenheiten, die aber der Frau nicht lästig wurden. Indessen starb er schon nach zehnjähriger Ehe – und ich lebe noch und wäre immer noch kein zu verachtender Ehemann, meinen Sie nicht auch? Nun, das sind Possen. Die junge Witwe zog zu ihrem Bruder, ihm das Haus zu führen, was auch zwischen mir und dem guten Regierungsrat wieder die alten Beziehungen auffrischte. Er hatte sich pensionieren lassen und trieb nun allerlei brotlose Künste, ein bißchen Musik und dergleichen, aber zu dem eigentlichen Beruf, den ich ihm immer vorhielt, sein Kind selbst zu erziehen, war er nicht zu bewegen. Die Tante hätte ihm so trefflich beigestanden, sie hat Humor und Kopf und Herz auf dem rechten Fleck. Er blieb aber dabei, seine Selige selbst habe es auf dem Totenbette so angeordnet, dabei müsse es nun bleiben.

»Und dabei blieb es auch, sollte aber noch weit schlimmer kommen.

»Schon vorm Jahr, als das Annerl in den Ferien hierherauskam, sei ihr ein gewisser Trübsinn eigen gewesen, sagte mir die Tante. Man achtete jedoch nicht darauf; nur noch ein Jahr sollte sie in dem Klosterinstitut bleiben, hernach in München auf Bälle geführt werden, da würden ihr die geistlichen Gedanken bald vergehen. Und nun stellen Sie sich vor, junger Freund: als sie vor acht Tagen hierher kommt, erklärt sie dem Papa mit der größten Entschiedenheit, sie wolle nach den Ferien wieder ins Kloster zurück und sobald sie das vorgeschriebene achtzehnte Jahr erreicht habe, als Novize eintreten, da es ihr fester Entschluß sei, der Welt und allen irdischen Freuden abzusagen und nur dem Himmel zu dienen.

»Der verrückte Kindskopf! Der eigensinnige Fratz! Der Welt entsagen, von der sie noch nichts gesehen, als was sich hier in der Sommerfrische ihr präsentiert hat und wahrhaftig nicht weit her ist!

»Ich war wütend, als mein Freund mir das mitteilte. Er selbst, ein so gottseliger Herr er ist – das war ihm denn doch außer Spaß. Sein einziges Kind, ein so bildsauberes, gutes, begabtes Geschöpf – nein, den Bissen wollten wir den ehrwürdigen Damen doch noch aus den Zähnen reißen!

»Ich dachte anfangs, es sei irgend eine physische Ursache im Spiel. Aber nachdem ich mein Patchen nach allem Möglichen ins Verhör genommen, mußte ich gestehen, daß alles bei ihr in musterhafter Ordnung ist, bis auf das verschobene Gehirnchen, das sie sich mit allerhand theologischem Krimskrams vollgestopft hat, so daß die gesunde Vernunft keinen Platz mehr darin findet. Und so haben wir uns ganz ohne Erfolg abgearbeitet, der Papa und ich, und das Ende vom Liede war, daß sie in einen Weinkrampf verfiel und wir unsre liebe Not hatten, sie nur wieder zu beruhigen, indem wir ihr versprachen, ihr ihren Willen zu lassen.

»So stehen nun die Dinge. Sie begreifen, daß mir die Sache nahegeht und mein Ferienvergnügen in diesem Hause mir gründlich verdorben ist. Diese gottverdammten geistlichen Nester, in denen alte Betschwestern wie feiste Spinnen in ihrem dunklen Netz sitzen und auf die armen lustigen Fliegen lauern, die sich drin fangen sollen! Daß doch der Erdboden sich aufthäte und sie alle verschlänge!«

Er stampfte mit dem Fuß auf, als ob er gleich hier einen Versuch machen wollte, ob der Boden einem solchen frommen Wunsch sich fügen möchte. Dann trat er vor den Maler hin und sagte, sein graues Haupt hin und her wiegend: »Sehen Sie, mein Lieber, da wären die ›Freilichtstudien‹ am Platz, die jetzt in der Kunst so viel Unheil anrichten. So ein junges Ding müßte dazu angehalten werden, die Augen draußen im Freien aufzumachen und die Gotteswelt zu sehen, wie sie ist, ehe sie sich in ihre helldunklen Kapellen- und Zellenwinkel einsperrt. Aber dafür gibt's keine Lehrer und der Naturalismus des Lebens muß von jedem auf seine eigne Hand betrieben werden.«

Er wandte sich wieder ab und durchmaß heftig rauchend das Zimmer.

