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3.

Die Nichte.

Die Nichte sprach, zum großen Schrecken des Herrn Professors, der Rechenkunst allen Werth ab; sie hatte von Euler, Lambert, Kästner, la Grange, le Gendre, Newton und wie alle die Ehrenmänner heißen mochten, auf die, während des Abendessens, zufällig das Gespräch zwischen mir, Gustchen und dem Herrn Professor gekommen war, noch kein Wort gehört; von Decimal- und continuirlichen Brüchen, Logarithmen, Proportionen, unreinen quatratischen Gleichungen und dergleichen hochgelahrten Dingen, mit denen Gustchen umsprang, wie mit ihren Puppen, wußte sie keine Sylbe, und von den Wurzeln, über welche die Kleine sie prüfen wollte, kannte sie die eßbaren nur; die aber, welche Gustchen meinte, waren ihr böhmische Dörfer; sie schien aber auch darüber, daß sie in diesem Theile des Wissens ganz fremd sich bekennen mußte, nicht im mindesten verlegen: hätte ich, meinte sie in ihrer natürlichen Unbefangenheit, die sie ungemein lieblich kleidete: hätte ich von Jugend auf Unterricht darin gehabt, wüßte ich vielleicht ein Gleiches; aber da dies nicht der Fall gewesen, rechne ich mir's nicht zur Schande; auch weiß ich noch nicht recht, wozu das einem Mädchen nützen soll. Sonst waren die Mädchen nicht so gelehrt als jetzt; sie haben aber eben darum die Männer vielleicht mehr geachtet und geehrt; und der Glaube, daß die Männer im Wissen und Können viel höher stehen, als die Mädchen, ist wahrscheinlich der Grund gewesen, daß – – –

Nun? sagte der Herr Professor, und horchte der unerwarteten Deduktion aus dem Munde des süßen Naturkindes.

Daß, fuhr die Nichte, verlegen, in eine so zarte Materie gerathen zu sein, etwas zögernd fort: daß die Männer sonst treuer geliebt worden sind. Der Mensch schätzt in der Regel am Andern das, was ihm selbst abgeht; so lieben wir z. B. am Manne den Muth, die Tapferkeit, weil wir Schwächern uns in der Regel verzagt und feige fühlen. Darum macht auch der Krieger bei dem weiblichen Geschlechte das meiste Glück. Das liegt nicht im äußern Glanze seiner Tracht, denn nur die eitelste Thörin wird sich durch ein armseliges Flitterwerk, das kaum des Ausbrennens werth ist, blenden lassen, – sondern einzig und allein in der Zuverlässigkeit, in der Ehrenfestigkeit, die wir bei Kriegeshelden voraussehen; die Achtung und Ehre aber, die sich ein starker Arm erwirbt, verdient, besonders in unsern friedlichen Augen, ein kenntnisreicher Kopf noch in weit höherem Grade. Die Frauen finden sich durch nichts mehr geschmeichelt, als wenn sie ein Mann von Kenntnissen und seiner Bildung vor andern ihres Geschlechts auszeichnet. Wären wir nun selbst Heldinnen, wäre es uns gelehrt und gegeben, den Degen in der Hand, selbst eine Schlacht muthig mit zu schlagen, so würden wir, sollte ich meinen, uns bei weitem nicht so achtungvoll zu dem Tapfern hinneigen; wir würden ihn als solchen ehren, nicht aber mit der Liebe umfassen, die ohne innige Achtung nicht bestehen kann. Auf gleiche Weise geht es auch mit unserem Wissen; sind wir dem Mann an Kenntnissen gleich, oder vielleicht gar überlegen, so ist die Ehrerbietung, die, in einer christlichen Ehe, der Frau gegen den Mann wohl ansteht nicht denkbar. Die Mädchen, die bei der heutigen Erziehung fast gar zu viel lernen, sind darum nicht glücklichere Frauen, als unsere Großmütter und Urgroßmütter, welche minder gelehrt waren, ihren Mann aber, gegen ihn selbst, ihren Schatz; gegen ihre Freundinnen, ihren Liebsten; und gegen die Dienstboten, ihren Herrn nannten. Wir alle loben die alte Zeit, wollen aber nicht zu ihrer Einfalt zurückkehren; wie würden unsere Modedamen lachen, wenn eine schlichte, ehrliche Frau zu ihrem Mann, mein Schatz, mein Liebster, sagte? Durch das größere Wissen stehen die Frauen jetzt höher im Range; sie machen die Herrschaft im Hause dem Manne streitig, und doch kann da nur einer Herr seyn, und darum geht es in unsern Häusern nicht mehr so still und friedlich her, als in der guten, alten Zeit, wo die Frau ihren Platz füllte, und nur so viel wußte als ihr nöthig war.

Wie alt bist Du denn jetzt, Linchen? fragte der Professor, seinen Ohren kaum trauend, das jugendliche Mädchen so altklug plaudern zu hören.

Neunzehn, erwiederte Lina, und blickte, den Grund der Frage ahnend, nieder, als schäme sie sich ihres vorlauten Geschwätzes.

Du sprichst, entgegnete der Herr Professor etwas spitz: als wärst Du fünfzig.

Leider, erwiederte Lina etwas ernster: habe ich in den letztem Jahren so manche Erfahrung gemacht, die vielleicht andern meines Alters fremd blieb.

Wohl Dir, wenn diese Lehrerin bei Dir an die Stelle der Erziehung getreten ist; sagte der Professor mit einem Blicke, als meine er, daß letztere nicht weit her gewesen sei. Das ertrug die Redefertige aber nicht; sie schien es darauf angelegt zu haben, uns ihre Ansichten, gleich beim ersten Eintritt in das Haus, unumwunden eröffnen zu wollen.

Meine Erziehung, hob sie, über des Onkels Bemerkung empfindlich, von der Erinnerung an ihre verklärte Mutter, weich und gerührt, und dann doch wieder, nach ihrer eigenen Weise, naiv und drollig, an: meine Erziehung ist der einzige Nachlaß meiner guten, unvergeßlichen Mutter. Ich kann ein bischen schreiben und ein bischen lesen; in der Kirche singe ich recht gut; auch tanzten meine Bekannten lieber mit mir, als mit General-Superintendents schwerfälligem Kordchen; aber wenn sie eine perfekte Köchin haben wollen, wenn sie Eingemachtes wünschen, das Ihnen auf der Zunge zergeht, Torten und Gebackenes, wie es nur der Hof-Conditor liefert; Wäsche, so weiß wie Schnee; Kleider für Gustchen, die wie angegossen sitzen müssen; Blumen, Spitzen, Stickereien und andere feine Frauenarbeiten; – wenn Sie Ordnung im Hause und gute Beispiele für die Dienstboten verlangen, dann schicken Sie nur zu Karolinen. Glauben Sie, Herr Onkel, eine Frau, die das alles kann, ein fröhlich Gemüth im Herzen hat, und nach Gott nur ihren Gatten liebt, ist dem vernünftigen Manne willkommener und werther, als ein buchgelehrtes Ding, das sieben Sprachen spricht, acht Instrumente spielt, alle neun Musen in der Tasche hat, und ohne zehn Anbeter nicht leben kann.


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