Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Noch eine gute Weile blieb Franz Florian in seinem Kirchenstuhl sitzen, im Nachgenuß des beseligenden Erlebnisses schwelgend. Hier hatte das reizende Wesen gesessen, dieses Holz hatten ihre Kniee berührt, diese Sonnenlichter ihre gesenkte Stirn umspielt – und diese Luft hatte von ihrem Hauch gebebt und das Geständnis vernommen, das um so beglückender war, je widerstrebender es ihrer Brust sich entrungen hatte. War es denn wahr? Er hatte sie im Arm gehalten? Seine Lippen hatten dies reizende Auge berührt, das ihm bisher als ein unerreichbarer Stern vorgeschwebt hatte?

Das Husten aus dem letzten Kirchenstuhl unter der Orgelbühne bestätigte ihm jetzt wieder, daß es kein Traum gewesen, was ihm das Blut in stürmischer Bewegung erhielt. Und daß es bei diesem wundersamen Ereignis nicht bleiben, sondern noch weit schöner und für ewig dauernd werden sollte – dafür wollte er schon sorgen, wenn er auch im Augenblick zu glückverworren war, um sich über das Wie den Kopf zu zerbrechen.

Er entschloß sich endlich auch, die Kirche zu verlassen. Im Vorbeigehen schoß er noch einen grimmigen Blick auf das ahnungslose alte Weibchen, das in sich zusammengebückt in seinem Winkel saß, den zahnlosen Mund beständig bewegend, wobei die Kügelchen des Rosenkranzes ihr nach und nach über die dürren braunen Finger rollten. Da sie keine Bewegung machte, als der männliche Schritt dicht neben ihr über die Steinfliesen hallte, war zu hoffen, daß sie auch von dem leidenschaftlichen Zwiegespräch nichts gehört haben würde. Uebrigens – was lag daran? Mochte doch die ganze Welt wissen, daß er das Annerl liebe und daß sie ihn wieder lieben würde, wenn der liebe Gott nichts dagegen hätte.

Wie es anzufangen wäre, diese höchste Instanz auf seine Seite zu bringen, darüber grübelte der glücklich Liebende ausschließlich nach, während die Stunden an ihm vorüberrollten. Als jedoch der Abend herankam, wo man ihn in der Villa des Regierungsrats auch heute erwartete, war er mit seinen Plänen und Vorsätzen noch nicht viel weiter als am Vormittag.

Zunächst aber sollte er sie ja wiedersehen, jetzt mit andrem Herzen, voll Hoffnung und Vertrauen.

Es war dämmrig geworden, die Sonne ging schon merklich früher unter als in der Zeit der ersten Bekanntschaft, als der Maler die Villa betrat. Ein verändertes Ansehen des Hausflurs fiel ihm auf, die Thüren nach den Zimmern standen offen, drinnen war nicht die gewohnte Ordnung, und die Hausgenossen schienen auf einem Spaziergang abwesend zu sein, ohne auf ihn gewartet zu haben. Ein Schatten fiel auf seine helle Seele, er trat verstimmt in das Zimmer, das gestern noch der alte Herr bewohnt hatte, da fand er das Mädchen, mit Aufräumen beschäftigt. Wohin die Herrschaften gegangen seien, fragte er. Er wolle ihnen entgegengehen.

»Ach, wissen Sie denn noch nicht, Herr Florian,« rief das Mädchen und sah ihn mit einem Blick des Mitleids an, als wisse sie sehr gut, was sie ihm anzuthun im Begriff stand, »der gnädige Herr und Fräulein Annerl und die Frau Tante – vor einer Stunde sind sie weggefahren, nach dem Kloster zurück, und es war eine Aufregung vorher, nicht zu beschreiben. Das Fräulein nämlich, sie war in die Kirche gegangen und blieb lange aus, wir warteten schon mit dem Essen auf sie. Und da kam sie endlich, ganz bleich, wie wenn sie Gespenster gesehen hätte, sie könne keinen Bissen anrühren, sie bäte den Papa nur um eins, daß er gleich nach einem Fuhrwerk schicken möchte, weil sie ins Kloster zurück wolle, heute noch, so geschwind es zu machen wäre. Sie können denken, gnädiger Herr, was der Herr Regierungsrat für einen Schmerz drüber hatten. Die Ferien dauern ja noch vier bis fünf Wochen, und doch, heute schon wollte Fräulein Annerl wieder fort. Aber da half kein Bitten und Beten, sie versteht's immer, ihren Willen durchzusetzen, und obwohl es über dem Einpacken, und bis der Wagen aufgetrieben war, schon sechs Uhr wurde – und sie haben gut vier Stunden zu fahren, und was würde die Frau Oberin und die Schwestern denken, wenn sie bei Nacht und Nebel hereingeschneit kommen – aber da half alles nichts, vor einer Stunde stiegen alle drei in den Wagen, der gnädige Herr, glaub' ich, hat immer noch Hoffnung, unterwegs es ihr auszureden, zumal sie keinen vernünftigen Grund hat angeben können, immer nur: ich muß fort! Ich sterbe, wenn ich länger hier bleibe! – und zuletzt gab sie mir noch dies Billet und sagte: Uebergib es Herrn Florian, wenn er heute kommt. Ich muß ihm doch Adieu sagen, und für die drei Porträts habe ich ihm noch gar nicht ordentlich gedankt! – und hier ist es, Herr Florian. Können Sie sich denken, was dem armen Fräulein plötzlich das schöne Leben hier verleidet hat?«

Das Briefchen, das das redselige Mädchen dem jungen Hausfreund einhändigte, ohne daß er ein Wort auf all ihre Mitteilungen erwiderte, enthielt nur die Worte:

»Leben Sie wohl! Vergessen Sie mich, wie ich versuchen werde, Sie zu vergessen. Ich werde für Sie beten, daß Gott Sie recht glücklich machen möge. Verzeihen Sie das Leid, das ich Ihnen etwa angethan habe, und haben Sie Dank für alles Freundliche.

Annerl.«

 


 


 << zurück weiter >>