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13.

Gotthold hatte auch nicht schlafen können. Die Seligkeit dieses ganzen Tages, vornehmlich aber dieses Abends hatte ihm alle Nerven so durchstürmt, daß er die Munterkeit selbst war. Es brütete Großes in ihm, und um den Augenblick seiner Stimmung zu benutzen, setzte er sich hin und schrieb dem Vater die Geschichte seiner Tage hier vom Anfang bis zu Ende, die sich mit der Bitte um die Erlaubniß schloß, Julien seine Hand anbieten zu dürfen. Er behauptete zwar, das Bild ihrer Tugenden und Reize ganz leidenschaftlos entworfen zu haben, aber das war nicht wahr; die Feder flog ihm, fast schneller als seine Gedanken; jedes Wort athmete die glühendste Leidenschaft, und der Ernst und die Festigkeit, die aus jeder Zeile sprachen, machten es klar, daß diese Wahl eine wohlüberlegte sey, und um keinen Preis der Welt werde aufgegeben werden.

Des Vaters Antwort lautete also:

»Du bist ein Phantast; der Herr Pfarrer ist ein Schwärmer; die Mamsell Strenge eine Närrinn und der Verwalter ein Esel.

Eure philanthropischen Pläne passen recht gut in einen Roman, oder in ein Rührspiel; da mag ich so etwas selber gern leiden, denn da kostet es nichts und liest sich hübsch, oder sieht sich recht gut mit an; aber in der wirklichen Welt muß man am Boden bleiben und nicht im Himmel herumschwärmen. All die Projekte sind unnütz, denn die Bauern haben sich bisher auch ohne Eure herzbrechenden Einrichtungen recht wohl befunden, und die ganze Geschichte ist lediglich auf Geld abgesehen, das ich aber besser brauchen kann und gerade jetzt am wenigsten übrig habe, wo ich für deinen Herrn Bruder in Paris eine unchristliche Schuldensumme zu bezahlen habe. Ihr Beide, wenn ich Euch den Zügel ließe, könntet mich bald auf die Hefen bringen; der, durch seine Spielwuth und durch seinen geldversplitternden Umgang mit einer der ersten dortigen Solotänzerinnen, und durch andere dumme Streiche der Art; Du, durch deine Volkbeglückungwuth. Doch will ich dem Ferdinand, beim rechten Lichte besehen, seine Verirrungen, die am Ende nur vorübergehend sind, und deren sich manche andere seines Standes auch wohl haben zu Schulden kommen lassen, wahrhaftig lieber noch verzeihen, als Dir den Schluß deines Briefes, den Du nur in einem Fieberanfall kannst geschrieben haben. Du kennst meine unerschütterlichen Grundsätze, und weißt, was Du der Ehre deines uralten Geschlechts und deinen ruhmwürdigen Altvordern schuldig bist. Du solltest nur die Gesichter sehen, die an den großen Courtagen geschnitten werden, wenn die Herren Grafen, die sich auch so weit vergessen haben, einer Bürgerlichen ihre Hand zu bieten, mit ihren neugebackenen Gräfinnen bei Hofe erscheinen; ich glaube, alle unsere Ahnen wendeten sich in ihren Gräbern um, wenn sie einen Ulmenhorst durch eine solche Mesalliance entehrt sähen. Sieh, das ist wieder ein Charakterzug, daß Du immer glaubst, das Schlechteste sey für Dich gut genug. Deine Geburt, Dein Rang, Dein Geschlecht geben Dir höhere Ansprüche, und es muß Dir ein Leichtes seyn, sie geltend zu machen. Greife nicht nach dem Kiesel, da Dir ein Diamant geboren worden ist. Wenn, woran ich zu Ehren deines Geschmacks gar nicht zweifeln will, die Mamsell Strenge so tugendhaft und liebenswerth ist, als Du sie schilderst, so wird sie auch ohne Dich einen Mann bekommen, und glücklich seyn, auch wenn Du sie nicht zur Gräfinn Ulmenhorst machst. Uebrigens kürze deinen Aufenthalt in Falkenwerder, der Dir, da Du meinen bestimmten, unabänderlichen Willen kennst, weder angenehm noch nützlich seyn wird, möglichst ab, und kehre, nachdem Du deinen thörigen Gedanken aufgegeben hast, mit geläuterten Ansichten über die Pflicht deiner künftigen Wahl zurück in die Arme

Deines
Dich liebenden Vaters.

