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3.

Auf allen Rittersitzen der ganzen Runde ward seit dem Besuche des jungen Ulmenhorst in den weiblichen Kreisen die lebhafteste Regsamkeit sichtbar. Frau v. Stetefisch hatte mit unbeschreiblichem Wohlgefallen bemerkt, daß er die ganze Zeit seines Besuchs von ihrer Gundel kein Auge verwendet. Du hast ihn weg, sagte sie, als er fortgefahren war, zum Töchterlein scherzend: der Mensch brennt wie eine Scheune; und Kunigunde ward vor Schreck, daß die Mutter das auch bemerkt, kirschroth im ganzen Gesichte, schlug den Blick nieder und lächelte verschämt. So nicht, Gundel, so nicht, sagte mißbilligend die Mutter, so zimperlich gebehrdet sich jetzt kaum eine Bürgerdirne noch; den Kopf in die Höhe! die Augen gerade aus! ihm keck und lustig in das Gesicht geschaut! Der junge Mensch hat etwas Blödes, wenn Du auch so seyn wolltest, kämt ihr Euch im Leben nicht näher; junge Männer der Art müssen in unserm Entgegenkommen, in unserm fröhlichen Scherz die aufmunternde Versicherung finden, daß sie uns nicht unangenehm sind. Auf den Sonntag sind wir bei Ulmenhorsts zum Souper und Ball eingeladen. Nimm Dich zusammen, Gundelchen; Du bist nicht häßlich und weißt Dich zu produziren; mache mir Ehre, und denke, daß der junge Ulmenhorst mit die reichste Parthie im Lande ist.

Aber den Tod möchte man über Dich doch gleich auf der Stelle haben, hob die Baronesse von Pfortenrode, als die Grafen Ulmenhorst sie verlassen, zur Tochter gewendet, mit leidenschaftlicher Heftigkeit an: kommst du doch wahrhaftig zur Stube hereingefahren, wie eine lebendige Windbraut; ich mag recht gern, daß ein junges Mädchen rasch und lebhaft sey, aber so wild und jäh! – meiner Treu, ein Rehbock, ein Kalb springt nicht so mit beiden Beinen zugleich in das Zimmer, wenn sie sehen, daß bei den Eltern Gesellschaft ist; und dann, Renzchen, fuhr sie mit mütterlichem Ernste fort und steckte das Busentuch fest, das überall zu schmal war, und zog die losen Schnüre des Leibchens fester zusammen: ich bitte Dich um Gotteswillen, wie hängt und fliegt und flattert alles um Dich herum! Du mußt durchaus mehr Aufmerksamkeit auf Dein Aeusseres wenden; Du bist kein Kind mehr, und Ulmenhorsts Gotthold sucht, ich weiß es von sicherer Hand, eine Frau; umsonst kam er nicht zuerst zu uns; umsonst erkundigte er sich nicht nach Dir; umsonst sprach er nicht ausschließlich mit Dir, und immer nur mit Dir! und Du – wie standst Du da! Ich hätte vor Scham und Aerger in die Erde sinken mögen; die Hände auf dem Rücken, lehnst Du Dich mit den Schultern an die Wand, stehst auf einem Fuße, schlenkerst mit dem andern hin und her, klotzest ihn unaufhörlich an, als wolltest Du ihn mit den Augen durchbohren, und lachest in einem fort in die Welt hinein, wie eine junge Gans.

Die muthwillige Emerentia erglühte bei dieser Strafpredigt vor heimlichem Aerger über die Mama, denn ihr ehemaliger Jugendgespiele, der allerliebste Gotthold, hatte in ihr bestimmt weder ein Kalb, noch eine Gans gefunden; er war freundlich und lustig gewesen, wie sonst, sie hatten von den tollen Streichen ihrer Kindheit gesprochen, und dabei hatten sie natürlich ein bischen gelacht; das war Alles gewesen; und wenn Gotthold wirklich eine Frau brauche, so, meinte Emerentia, würde sie sich als Gräfin Ulmenhorst recht gut ausnehmen.

