Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12.

Was doch oft ein einziges Wort in der Welt thut!

Während die drei Herren, nach der Tafel, mit einander über die interessanten Tisch-Verhandlungen noch dieß und jenes besprochen, war die junge Pfarrfrau mit Julien in den Schattenparthieen des Gartens einigemal auf und abgegangen. Sie hatte Gotthold früher nicht gekannt, und war von seinem blühenden Aeußern, von seiner feinen Gewandtheit, von seinem Anstande, von der Bildung seines Verstandes, von der Züchtigkeit seiner Sitte, vom Umfange seines Wissens, von dem Reichthum seiner frohen Laune rein bezaubert; Julie nickte allen ihren Aeußerungen beifällig zu, denn sie hörte sich selbst sprechen; sie hätte das alles einer dritten auch, und mit noch viel feurigerem Enthusiasmus gesagt, wenn es sich, nach ihrem Gefühl, für ein Mädchen geschickt hätte, über einen jungen Mann in der Art sich zu äußern; aber sie erschrak auf einmal so durch und durch, daß sie auf dem Flecke stehen blieb, und daß ihr das Blut in allen Pulsen stockte, als die kleine unbesonnene Frau die Bemerkung fallen ließ, daß der Graf in Julien bis zum Sterben verliebt sey; sie behauptete, das schon in der Kirche bemerkt zu haben, und bei der Tafel sei es ihr vollends klar geworden; sie widerlegte Julchens Sträuben gegen den Glauben an die Wahrheit dieser sie überraschenden Mittheilung durch hundert kleine Züge, durch die sich Gotthold nur gar zu deutlich verrathen habe, und erzählte, als Julchen, halb böse, das Alles für einen albernen Scherz erklärte, und die Neckerinn bat, nicht außer Acht zu lassen, daß Gotthold Graf und sie eine schlichte Bürgerinn sey, ein halbes Dutzend Fälle aus der kurzen Erfahrung ihres Residenz-Lebens, wo Barone und Grafen aus den ältesten Familien des Landes, Mädchen bürgerlicher Herkunft geheirathet hatten, und mit ihnen, so viel man dieß wenigstens äußerlich habe beurtheilen können, recht glücklich lebten – daß in allen diesen Fällen das Geld, und nur das Geld allein, die armen reichen Bürgermädchen unter die Grafenkrone gebracht, und daß in allen diesen Fällen die Liebe und die persönliche Achtung, von Seiten der Goldgierigen, nie in das Spiel gekommen, das erzählte sie freilich nicht –

Julchen hatte sich, ob gleich ihr Geheimgefühl der unvorsichtigen Freundinn Recht gab, und ob sie gleich sich sagte, daß Etwas der Art schon gestern, als er ihr das Vergißmeinnicht überreicht, und als er sie nach Hause begleitet, und als er neben ihr bis eilf Uhr gesessen, so halb und halb selbst vorgekommen, mit Gewalt gegen die Idee von der Möglichkeit eines solchen Falles zwischen sich und Gotthold gestemmt; diesen Mittag nun ja, gut mußte ihr Gotthold seyn, denn wenn er zu des Pfarrers oder des Verwalters Vorschlägen sich auch einmal nicht ganz geneigt gefühlt, oder wenn deren Ausführung ihm zu schwierig, zu kostspielig geschienen, und sie nur ein Wort zu ihren Gunsten gesprochen, so hatte er augenblicklich seine Einwendungen aufgegeben, die dagegen sprechenden Schwierigkeiten selbst beseitigt, und die Idee der Ausgleichung mit lebhaftem Antheil ergriffen.

Er hatte ihr bei Tische das schönste Obst ausgesucht und auf den Teller gelegt; er hatte ihr – eigentlich gebührte der Pfarrfrau, als der Verheiratheten, der Vorrang – aber er hatte ihr immer zuerst eingeschenkt, ihr zuerst alle Schüsseln reichen lassen – das Eis – er hatte ja selbst gesagt, wie ihn Leberechts gescheiter Einfall vorzüglich darum so gefreut, weil es dadurch ihm möglich geworden, ihr Gefrorenes, was, wie er sich von sonsther erinnere, ihre Lieblingspeise sey, bereiten zu lassen. – Den Champagner – noch gestern hatte sie zufällig gesagt, daß ihr das der liebste Wein sey, und heute muß der arme Ulrich auf Tod und Leben reiten, blos um einer ihrer kleinen Liebhabereien willen. – Beim Heimgehen hätte er eigentlich die Pfarrerinn führen sollen; aber er hatte sich ihren Arm ausgebeten, und von der Pfarrwohnung bis nach Hause, war sie hundert und aber hundertmal allein gegangen, und es hätte ihr auch dießmal gewiß kein Mensch etwas gethan, aber er hatte es sich nicht nehmen lassen, er hatte sie heim begleitet, und – indessen, das alles waren noch keine Beweise von dem, was die junge Pfarrfrau gemeint – das alles war nichts als Gutseyn von früher Jugendzeit her, Artigkeit, feiner Anstand, manierlicher Weltton – daß der gute Freund gestern Abend bis eilf Uhr saß, und immer nicht fort wollte, das war wirklich nichts als ein bischen Faulheit. Er mochte den ganzen Tag was Ehrliches herumgelaufen und geritten seyn, und nun war er müde, und es grauete ihm darum vor dem Heimwege; als sie ihm mit dem Levkoie-Stengel den frischen Nachtthau tüchtig in das Gesicht gespeist, und ihn wieder munter gemacht hatte, da hatte er wohl Beine bekommen – daß er heute wieder bis um eilf, – und sogar bis um zwölf Uhr sitzen geblieben war, das lag an ihr; daran war sie selbst Schuld, sie hatte ihn nicht zeitig genug an das Gehen erinnert; und lieber Gott, eigentlich schickt es sich doch überhaupt nicht, einen zu bitten, daß er gehe, – und diese Bitte gar an Jemand zu richten, bei dem man erst diesen Mittag gegessen, und von dem man mit Artigkeiten jeder Art überschüttet worden, schickt sich nun vollends gar nicht; auch waren ihr die Paar Stündchen so schnell vergangen, daß sie selbst, nicht geglaubt hatte, es sey schon so spät.

