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20.

Selbstbetrachtungen.

Mich um das nicht zu bekümmern, was mich nichts angehe, war eine goldene Regel; aber wenn etwa der Graf hätte einen Vorwurf darein legen wollen, so verwahrte ich mich bei mir selbst protestando dagegen; hatte ich mich doch um seine Liebesgeschichte platterdings nicht bekümmert; war ich doch, ganz ohne mein Zuthun, mit ihm und Josephinen und der ehrlichen Großmama in Berührung gekommen. Jetzt erst fing ich im Ernste an, mich über das alles, und besonders über Josephinens Schicksal, im eigentlichsten Sinne, zu bekümmern.

Ich fühlte mit ängstlicher Beklommenheit, daß ich nicht Welt- und Menschenkenntniß genug hatte, um bestimmt zu übersehen, ob das Verhältniß zwischen dem Grafen und Josephinen wirklich so rein sey, als sie es schilderte. Der Graf war mir in seinem Hause, bei dem Auftritte mit der Großmutter, unausstehlich vorgekommen; seine dreisten Lügen machten ihn mir dort furchtbar. Hier hatte er mir – nicht eben gefallen; denn daran, daß er mit den wonnigen Mädchen meines Herzens auf Du und Du stand, daß er es alle Augenblicke in die Arme nahm und küßte, konnte ich, mit dem gelbsüchtigsten Brodneid in der Brust, just keinen sonderlichen Gefallen finden; aber es erbaute mich doch, daß er an ihrer Seite die Zirkel seiner Hofwelt vergaß; daß er sie, wie ich aus Josephinens Aeußerungen abnahm, gegen jede Unbill kräftig schützte und mit dem Ueberfiuß seines Vermögens ihr tausend Annehmlichkeiten zu verschaffen suchte; daß er für die Ausbildung ihres Geistes und ihrer Kenntnisse sorgte, und selbst Betstunden mit ihr hielt. Sein Benehmen gegen die Großmutter war und blieb unredlich; er betrog und belog sie. Hatten ihre Pantoffeln, die ich, statt der gehofften Sandalen, im Vorzimmer fand, ihre wattirte Gascogner Kapuze und ihr hochmüthiges Faltenantlitz auch nicht viel Anziehendes; sie war doch immer seine Großmutter, der er, nach meinen dörflichen Begriffen vom vierten Gebote, kindlichen Gehorsam und kindliches Vertrauen schuldig war. Aber freilich, wenn ich mich an seine Stelle setzte, ich glaube, daß – daß es mir auch sehr schwer, vielleicht unmöglich geworden wäre, um ihrer beschränkten Ansichten und um ihrer eingefleischten Vorurtheile willen, den Besitz einer Josephine aufzuopfern. Ich mochte den Grafen von seiner Seite betrachten, von welcher ich wollte, überall fand ich so viel für als wider ihn. War er das, wofür ihn Josephine hielt oder vielmehr ausgab, so erschien er als ein reiner Engel, mit einigen kleinen Flecken, im Bezug auf die Pflichten gegen die lange Großmutter;, war er das nicht, so konnte er nur der schwärzeste Teufel seyn.

Und Josephine – was wollte ihr Entfärben. sagen, als ich erzählte, daß der Fürst mich erziehen lasse, und als ich ihr meinen Herrn Professor nannte? Stand sie in irgend einem Verhältniß zu – ich wollte kein Majestätsverbrechen begehen, darum dachte ich in meiner Unschuld den Gedanken nicht aus; oder hatte mein Herr Professor ex errore calculi irgend einen Theil an ihr? – – Wir löste mir die Räthsel? Es kam mir vor, als segle ich zwischen Calofaro und La Rema, der Scylla und Charybdis der Alten, ohne Steuer und Lootsen; denn ich schwankte mitten inne zwischen dem Fürsten, der alten Gräfin, Josephinen, ihrem Moritz und meinem Herrn Professor! Wer hielt mich in diesem gefährlichen Meerstrudel! ich fühlte schon, wie das Schifflein meiner Lebensglückseligkeit bei der ersten beßten Gelegenheit in den Abgrund werde hinabgeschleudert werden, und sah aus diesen rings mich umgebenden Klippen nirgends einen Ausweg.

Die Schloßglocke schlug eilf; ich legte beide Hände mir auf die Brust, sagte, mich ermuthigend: vorwärts! und stand vor der Thüre des Herrn Kammermusikus Schalloch.

