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16.

Das Zeugenverhör

Die Gräfin hieß mich in das anstoßende Kabinet gehen, zu dem eine Glasthüre führte; dort sollte ich mich hinter den Vorhang, der draußen vor den Glasscheiben befindlich sey, stellen, und unbemerkt die genannten Personen sehen.

Jetzt merkte ich Unrath. Am Ende verdroß es die Alte, daß der junge Herr mit der jungen Frau ausgefahren war, und nun sollten die Domestiken, und vielleicht gar die Kinder selbst, darüber zur Rede gesetzt werden. Das konnte verdrüßliche Folgen für mich haben; ich verbat mir also dringend die Ehre des Lauschwinkelchens, und wollte mich, selbst mit der stillschweigenden Verzichtleistung auf das Glück, meine kleine Gräfin zu sehen, ganz gehorsamst verabschieden.

Die alte Gräfin aber wußte mich festzuhalten. Sie sind, hob sie weich und mit verbissenem Schmerze an: wie ich aus Ihren Aeußerungen entnommen, ein rechtlicher junger Mann. Es kann Ihnen also nicht gleichgültig seyn, einer Groß-Mutter, die Gefahr läuft, ihren Enkel zu verlieren, in dem Streben, ihn sich und der Tugend zu erhalten, nach Kräften beiständig zu seyn. Weigern Sie sich nicht, mir den Liebesdienst zu thun, um den ich Sie bitte. Sie öffnete mit diesen Worten die bewußte Glasthüre, und ich ging in meinen Versteck, weil ich, armer Junge, der reichen Gräfin nichts abschlagen durfte, und wenn ich es auch gedurft, der bekümmerten Alten nichts abschlagen konnte.

Ich ahnte den Zusammenhang der ganzen Geschichte; aber es lag mir jetzt selbst daran, ihn vollständig zu enthüllen.

Die Gräfin klingelte, die Zofe kam, jene gab ihr leise Befehle.

Nach einer geraumen Zeit erschien der junge Mann, der gestern Abend die junge Gräfin zum Wagen begleitet, sie umschlungen und sich mit ihr eingesetzt hatte, davon gefahren war, und dem ich nachher wieder, auf dem Rückwege nach dem Opernhause, begegnete.

Er sah noch verschlafen und trübäugig aus, küßte der Gräfin die Hand, erhielt von ihr mehrere Briefe, um sie alsbald zu beantworten und ging.

Kannten Sie den? fragte die Gräfin und rief mich in das Zimmer zurück.

Ich erzählte, was ich von ihm wußte, und setzte hinzu, daß ich ihn für den Herrn Grafen Gorm halte.

Ja, das ist mein Enkelkind, entgegnete sie mit gebrochener Stimme, winkte mir, mich wieder hinter meine Glasthüre zu ziehen, und saß mehrere Minuten sehr bewegt vor ihrem Büreau, in tiefes Nachdenken verloren. Darauf klingelte sie wieder; dem eintretenden Kammermädchen flüsterte sie wie vorhin in's Ohr, und kurz darauf trat Markus der Kutscher mit zwei Bedienten ein.

Sie gab jedem einen unbedeutenden Auftrag, und rief, als sie abgetreten waren, mich wieder in das Zimmer.

Ich nannte ihr den Kutscher Markus, versicherte, der Wahrheit gemäß, daß der eine Bediente die Fackel gehalten, und der andere die Stufen des Wagentrittes aus einander geschlagen habe.

Abscheulich, rief sie, und das gelbblasse Gesicht röthete sich dunkel, und das tiefliegende schwarze Auge rollte glühend.

Ich bedarf Ihrer noch, sagte sie nach langer Pause, in der sie etwas ausgebrütet zu haben schien. Sie haben mir und der Ehre meines Hauses einen großen Dienst geleistet; rechnen Sie auf meine Dankbarkeit. Wessen sich eine Gräfin Gorm bisher annahm, der hat über sein Geschick noch nicht klagen dürfen. Gehen Sie, ich bitte Sie darum, auf Ihren Platz zurück.

Sie hatte zwar gesagt, ich bitte Sie darum! aber ihre Manier, ihr Ton war dabei so gebieterisch, daß ich hinter den Fenstervorhang zurück flog.

