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19.

Die Hornstunde

Der Graf riß in diesem Augenblicke die Thüre auf, und hatte einen fröhlichen guten Morgen auf der Zunge, als er mich gewahrte.

Er prallte mit einem lustigen: was der Teufel! drei Schritte zurück. Josephine stellte mich ihm – meinen Namen wußte sie selbst noch nicht – als den jungen Mann vor, dem sie den Rosenstock überfahren habe, und ich machte, das fühlte ich, ein Schaafgesicht.

Du ihm den Rosenstock? sagte er lachend zu Josephine; – wir sind quitt – er raubte mir, bei einem Haare, Dich, mein ganzes Leben! Nun sagen Sie mir um Gotteswillen, Sie Unglückskind! Wer sind Sie? welcher Beelzebub führte Sie heute in unser Haus? und was wollen Sie hier? hier, bei Josephinen?

Die letzte Frage schien ihm die dringendste zu seyn, daher beantwortete ich sie zuerst, und versicherte, hier eigentlich nichts als den Magister Wunderlich gesucht zu haben; Josephine und der Graf lachten laut; jenem schien ich von diesem Augenblicke an nicht mehr gefährlich, und das ärgerte mich ein bischen. Eigentlich hätte ich ihn gern zu wüthender Eifersucht entflammt, da er mich doch am Morgen bis zur Verzweiflung trieb. Auf die erste Frage nannte ich ihm meinen Namen, und auf die zweite erzählte ich, ohne der eigentlich gesuchten jungen Gräfin Gorm zu gedenken, daß ich mich bei der Frau Großmutter für die angebotene Entschädigung, wegen des verlornen Rosenstocks, habe bedanken wollen, und den Zusammenhang des heutigen Auftrittes nur durch die Erörterung begreife, die mir Josephine eben mitgetheilt habe.

Der Graf eröffnete nun Josephinen die Scene des heutigen Morgens mit einer Laune, die mich über mich selbst lachen machte; Josephine stimmte bei und konnte der Verlegenheiten kein Ende finden, die ihm und ihr zu Haus und Hof gekommen wären, wenn der Graf sich nicht mit ungeheuerer Dreistigkeit herausgelogen hätte.

Verkennen Sie mich nicht, sagte er jetzt zu mir gewendet, ernster und mit kindlicher Achtung: daß ich, meiner Großmutter gegenüber, die Wahrheit umging; aber ich konnte nicht anders; ihre Ruhe, meine Liebe, Josephinens Glück standen auf dem Spiel. Meine Großmutter ist eine herrliche Frau, nur – halten Sie das dem Zeitalter, in dem sie geboren ward, und den Vorurtheilen ihrer Erziehung zu gut – nur in einem Punkte sind wir verschiedener Meinung. Wüßte sie, daß ich Josephinen gut wäre, sie grämte sich zu Tode; ich könnte mit den verrufensten Frauen und Mädchen unseres Standes in den zweideutigsten Verhältnissen stehen, sie würde das übersehen, sie würde sich vielleicht sogar im Stillen über das Glück ihres Enkels bei den Damen freuen; aber von dem Himmelsgenuß, dies Mädchen mein zu nennen, hat sie keine Idee. Josephine ist bürgerlicher Abkunft, in ihren Augen ein Unglück; sie ist beim Theater, in ihren Augen ein Verbrechen. Unser vornehmes Gesindel bildet sich ein, etwas recht Artiges zu sagen, wenn es von Theater-Prinzessinnen spricht; um nun mein armes Großmütterchen, das durch Ihre verteufelte Anzeige schon ganz irre an mir ward, wieder in die rechte Bahn zu bringen, mußte ich schon in das Horn blasen, das sie in ihren gesellschaftlichen Kreisen zu hören gewohnt ist, und so habe ich heute auf Dich, meine englische Josephine, recht wacker geschimpft. – Aber Du hast mir noch keinen Morgenkuß gegeben, mein zuckersüßes Kind!

Guten Morgen, Moritz, sagte Josephine, schlang die schönen Schwanenarme um den Grafen, und drückte ihm die frischen Granatlippen so eifrig auf den Mund, daß es mich dringend anfocht, ein Gleiches zu thun, und ich am Ende wegsehen mußte, um nicht Herzweh zu bekommen.

In meinem Exemplar vom Cicero über die Freundschaft stand freilich von derlei Morgenküssen keine Silbe, und mein Glaube an die Unverfälschtheit dieses Freundschaft-Verhältnisses wollte in mir etwas schwankend werden; indessen konnte ich mir nicht läugnen, daß ich in des ganzen weiten Welt nichts hübschers gewußt, und nichts mehr gewünscht hätte, als auch eine solche Freundin zu haben, mich alle Morgen, in einem so niedlich geschmückten Stübchen, von solch einem blüthenweißen Himmelskinde umfangen, und von solchen schwellenden Purpurlippen küssen zu lassen.

Höchst überraschend war es mir in diesem Augenblicke, daß Josephine nach dieser, mir bis in das Mark und Bein gedrungenen Begebenheit, an ihr Bücherschränkchen ging, ein in schwarzen Korduan gebundenes, und mit dem Titel: Marezolls Predigten, versehenes Buch holte, und zum Grafen, auf das Buch zeigend, sagte: Du hast doch Zeit, mein Moritz?

