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16.

Der Verlust des dereinstigen Erbes galt dem edeln Gotthold kein Opfer. Er übernahm vom Grafen Stufen eine kleine, seinem Vermögen angemessene Pachtung, die ihn, wenn er fleißig war, selbst Hand an das Wert legte, und vom Glücke nicht ganz verlassen wurde, bei der ihm zusagenden einfachen Lebensweise sammt Frau und Kind wohl ernähren konnte; aber der Vaterliebe verlustig erklärt zu seyn, schmerzte ihn unermeßlich tief. Er schrieb dem Erzürnten auf das, was ihm ja ohnehin nur ein sehr betrübender Fall, der Fall des Vatertodes, als Eigenthum dereinst überwiesen haben würde, zum Beßten seines Bruders Ferdinand freiwillig und mit Freuden Verzicht zu leisten, nur solle er ihm sein Wohlwollen nicht entziehen, und ihm in seinem Herzen den Platz lassen, auf den die Natur ihm das heiligste Recht gegeben.

Keine Antwort.

Er wiederholte seine Bitte und setzte hinzu: der Vater solle selbst kommen, oder erlauben, sich mit Julien ihm zu Füßen zu werfen, damit er sich persönlich überzeuge, daß zu seines Sohnes Glück nichts fehle, als des Vaters; Huld und Liebe.

Keine Antwort.

Er ließ durch den Dritten, Vierten, von dem er wußte, daß er beim Vater als Mann von Gewicht etwas gelte, seinen dringenden Versöhnung-Wunsch ihm an das Herz legen; aber Alle antworteten ihm, daß ihre Versuche erfolglos geblieben; er habe hoch und theuer gelobt, im ganzen Leben nie von ihm hören zu wollen; er habe nur Einen Sohn, den Ferdinand; der andere sey aus seinem Herzen für immer und ewig gestrichen.

Ich habe nun meine Pflicht erschöpft, sagte Gotthold tief bekümmert zu sich selbst. Beharrt der Vater auf seinem unseligen Vorurtheile, so muß ich das Mißgeschick, was in dieser schmerzlichen Spaltung liegt, mit Ergebung tragen. Ich will das Meine redlich thun, und Gott walten lassen. – Er stieg von der Höhe seines Ranges in den Mittelstand herab, arbeitete vom Morgen bis zum Abend im Schweiße seines Angesichts, und lebte an der Seite seines Engels, von allen Nachbarn geliebt und geehrt, in seinen stillen Thälern die glücklichsten Tage.

Julie blühte, fern vom schalen Getümmel der großen Welt; sie war, nach einstimmigem Urtheil Aller, die dieses Zauberwesen kannten, die schönste Frau der ganzen Provinz. Ihr Himmel, ihre Welt war Gotthold. Sein Glück war das ihrige; und sein oft wiederholtes zartes Geständniß, daß er jetzt erst den Werth des Lebens schätzen lerne, das sie ihm mit der Aufopferung ihres eigenen habe erhalten wollen, und das sie ihm durch ihre Tugenden und durch ihren süßen Liebreiz täglich immer mehr verschönere, that ihrer bescheidenen Demuth, in der sie sich immer noch des Glücks, einen Mann wie Gotthold zu besitzen, nicht würdig genug glaubte, unendlich wohl; nur im Tiefsten, im Geheimsten ihrer Seele nagte der Gedanke, daß sie die eigentliche Ursache jenes drückenden Mißverhältnisses zwischen Vater und Sohn sey, und trübte den Himmel ihrer innern Zufriedenheit.

Gegen Gotthold durfte sie diese Saite nicht berühren, ohne ihm die gute Laune auf mehrere Tage zu verderben; überwältigt vom grausamen Widerspiel der Doppelpflicht gegen Vater und Gattinn hatte er, da einmal das Gespräch auf dieses Schmerzkapitel gekommen, sie, von seinem fast überspannten Zartgefühl gepeinigt, unter einem Strom von Thränen gefragt, ob sie bis jetzt nur in einer seiner Handlungen, nur in einem seiner Blicke, nur in einem seiner Gedanken die Veranlassung zu dem Vorwurfe gefunden, mit dem sie sich, und natürlich ihn zugleich mit, so ganz ohne Noth und Ursache quäle, und seitdem hatte sie sich fest vorgenommen, das böse Krebs-Geschwür, das vielleicht über lang oder kurz die ganze Seligkeit ihres Verhältnisses doch noch einmal vergiften konnte, sorgfältiger noch zu verhüllen und desselben nie wieder zu erwähnen; dagegen theilte sie, als wieder einmal ihr zu zartes Gewissen sie mit der Idee marterte, daß sie Gottholds zeitliches Glück vielleicht besser begründet haben würde, wenn sie ihn aufgegeben, und dadurch des Vaters Plan, ihn mit einer Ebenbürtigen zu verbinden, unterstützt hätte, ihre Herzensangst dem alten Grafen Stufen mit; doch dieser wählte das beßte Beruhigungmittel, er lachte sie aus.

