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11.

Das Ballet

Ein Corps Genien, denn Menschen waren das nicht, flog auf die Bühne. Vier und zwanzig der schönsten Mädchen und jungen Leute.

Das vermaledeite Ballet, brummte die Köchin: das ist noch meines Herrn Tod! Sie nippte an dem Rest des Doppelkümmels, den ihr der trockene Hofnotenschreiber in der Flasche gelassen, und sah vor reinem Kunstärger gar nicht hin; ich aber und der Schneider erklärten dieß für das Beßte, und ich riß die Augen weit auf, denn ich erkannte unter den Mädchen viele, die ich bei Herrn Viktorieux in der Tanzstunde gesehen hatte.

Jetzt bildeten die Genien einen Halbkreis, und mitten unter sie schwebte aus dem Hintergrunde eine Himmelsgestalt. Es war Psyche.

Das ganze Haus klatschte bei dem Auftreten dieses leichtgeflügelten Götterkindes. Die Reizende flog mit ätherischer Behendigkeit bis an's Proscenium, breitete beide Schwanenarme gegen das Parterre, ruhte auf der Federkraft ihres Zehenspitzchens, und lächelte mit lieblicher Freundlichkeit in das Haus. Da hielt sich Niemand länger; alles was Hände hatte, klatschte, und ich erkannte Josephinen.

Auch mich, bildete ich Dünkelvoller mir ein, auch mich mußte Josephine wieder erkannt haben, denn ich gewahrte mit geheimer, unaussprechlicher Freude, daß der Strahl ihres großen himmelblauen Auges mich in dem hintersten Winkel meines Paradieses traf, und wähnte, daß sie über den Zufall, mich so unvermuthet wieder gefunden zu haben, um eins so freundlich geworden sey. Ich nickte ihr aus meinem stillen Verstecke, hinter dem Schneider und seiner Dicken, mit süßen Liebesblicken zu; aber sie dankte nicht, denn eben kamen ihre Aeltern, der Sonnengott und Endelechia, und setzten ihr durch Pantomime auseinander, daß Venus, auf ihre Schönheit neidisch, den Amor beauftragt habe, ihr Herz einem häßlichen gemeinen Menschen zuzuwenden, daß sich Amor bereits nähere, und Psyche daher auf ihrer Hut seyn solle.

Die Aeltern verließen mit dem Gefolge die Bühne, und ließen – obschon der Sonnengott alt genug war, um zu wissen, wie es in der Welt hergehe – das süße Flügelkind allein.

Amor kam. Er nahte grämlich, hatte aber kaum die himmlische Psyche in das Auge gefaßt, so war er weg, rein verloren. Statt ihre Neigung einem Andern zuzulenken, fischte der Patron das Mädchen für sich selbst weg, und Josephine – der Blitz der Eifersucht zuckte mir durch alle Glieder – kam ihm viel zu schnell entgegen. Amor erschien, nach der heutigen Sitte der Großen, wenn sie auf schlimmen Wegen gehen, incognito. Sie wußte also nicht einmal recht, wen sie vor sich hatte, noch, ob das der wäre, vor dem sie die Aeltern gewarnt hatten, und doch that sie gleich mit ihm so freundlich, war gleich so hingebend, daß ich sie, in meinem preßhaften Winkelchen, gar nicht begreifen konnte. Beide tanzten ein kunstreiches pas de deux. Alles klatschte sich wieder die Hände wund, und schrie die Hälse heiser; ich mochte und konnte kein Glied rühren. Der Vorhang fiel und mir der Muth.

Im zweiten jetzt beginnenden Akte zog Papa Sonnengott das Orakel über das Schicksal seiner Tochter zu Rath. Das Unbegreifliche that einen schrecklichen Ausspruch: Psyche, tönte es tief aus der Erde herauf: Psyche ist einem geflügelten Drachen zur Braut bestimmt, führe sie auf die Gipfel der Berge, dort wird ihr Bräutigam sie finden. – Ein Donnerschlag, der mir und der Köchin das Herz durchbebte – denn wir beide schrieen zu gleicher Zeit auf – rollte furchtbar über uns hin, und ich hätte verzweifeln mögen, denn der Sonnengott gehorchte und führte, statt das geliebte Kind in seinen Sonnenwagen zu nehmen, und mit ihm über alle Berge zu fliegen, die unglückliche Josephine, in einem prachtvollen Trauerzuge, auf die Spitze eines Felsen.