Einen reitenden Boten nach Gimpelstädt! rief die Landräthin, die Grafen Ulmenhorst waren noch nicht die Treppe hinunter, ihrem Kammermädchen mit einer Hast zu, als hinge von der Versäumniß jeder Minute das Wohl eines Welttheils ab; sie hatte deren, wie die Geographen vor Australiens Entdeckung, viere. Papchen, Pipchen, Popchen und Pupchen, das war ihre Welt; vier frische Mädchen, eins derber und runder als das andere; sie standen zwischen 17 und 24 Jahren, galten für die reichsten im Umkreise, legten in der Wirthschaft selbst Hand an, und wären alle viere, längst unter der Haube gewesen, hätte Mama sie nicht in gar zu hohem Preise gehalten; mancher Freier war schon mit tüchtigem Korbe davon gegangen, und darum hatte in der letzten Zeit keiner sich wieder melden wollen; doch Mama Landräthin, die sich auf den in der Umgegend errungenen Beinamen einer resoluten Frau etwas zu Gute that, ließ sich dadurch nicht bange machen. Etwas Rechts, oder gar Nichts, war ihr erster Wahlspruch, und lieber als Jungfrau gestorben, als in schlechter Ehe verdorben, ihr zweiter. Gotthold, das sagte sie sich im Stillen, denn mit ihrem Eheherrn sprach sie über derlei Dinge nicht, der war im Hause, wie im ganzen Kreise, eine reine Null – Gotthold war ein Mann für eine ihrer Töchter, mit dem legte sie Ehre ein, und wenn, wie sie sich ausdrückte, nur einmal ein Loch gemacht wäre, würden die andern nach und nach wohl auch abgehen; Papchen, des Papa's Liebling, und darum also genannt, denn eigentlich hieß die Susanne, war für Gotthold schon zu alt; Peppy, Josephe, die zweite, hatte schon als Kind das Zeitliche gesegnet; Pipchen, Philippine, war an den Major v. Schnüren bereits halb und halb verthan, wie es die Mutter nannte; Popchen, Pauline, aber stand, wegen einer kürzlich erst entdeckten kleinen Liebschaft mit einem jungen Bürgerlichen, bei der Mama nicht recht gut angeschrieben; Pupchen ward daher dem glücklichen Gotthold bestimmt; das Kind hieß eigentlich Polykarpe; ihrem Pathen, einem Pupillenrath, zu Ehren aber, und um das fünffache Vokal-Kleeblatt voll zu machen, ward ihr Name korrumpirt, und nur, wenn Papa es recht gut mit ihr meinte, nannte er sie witziger Weise, in Bezug auf die Endsylben ihres wahren Namens, sein Karpfenpupchen.

Die Mutter las den Kindern, während der Eilbote seinen Gaul sattelte, nachstehendes, an den Gimpelstädter Perückenmacher Zäusler gerichtetes, in aller Geschwindigkeit hingeworfenes Billet vor. Zu dessen Erklärung ist die Notiz nöthig, daß Herr Zäusler vordem in der Residenz bei der Oper als Theaterfriseur angestellt gewesen war, und beim täglichen Zusehen in der Tanzkunst so erfolgreiche Fortschritte gemacht hatte, daß er, den immer mehr in das Weite gehenden Ansprüchen der eigenwilligen Solotänzerinnen zu genügen, aus Alterschwäche nicht mehr gnügend, sich vor zwanzig Jahren in seinen Geburtort Gimpelstädt zurückgezogen hatte, wo er des Vormittags die hohe Noblesse als Friseur bediente, in den Feierstunden der Abendmuße aber den Tanzgelehrigen für ein Billiges Unterricht ertheilte.

Bester Herr Zäusler!

Und sollte Sie's auch nicht recht gelegen seyn, so muß ich Ihnen doch tringend bitten, schleinichst mit dem Menschen zu Pfärde raus zu kommen, und den Bäuerschen Kalobb-Walzer mit zu pringen, denn gizt will alles auf Bäuersch Kalobbiren, der erste wie der lätzte. richten Sie Sich Ein, bis zum Sontag Frih hier pleiben, und pringen Sie meune neie Duhr mit den langen Lokken kleich mit. Sie kennen doch den Hoppswalzer, der gizt Mothe ist? ich meine den, der sich so anfänkt: Rumm rumm, rumm rumm, Diideya, Diideya, und bin

Ihre

wohl afekzionirte
Lina v. Zwickel,
Königl. Landräthin des
Roggenfelder Kreises.

