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17.

Josephinens Flucht.

Wo bleibst Du so lange? rief mir Gustchen freundlich entgegen: da hat mir der Vater die Gleichung

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aufzulösen gegeben; ich komme nicht heraus, hilf mir ein bischen.

Das ist, entgegnete ich schmerzlich: eine Aufgabe aus der Lehre von den continuirlichen Brüchen, zu der ich heute durchaus nicht aufgelegt bin. Das ganze menschliche Leben ist eine Reihe von continuirlichen Brüchen! setzte ich bitter hinzu, und fühlte, daß die Geschichte des eben verlebten Morgens auch dazu gehörte; denn mein Muth, meine Hoffnungen schienen mir auf immer und ewig gebrochen zu seyn.

Gustchen ging schmollend. Hatte ich mir die doch nun auch zum Feinde gemacht.

Ich war mit der ganzen Welt zerfallen. Mit allen Menschen hätte ich mich schlagen mögen.

Beim rechten Lichte besehen, trug ich aber, ich allein die Schuld der unangenehmen Geschichte, die mir vielleicht auf meine ganze Lebenszeit nachtheilig seyn konnte. Was ging mich Lina an? hätte ich ihr den Rosenstock nicht gekauft, hätte ich die blonde Unbekannte in der gräflich Gormischen Equipage gar nicht gesehen; hätte ich Gustchen nicht belogen; so wäre ich gar nicht in die Oper gekommen. An solchen Fäden hängt unsere Zukunft. Denn daß die Gräfin Gorm über kurz oder lang, einmal mit dem Fürsten, auf dessen Kosten ich erzogen wurde, über mich sprechen, und mich bei der Gelegenheit gewiß mit schwarzer Kreide anschreiben, und daß der Fürst mich alsdann bestimmt aufgeben werde, das stand vor meinen Augen, wie ein Regeldetri-Exemplar da.

War der Graf unschuldig, so konnte ich ihm gar nicht verdenken, wenn er einen unversöhnlichen Haß auf mich warf, denn was ich steinfremder Mensch ihm, in seinem eigenen Hause, in Gegenwart seiner Groß-Mutter, in das Gesicht sagte, war eine Beleidigung, deren Umfang sich gar nicht übersehen ließ; war er aber schuldig, so bewies die Ruhe, mit der er sich gegen mich hielt, und die Gewalt, die er über sich hatte, welchen Grad von besonnener Bosheit der junge Mensch errungen, und dann schien er um so gefährlicher. In beiden Fällen mußte ich alsdann diesen Moritz, für die Zukunft, als einen sehr nachtheiligen Gegner fürchten, der mir um so gefährlicher war, als er durch seinen Rang und durch sein Vermögen auf die ersten Stellen im Lande Anspruch hatte.

Sonderbar! in alle diese verfänglichen Verlegenheiten stürzte mich die Dankbarkeit – – o, wie der Mensch sich doch gern entschuldigt, wenn er gefehlt hat. – Ja, für die wohlwollende Absicht, mir den Verlust des Rosenstocks mit zehn Thalern zu ersetzen, hatte ich der Gräfin danken wollen; aber hinter der edeln Pflicht hatte eigentlich noch etwas anders gesteckt; ich hatte die junge blonde Gräfin von Angesicht zu Angesicht zu sehen gewünscht, und das, das war die Triebfeder gewesen, die mich in das gräflich Gormische Haus, und nun wahrscheinlich in mein Verderben drängte. – Doch, wie hing denn die Geschichte mit dem Goldstück jetzt zusammen? Ein gräflich Gormischer Bedienter sollte mir es bringen, und mich, da der Herr Professor das Geld nicht genommen, zur Gräfin selbst führen. Also mußte doch eine Gräfin Gorm zugegen seyn. Wer erklärte mir das?

Gustchen unterbrach mich in meinen tiefen Sinnen über das unerklärliche Räthsel dieser Geschichte.

Eine Hand auf ihrem Rücken, legte sie die andere vertraulich auf meine Achsel und sagte, mit weggewandtem Gesichtchen: Theodor, Du warst vorhin unfreundlich gegen mich; das ist nicht hübsch von Dir; ich kam her, um Dich darüber auszuschmälen; aber da ich Dich jetzt verdüstert sehe, so ist mir der Muth dazu vergangen. Was fehlt Dir, lieber Theodor?

Nichts, Du kleines Ding, sagte ich, durch des holden Kindes zarte Theilnahme schon wieder halb aufgeheitert.

Ach ich bin gar nicht so klein mehr, als Du Dir immer einbildest, antwortete sie mit naivem Ernste: der Vater sagt, ich wachse täglich, und alle Röcke werden mir zu kurz, aber – wirst Du mir nicht gestehen, was Du hast? Du sagst immer: munter ist die Hauptsache! so lange uns alles nach Wunsche geht, ist das keine Kunst; aber, wenn – wie soll ich sagen – wenn uns etwas in die Quere kommt, dann müssen wir den Satz wahr machen. Pfui, Theodor, solch ein trübselig Gesicht steht Dir nicht halb so hübsch als ein fröhliches; Sieh! ich habe auch ein kleines Unglück; aber, so lange man Freunde in der Welt hat, muß man nicht verzagen.