Dieser, nun von allen verlassene Engel, dort auf dem Gipfel des öden himmelanstarrenden Felsen, sollte einem Drachen geopfert werden. Ihre Thränen, das Ringen ihrer Lilienhände, das stürmische Wogen ihres qualerfüllten Busens, der irre Blick, mit dem sie rund umher fragte, ob keiner sey, der sie errettete – nein, ich hielt es nicht länger aus – aber allein konnte und wollte ich das Wagstück nicht unternehmen. Helfen Sie doch! sagte ich zum Schneider gewendet und setzte ihm Josephinens dringende Noth und meinen Entschluß, sie dem Drachen zu entreißen, mit kurzen Worten aus einander.

I da muß eine alte Wand wackeln! entgegnete der erbetene Bundesgenosse mit Hohngelächter, und lispelte leiser seinem Idol in's Ohr: der ist wohl verrückt.

Ja, ich war es gewesen! Josephinens Pantomimenspiel hatte mir auf einen Augenblick den Verstand geraubt; sie hatte den Schmerz, die Verzweiflung so wahr, so täuschend dargestellt, daß ich nicht mehr Josephinen, daß ich Psychen selbst sah. Ich schämte mich jetzt vor dem Schneider und seinem Abgott, vor dem Hofnotisten und der Köchin, die sich alle, eins nach dem andern, über meine Dummheit, wie sie es nannten, zu Tode hätten lachen mögen; aber ich schämte mich nicht vor mir selber, noch weniger vor Josephinen. Ihrem Meisterspiel war, sollte ich meinen, meine bis zu diesem Grade gesteigerte Vergessenheit die tiefste Huldigung.

Ich war zwar durch des Nadelhelden ablehnende Antwort, auf meine Aufforderung zur Hülfe im Drachenkampfe, wieder zu mir selbst gekommen; ich wußte jetzt wieder Josephinen von Psychen zu trennen; allein es bangte mir doch vor dem Augenblick, wo der Orakeldrache herbeifliegen werde, um seine Beute durch die Lüfte zu führen.

Es ereignete sich etwas noch viel Schlimmeres als das Gefürchtete.

Psyche sank, von Weinen und Jammer über ihr grauenvolles Loos, erschöpft auf das Moos des Felsengipfels nieder, und schlummerte, eingelullt von den Zaubertönen des Orchesters, allmählig ein. Sie hatte kaum die thränenfeuchten Augen geschlossen, als die Musik in ein leichtes tändelndes Tempo überging; der Himmel, an dem sich, diesen ganzen Akt über, schwarze Donnerwolken, vom wilden Sturmwinde gepeitscht, umhergejagt hatten, heiterte sich auf; das Meer, das in grausender Brandung die weißschäumenden Wellen an das schroffe Felsenriff geschleudert hatte, ebnete sich jetzt zur glatten Spiegelfläche; der brausende Orkan, der mit schrecklichem Geheule bis dahin zu vernehmen gewesen war, legte sich alsbald, und immer klarer und heiterer ward der unermeßliche Horizont, an dessen fernsten Säumen das Gold der sinkenden Abendsonne, die ruhig gewordenen Fluthen in unbeschreiblicher Schönheit überpurpurte.

Jetzt kommt der Drachen-Bräutigam! sagte alles, und der lederherzige Schneider rieb sich vor heimlicher Freude über das nun beginnende Spektakel, die dürren Knochenhände zwischen den Knieen.

Weit, weit über der hohen See schwebte etwas in den stillen Abendlüften herauf, was immer größer ward, und immer näher kam, aber doch immer noch so entfernt war, daß es kein Mensch recht deutlich erkennen konnte. Die Köchin hielt es für einen Flug Gänse, der Hofnotist für Kiebitze, die Dicke meinte, es wären Klapperstörche, der Schneider aber hatte die bestialische Idee, daß ein ganzes Drachennest ausgeflogen wäre, und die Braut heimführen werde.