Franz Florian war an die Glasthür getreten, die sich in den Garten öffnete, und schaute in die sonnigen Büsche und Blumenbeete hinaus.

Auf dem mittleren, kiesbestreuten Wege, der von Reseda und Monatsröschen eingefaßt war, kam soeben das vielbesprochne junge Wesen dahergewandelt und blieb an dem kleinen Springbrunnen stehen, dessen dünner, schläfriger Strahl seine blitzenden Tropfen in der sonnigen Luft versprühte.

Sie trug heute statt des klösterlich schwarzen ein leichtes und lichtes Mousselinkleid, darüber aber auch heute die zur Institutsuniform gehörende weiße Pelerine mit dem silbernen Kreuz. Der Kopf war unbedeckt, der feine Umriß desselben frei zu erkennen, das Gesicht aber durch ein rotes Sonnenschirmchen mit einem warmen Ton überhaucht, der seinen jugendlichen Reiz noch erhöhte. Ein Weilchen stand das ganz in seine – unzweifelhaft andächtigen – Gedanken vertiefte Fräulein am Rande des Beckens, ein schwarzeingebundnes Büchlein mit silbernem Schnitt zwischen den Fingern der linken Hand, und blickte in das spielende Wasser zu seinen Füßen. Als sie den Kopf wieder erhob, um ihren Weg nach dem Hause fortzusetzen, erkannte sie hinter den Scheiben des Gartenzimmers den Fremdling von gestern, erwiderte aber seine hastige Verbeugung, ohne die Miene zu ändern, nur mit einem gleichgültigen Neigen der großen Augen und wandelte dann langsam an den Treppenstufen vorbei dem vordern Eingange des Hauses zu, so daß sie dem nachstarrenden Franz Florian alsbald entschwunden war.

Dem hatte das Herz so heftig geklopft, daß er fast froh war, als er sah, daß sie nicht im Sinne hatte, hier unten bei ihrem Paten einzutreten. Ihm war, als würde er in tödlicher Beklommenheit, wenn sie ihn anredete, kein vernünftiges Wort vorbringen können. Er hatte auch nicht bemerkt, daß der alte Herr hinter ihm gestanden und gleichfalls den holden Mittagsspuk beobachtet hatte.

»Sollte man's glauben,« hörte er ihn jetzt sagen, »wenn man dieses helle Pflänzchen sieht, daß ein so böser schwarzer Wurm in seiner Blüte steckt? Ja die Frauenzimmer! Dem ältesten Pathologen geben sie immer noch Rätsel auf.«

»Ich möchte das Fräulein wohl malen!« sagt der junge Künstler so verloren vor sich hin, als ob er zu sich selbst spräche.

Ueber das unwirsche Gesicht des Alten flog plötzlich ein eigenes Leuchten, als dämmre ein glücklicher Gedanke in ihm auf. Er sah den Maler mit einem prüfenden Blick vom Kopf bis zu den Füßen von der Seite an, als habe er ihn bisher noch nicht hinlänglich zu studieren Gelegenheit gehabt, schmunzelte dann, sichtbar von der Musterung befriedigt, und versetzte trocken: »Malen möchten Sie das Annerl? Würden Sie da nicht Ihre künstlerischen Ueberzeugungen verleugnen müssen?«

Franz Florian errötete über und über. »Sie scheinen mich immer noch für einen albernen Fanatiker und malerischen Asceten zu halten,« erwiderte er, sich verletzt abwendend. »Ich habe in dem Kloster, das Sie für die Naturalisten zu gründen wünschen, nicht Profeß gethan und kein Gelübde abgelegt, nie etwas Schönes malen zu wollen. Aber freilich, was ich sagte, war nur so in den Tag hinein gesprochen. Das Fräulein wird mir nicht sitzen wollen.«