Im Wahne, den gemeldeten Grafen Gorm zu empfangen, überhäufte mich der Virtuos mit Höflichkeiten und Complimenten. Ich habe mich immer bemüht, den Glücksgütern, die ich nicht besitze, die Kehrseite abzugewinnen, um meine Lüsternheit darnach zu dämpfen, und dadurch die Zufriedenheit mit dem, was mir der liebe Gott beschieden, zu begründen. Eine solche Kehrseite für Personen von höherer Geburt ist unter andern auch die, daß sie selten die Leute gewöhnlicher Herkunft, mit denen sie zu thun haben, so kennen lernen als diese wirklich sind. Vor dem Höheren bückt sich jeder so tief, daß dieser ihm kaum in das Gesicht sehen kann; vor ihm erscheint jeder im Festkleide; vor ihm spricht jeder in gesuchten ihm nicht eignen Worten; vor ihm will jeder besser scheinen, als er wirklich ist; daher werden die Großen in der Regel immer mehr hintergangen und betrogen als die Kleinen; daher erfahren die Großen selten die Wahrheit, und lernen selten die Welt und die Menschen kennen; am wenigsten glückt es ihnen, die guten herauszufinden, weil diese die Kunst des Vordrängens nicht verstehen, und sich lieber bescheiden zurückziehen. Das alles fiel mir jetzt, meinem neuen Hornlehrer gegenüber, nicht ein; daher berühre ich es auch nur beiläufig. Hier war mir nur hauptsächlich darum zu thun, im möglichsten Incognito zu bleiben. Die Unbesonnenheit, unter dem Namen des Grafen Gorm aufzutreten, war einmal begangen; um ihr indessen keine mir nachtheiligen Folgen zu lassen, bedung ich mir vom Herrn Schalloch aus, daß er von meinem Unterricht keinen Menschen sage; ich wolle, wendete ich vor, einige Freunde und Verwandte mit meinem Hornblasen überraschen, daher solle und dürfe er niemand davon unterrichten, auch sey dies die Ursache, daß ich hier bei ihm, und nicht in meinem Hause Stunden nehme, weil ich dort die Besuche der Meinen zu fürchten habe.

O, wie glatt dem Menschen doch die Lüge von der Zunge geht, wenn er die Wahrheit einmal umgangen hat.

Der Unterricht begann. Der Herr Kammermusikus entschuldigte die Gegenwart der zwei kleinen Kinder mit dem beschränkten Raume. Die Rangen saßen nämlich vor einem schwarzen Tiegel und frühstückten Griesbrei. Ich versicherte mit ziemlich gräflicher Herablassung, daß dies nichts zu bedeuten habe, daß ich vielmehr ein Kinderfreund sey, und die Anwesenheit der lieben Kleinen mich nicht im mindesten stören werde.

Der glückliche Vater reichte mir darauf ein ächtes Corno di Caccia; ich setzte an, und der knechtisch gesinnte Künstler pries mein Abouchè, meinen Ton und meine Manier, als sey ich der erste Meister, und doch blies ich so grauenvoll, daß ich mir selbst hätte die Ohren zuhalten mögen; die beiden kleinen Schallöchelchen krähten auf, und so führten wir ein Terzettchen aus, daß ich fürchtete, die ganze christliche Nachbarschaft werde auf der Stelle den Katzenjammer bekommen.

Zu Hause sagte ich natürlich von meinen Hornversuchen kein Wort. Ich wollte, meinte ich, zur Entschuldigung meines Heimlichthuns, gegen mich selbst, meinen Freunden eine heimliche Freude machen. Im Sommer bewohnten wir vor dem Thore ein Gartenhaus. Konnte ich mich aus meinem Instrumente ordentlich hören lassen, dann wollte ich schon einen Begleiter ausfindig machen, und dann sollte Lina und Gustchen wohl Freude haben, wenn ich ihnen, bei stillen Abenden, im Freien ihre Leibstückchen vorbliese.

*

Hier nehme ich mir die Freiheit, einen Abschnitt in der Mittheilung meiner Lebensgeschichte zu machen; den zweiten Theil, denke ich, in kurzem liefern zu können.

Begegnet Dir, freundlicher Leser, bis dahin, ein junger, schuldloser und mit der Welt so unerfahrner Mensch, als ich es in dieser Periode war, so nimm Dich seiner wohlwollend an; suche sein Vertrauen Dir zu gewinnen, und halte ihn, daß er nicht strauchle. Die schönsten Blüthen unserer jungen Männerwelt werden oft taub, d. h. sie bringen keine Früchte, weil wir sie nicht pflegen. Eltern, deren Söhne das Vaterhaus verlassen, können keinen dringendern Wunsch haben, als daß der Himmel diesen gute Menschen, wohlmeinende, berathende Freunde auf den langen Lebensweg mitgeben möge. Die beßten Schutzgeister dieser Art sind sittliche Frauen und Mädchen. Mir wurden es Lina und Gustchen.


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