Gleich, Engelskind, versetzte der Graf, zog das weiche, lilienzarte Mädchen an sich, und küßte es auf das fromme, klare Veilchenauge und auf die rosige Wange, daß mir vor Sehnsucht und innerem Grimm, nicht das Nämliche thun zu dürfen, die fünf Sinne fast gänzlich vergingen.

Deine italienische Uebersetzung von gestern will ich auch sehen, und Deine Zeichnung; aber erst müssen wir mit dem jungen Freunde hier in Ordnung kommen. Sie haben mir heute einen bösen Tag gemacht, dafür sollen Sie mir einen Gefallen thun. Haben Sie Lust, das Horn zu blasen?

Das Horn? fragte ich verwundert: in das Ihre vielleicht?

I nun? meinte er lächelnd: es ist halb und halb der Fall. Doch im Ernst; Sie müssen das Horn lernen, ich kann Ihnen nicht helfen; und das für mich. Das Horn ist ein herrliches Instrument; Agrikola, Jomelli, Gluck haben in ihren Composicionen Wunderdinge damit gemacht; doch zur Sache: Der Zufall hat Sie nun einmal in mein Geheimniß eingeweiht, also darf und muß ich mit Ihnen ein Wort im Vertrauen reden. Durch Ihre heutige verdammte Plauderei ist meine gute Großmutter auf die Möglichkeit, daß ich mit Josephinen doch in einer Art von Verbindung stehen könnte, aufmerksam gemacht. Erführe sie nur im Allerentferntesten eine Bestätigung ihres Verdachts, so bewirkte sie durch ihren Einfluß und durch ihr Gold, daß Josephine keinen Tag länger in der Stadt bleiben dürfte. Bei ihrem Argwohn muß ich vermuthen, daß sie mich und meine Gänge beobachten läßt. Josephine muß heute noch ihre Wohnung wechseln. Dies kleine Haus wird nur von wenigen Familien bewohnt; Sieht der, dem es aufgetragen ist, meine Schritte zu bewachen, mich hier oft aus- und eingehen, so erfährt man den Augenblick, wem ich zuspreche. Ich machte daher eine Wohnung im Howardschen Hause ausfindig; das mußt Du miethen, meine Fina; drei Stuben wunderhübsch eingerichtet; in dem Gebäude ist ein Durchgang, vom Opernplatz auf die Herrenstraße, und im Hintergrunde wohnt der Kammermusikus Schalloch, unser beßter Hornist; nun äußerte ich jetzt bereits gegen die Großmutter, das ich große Lust habe, das Horn zu lernen, aber, um ihr in den ersten Anfangstunden die Ohren nicht zu zerreißen, den Unterricht bei dem Lehrer im Hause nehmen wolle. Jetzt also, Freund, gehen sie zu Herrn Schalloch, geben Sie sich bei diesem für mich aus; ich habe mich bei ihm schon vorläufig melden lassen; Sie treffen ihn jetzt zu Hause; besprechen Sie täglich um eilf Uhr eine Stunde für sich, und blasen Sie, was das Zeug hält. Für das Honorar stehe ich; und während dem Sie im Hintergebäude mit Ihrem Schalloch dudeldeien, will ich mir schon, bei meiner kleinen Josephine, Entschädigung für den langen, faden Tag holen, den ich dem Leben in unsern herz- und gemüthlosen Zirkeln opfern muß. Nun können zehne hinter mir drein kommen und aufpassen: die Hälfte muß denken, ich habe das Haus zum Durchgange gewählt, und der Rest, ich sey in meine Lehrstunde gegangen.

Die Hornstunde wird mir wohl Spaß machen, sagte ich lachend, und freute mich im Ernst darüber, denn schon beim Kunstpfeifer in Blaurode hatte ich oft aus eigener Liebhaberei geblasen, daß alle Hunde der Stadt zusammenliefen, und meinen Maestoso-Versuchen jämmerlich beistimmten; allein warum soll ich unter Ihrem Namen mich beim Kammermusikus einführen?

Das ist unerläßlich, entgegnete der Graf: Ihr Lehrer hat monatlich über das gezahlte Honorar zu quittiren; diese Empfangscheine lege ich jedesmal meiner Großmutter vor, dann hat sie schwarz auf weiß und keinen Zweifel. Kaufen Sie sich ein Paar der allerschönsten Inventions-Hörner – er gab mir zwanzig Pistolen – und künftig sprechen Sie nicht über Sachen, die Sie nichts angehen. – Noch Eins – wo wohnen Sie?

Sichtlich entfärbte sich, zu meinem Befremden, Josephine, als ich erzählte, daß ich auf Kosten des gütigen Fürsten, bei meinem Herrn Professor im Hause erzogen werde. Der Graf aber rief mir, beim Lebewohl nach: Vergessen Sie den Hornisten nicht, und schlang lachend beide Arme um sein Mädchen.

Die Stunde, die ich beim Herrn Magister Wunderlich hätte zubringen sollen, war verstrichen; verloren war sie nicht, ich hatte wahrhaftig mehr darin gelernt, als mein guter Magister mich hätte lehren können.


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