Sie hatten sich alle getäuscht. Kleine allerliebste Amoretten waren es, die mit zarten Rosengewinden durch die milden Lüfte heraufschwebten; in ihrer Mitte der leicht geflügelte Zephyr, ein wunderschöner goldgelockter Jüngling. Er allein flog auf den Gipfel des Felsen; sein schäkerndes Gefolge aber umkreiste, mit taubenähnlichem Schwirren der bunten Fittiche, das Mooslager der süßen Schläferin, auf der von der Abendsonne beleuchteten Felsenspitze.

Zephyr gab sich, durch verständliche Zeichensprache als Amors Gesandten zu erkennen. Sein Creditiv war ein mit Lilien und Vergißmeinnicht umwundener Pfeil. Sein Auftrag, zeigte er, war, dem Drachenbräutigam zuvor zu kommen, und Psyche in Amors wartende Arme zu entführen, wenn Psyche, wie seinem Gebieter bei dem ersten Begegnen habe bedünken wollen, diesem auf Gegenliebe Hoffnung mache. Dieß zu ergründen, solle er sich des Pfeiles bedienen. Setze er diesen der Schlafenden auf die Brust, und sie lächle, so sey die Sache richtig.

Er tanzte jetzt, aus Zufriedenheit mit sich selbst, und gleichsam im freudigen Vorgefühl des Gelingens, ein Solo, daß allen Leuten die Haare zu Berge stiegen, denn er sprang auf einen kleinen Vorsprung des Felsen heraus, der über dem Abgrunde hing und so schmal war, daß er kaum mit einem Fuße darauf Platz hatte. That der Tollkühne einen einzigen Fehltritt, so stürzte er unrettbar herab; denn wer da herunter fiel, konnte schwerlich ein Glied rühren.

Daß Du den Hals brächst! dachte ich im Stillen, und knirschte heimlich mit den Zähnen, denn die verführerischen Schmeichelkünste dieses lieblich gestalteten Zephyrs, und seine Amorettenbande, waren Josephinen weit gefährlicher, als der ihr zugedachte Drache. Gegen diesen hätte sie, im Abscheu vor seiner Häßlichkeit, sich gewehrt und im schlimmsten Falle ihr Leben daran gesetzt; wie aber konnte die Unerfahrne den Lockungen widerstreben, mit denen der zauberreiche Amor, der mit lauwarmen Westwinden sie umspielende Zephyr, und seine in allen Teufelskünsten der Liebelei erfahrenen buntgefiederten Helfershelfer sie berückten?

Vielleicht lächelt sie nicht, sagte ich mir tröstend, und baute auf das Orakel des weisen Apollo, und auf meinen innern Glauben, daß die Tugend eben so gut Josephinen, ihren Schützling, auf dem Felsenneste da oben mit ihren Schutzgeistern unsichtbar umstellen könne, als sie jetzt von den leichtsinnigen Dienern der Liebe umflattert werde. Nach der gelehrten Auseinandersetzung des Hofnotisten, welcher seine mythologischen Kenntnisse aus dem Opernbuche geschöpft hatte, war Apulejus der erste gewesen, der uns die Mythe der Psyche, wie sie uns der Balletmeister darstellte, erzählt hatte. Ich verstand den sinnvollen Lateiner recht gut; der geflügelte Drache, den das Orakel verkündet hatte, war niemand anders, als der abscheuliche Amor selbst; kann etwas drachenähnlicher seyn, als Liebe dieser Art? und das Geflügelte deutet ja offenbar auf den federleichten Leichtsinn, mit dem diese gefährliche Liebe über alle Verhältnisse, Bedenklichkeiten und Grundsätze wegsetzt.

Meine Besorgniß war leider nur zu gegründet.

Zephyr endete sein Solo mit dem Wagstück, daß er sich draußen auf dem schwindelhohen Felsenvorsprung, wie eine Spindel, zehn, zwölfmal hintereinander, auf einem Fuße blitzschnell herumdrehte, dann auf demselben Fuße, vorn ein wenig übergebeugt, die Meerestiefe unter sich, in schwebender Stellung, eine Weile stehen blieb, und mit schalkhafter Miene zu verstehen gab, daß er nun mit seinem Pfeile Psyche's Liebes-Geheimniß erforschen wolle.