Diesem Briefe, der Gotthold nicht überraschte, weil er ihn nach dem, wie er den Vater kannte, nicht viel anders erwartet hatte, folgte 24 Stunden später der alte Lippert, als ausserordentlicher Großbotschafter des Vaters, mit dem Auftrage, das mündlich zu verfolgen, was das Schreiben eingeleitet haben sollte; den jungen Grafen auf die Unausführbarkeit seiner Wünsche des Breitern aufmerksam zu machen, ihm mit der erforderlichen Delikatesse die Aussicht auf das mögliche Glück einer Verbindung mit Auroren zu zeigen, und ihm, wenn er auf dem unsinnigen Entschlusse, sich mit Julien zu verbinden, wider Wunsch und Verhoffen beharren sollte, mit der väterlichen Ungnade, und zuletzt, wenn alle Stränge rissen, mit der vollständigsten Enterbung zu bedrohen.

Ganz glücklich war der Vater in der Wahl seines Gesandten nicht gewesen. Der alte Lippert theilte den Glauben des großen Haufens an die Verwerflichkeit der jungen Gräfinn Waiblingen, und konnte es unmöglich über sich gewinnen, seinen lieben Gotthold zu dieser Verbindung zu überreden, und, was Julien betraf, so hatte er lange schon so viel Liebes und Gutes über sie aus Falkenwerder geschrieben bekommen, und die Idee, daß einmal ein reicher Graf, aus einem der ersten Häuser des Landes, einem Mädchen bürgerlicher Abkunft seine Hand bieten sollte, hatte für seine Kaste so viel Schmeichelhaftes, daß er sich, bei all seinem strengen Pflichtgefühl, immer nur darauf beschränken konnte, das auszurichten, was ihm der Vater wörtlich vorgeschrieben hatte, ein Weiteres aber aus eigener Fabrik hinzuzusetzen, war ihm unmöglich.

Haben Sie Julien gesehen? fragte Gotthold ganz ruhig, als Lippert seinen Auftrag ausgerichtet.

Lippert verneinte. Nun so kommen Sie, ehe ich weiter mit Ihnen über die Sache spreche, und lernen Sie das Mädchen erst persönlich kennen; dann – Sie sind ja auch ein Mann, und haben auch ein menschlich fühlendes Herz in der Brust – dann mögen Sie urtheilen, was ich thun soll, thun kann. In mir steht es unwiderruflich fest. Julie oder Keine. Wohl unserem Stamme, wenn die Frauen unserer Altvordern lauter Julien gewesen sind. Den Hofgesichtern werde ich nie in den Weg treten, also darf mein guter Vater sich wegen deren Grimassen nicht ängstigen. Bei der Wahl meiner Lebensgefährtinn habe ich mein Lebensglück im Auge gehabt, und nichts Höheres und nichts Kleineres. Dieses ist ohne Juliens Besitz mir nicht denkbar. –Noch weiß weder Julie noch ihr Vater, der vorgestern von seiner Geschäftreise zurückgekommen, von meinen ernsten Absichten; ich habe erst meines Vaters Entscheidung abwarten wollen; ich rechnete halb und halb auf die Freude, ihnen sagen zu können, daß mein Vater meine Wahl billige; jetzt, da leider der gegentheilige Fall eingetreten, werde ich ihnen eben so offenherzig sagen, daß ich die väterliche Zustimmung nicht habe erhalten können, daß ich nichts als mein geringes mütterliches Erbtheil besitze, daß ich aber dessen ungeachtet durch Fleiß und Arbeit mir durch die Welt zu helfen gedenke, und daß ich, wenn bei der gegenwärtigen Lage der Sache der Justizrath mir sein Julchen nicht verweigert, und dieses in mir nicht den Grafen, nicht den reichen jungen Mann, sondern mich liebt und ja sagt, der glücklichste Mensch unter der Sonne seyn werde. Jetzt kommen Sie, und gibt es die Gelegenheit, so bringe ich noch heute meine Worte an, und Sie sollen meine Verlobung mit feiern helfen.


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