Die Großen und die Reichen haben außer den zeitlichen Glücksgütern, mit denen sie der Zufall beschenkte, noch einen großen, unsichtbaren Schatz, den sie zu ihrem Vortheil eben so zu benutzen wissen, wie der Kaufmann den Credit; ich meine die Höflichkeit. Wenn der Tieferstehende, der Arme, vom Großen und Reichen um eine Gefälligkeit höflich angesprochen wird, so drängt die Eitelkeit, – oft und in der Regel aber auch die Artigkeit, die Achtung, die Gutmüthigkeit – den Niedern, den Aermern, das Geforderte zu leisten, selbst, wenn es wider sein Gefühl, wider seinen Vortheil seyn sollte. Viele Große und Reiche kennen diesen Kunstgriff recht gut, und bergen ihren hochmüthigen Dünkel, wenn sie der Dienste ihrer Mitmenschen bedürfen, unter der heuchlerischen Maske der Humanität, der freimüthigsten Herablassung; bezahlen die erhaltenen, oft mit schweren Opfern gebrachten Leistungen mit einem flachen Komplimente, und lachen den Narren, der die falsche Scheinmünze für Gold genommen, recht herzlich aus.

So sprach einmal der Magister Wunderlich, welchen der Herr Professor angenommen hatte, um mir in der Religion, Moral und in den Regeln über den Umgang mit Menschen Unterricht zu geben, und mir fiel dieser Satz, den ich damals dreimal abschreiben mußte, um mir ihn recht fest einzuprägen, jetzt vor die Augen. Zwar hatte der Herr Magister auch noch hinzugefügt, daß es auch Große und Reiche gebe, welche aus angeborener Gemüthlichkeit, aus Rechtlichkeit, und ohne eigennützige Nebenansichten, gegen den Niedern und Aermern eben so freundlich, artig und herzlich wären, als gegen Leute ihres Gleichen; aber solche ausgezeichnete Menschen wären halbe Engel und darum selten. Doch dieser ganze Zusatz wollte mir hier nicht recht einleuchten, wenigstens ward es mir schwer, aus der gelben Gräfin in der wattirten französischen Kapuze, einen halben Engel herauszufinden.

Die Gräfin klingelte; das Kammermädchen trat ein; die Alte rief: Graf Moritz! Das Mädchen trat ab, und in wenigen Minuten kam der junge Graf.

Die Groß-Mutter ließ ihn lange stehen und warten; sie that als schriebe sie; aber sie kritzelte nur zum Schein auf einem Papier herum; sie schien sich zu dem bösen Auftritt vorzubereiten.

Dem jungen Grafen mochte die Zeit am Ende lang werden; er räusperte sich ein wenig, um der Groß-Mutter ein Zeichen zu geben, daß er da sey.

Ich konnte daraus abnehmen, daß die Alte nicht mit sich spaßen lasse, und ihre Enkel-Kinder gewaltige Furcht haben mußten. Wo solche Furcht aber ist, da ist kein Vertrauen. Ich wäre zur Groß-Mutter herangegangen und hätte gesagt: Mütterchen, was willst Du? Du hast mich rufen lassen. – Der junge Graf aber stand wie eine Bildsäule; er rührte sich nicht.

Endlich richtete die alte Frau sich lang auf, ging festen Blickes auf ihn zu, und fragte ihn: Wo bist Du gestern Abend gewesen, Moritz?

Ich? gnädige Groß-Mutter? entgegnete der junge Graf ganz unbefangen: in der Oper.

Bist Du nicht früher weggefahren als ich?

Wir sind zusammen nach Hause gefahren, gnädige Groß-Mutter, antwortete Herr Moritz, und schien sich zu wundern, daß die Groß-Mama von so kurzem Gedächtnis sey.

Bist Du, hob sie an, und zitterte vor innerem Aerger: Bist Du nicht vorher noch wohin gefahren, und hast Jemand nach Hause gebracht? Du siehst, ich weiß alles, aber ich will Dein Geständniß als Beweis Deines Vertrauens.

