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4.

Der Rosenstock.

Ich schrieb mir jedes Wort tief in das Herz, denn was sie gesagt hatte, war ja buchstäblich wahr. Wir hatten bisher immer ungenießbares Essen auf dem Tisch gehabt: Linchens Gerichte schmeckten, als kämen sie aus der fürstlichen Küche. Unsere Wäsche war bis dahin mit Kalk und schwarzer Seife behandelt und dermaßen gestärkt worden, daß man schier glaubte, einen spanischen Mantel, statt des Hemdes zu tragen; Linchen war kaum vier Wochen im Hause, und wir freuten uns alle über den Atlas, in den sie unser Linnen verwandelt hatte. Gustchen verlor sich vordem halb in ihren Kleidern, bald gingen ihr die Röckchen kaum über die Kniee; Lina zog das Kind mit Geschmack an, und fertigte ihren kleinen Staat einhändig mit so vieler Kunst, daß die Kleine, die sonst in der ganzen Stadt das gelehrte Eulchen hieß, jetzt allgemein gefiel, und daß fast täglich nach ihren Kleiderschnitten von Müttern geschickt wurde, die ihre Mädchen auch so niedlich angezogen wissen wollten. So viel Linchen auch in der Küche wirthschaftete, so legte das Mädchen doch keine Hand an irgend eine harte, schwere Arbeit, sondern führte blos die Aufsicht, und darum hatte sie auch Händchen, um die sie eine Königstochter hätte beneiden können. Sie hütete den Schnee ihrer Lilienhand, wie sie sagte, blos, um das Spitzenklöppeln und die Stickereien, und all die feinen Arbeiten nicht zu verlernen, in denen sie Meisterin war, und bei deren Verfertigung sie so viel Geschmack als Geduld und Ausdauer zeigte; ihre Blumen waren so schön, daß selbst Kennerinnen sie nicht von ächt französischen unterscheiden konnten. Sonst hatte in unserem Hause alles unter einander gelegen, Bücher, Kleider, Tischgeschirr, Stiefeln, Wäsche, eins bunt über dem andern; manches Zimmer, namentlich das des Herrn Professors und das meinige waren seit Menschengedenken nicht gekehrt noch gescheuert worden; jetzt – alles wie abgeblasen, alles gemalt, tapezirt und geputzt, spiegelblank, daß es nur eine Lust war, sie zu sehen. Der Herr Professor wendete gegen alle die Neuerungen, und besonders gegen das Aufräumen in seinem Studirzimmer, erschrecklich viel ein; doch Linchen kehrte sich daran nicht; sie ließ, als er den Rücken gewandt hatte, seine ganze Stube ausräumen und weißen, und wollte sich bald todt lachen, als er heimkehrte und über den Unfug bitter böse ward. Die Dienstboten aber welche den Herrn Professor tüchtig betrogen und mißbrauchten, und nun keine Lust bezeigten, der wie vom Himmel Gefallenen zu gehorchen, schaffte Lina unverzüglich ab und miethete andere, die sie durch ihr freundliches Wesen, durch anständigen Lohn, und durch möglichste Bewilligung persönlicher Freiheit so zu gewinnen wußte, daß sie für das Mädchen in's Feuer gegangen wären. Und das alles that sie ohne Geheiß und Auftrag des Herrn Professors; sie hatte ihm blos, bald nach dem Eintritt in das Haus, aus einander gesetzt, daß in diesem eine schlechte Wirtschaft sey, daß er mit all' seiner Rechenkunst auf diese Weise zu Grunde gehen müsse, und daß sie es für Pflicht halte, ihm die Sorge für sein Hauswesen abzunehmen. Dann handelte sie, statt zu fragen. Das alles stand der Lina so hübsch, daß man sie nur im Stillen beobachten durfte, um ihr gut werden zu müssen.

