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5.

Die Schleppe.

Mit schwärmerischem Entzücken hing mein Blick an den sich mir vor der Nase wiegenden Knospen; da fuhren mir drei bis vier Paar Beinkleider von hinten zwischen die Arme; der Topf glitt mir aus den Händen, stürzte vor mir hin und zerplatzte in tausend Stücken; in demselben Augenblick erhielt ich meuchlings einen so ungeheuern Puff, daß ich vorn überschoß, zwei, drei Schritte weit, über meinen unglücklichen Rosenstock wegpurzelte, der Länge nach hinfiel, und unter mir nichts als Westen, Pantalons, Fraks und dergleichen fühlte. Auf mir aber lag eine Riesenlast; Geschrei und Gelächter erscholl von allen Seiten, und aus dem Gräfl. Gormischen Pallaste, vor dem ich eben vorbeigegangen war, rasselte eine prächtige Equipage. Alles brüllte: halt! halt! die Pferde standen; ich arbeitete mich aus der unbegreiflichen Garderobe heraus; wälzte die unbekannte Größe vom Rücken, blickte nach meinem Rosenstock und dachte, der Schlag sollte mich auf der Stelle rühren, denn er lag quer vor dem Thore des Pallasts; die Equipage war darüber gefahren, und hatte Knospen, Blätter, Zweige, mit einem Worte alles zertrümmert.

Aus dem Wagen sah ein Engels-Mädchen und lachte.

Ja, ich mußte jetzt selbst mit lachen, als ich sah und erfuhr, wie das alles gekommen war.

Während ich mit meinem Rosenstock zärtlich und behutsam, und die Augen freudig auf seine Knospen-Pracht geheftet, vor dem gedachten Pallast vorbei gehe, stampfen eben ein Paar mächtig große, wilde Pferde im Thorwege, und sind im Begriff, mit ihrer Gebieterin in der glänzenden Karosse, heraus zu stolziren. Ein Trödeljude, der mir auf dem Fuße folgt, denkt, die beiden großen schäumenden Thiere werden ihn in den Staub treten, und ihm, sammt seinem fliegenden Kleiderschranke auf Arm und Achsel, den Garaus machen; Er drängt und schiebt also mich, seinen Vordermann, in der Angst vorwärts; ich erschrecke über die Pantalons, die mir bei der Gelegenheit unter die Arme geklemmt werden, lasse den Rosenstock aus den Händen fallen, stolpre darüber weg, will mich halten und kann nicht und purzle am Ende zu Boden; der alttestamentarische Kleiderhändler aber, den die Ruinen meines Rosenstocks zu Falle bringen, schlägt seine Lerche dicht hinter mir, plumpt im Augenblick, wo ich stürze, mir auf den Rücken, und schüttet sein ganzes Waarenlager so jähling über meinen Kopf, daß die Garderobe noch eher auf die Erde kommt als ich.

Der Jude, dem kein Finger gekrümmt war, jammert, als wär' er seines ganzen zeitlichen Glücks verlustig gegangen, blos, weil seine Haderlümpchen dem Straßenkothe ein wenig zu nahe gekommen waren.

Er warf die ganze Schuld auf mich und meinen seligen Rosenstock; meinte, daß er, ohne meine Dazwischenkunft, nicht gefallen wäre, und drang auf Schadenersatz, Schmerzengeld und Versäumnißgebühren. Der Unchristliche verlangte drei Thaler; lieber Gott! ich konnte nicht über einen blutigen Heller gebieten. Aber ich mußte doch lachen.

Das junge, schöne Mädchen im Wagen zog ihr goldig-glänzendes Börschen, rief den Juden an sich, und gab ihm einen Dukaten. Dazu sagte es unter lautem Lachen: Aber nun geh' auch, und laß den armen, jungen Menschen in Ruh', denn der ist ganz unschuldig; ich, ich allein war die Ursache des Unfalls.

Der Jude bückte sich bis zur Erde, und dankte der allergnädigsten Gräfin. –

Also eine junge Gräfin Gorm war der wunderholde Unhold, der mir meine Freude, meine Hoffnung, mein sauer erworbenes Gut so schrecklich vernichtet hatte? – Und doch, – war es der Respekt vor der Gräfin, oder die Zaubergewalt dieses himmlischen Blondchens, – doch konnte ich dem gräflichen Rabenkinde nicht zürnen, ich bückte mich – sie hatte mich ja von den lästigen Ansprüchen des Trödeljuden befreit, – tiefer noch als dieser, ob ich gleich weder Schmerzengeld, noch Entschädigung bekommen hatte.

Sie winkte mir jetzt an den Wagen, wollte mich sprechen, konnte vor Lachen nicht, schämte sich dieses Reizes, hieß den Kutscher fahren und entschwand meinen Augen.

Wohl wurmte mich das; – aber, als ich mich recht besah, fand ich das Kichern der siebzehnjährigen, lebenslustigen Gräfin natürlich. Hinten hing mir am Rocke ein Paar rothgestickter Husarenhosen, und an diesen eine weißatlassene Bratenweste; beide waren immer hinter mir drein geschwänzelt, ohne daß ich es, mit meinem Unglück, mit dem Juden und der Gräfin viel zu viel beschäftigt, gewahrt hatte, und eben jetzt, da ich mich dem Wagen der Gräfin näherte, badete sich der Zipfel meiner Schleppe, die weiße Atlasweste, in einer molkigen Straßenpfütze. Ich hätte es noch nicht gemerkt, wenn nicht der Jude, der bis jetzt auf das Pack seiner Kleider, die Gräfin und den Dukaten die Augen gehabt hätte, mir in Rücken und Flanke gefallen wäre und ein neues Klagelied angestimmt hätte. Er entschleppte mich, rang die Atlassene über der Pfütze aus, die Hände über dem Kopfe, und foderte nun von mir den Werth der Weste, für die er selbst zehn Thaler gezahlt haben wollte. Ich war mehr todt als lebendig. Aber die Umstehenden hielten Gericht.

Ein Bierschröter – ich werde das Bild dieses Gottgesandten nie vergessen; eine Brust, wie die große Glocke in Erfurt; eine Stimme, wie der Donner im Gebirge, und eine Faust, gegen die eine Löwenklaue oder eine Bärentatze zum Kinderpatschchen ward – stellte sich zwischen uns. Der Mensch hatte bestimmt weder die Institutionen noch die Pandekten gelesen, aber er hätte unbedingt der Chef jeder Gesetz-Commission werden können, einen so klaren Sinn hatte er für das Recht, und so deutlich verstand er sich auszudrücken; seine Festsetzungen bedurften keiner anderweiten Edikte und keiner Erklärungen.

Trödelsatan, sagte er, und faßte meinen Quäler an der Brust: das Weibsen im Wagen hat dir zehnmal mehr gegeben als du verdientest. Für seinen Rosenstock hat der Mosje hier nichts gekriegt. Du bist eigentlich am ganzen Exzesse Schuld, ich war bei der Geschichte vom Anfang an. Hättest du mit deinen Lappen dich nicht auf ihn gehuckt, so lebte der Rosenstock noch. Für deine Weste hast du in der letzten Auktion sechs Groschen gegeben, ich stand neben dir, als sie dir dafür zugeschlagen ward; also nur nicht gemuckt – Mosjechen, gehen Sie in Gottes Namen, der Hallunke hat von Ihnen nichts zu fodern.

Beide Partheien appellirten nicht, und so ward das Urtheil rechtskräftig.


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