»Nun, was das betrifft! – Wir haben kein Bild von ihr, als eine mittelmäßige Photographie, die vor etlichen Jahren hier draußen gemacht wurde. Wenn sie ihren Entschluß durchsetzt und der Welt und den Ihrigen für immer entsagt, ist es das wenigste, was sie ihrem guten Papa zuliebe thun kann, daß sie ihm ihr Bild zurückläßt. Sie selbst, fromm wie sie ist, muß eine höhere Fügung darin sehen, daß kurz vor Thorschluß sich eine so gute Gelegenheit dazu bietet. Ja, lieber Freund, das ist ein excellenter Gedanke von Ihnen, und wir alle, die wir das närrische Kind nun doch einmal lieben, werden Ihnen den größten Dank schuldig werden, wenn Sie es glücklich zu stande bringen. Sie sind vielleicht ein bißchen aus der Uebung mit so einem schönen Stück Natur. Aber mit etwas gutem Willen – und Ihren Kollegen verraten wir nichts davon. Uebrigens bestätigen ja die Ausnahmen die Regel, und Sie werden von dieser Verirrung ins Gebiet des verpönten Schönen sofort wieder zu den charakteristischsten Dachauerinnen und schlafenden Bauern zurückkehren.«

Er zog rasch seinen Rock an und sagte zu dem Maler, der so verträumt dastand, daß er die letzten Scherze völlig überhört hatte: »Ich muß nur den Papa benachrichtigen. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Es verging aber eine geraume Zeit, ehe er wiederkam. Der Maler hörte in dem Zimmer zu seinen Häupten ein lebhaftes Hinundher von Männertritten, dann auf dem offnen Balkon über der Gartenthür die Stimme des alten Herrn, der sehr zuversichtlich ausrief: »Nur den Mut nicht verloren, Isidor! Wer weiß: quod medicamenta non sanant, ignis sanat!« – dann wurde es stille. Die Männer verließen das Gemach, offenbar um nun auch bei der eigenwilligen jungen Hauptperson anzufragen, wie sie über die Sache denke. Es wurde dem Wartenden schwer, seine Ungeduld zu bemeistern. Immer schwebte das reizende Oval, die blasse Stirn, die breitgeschwungenen Augenlider vor seinem inneren Sinn. Nie zuvor hatte sich seine Künstlerseele an eine Aufgabe leidenschaftlicher hingegeben, als an diese. Wenn nichts daraus würde, wenn das angehende Nönnchen sich nicht erbitten ließ –

Da aber öffnete sich die Thür, und die beiden Männer traten ein, der Hausherr zwar mit seinem unwandelbar wehmütigen Gesicht, sein Gastfreund aber fröhlich dreinblickend und dem Maler verstohlen zunickend.

»Mein werter Herr Florian,« sagte der Regierungsrat, »Ihr Anerbieten, meine Tochter zu malen, beglückt mich sehr. Sie wissen nicht, welchen Dienst Sie mir damit leisten, und es versteht sich, daß Ihre Mühe, wie Sie selbst es bestimmen werden, vergütet werden soll. Nein, nur unter dieser Bedingung kann davon die Rede sein, denn das Porträt muß mein Eigentum werden. Auch hat meine Tochter eingewilligt, mir diese Freude zu machen, und es steht von unsrer Seite nichts im Wege, daß Sie gleich heute mittag anfangen können. Ich bedaure nur, Ihnen kein so recht passendes Atelier zur Verfügung stellen zu können.«

Florian stammelte, von dem Glück verwirrt, seinen Herzenswunsch erreichen zu dürfen, einige abgerissene Worte – er sei gleich heute bereit – jeder Raum werde ihm zu seiner Arbeit genügen – er bedaure nur, keine Oelfarben bei der Hand zu haben.

Der Medizinalrat kam ihm rasch zu Hilfe.

»Sie sind ja ein perfekter Aquarellist, lieber Freund, und was das Atelier betrifft, werden Sie diesen Mangel am leichtesten verschmerzen. Das Zimmer hier geht nach Norden, auf der breiten Veranda über mir haben Sie das schönste plein air, das Sie nur wünschen können, und so wird mit Gottes und aller Heiligen Hilfe das gute Werk hoffentlich aufs schönste gelingen.«

Der Papa seufzte ein wenig, strich sich wieder über die Augen und fragte dann den Maler, ob er nicht bei ihnen zu Tisch bleiben wolle. Das lehnte der junge Mann eifrig ab, er habe noch allerlei für die Sitzung vorzubereiten, um vier Uhr, wenn es so recht sei, werde er sich in der Villa pünktlich wieder einstellen.

 


 


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