Mütterchen! dachte ich hinter meinem Vorhange, Du spielst ein böses Spiel; Dein Enkel ist verzogen, und wenn Dein Pallast noch zehnmal schöner, und Dein Vermögen noch hundertmal größer wäre, ich möchte nicht an Deiner Stelle stehen. Wer lügt, der stiehlt; Graf Moritz lügt, und er stiehlt auch! Dir Deine Ruhe, sich sein Glück. Jetzt, ja jetzt möchtest Du, daß er sich mit kindlichem Vertrauen an Dich anschmiegte. Das erzwingst Du nun nicht mehr. Dieses Mutterglück hast Du Dir vergeudet auf die ganze Zeit Deines Lebens.

Gnädige Groß-Mama, sagte Herr Moritz mit einer Dreistigkeit, die mich selbst stutzig machte: ich bin bis zu Ende des Ballets im Parket gewesen; ich habe Sie dann aus Ihrer Loge abgeholt, und bin mit Ihnen zu Hause gefahren – ich – ich verstehe nicht, was Sie wollen, setzte er mit einer Art empfindlichen Trotzes hinzu.

Moritz, erwiederte die Alte, und hielt ihre Fassung mit sichtbarer Gewalt zusammen: gehe in Dich und belüge Deine Groß-Mutter nicht; Du kannst, Du darfst dießmal nicht leugnen. Ich weiß bestimmt, daß Du mit einer jungen Dame vom Opernhause weggefahren und nach kurzer Frist, um mich abzuholen, mit dem Wagen wieder zurückgekommen bist.

Ich? fragte der Graf und lachte lustig auf, ich? mit einer Dame? da muß ich doppelt seyn.

Jetzt ward ich selbst ungewiß. Sollte das gestern Abend der Graf nicht gewesen seyn! Aber – er hatte Recht – wahrhaftig er müßte doppelt seyn, wenn das Exemplar, das vor der Groß-Mutter stand, nicht das gewesen wäre, welches mit der Dame gestern vom Opernhause wegfuhr. Daß diese Dame aber eben so wenig, als die, welche bei der Trödeljudengeschichte meinen Rosenstock zerfuhr, eine junge Gräfin Gorm gewesen seyn konnte, fing ich nun auch an, nach und nach einzusehen, und das war eigentlich das, was mich am nächsten anging; denn um die geheimen Liebschaften des jungen Grafen brauchte ich mich nicht zu bekümmern. Mein schöner Traum von der Gräfin Wunderhold zerfloß in sein Nichts, und die Sandalen an dem niedlichen Füßchen, die mir, selbst jetzt in dem gefährlichen Augenblicke, ein wohlwollendes Lächeln abgewannen, führten mich auf die Vermutung, daß meine Psyche-Josephine die junge Taube gewesen seyn könnte, die dem raubgierigen Geier, dem jungen Grafen in die Klauen gefallen war.

Glücklicher konnte die alte Gorm den Augenblick, mich aus meinem Verstecke zu rufen, um mich dem Wüstling gegenüber zu stellen, nicht wählen.

Mit dunkelm Flammenblitz im Auge trat ich, auf den Wink der Gräfin, aus meiner Glasthüre heraus. Eifersucht und das ritterliche Gefühl, die Rechte der gekränkten Unschuld zu verfechten, im leidenschaftlich überwallenden Herzen. Es wird, dachte ich, hier einen harten Kampf setzen; aber Muth! es gilt die Rettung einer Unschuld.

Ich will Dich, hob die Gräfin an: nicht mit den Bedienten unsers Hauses verhören, um Dich vor ihnen nicht zu beschämen; hier, dieser junge Mann, von dessen Zartgefühl ich erwarte, daß er von dem Vorfall gegen niemand Erwähnung thun werde, ist, ohne seine Schuld, Dein Ankläger geworden; er soll jetzt auch gegen Dich zeugen. Sprechen Sie! – Wenn Sie nicht in den Verdacht einer falschen, hämischen Anklage kommen wollen, von der ich keinen Grund absehe, so wiederholen Sie Ihre Aussage von dem, was Sie gestern gesehen haben, hier vor meinem Enkel.

