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15.

Die Gräfin Gorm

In manchen Büchern hatte ich gelesen, auch wohl hie und da erzählen gehört, daß Dienerschaft in großen Häusern gewöhnlich zur Klasse der Unausstehlichen gehöre, den Fremden, besonders wenn sie bescheiden einträten, mit grober Geringschätzung begegne und durch ihr rohes Betragen auf den Glanz ihrer Herrschaft einen entstellenden Fleck werfe.

Ich hatte mich in meiner Vorstellung von den Vorhöfen der großen Welt sehr getäuscht. Der Bediente empfing mich sehr artig und meinte, ich käme zwar ein wenig früh, allein die Frau Gräfin wären doch schon längst aufgestanden, säßen bei der Arbeit, und würden mich daher wohl annehmen. Könnte ich ihm aber mein Anliegen eröffnen, so wäre es ihm lieb, denn die gnädige Frau wüßten gern im Voraus, was die Leute bei Ihnen suchten, um gleich vorbereitet zu seyn. Ich entgegnete ihm darauf, bescheiden lächelnd, daß ich bei der Frau Gräfin nichts suche, sondern im Gegentheil ihr etwas bringe; – ich meinte meinen Dank für ihren guten Willen. –

Ah, schön! rief er noch freundlicher: da werden Sie gewiß nicht abgewiesen; solche Besuche sind hier gar selten.

Er führte mich durch mehrere Gemächer, bat, in dem Vorzimmer zu warten, und ging zur Gräfin hinein.

Ich hatte Muse genug, mich hier umzusehen, und bemerkte einige mir ganz unerwartete Dinge. Das Frühstück war bereits genossen, das schloß ich aus dem leeren Kaffeezeuge. Neben diesem lag eine große, mit alter Schrift gedruckte Bibel, aufgeschlagen das Buch Hiob, und in diesem eine unscheinbare Brille; über dem daneben stehenden Stuhl hing ein alter Frauen-Ueberrock von grobem, lederfarbenen Tüffel, und unter dem Stuhle erblickte ich ein Paar ausgediente Riefen-Pantoffeln.

Sie werden gleich vorgelassen werden, sagte der Höfliche, aus dem Zimmer der Gräfin kommend: das Kammermädchen wird Sie rufen, Sie sollen nur einen Augenblick verziehen.

Mir stieg das Blut, bei dem Gedanken, die kleine, himmlische Gestalt in wenigen Minuten zu sehen, die holde, zarte Frau selbst zu sprechen, siedend zum Herzen.

Sind der Herr Graf auch im Zimmer? fragte ich, um etwas zu fragen, und zum Glück antwortete der Ueberartige – Nein! der schläft bis zum Mittag, die Frau Gräfin dagegen ist Punkt fünf Uhr aus dem Bette, dann gleich zum Gebet, – sehen Sie hier die Bibel, die wird binnen Jahresfrist dreimal von vorn bis hinten durchgelesen. Darauf kommt der Kaffee, und so wie der getrunken ist, fährt die gnädige Frau gleich in das Morgenkleid und durchstöbert das ganze Palais, und da helf uns Gott, wenn nicht alles rein und sauber aussieht, wie in einem Spiegelkästchen.

– – in dem Morgenanzuge? fragte ich, meinen Ohren nicht trauend, und wies auf den Lederfarbnen und die kolossalen Pantoffeln.

In dem Augenblicke hörten wir Tritte im Zimmer der Gräfin; der Bediente entfernte sich schnell, und aus dem Zimmer schlüpfte ein Kammermädchen und öffnete mir die Thüre. Ich trat ein.

Sie saß, mir den Rücken kehrend, an einem, mit Akten und Rechnungen beladenen Büreau und schrieb.

