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11.

Die kleine Kirchthurmglocke weckte ihn am folgenden Morgen aus seinem ewig langen Schlafe. Julchen hatte ihm gestern Abend zufällig gesagt, daß sie in die Kirche gehen werde; er warf sich eilig in die Kleider, verschlang sein Frühstück, und eilte in das einfache, von hohen Kastanien umschattete Gotteshaus. Die ganze Gemeinde, die aus der gutsherrlichen Familie in der ihr bestimmten Emporkirche lange Keinen gesehen, – denn der alte Graf hielt nicht viel von Religion-Zeremoniel, wie er das Kirchengehen nannte, und die junge Herrschaft war seit länger denn zwölf Jahren abwesend gewesen – erbauete sich an Gottholds Erschei nen in ihrer Mitte, und Aller Blicke waren ihm bei seinem Eintreten zugewendet, und Alle meinten, er sehe noch viel hübscher aus, als die bisherigen höchsten Kunst-Ideale der Bauerjugend, die beiden Posaunen-Engel, welchen die Zipfel der karmoisinrothen Draperie vor seinem Sitze in die Hände gesteckt waren, daß die erlauchten Kirchgänger wie unter einem Baldachin saßen.

Aber nicht nur Aller Blicke, sondern auch Aller Herzen waren ihm zugewendet, denn er hatte die ehrerbietigen Grüße des Aeltesten der Gemeinde, des Schulzen und der Schöppen durch ein freundliches Kopfnicken beantwortet, und die junge Pfarrfrau, die ihm der Verwalter, der ihn hatte begleiten müssen, auf dem Sitze, der Kanzel gegenüber, gewiesen, mit einer zuvorkommenden, sehr artigen Verbeugung überrascht, und die ganze christliche Gemeinde mit einem rund umschweifenden, so huldreichen Blicke bewillkommt, daß Jeder meinte, der liebe junge Herr habe ihm ausschließlich einen guten Morgen gesagt.

Sonst, das entsann er sich aus seinen Kinderjahren noch deutlich, sonst hatte die ganze Kirchfahrt die Gesänge abgebrüllt als stecke sie am Spieße; jetzt begleitete die über ihm befindliche Orgel mit den leisesten Akkorden das Lied, dessen Strophen die Männer und die Frauen, untereinander abwechselnd, mit gemäßigter Stimme vortrugen.

Der Verwalter erklärte, auf Gottholds Befragen, daß diese Einrichtung von der Mamsell Strenge herrühre, die vor zwei Jahren in einer Herrnhuter-Colonie gewesen, wo ihr diese Singweise so gefallen habe, daß sie den damals eben angezogenen neuen Herrn Pfarrer gebeten, solche auch hier einzuführen, und der Mamsell Strenge zu Liebe hätten sich die Kirchväter auch unweigerlich in ihren Wunsch gefügt.

Der Mamsell Strenge zu Liebe? fragte Gotthold, und er that ihm gut, hier in den Gott geweihten Hallen von ihr zu hören, von ihr sprechen zu können.