Manche Mädchen oder Frauen der Art eifern und prahlen mit dem, was sie leisten und sprechen unausgesetzt von dem Kreise ihrer Wirthschaft. Das alles war bei diesem seltenen Mädchen nicht der Fall. Linchen trällerte, wenn sie durch das Haus flog; bat, wo sie befehlen konnte; scherzte frohsinnig mit Allen innerhalb der Schranken des Anstandes, behandelte, scheinbar, was sie trieb und that als Nebensache; benahm sich so anspruchlos, und erwähnte des vielen, was sie von früh fünf Uhr an, bis spät gegen Mitternacht, täglich verrichtete, mit keiner Sylbe.

Das alles war groß und lobenswerth, aber Mehres bedrückte seit jenem ersten Abend mir doch die Seele, daß ich nicht wieder so traulich werden konnte, als in dem ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft. Erstlich hatte sie dem Wehrstande, nach meinem Gefühl, zu sehr das Wort geredet. Bestimmt hatte sie unter irgend einer Fahne einen Heldenschäfer, der ihr Herz in Beschlag genommen hatte; zweitens that sie gar nicht, als ob ich in ihren Augen den mindesten Werth hätte; sie übersah mich, und nahm von den süßen Regungen, die mir die Brust schwellten, nicht die geringste Notiz; und dann hatte Lina, in jenem Gespräche mit dem Onkel, der bittern Erfahrungen erwähnt, die sie für ihr Alter schon gemacht haben wollte. Das alles entfremdete mich dem Mädchen; aber daß es mein Ernst nicht war, daß ich dem Kinde doch wohler wollte, als ich mir einbildete, es zu sein, beweist mir eben der Aerger über diese Gleichgültigkeit.

Wäre mir nur ein einziger Freund in der Welt geworden, dem ich mich hätte anvertrauen können. Aber außer dem Herrn Professor und dem Fürsten, der mich bei ersterem seit einem Jahre erziehen ließ, kannte ich in der ganzen Residenz keinen Menschen.

Es mag wohl auf diesem Erdenrunde kein niederdrückenderes Gefühl geben, als das, nicht geliebt zu seyn; ich hätte für Linchen mein Leben aufgeopfert, und sie that gar nicht als ob ich in der Welt wäre; ich ergrimmte über mich selbst, daß ich so schwach war, konnte mir aber nicht helfen.

Wenn mir der Verdacht wegen des heimlich geliebten Kriegshelden, und wegen der bewußten Erfahrungen auch noch so schwer aufs Herz fiel, und ich die Engelgleiche sah, so war doch aller Groll vergessen, und ich huldigte ihr im Stillen mit solcher Glut, daß ich oft vor mir selber erschrak.

Ich wußte, die Schneekalte hatte Blumen gern; ich sparte also von meinem knapp zugezählten Taschengelde, durch Entsagungen aller Art, bis ich so viel erspart hatte, daß ich ihr einen vorzüglich schönen Rosenstock kaufen konnte. Er kostete mich das Frühstück von zwei Monaten. Ein und sechszig Tage hatte ich früh nur klares Quellwasser getrunken; in alle Gassen der Residenz war ich gelaufen; mein Stock trug aber auch über dreißig der frischesten Knospen und zwei volle aufgeblühte Rosen; ich trug meinen Reichthum selbst nach Hause; wie hätte ich diese Herrlichkeit fremden Händen anvertrauen können! Ich sah Linchens holde Verwirrung; die Verlegenheit, wie sie mir danken solle, war mein Triumph, und ein Kuß – vielleicht ein Kuß, mein Lohn; oder – erstieg mein Glück auch diesen höchsten Gipfel nicht, so mußte Lina, die meine beschränkten Umstände kannte, doch wenigstens aus dem Opfer, auf die Größe der Liebe, mit der es gegeben worden, schließen, und von Stund' an ein wohlwollendes, beachtenderes Verhältniß zwischen uns statt finden lassen.


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