Du ein Unglück? fragte ich, meinen eignen Schmerz vergessend.

Eigentlich zwei, erwiederte sie, und holte jetzt die Hand, die sie bis dahin auf dem Rücken hielt, hervor: Sieh nur, da hat mir Lilli einen jungen Doctor gemacht, oder einen Professor, oder was es sonst seyn soll; sie brachte eine Puppe zum Vorschein, mein leibhaftes Conterfei, mir, wie aus den Augen geschnitten. – Wie Du gestern in der Oper warst, wollte ich auch ein bischen Comödie spielen, Tante Barthels hatte mir hier die Psyche geschenkt – sie holte ein äußerst niedliches Wachspüppchen, Psyche auf dem Felsen-Moos schlafend, Josephinen zum Sprechen ähnlich, hervor – nun soll der junge Herr hier vor Psychen hinknien: er war störrisch und wollte nicht; da ward ich ein bischen ungeduldig, stauchte ihn etwas derb nieder, brach ihm beide Beine in Stücken, und erschrak darüber so, daß ich unversehens der kleinen Psyche zu nahe kam und ihr hier die allerliebsten Flügelchen zerknickte. Sieht Lilli und Tante Barthels, wie ich ihren Puppen mitgespielt, so darf ich vor Schelte nicht sorgen; es heißt so immer, der Wildfang kann nichts ganz leiden; sag' mir, nicht wahr, Du heilst dem Professor die Beine, und greifst der armen kleinen Psyche unter die Arme?

Da hatte ich ja mein Prognostikon. Psyche hatte die Flügel verloren, sie kann dem Grafen nicht mehr entfliehen, und mir schlägt er die Beine entzwei! – und ich – ich soll, wie das Kind, der Flügellosen unter die Arme greifen.

Für Deinen Professor, erwiederte ich, von kaltem Frost über mein, mich vielleicht bald ereilendes Schicksal durchschauert: ist keine Hülfe mehr; laß ihm beide Beine abnehmen, sonst stirbt er am kalten Brande; und Psyche? – die ist dem unsichtbaren Dämon verfallen; der ihr die Flügel raubte; die Stunde schlägt, ich muß zum Herrn Magister Wunderlich.

Ich ging und Gustchen schmollte hinter mir, halb laut: Du wirst am Ende noch selbst ein Magister Wunderlich. Vergiß in Deinem Aerger nicht, rief sie doch, wieder gut meinend, mir nach: daß er ausgezogen ist, und seit heute auf dem Opernplatze, im Seidemannischen Hause, wohnt.

Das war recht hübsch von Gustchen, daß es mich daran erinnerte, denn ich hatte, den Kopf von ganz andern Dingen voll, wahrhaftig nicht daran gedacht, und hätte einen Weg von einer halben Stunde umsonst gemacht. Gustchen – ich fing mich fast vor der Kleinen zu schämen an – Gustchen war diesen Morgen zweimal schnöde von mir behandelt worden, und doch gut und freundlich geblieben. Das ist reine Frauenart, und schon darum sind die Frauen der Ring zwischen den Menschen und Engeln.

Ich will auch, sagte ich, durch Gustchens milden Mädchensinn weicher geworden, zu mir selbst: ich will ihrem Professor die Beine wieder curiren, und Psychen, der Unheil schaffenden, die Flügel in Ordnung bringen; das Kind ist ja am Ende das einzige Wesen, das es in dieser Welt mit mir gut meint.

Ohne auf die Stelle zu blicken, wo ich gestern Abend die niedlichsten Sandalen-Füßchen in den Wagen steigen sah, eilte ich an dem Opernhause vorbei, ging über den großen weiten Platz und fragte nach dem Seidemannschen Hause; mein Magister Wunderlich, hieß es, sollte im dritten Stocke wohnen; ich stieg also die Treppe hinan.

An der Flurthüre ist keine Klingel, ich klopfe, es hört Niemand, ich probire die Klinke, sie geht auf; ich öffne die Thüre und stehe im Vorsaal.

Drei Stubenthüren erschwerten mir die Wahl, ich klopfte leise an die nächste. Im Zimmer ward gesprochen; ich hörte weibliche Stimmen; mein Magister Wunderlich konnte hier nicht wohnen, denn der finstre Hagestolz lebte, wie die katholische Geistlichkeit seit Gregor dem Siebenten, im strengsten Coelibate; indessen ließ sich hoffentlich die Wohnung des Gesuchten hier erfragen; ich klopfte daher noch ein Mal, und da ich wieder nicht gehört wurde, öffnete ich leise die Thüre.

Eine jugendlich schöne Gestalt, leicht gehüllt in ein dünnes, verrätherisches Phantasie-Gewand, das eben dem blendenden Nacken entfiel, flüchtete mit einem kleinen Schrei in das Nebenzimmer; vor der Thüre noch wendete die Fliehende sich um und ich erkannte – Josephinen. Ein Kammermädchen folgte ihr unter lautem Lachen.


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