O, entgegnete der Verwalter, ohne zu wissen, welcher Honigseim seine Worte waren: die gilt hier viel, die gilt alles; aber sie verdient's auch. Sehen Ew. Erlaucht da vorn am Altare die Kinder auf dem Bänkchen! – und Gotthold gewahrte auf dem bezeichneten Platze drei kleine Mädchen und zwei Knaben, alle in gleiche Farben, in die des Gräflich-Ulmenhorst'schen Wappens gekleidet, reinlich und einfach, und frisch und gesund – das sind unsere Waisen; sie haben weder Vater noch Mutter und müßten betteln oder verkümmern; da hat sich Mamsell Julchen ihrer angenommen und verwendet ihr ganzes Taschengeld auf deren Verpflegung und Erziehung; den andern Mädchen im Dorfe aber gibt sie täglich bei sich im Hause drei Stunden Unterricht in weiblichen Arbeiten; da lernen sie Wäsche ausbessern, Stricken, Nähen und Schneidern, und alles, was eine tüchtige Bauerfrau von feiner Handarbeit zu wissen braucht, und für die Größern, die sich bald auf eigenen Heerd Rechnung machen können, besoldet sie eine eigene erfahrene Wirthinn, die Frau Sander, welche die Mädchen unterweisen muß im Backen, Kochen, Waschen, Platten, Obstdörren, Früchte einlegen, Spinnen, Weben, in der Federviehzucht und in andern nützlichen Dingen der Art, und da lernt sie selber mit, als sollte sie morgen ihre kleine Bauerwirthschaft antreten; der Frau Sander hat sie eine Apotheke eingerichtet; in der fehlt kein Hausmittel; Hunderten schon hat sie damit geholfen, und wo ihr Wissen nicht ausreicht, schickt sie die Kranken, wenn sie mittellos sind, auf ihre eigene Kosten zum Kreisarzt. Hat Jemand Kummer, oder ist er in Verlegenheit und Noth, so wandert er getrost zu Mamsell Julchen und schüttet da sein Herz aus, und immer findet er dort ein freundlich beruhigendes Wort, immer guten Rath und thätige Hülfe.

Gotthold sah tief beschämt mit niedergeschlagenen Augen in sein Gesangbuch. Er, der Sohn des Hauses, der einstige Miterbe dieser Güter, hatte sammt Vater und Bruder für die ihnen, vom gütigen Geschick anvertrauten Unterthanen, hier nichts, gar nichts gethan, und diese Fremde, diese Eingemiethete, war sie nicht die Schutzheilige des ganzen Dorfs!

Wenn die einmal von uns wegheirathet, fuhr der Verwalter fort: ein solches Julchen kriegen wir hier im Leben nicht wieder.

Sie hat wohl bereits? –fragte, von der grimmigsten Angst schnell erfaßt, Gotthold, und glaubte, in des Verwalters Tone die Gewißheit ihrer baldigen Verheirathung schon wahrgenommen zu haben; doch dieser sah, ohne des jungen Grafen Frage gehört zu haben, beifällig in den langen Gang zwischen den Bänken der Frauen und Mädchen hinab, und sagte: da kommt sie! und Julie schwebte, links und rechts die Bäuerinnen freundlich grüßend, wie ein Gottgesandter Engel der Liebe durch die Reihen der Andächtigen, die, wie auf ein Zeichen, sich Alle von ihren Sitzen erhoben und den gefeierten Liebling ihrer dankbaren Herzen durch Knixchen und Kopfnicken bewillkommten.

Julie setzte sich neben die junge Pfarrfrau, legte das in schwarzen Korduan gebundene Gesangbuch, in dessen blankem Goldschnitte die Morgensonne sich spiegelte, vor die Stirn des gesenkten Lockenköpfchens und betete; dann kam das Aelteste ihrer verwais'ten Schützlinge von seinem Bänkchen und schlug ihr das Lied auf.

Gotthold verschlang fast das schöne Heiligenbild mit seinen Blicken; Julie aber that nicht, als ob eine Gräflich-Ulmenhorst'sche Emporkirche im Gotteshause wäre; wollte sie sich in ihrer Andacht nicht stören, oder glaubte sie, daß es Entweihung des heiligen Orts sey, wenn sie ihrem schwachen Herzen folge und dort hinauf schaue, wo es sie hinziehe, oder fürchtete sie von seiner Lebhaftigkeit, daß, wenn sie einmal den heimlichen und hier gewiß sündhaften Weg der Augensprache eingeschlagen, er durch auffallendes Mienenspiel der Gemeinde ein Aergerniß geben möchte, sie sah nur und einzig und allein in ihr Buch, und, als jetzt der Prediger die Kanzel bestieg, zuweilen zu ihm, dem Diener des Herrn auf. Dieser aber sprach, nach Anleitung seines heutigen Evangelii, mit frommer Salbung über die Worte Jesu:

Welcher Mensch ist unter Euch, der hundert Schaafe hat, und so er deren Eins verlieret, der nicht lasse die neun und neunzig in der Wüste, und hingehe nach dem verlorenen, bis daß er es finde?