Laß doch, Kind, hob er in seiner treuherzigen Weise an: den alten Narren seinen Weg gehen. Wem nicht zu rathen, ist auch nicht zu helfen. Er hat den meisten Schaden davon. Er büßt das schönste Glück der Menschen unsers Alters ein, das Glück, im Kreise seiner Kinder und Enkel zu leben. Mein Julchen, wenn mir Gott solch eine Schwiegertochter bescheerte, auf den Händen trüge ich sie, und wenn es eine Hirtentochter wäre. Was hat denn der Trotzkopf jetzt noch für ein Recht zu maulen? Dein Vater hat mit seiner neuen Würde den Dienstadel verliehen erhalten, also, wenn man auch in die Marotte des alten Ulmenhorst eingehen wollte, der Absprung ist jetzt gar nicht mehr so groß, als er vordem war. Vor deinem Vater bücken sich jetzt viel mehr Menschen, als vor dem alten Ulmenhorst. Was ist er denn? was ich bin. Ein Bauer, mit einem bischen mehr Geld als unsere Hüfner und Gärtner. Nein Kind, darum laß Dir kein graues Haar wachsen. Gotthold wird sich rühren und etwas vor sich bringen. Lippert, die treue Seele, tritt morgen mit erklecklicher Zulage sein Secretariat bei mir an; ich habe lange solch einen gediegenen Geschäftmann gesucht, und danke dem Himmel, daß ich den gerade gefunden; und der Falkenwerder'sche Pfarrherr ist, wie sie mir heute aus der Residenz schreiben, zum Superintendenten in Weidenheim befördert. Also hat sich, wie Du siehst, bis hieher Alles recht gut und viel besser gemacht, als wir Alle gedacht; darum, Du frommes Kind, vertraue nur auf Gott, der führt die Seinen immer am beßten. Bei der ganzen Geschichte hat Niemand den Kürzern gezogen, als der alte Kater Murr von Ulmenhorst; er hat seinen wackern Lippert, seinen ehrwürdigen Pfarrherrn, seinen herrlichen Gotthold, und Dich, Du himmelklares Wesen, verloren; und Julchen, etwas bin ich doch auch werth, und mich hat er auch eingebüßt, denn so lange er Dir und Gotthold nicht alles doppelt und dreifach vergütet, was er Euch durch seine verschrobene Ansicht von Anno 1520 wehe gethan, so lange bin ich sein Nachbar nicht mehr, obgleich unsere Güter hier meilenlang mit einander grenzen. Wer hat denn von unsers Gleichen einen Sohn, wie Gotthold. O ja, wenn wir unsern jungen Herren brav Geld in die Residenz schicken, da können sie Alle leben und sich groß und breit machen, und die Dukaten um sich werfen, als wären es Pfeffernüsse; aber sich herstellen, wie Gotthold, Rang- und Standes-Vorrechte wie Papierschnitzel bei Seite legen, und aus eigener Kraft sich und den Seinen Brod erwerben; – laßt doch alle die Jungen unserer Großen herkommen; nicht Einer thut es ihm gleich! – Und statt einem solchen Sohne die Herrschaft Falkenwerder zu geben, und ihm zu sagen, da nimm sie hin auf Abschlag des dereinstigen Vatertheils und wirthschafte darauf, und sey mit Frau und Kindern glücklich, weist ihn der alte Brummbär aus dem Erbe der Väter und degradirt ihn zum kleinen Pächter eines Fremden! Sieh, Julchen, das ist himmelschreiend. Er ist ausgestrichen aus meiner vierten Bitte. Kein rechtschaffener Vater kann mit ihm ein Glas Wein mehr trinken. – Doch ich fahre morgen ohnehin in die Residenz; da will ich ihn schon abkonterfeyen in der geschabten Manier, auch schwarze Kunst genannt!


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