Paul Heyse
Marienkind
Paul Heyse

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Die Mutter war auch kein übler Charakterkopf,« sagte der alte Herr mit ganz ernster Miene, während sie jetzt mit großen Schritten dem Orte zueilten, da bereits einige große Tropfen herabsausten. »Die sollten Sie sich auch nicht entgehen lassen, Herr – dürfte ich um Ihren werten Namen bitten?«

»Franz Florian. Mit der Alten haben Sie sehr recht, und ich habe sie auch schon zweimal skizziert. Wenn es Sie interessiert –«

Er wollte im Gehen sein Buch öffnen.

»Wir werden es im Wirtshaus bequemer haben, Ihre Studien durchzusehen,« wehrte der Alte mit freundlichem Lächeln ab. »Sie scheinen hier sehr fleißig gewesen zu sein, und da es dieser Gegend, obwohl sie vorwiegend mit einem wohlhabenden Bauernschlag bevölkert ist, auch an verkümmerten Existenzen nicht fehlt, werden Sie in Schmutz und Häßlichkeit ordentlich geplätschert haben. Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Ausdauer. Die Kehrseite der Natur und der menschlichen Gesellschaft ist ja gewiß sehr anziehend, und es ist des Schweißes der Edlen wert, ihr endlich auch künstlerisch zu ihrem Recht zu verhelfen. Aber selbst die Kaminkehrer pflegen sich wenigstens am Samstag zu waschen, und es gibt doch auch so manche appetitliche Dinge in der Welt, die nicht ganz zu verachten sind. Vor allem, mein junger Freund, nehmen Sie sich vor Italien in acht. Da könnten Sie am Ende doch noch zu einem Schönheitsrausch kommen, der Ihnen hernach die schönsten deutschen Trottel verleidete.«

Der Maler runzelte die Stirn. Ein Seufzer kam ihm von den Lippen.

»Diesen Rausch habe ich bereits durchgemacht,« sagte er mit dumpfer Stimme. »Ich war zwei Jahre in Italien, erst wie im siebenten Himmel, dann von Tag zu Tage trostloser und verzweifelter. Schönheit? Ja wohl, die läuft dort auf den Gassen herum, und in den Kirchen und Galerieen sieht man sie in so ausbündigen Exemplaren, daß man aus der Haut fahren möchte. Anfangs dacht ich, unsereins könne es mit gutem Willen und hartnäckigem Fleiß auch zu etwas bringen, und kopierte, komponierte, skizzierte auf Teufelholen. Besah ich mir dann die Natur, etwa in einem römischen Modell mit ihrem Junonacken und der Bronzehaut, oder im Palazzo Borghese und dem Vatikan die berühmten Wunderwerke in Goldrahmen oder an Wand und Decke – da knirschte ich mit den Zähnen über meine Ohnmacht. Endlich warf ich Pinsel und Palette in den Koffer und reiste mit Scheuklappen über den Brenner zurück nach Hause. Ich brachte aus dem gelobten Lande nichts zurück als die klare Erkenntnis, daß das Liedchen von der Schönheit zu Ende gesungen ist von glücklicheren Vorfahren unter einem gnadenreicheren Himmel, und daß wir, wenn wir nicht ein für allemal das Maul halten, sondern auch zu Worte kommen wollen, in einer ganz andern Tonart uns hören lassen müssen. Sie sehen, verehrter Herr, ich verachte die Schönheit durchaus nicht. Ich halte die Trauben darum nicht für sauer, weil sie mir zu hoch hängen. Aber um nicht zu verdursten, finde ich es vernünftig, mich auf die Fabrikation von Aepfelwein zu verlegen. Oder nein, das Gleichnis hinkt. Was wir heute Kunst nennen, hat den gleichen Wert, wie die vom Cinquecento. Jede Periode hat ihre eigne Aufgabe, die Alten brachten das Schöne auf den Gipfel der Vollendung, unsre Aufgabe ist das Charakteristische. Und eigentlich,« fuhr er sich steigernd fort, »eine absolute, alleinseligmachende Schönheit gibt es ja auch nicht. Selbst Tizians Venusse sind konventionelle Schemen, und die Venus der Aethiopen braucht sich nicht zu verkriechen, wenn man nur nicht mit klassischen Vorurteilen vor sie hintritt. Denn nicht nur gut und böse sind bloße Begriffe, sondern auch schön und häßlich; die Natur weiß nichts davon, unser Denken macht erst den Unterschied. Das ist mein Credo, und seit ich demnach lebe, bin ich wieder zufrieden in mir, ohne Verzweiflungsanfälle, ohne den Katzenjammer, der auf den unfruchtbaren Schönheitsrausch unfehlbar zu folgen pflegt.«

»Ein jeder thut eben, was er nicht lassen kann,« bemerkte der alte Herr trocken. »Ich sehe, Sie haben sich's recht wacker angelegen sein lassen, aus der Not eine Tugend zu machen, und wenn ein Lehrstuhl der neuen Aesthetik an einer Universität oder Akademie errichtet wird, wären Sie befähigt, Ihre Doktrin recht überzeugend vorzutragen. Am Ende ist das auch noch einmal Ihre Zuflucht, wenn das Publikum, das immer noch von den veralteten Vorurteilen nicht loskommt, Ihnen Ihre Bilder nicht abkauft und lieber ein hübsches, dralles Defreggersches Bauernmädchen sich ins Zimmer hängt, trotz des konventionellen Lächelns und des mangelnden Freilichts, als Ihre kleine charakteristische Kretine auf dem Brunnentrog.«

»Ich verzichte auf den Beifall und Zulauf der stumpfsinnigen Menge,« versetzte Franz Florian mit einer großartigen Gebärde. »Zum Glück habe ich ein kleines Vermögen von meinen guten Eltern geerbt, das mir erlaubt, meinen Ueberzeugungen treu zu bleiben.«

»Das ist sehr erfreulich, lieber Herr. Mir wäre sonst doch ein wenig um Ihre Zukunft bange, wie ich denn auch selbst mit meinem Atlas über die vergleichende Anatomie der Fötus sicher hätte betteln gehen können, wenn meine Praxis mir nicht zu leben verschafft hätte. Was aber das Gros der Naturalisten und Freilichtmaler betrifft, so hoffe ich, der Staat wird über kurz oder lang seine Aufgabe erkennen, diesen trefflichen Leuten Klöster zu bauen.«

»Klöster?«

»Ich finde nämlich, daß sie sich vorzüglich zur Ablegung der drei Mönchsgelübde qualifizieren: Armut, Gehorsam, Keuschheit. An Armut wird's ihnen, wie gesagt, nicht fehlen, wenn es auch zunächst keine ganz freiwillige wäre, jedenfalls sind viele darunter auch arm an Geist. Gehorsam gegen die Schultheorieen steckt ihnen im Blut, und was die Keuschheit betrifft – da sie ihre Modelle unter den von der Natur Vernachlässigten zu suchen pflegen, sind ihre Frauenbilder rechte Mittel gegen die Liebe. So daß schon um ihres sittlichen Einflusses willen der Staat verpflichtet sein sollte, sie bis an ihr Lebensende vor Nahrungssorgen zu schützen und zu fleißigen guten Werken ihrer Konfession ihnen die nötige Muße zu schaffen.«

 


 


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