Jedes Wort des Herz und Seele ergreifenden Redners paßte, nach Gottholds Deutung, auf Juliens Engelmilde, mit der sie die verlornen Kinder aufgenommen, auf ihre gediegene Charaktergüte, mit der sie unter den Töchtern seiner Unterthanen, denen es an Mitteln gebrach, die für ihre Lebensbahn nöthigen Kenntnisse zu erlernen, Licht und Wissen verbreitete, und auf ihre zarte Theilnahme an fremder Noth in geistigen und leiblichen Dingen.

Von dem Allen hatte er, seiner reichen Fonds und seiner ihm eigentlich viel näher liegenden Pflicht ungeachtet, bis jetzt noch gar nichts gethan. Wenn Julie ihn mit sich verglich – doch dazu war sie zu bescheiden, aber wenn der Richter der Welt, der jede unserer Handlungen abwägt, ihn fragte, was Er denn in dem Sinne, den sein eingeborner Sohn in jenen Worten ausgesprochen, bis jetzt gewirkt! – und er fragte ihn in diesem Augenblicke strenger Selbstprüfung durch den, in der menschlichen Brust ewig wohnenden göttlichen Legaten, durch den Verkündiger der Allgegenwart Gottes im Menschen, – durch das Gewißen! – und das beschämende Gefühl, nichts, gar nichts Genügendes aufweisen zu können, drückte ihm die Augenlieder nieder, und des Pfarrherrn bedeutsame Behauptung, daß nur der im Sinne Jesu lebe, der, mit Aufopferung aller Selbstsucht, seine Kraft, sein Wissen, sein Beispiel und seine Mittel zum Beßten seiner Mitbrüder verwende, und wenn er auch gegen neun und neunzig derselben dieser strengen Pflicht genügt, nicht genug gethan zu haben glaube, sondern auch dem Hundertsten mit gleicher, unermüdlicher Liebe gehöre; daß nur dann erst, wenn Alle so dächten, fühlten und handelten, die Welt das verheißene Paradies schon hienieden seyn werde; und daß es jedes Rechtlichen, der auf die Achtung und Liebe seiner Mitwelt, auf seine innere Zufriedenheit, auf eine sanfte Sterbestunde und auf die jenseitige Gnade Gottes Anspruch mache, unerläßliche Pflicht sey, auf jenes, der ganzen Menschheit vorgesteckte hohe Ziel, so viel an ihm sey, mit allem Eifer hinzuarbeiten, fiel in das Tiefste seines Innern, und das Wort der Schrift fand hier einen guten Boden, den der Donner des Gewissens mächtig aufgelockert und mit elektrischer Kräftigkeit befruchtet hatte.

Als das Lied nach der Predigt beendigt war, und der Diener Christi die Gemeinde mit dem Segen Gottes entlassen hatte, ertönte – auch eine von Julien veranlaßte Einrichtung, wie, der Verwalter erzählte – von der Orgel herab eine sanfte Musik, während der die Gemeinde-Mitglieder ein stilles Gebet verrichteten und heimgingen. Die Dorfwaisen aber stellten sich, während Julie, das Gesangbuch vor dem Gesichte, betete, um ihren Sitz, und überreichten ihr, als sie geendet, kleine Sträuße von Rosen, Lavendel, Rosmarin und Basilikum, alles Blumen, die sie in ihrem Gärtchen selbst gezogen, und küßten ihr die Hände; und die himmlische Freundlichkeit, mit der Julie mitten unter den verlassenen Kleinen stand, sie begrüßte und sich mit ihnen unterhielt, rief ihm des göttlichen Kinderfreundes sanfte Worte in die Seele, als er sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.