Was giebt's? fragte sie, fortschreibend, mit einer Stimme, in der ich die, meiner blonden Gräfin im Wagen, nicht wieder erkannte; ich trat jetzt einige Schritte näher; sie stand auf. Eine baumlange, magere Figur, älter als funfzig, finster und ernst, über dem Kopf eine wattirte Kapuze, wie sie die Matronen in den französischen Landstädtchen tragen; übrigens bekleidet mit einem abgetragenen, seidenen Ueberrock und mit einem Paar Schuhen, die denen im Vorzimmer an Größe nichts nachgaben.

Ich hatte mich auf meine Anrede nicht vorbereitet; ich hatte sie von dem Eindrucke abhängig gemacht, den der Liebreiz des gräflichen Blondchens auf mich machen würde.

Aber jetzt – die Ueberraschung war zu groß – ich setzte zweimal an, aber ich konnte kein Wort hervorbringen.

Ergötzte sie die närrische Verlegenheit, oder hielt die Stolze meine angstvollen Bücklinge und den eingetretenen Kehlkrampf für Zeichen gränzenloser Ehrfurcht; genug, das finstere, gefurchte Gesicht in der Kapuze heiterte sich ein wenig auf, und sie fragte, nach einer mir peinvollen Weile, mit verhaltenem Lächeln wiederholt, was mein Begehr sey?

Nichts, entgegnete ich, mich wieder nach der Thüre zurückziehend: ich wollte nur die Ehre haben, der gnädigen Frau Gräfin Gorm meinen unterthänigen Respekt zu bezeigen.

Die bin ich, entgegnete sie und schien noch neugieriger zu werden.

Nein, erwiederte ich mit gepreßter Stimme: zur jungen Frau Gräfin wollte ich; sie hat die Gnade gehabt, mir für meinen Rosenstock ein Zehnthaler-Stück anbieten zu lassen, und da – –

Die junge Gräfin? fiel die ernste, hohe Frau verwundert ein. Kennen Sie denn eine junge Gräfin Gorm?

Ich habe ja gestern Abend noch das Glück gehabt, sie aus der Oper fahren zu sehen; antwortete ich, und konnte nicht begreifen, was die Alte darunter suchte, nichts von ihrem Himmels-Blondinchen wissen zu wollen.

Sie fragte nun, mit immer steigendem Antheile, wie ein Großinquisitor, nach allen Kleinigkeiten; ich mußte ihr die Geschichte mit dem Rosenstocke erzählen, und wie der Wagen, die Bedienten, die Pferde, der Kutscher und die vermeintliche junge Gräfin ausgesehen.

Je mehr ich sprach, desto unbefangener ward ich; in dem Wesen der Matrone lag etwas Einnehmendes; ich vergaß die Kapuze, den Ueberrock und die Riesen-Schuhe und sah ihr mit kindlichem Vertrauen in das kummervolle Gesicht, das vor dreißig Jahren wohl auch rührender ansprach. Bei der Beschreibung der jungen Gräfin ging mir das Herz über. Die Alte schüttelte zwar einigemale den Kopf; aber ich war einmal im Zuge, ließ mich nicht irre machen, und sagte zuletzt: daß ich den jungen Herrn Grafen zwar nicht näher kenne, daß mich aber die zarte Sorgfalt, die er gestern Abend für die Gesundheit der Frau Gräfin gezeigt, gar sehr erfreut habe, und daß ich ihr zu solch einem Sohne aufrichtig Glück wünsche.

Die Gräfin wendete das Gesicht von mir ab, schwankte nach dem nächsten Stuhle und setzte sich. Ich mußte ihr vom jungen Grafen alles, was ich gestern Abend gesehen hatte, umständlich wieder erzählen, und es schien nun, als ob sie weine.

Sie schwieg eine Weile und ich auch.

Endlich stand die Gräfin auf, faßte sich und fragte: ob ich die Bezeichneten, wenn ich sie sähe, wohl alle wieder erkennen würde?

Ich bejahte dies, und freute mich, die junge Gräfin nun endlich auch noch zu erschauen.


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