N. S.

Sie kriegen däglich 1 Rthlr. 12 gr. und aller frei, dafür missen Sie aber so lange hoppsen, bis sie's können. Hätte Sie fülleicht jemand Andersch schon auf das Bäuersche für seine Döchter bestellt; so gebe ich auch mehr, wenn Sie es anterwärts ausschlagen und zu uns kommen.

In Eil.

Zäusler war in der peinlichsten Verlegenheit; eine ganze Woche bei Landraths in Floribus zu leben, und obenein noch täglich ein so stattliches Honorar zu bekommen, war eine Aussicht, wie sie ihm, seit er seinen Abtritt aus der Residenzwelt genommen, noch nicht geboten worden war; aber der Walzer, der Walzer! Er hatte von dem Baierschen Gallopp in seinem Leben noch kein Wort gehört, und der war, das las er sich wohl aus dem kauderwälschen Brief heraus, die Hauptsache. – Ohne den – durfte er nicht kommen. Er brummte das Rumm, Rumm, zehn- und zwanzigmal vor sich hin, aber da wollte kein Walzer herauskommen. Wie eine Sternschnuppe aus finsterm Himmel, fiel ihm in der Angst seines Herzens bei, daß bei seinem Nachbar, dem Schneider, ein Baierscher Gesell arbeite. Dem heiterte sich das ganze Gesicht auf, als Zäusler mit der höchsten Spannung, der man es anhörte, daß Ehre und Leben auf der Antwort standen, ihn fragte: ob er den Baierschen Gallopp kenne. Mit beiden Beinen war der flinke Gesell vom Tische; im grünen Dachse zu Ingolstadt hatte er ihn zum letztenmale getanzt, daß sich ihm die Gaststube um und um gedreht hatte; er galloppirte dem gelehrigen Zäusler sein Kunstwerk vor; der eiligst herbeigeholte Stadtpfeifer setzte die Musik, wie sie ihm der Schneider vorfistulirte, für das Klavier, und also wohl versehen schwang sich der frisirende Tanzlehrer hinter den landräthlichen Reitknecht auf den Stallklepper, und kam, einen kleinen Sturz abgerechnet, bei dem alle drei, der Gaul, der Pferdebändiger und Zäusler, in eine haushohe Brennnessel-Plantage fielen, wohlbehalten im Kreise der galloppsüchtigen Fräuleins an.

In aller Eile wurden der leberkranke Kreissecretair, das Trampelthier von Kornschreiber, und, als Stellvertreter der vierten fehlenden Mannsperson, die Kammerjungfer als Chapeaux requirirt; der Organist mußte klavieren, und nun wurde gehoppst von früh bis Abends, bis keins mehr ein Glied rühren konnte. Die Goldkinder übertrafen der zärtlichen Mutter kühnste Erwartungen; vorzüglichen Preis errang aber ihr Liebling, das Nesthäkchen, Karpfenpupchen genannt, nur daß Herr Zäusler, seines Eifers nicht immer Meister, ihr zuweilen zuschreien mußte, nicht so schrecklich einwärts zu tanzen; der Kornschreiber trat ihr darum, ohne seine Schuld, mehr als zehnmal auf die Füße, daß Pupchen in der Verzweiflung ihres Schmerzes oft laut auf wimmerte und ihr die hellen Thränen aus den Augen sprangen, doch die Mutter rief, wenn sie dergleichen kleine Unfälle bemerkte, tröstend: Hoffart will Zwang haben! und schalt das Kornthier einen ungeschickten Esel; dieses aber kam, als ihm solcher Sticheleien am Ende zu viel wurden, am letzten Tage am Sonnabende dieser galloppirenden Marterwoche, aus dem Gleichgewichte, und schlug mit Pupchen der Länge nach in den Saal, und sie trug eine tüchtige Brausche auf der Stirn davon, und nur den Brantwein-Bäuschchen, welche die ganze Nacht hindurch, bis zum hellen Sonntag-Morgen, und selbst noch auf der Fahrt nach Ulmenhorst, unausgesetzt aufgelegt wurden, war das Verschwinden des Makels bis auf einen kleinen rothen Fleck zu verdanken, der gerade über der Nase sitzen blieb, ohne jedoch das hübsche Zwickelchen sehr zu verunstalten; dafür verbreitete aber die ganze Familie bei ihrem Eintritt in die Ulmenhorstischen Prunkgemächer einen Fuselduft, daß jedermänniglich vermeinte, sie käme aus dem Schnappshause.


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