Der Graf durchbohrte mich mit seinem wilden Blicke; ich hätte vielleicht klüger gethan, zu sagen, ich sähe nun, da ich ihm näher stehe, daß ich mich in der Person geirrt; aber das Ehrgefühl, nicht als Verläumder vor der Großmutter zu erscheinen, der Umstand, daß ich ihr vorhin die im Spiele begriffenen Bedienten ganz genau beschrieben hatte, und also jetzt meine Aussage eigentlich gar nicht mehr widerrufen konnte; und endlich die böse Empfindung, daß der Graf die süße, schuldlose Josephine in ein so sträfliches Verhältniß herabgezogen, und ihr Namen, Ehre und Tugend geraubt hatte, bestimmten mich, der Wahrheit die Ehre zu geben, und furchtlos dem Grafen in das Gesicht zu sagen, daß er die Solotänzerin, die gestern im Ballet die Psyche gewesen, zum Wagen geführt, mit ihr wahrscheinlich nach Hause gefahren, und dann zurückgekehrt sey, um die Großmutter abzuholen.

Der Graf schlug ein helles Gelächter auf, und sagte mit fröhlichem Muthe: Nun fängt mir die Sache selbst an, Spas zu machen. Jetzt ersuche ich Sie, gnädige Großmutter, die drei Leute, den Markus und die Bedienten, herein kommen zu lassen, und in meiner Gegenwart darüber zu vernehmen; aber das bedinge ich mir natürlich von Ihrer Gnade aus, daß sie sämmtlich nach dem Verhör gleich ihren Abschied bekommen; denn Sie werden selbst ermessen, daß Personen dieser Art nicht im Hause bleiben können, wenn sie gegen den Sohn im Hause artikelweise vernommen worden sind. Sie – fuhr er mit leichtem Scherz, zu mir gewendet, fort: – können Sich entweder geirrt, oder irgend eine Absicht gehabt haben, mir durch diese Plaisanterie das Höchste, was ich besitze, die Liebe meiner gnädigen Großmutter, zu entziehen. Da Sie mich nicht kennen, und da ich Ihnen nie etwas zu Leide gethan habe, so läßt sich eine solche Absicht bei Ihnen nicht voraussetzen; auch ist schon die offene Gutmüthigkeit, die in Ihrem Gesichte liegt, mir Bürge, daß Sie dieser Vermessenheit nicht fähig sind. Mithin wird wohl die ganze Geschichte, die mir, den Verdruß meiner gnädigen Großmutter abgerechnet, jetzt recht drollig vorkommt, auf einem bloßen Irrthume beruhen, zumal ich die Theaterprinzessin, deren Sie erwähnen, nie anders als auf den Bretern gesehen, auch nach ihrer nähern Bekanntschaft nicht das mindeste Verlangen habe. Sollte Sie – setzte er hinzu, und blinzelte schielend nach dem Karmin, der sich bei Berührung dieses Punktes mir über die Wangen goß, – sollte Sie vielleicht irgend ein Besorgniß um ihre vermuthlichen Rechte auf die in Rede stehende Breterkönigin hieher geführt haben, so können Sie wenigstens die angenehme Beruhigung mitnehmen, daß von mir durchaus nichts zu fürchten ist.

Er machte mir, selbstzufrieden, die Sache auf diese Weise beseitigt zu haben, einen vornehmen Verabschiedungswink, der so viel sagte, als, du kannst nun mit deiner langen Nase abziehen, und ich ging ohne Goldstück, ohne den verheißenen werkthätigen Dank der Matrone, ohne eigentliche Gewißheit über die junge, blonde Gräfin, wie ein begossenes Hündlein zur Thüre hinaus.

Hinter mir, im Zimmer der alten Gräfin, hörte ich den Herrn Grafen noch laut lachen; vor mir, im Vorzimmer, stand das Kammermädchen und hatte alle zehn Finger ausgespreizt, und den Daumen der linken Hand an das Nasenspitzchen gesetzt, um mir, von der Länge der mir angesetzten Nase einen recht anschaulichen Begriff zu geben. Sagen Sie doch, – hob sie an, und stemmte beide Arme lachend unter, – ob Sie von Sinnen sind? oder Erscheinungen haben? oder dem Tollhause entsprangen?

Hier riß mir endlich die Geduld aus; ich schimpfte wie ein Rohrsperling und ging höchst mißmuthig nach Hause. Der höfliche Bediente stand an der Thüre und hielt die Hand auf; da ich ihm aber nichts hinein gab, knurrte er fast wie die Jungfer.


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