Er setzte, unter leiser Begleitung eines köstlichen Flöten-Solo's, die goldene, haarfeine Spitze des blumenumwundenen Pfeiles, heimlich auf die Schwanenbrust der schlafenden Psyche – und Psyche lächelte mit geschlossenen Augen in süßer Verzückung!

Das sündige Parterre klatschte; mir brach das Herz, Josephine war verloren. Lieber zu hundert Drachen, als zu einem Amor.

Zephyr freute sich seines stolzen Sieges, und die kleinen Amorettenteufelchen flatterten mit höllischer Schadenfreude heran, schlangen um das Mooslager der reizvollen Schläferin ihre Blumenketten, und schwebten, den heillosen Zephyr an ihrer Spitze, mit dem unglücklichen Opfer des liebedurstigen Amors, über des Meeres unermeßlichen Spiegel, durch die stillen, dunkelnden Lüfte davon.

Der Vorhang fiel. Ich dachte, das entzückte Publikum würde das ganze Haus aus einander klatschen. Die Welt liegt im Argen.

Ich mochte keinen Akt weiter sehen. Psyche wird, nach des Hofnotisten Mythenlehre, die er uns im Zwischenakte vortrug, von den spitzbübischen Genien, in Amors Rosentempel getragen; dort empfingt sie der Liebesgott mit allem, was nur irgend den Sinnen schmeicheln kann; sie sinkt, von der Macht seines Reizes bethört, aus den Blumenfesseln der Amoretten, in seine umfangenden Arme, und er feiert, die schöne Drachenbraut an seinem liebeglühenden Herzen, den glorreichsten Sieg frevelnder List; – sollte ich des Allen Zeuge seyn?

Ans Furcht vor der Mutter, erzählte der Hofnotist Apulejus secundus weiter: setzt Amor diese Besuche nur des Nachts fort; er kommt bei Lunens verschwiegenem Lichte, und drückt auf Psyche's süße Lippen den Scheidekuß, wenn Aurora mit ihren Rosenfingern den Horizont erhellt. – Das Alles sollte ich mit ansehen?

Noch immer, fuhr der Notenprofessor fort: weiß Psyche nicht, daß es der Gott der Liebe ist, welcher der Unschuld Lilien aus ihrem Blüthenkranz geraubt; sie hat, weil er nie anders, als in den Mantel der Nacht gehüllt, ihr Rosenlager theilte, ihn noch nicht einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen. – Giebt es, dachte ich im Stillen, eine deutungvollere Mythe auf die verächtliche, bloß materielle Liebe. – Doch, die Neugierde, die schon seit Deukalions Zeiten, ein Erbtheil der Mädchen war, läßt Psyche nicht länger rasten; sie benutzt den Augenblick, wo Amor, von ihren Reizen süß berauscht, an ihrer Seite eingeschlummert ist, steht vom blumenduftigen Lager auf, holt ihre Lampe, und schleicht sich heran, um den geliebten Verführer unbemerkt zu belauschen. Das Händchen vor die heimlich flackernde Flamme haltend, nähert sie sich dem Schlafenden, und erkennt den schönsten der Himmelsfürsten, den Liebesgott selbst. Sie erbebt vor freudigem Schreck; ihre Hand zittert; ein Tropfen heißes Oel fällt auf die blendend weiße Schulter des göttlichen Schläfers; er erwacht, sieht sich verrathen und entflieht.

Der Vorhang rollte jetzt zum dritten Akte auf. Josephine, im Rosenpallaste des Glücklichen, lag, von tausendfältigem Liebreiz übergossen – – ich konnte nicht hinsehen; alles Blut schoß mir in die Augen; es brannte mir eine Glut im Gesichte, als stehe das ganze Haus in Flammen, und eine so angstvolle Hitze preßte mir die Brust, daß ich erstickt wäre, wenn ich noch eine Minute ausgehalten hätte. Ich stürzte halbtodt aus dem Höllenparadiese, stürzte die Treppe hinab, und gewann erst im Freien, auf der Straße, den Odem wieder.


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