Ihre Pfleglinge begleiteten sie bis zur Kirchthüre, wo sie von den jungen Bäuerinnen umringt ward, die sich alle freueten, sie von ihrem kleinen Ausfluge gesund wieder zurückgekehrt zu sehen, und ihr aus dem Kreise ihres Hauses die kleinen Begebenheiten der Zwischenzeit traulich mittheilten. Einfacher konnte keine Huldigung seyn, aber sie war für Gotthold um so rührender, als sie die herzliche Liebe, die ungeheuchelte Anhänglichkeit beurkundete, die sich das wunderliebliche Mädchen bei diesen unverdorbenen Naturkindern zu erwerben, gewußt hatte.

Das stille Anschauen, in das versunken er hier von ferne stand, störte der Pfarrer, der, von ihm durch den Verwalter zum heutigen Mittag eingeladen, herantrat, und sich entschuldigend, um die Erlaubniß bat, auf die ihm zugedachte ehrenvolle Auszeichnung verzichten zu dürfen, indem er selbst einen Gast für diesen Mittag zu sich gebeten.

Bringen Sie ihn mit, sagte Gotthold, ein Freund von Ihnen wird mir immer willkommen seyn; wer ist es denn? –

Es ist, entgegnete der Pfarrherr lächelnd; kein Freund, sondern eine Freundin meiner Frau, Mamsell Strenge; der Vater ist verreist, sie allein. –

Beide, Mamsell Strenge und Ihre liebe Frau werden mir sehr, recht sehr willkommen seyn, fiel ihm Gotthold in das Wort, und mußte sich alle Gewalt anthun, dem schwarzen Herrn seine unermeßliche Freude über die erwünschte Fügung des Zufalls nicht zu verrathen.

Er eilte jetzt nach Hause, um in der größten Geschwindigkeit die möglichsten Vorbereitungen zu Bewirthung seines, ihm von Priesterhand so unvermuthet zugeführten Gastes zu treffen; im Sturmschrittt rannte er in die Küche hinab und verkündete dem erstarrenden Koch, daß durchaus noch wenigstens zwei Gerichte besorgt werden müßten; die kleinen Schwierigkeiten, die dieser achselzuckend hervorbringen wollte, drängte Gotthold mit einem hastigen: es muß seyn, zurück, und schob, als er sah, daß dem Manne die Angsttropfen perlengroß vom bratfeurigen Gesichte auf das schneeweiße Jäckchen fielen, die Schuld des verlängerten Küchenzettels, dem er gern in seiner kindischen Freude, Julien heute in seinem Hause bewirthen zu dürfen, noch eine Elle zugesetzt hätte, auf die arme junge Pfarrfrau, die von ihrem frühern Gouvernantenverhältnisse im Hause des Oberküchenmeisters verwöhnt, sich wahrscheinlich von einem Gräflich Ulmenhorstschen Leibkoche keine schlechte Idee machen und heute eine sehr stattlich besetzte Mittagtafel erwarten werde.

Von dem Prasselfeuer, das der, bei der Ambition erfaßte Koch mit Butter jetzt anschürte, von aussen, und von den Loderflammen der ersten Liebe von innen erglüht, stieg er nun mit dem Kellner in die tiefsten Grundfesten des Schlosses hinab, und holte aus den alten Vorräthen der seltensten Weine, die seit Jahrzehnden hier lagerten, die beßten Sorten selbst heraus.

Die grünbemoosten Flaschen unterm Arm ging es jetzt in den Speisesaal! Was wollten die fünf Menschen – der Herr Verwalter war natürlich mit eingeladen – in dem großen Prachtsaale, der an dreihundert Gäste hätte fassen können! Im dunkelumschatteten Gartensalon, beim Blumenbosket, wo zwei kleine Springbrunnen plätscherten und eine murmelnde Kaskade die Luft kühlte, war es freier, heimischer. Hieher wurde die Tafel verlegt; alles, was Beine hatte, mußte helfen tragen, und holen und laufen, und immer ging alles dem raschen Gotthold noch viel zu langsam.

Ulrich, der Reitknecht, flog auf dem flinksten Renner des ganzen Stalles eben zum Hofe hinaus, in die Kreisstadt, um den Wein, der im alten deutschgräflichen Keller der Vorzeit nie genannt noch gekannt war, um Champagner zu holen, und seine Ordre lautete, auf Tod und Leben zu reiten und zur Nachtischzeit wieder hierzu seyn; und Susanne und ihr Vater, der Gärtnerbursche und der Gesell, alles hatte alle Hände voll zu thun, denn in die großen Porzellain-Vasen auf den Pfeilertischchen mußten die schönsten Blumen, und in die schweren silbernen Fruchtkörbe die beßten Kirschen, Beeren, Melonen und Ananas; Lisbeth aber, des Büchsenspanners junge Frau, hätte Gotthold im Uebermaße fröhlicher Ueberraschung beinahe bei dem Kopf genommen und abgeküßt; ihr Mann hatte heimlich, auf den Fall, daß die Herrschaft einmal herkäme, vor dem Jahre schon eine kleine Eisgrube angelegt, und jetzt brachte die niedliche Frau die Erstlinge dieses glücklichen Einfalles, die schönsten Schollen blankes Eis, in einem funkelneuen weißen, mit Eichenlaub umwundenen Eimer, und bat, den Wein hinein zu stellen, daß er frisch und kühl bleibe; einen zweiten Eimer aber werde der Mann dem Koche eine halbe Stunde später zustellen, um darin Gefrorenes zu bereiten.

Es war zum erstenmale in seinem Leben, daß Gotthold den Wirth spielte, aber er meinte, daß es seinen Gästen schon schmecken solle. Sie kamen jetzt die schattige Lindenallee herauf, und Gotthold eilte ihnen entgegen. Julie war das lustige Kind von gestern; sie hatte, erzählte sie mit ihrer bezaubernden Unbefangenheit selbst, anfangs einen Stein des Anstoßes in der Junggesellenwirthschaft gefunden, und dar um nicht mitkommen wollen, aber unter dem Schutze einer ehrwürdigen Pfarrfrau, meinte sie, hätte sie geglaubt, es wohl wagen zu dürfen, und so schlug sie den Ton des Scherzes und des Frohsinnes an, den die kleine Tafelrunde bis zum Ende festhielt.

Das Gespräch sprang, wie das unter fein gebildeten, sittlich guten und lebensfröhlichen Menschen ja immer der Fall ist, vom Hundertsten auf das Tausendste, aber immer kehrte es, vielleicht vom wackern Pfarrherrn, oder vom ehrlichen Verwalter, oder von Julchen absichtlich geleitet, auf einen Hauptpunkt zurück, auf mehrere Einrichtungen und Verbesserungen, die alle das hiesige Gemeinwohl bezweckten, und darum dringend gewünscht wurden.

Gotthold, in dessen Herzen die Stimmung des heutigen Kirchenmorgens noch anklang, und der sein halbes Leben hergegeben hätte, um Julien zu zeigen, daß gut und brav zu werden sein einziges Bestreben, und ihr Beifall, ihre Zufriedenheit, sein einziges Glück sey, bot zu der Ausführung der ihm mit Liebe vorgetragenen Ideen, mit Freuden die Hand, und so wurden, als zu Juliens großer Freude, das Eis und der Champagner kamen, von ihr an den Rosenfingern die Beschlüsse zusammengezählt, die während des kleinen Tafel-Congresses gefaßt waren: Errichtung einer Industrie-Schule für die Bauerntöchter; Anstellung eines Gärtners zum Unterricht der Knaben in der Obstbaumzucht, im Gemüsebau, und in der Kultur hier gedeihender Kräuter und Pflanzen; Anstellung eines Sing- und Musiklehrers; Verbesserungen des Schullehrergehaltes, und die jährliche Feier eines Rosenfestes, das waren ungefähr die Hauptresultate des glücklichen Tischvereins, bei dem Gotthold für Herz und Sinn, für Geist und Gemüth, mehr Nahrung gefunden hatte, als bei manchem schwelgerischen Feste, bei dem die schale Unterhaltung sich immer um Wetter, Theater und um den guten Namen der abwesenden Bekannten gedreht hatte.

Vor allem machte ihn Juliens herzige Behaglichkeit glücklich; sie hatte, mit der jungen Pfarrfrau um die Wette, Gottholds wirthliche Einrichtungen ihres lauten Beifalls gewürdiget; im Spiegel ihrer veilchenblauen Augen glänzte die edelste Freude des Menschen, die Freude, Gutes gewirkt zu haben, und als der Pfarrherr, nach aufgehobener Tafelrunde, das alte Tischgebet:

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewig;

verrichtete, warf sie einen frommen, unbeschreiblich wohlgefälligen Blick auf Gotthold, als wolle sie ihm danken, für die menschenfreundliche Güte, mit der er den wohlgemeinten Vorschlägen Gehör gegeben, und zur Verwirklichung ihrer Entwürfe auf das Thätigste beizutragen, bereitwillig versprochen hatte.

Gegen Abend als die Gäste sich verabschiedeten, begleitete er das liebenswürdige Pfarrerpaar, in dessen Wohnung, und von da führte er Julchen nach Hause. Er hatte an der Geländerthür gleich wieder umkehren wollen, aber, er wußte selbst nicht, wie das gekommen war, es schlug abermal eilf Uhr, und er saß noch in der Jelängerjelieberlaube; dreimal hatte ihn Julie, die wohl fühlen mochte, daß sich dieses nächtliche Beisammenseyn nicht recht schicken möge, auf das Schlagen der Schloßuhr aufmerksam gemacht, aber in ihrem Tone – die Liebe hat ein gar feines Gehör –hatte, nach Gottholds Meinung, kein rechter Ernst gelegen.

Sie waren vom Pfarrhause aus, hinter dem Dorfe, nach Julchens Wohnung gegangen; kein Mensch hatte sie gehen gesehen, folglich wußte auch kein Mensch, daß er hier in der gar lieblich duftenden Laube saß; und gesetzt, es wüßte es auch einer, so hatten alle Menschen im ganzen Dorfe Julchen viel zu lieb, als darum gleich etwas Böses zu denken! und sie thaten ja auch nichts Böses. Die höchste Freundschaft hatte schon im Kindesalter ihren Bund geschlossen; die Tugend hatte ihn erneuert, und die Liebe umschlang jetzt die unschuldigen Herzen in ungezählten Küssen. Aber darin konnte, nach ihrer Meinung, nichts Böses liegen, denn alle diese kleinen Zeichen ihres Wohlwollens galten, wie sie sich weiß machte, bloß seinem Edelmuthe, seinem Wohlthätigkeitsinne, seiner wahrhaften Engelgüte.

Selbst in Gegenwart des Vaters und des Pfarrherrn hätte sie, – wenn auch diese Küsse nicht alle, wenigstens doch einen – dem braven Gotthold unbedenklich geben wollen, und beide hätten, bei so bewandten Umständen, gewiß auch nichts Bedenkliches darin gefunden; wenn ein Kuß aber nichts Unerlaubtes war, so waren es auch nicht zwei und drei, und Gotthold, der, wie sie und die andern alle heute gesehen und gehört, ein gar frommer, rechtlicher, wackerer Jüngling war, der gewiß nichts Unrechtes von ihr verlangte, bat immer um noch mehrere, folglich mußte der auch nichts Böses darin finden.

So war ihnen unter Plaudern und Scherzen, und unter Tändeln und Kosen, der wunderherrliche Abend verflogen, und beiden ward es schwer, sich zu trennen, und beide hatten sich noch immer etwas zu fragen und zu erzählen, bis denn endlich die langsamen zwölf Schläge der über die stille Flur weit hinaus verhallenden Mitternachtglocke, Juliens dringendere Bitte, daß Gotthold nun heimgehe, unterstützten, und diese, als sie ihm wieder bis zur bewußten Geländerthür das Geleite gegeben, seinen Armen sich, entwand, und in das Haus schlüpfte.


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