Aber für Liebezeichen konnte sie das doch wirklich auch nicht nehmen; der Steuerrath, wenn der sie einmal besuchte, klebte jedesmal bis eilf Uhr und noch länger auf dem Stuhle, und ging nie eher, als bis Julchen und der Vater um die Wette gähnten, und er dann, davon angesteckt, laut mitgähnte, und Julie ihm bemerkte, daß er recht schläfrig zu seyn scheine, und, wenn das noch nicht ziehen wollte, das Zaunpfahlwinkchen hinzufügte, daß es auch schon recht spät sey, – aber darum war zwischen ihr, und dem langweiligen Steuerrathe doch kein Liebesverhältniß! –

Heute Abend – als Gotthold neben ihr in der Laube gesessen – einigemal hatte er wohl wunderliche Reden fallen lassen, und so komisch durch einander gefragt, daß ihr heimlich oft das Lachen angekommen; ob es ihr wohl lieb seyn würde, einmal immer auf dem Lande zu leben; und wen sie unter den jungen Leuten ihrer Bekanntschaft am liebsten sähe; und ob es ihr nicht einmal leid thun werde, aus dieser schönen Gegend für immer und ewig zu scheiden; und welchen Berufstand sie wählen würde, wenn sie einen solchen für einen Mann zu bestimmen hätte; und dergleichen sonderbare weit ausholende Fragen mehr, aber das alles konnte er auch aus bloßer Neugierde, ohne alle Nebenabsicht fragen, meinte sie, wider ihre innere Ueberzeugung sich selbst belügend, und lüftete die leichte seidene Decke, die diese Nacht, schwer wie ein Bleidach, auf ihr lag, denn war es der hundertjährige Rheinwein oder Tokayer, oder der junge Schaumwein, den ihr Gotthold fleißig eingeschenkt, oder war es die schwüle Sommernacht, oder die Glut seiner Küsse, mit de nen er diesen Abend wohl über die Gebühr freigebig gewesen war, aber sie hatte eine Hitze, daß sie kein Auge zuthun konnte.

Sie wollte an etwas anderes denken, aber immer kam ihr Gotthold vor die Seele, wie er mit so schmachtendem Blick an ihrem Auge gehangen, als er sie gebeten, daß sie ihn doch auch Du heißen möchte, und wie sie, weil er gar zu schmelzend gebeten, und ein Schnippchen geschlagen und geschmollt, da sie es ihm aus guten Gründen auf dreimaliges dringendes Bitten dennoch abgeschlagen, endlich, um ihn nur wieder gut zu machen, zwar zugesagt, aber unter dem Beding, daß das nur unter vier Augen geschehe, und daß sie es lediglich zusage, weil sie sich früher in ihren Kinderjahren auch gedutzt, und daß es gänzlich ihr freigestellt bleiben müsse, dieß Du, späterhin, ohne die veranlassende Ursache angeben zu dürfen, wieder zurückzunehmen, und wie er in das alles gern und freudig gewilliget, und sie nun gebeten habe, ihr zum Gutenachtkuß ein recht herzliches Schlafwohl zu sagen, und wie sie theils, um ihn ein bischen zu necken, theils aus Ungewohnheit der Sache, und aus blöder Mädchenhaftigkeit, das nicht habe herausbringen können, sondern immer, schlafen Sie wohl gesagt habe; und wie er halb in Spaß halb in Ernst, Seele und Leben verpfändet, nicht eher von dannen gehen zu können, als bis sie so gesagt, wie er gebeten und sie es versprochen; und wie über das Wollen und nicht Können, fast eine ganze Stunde verflossen, und zwölf herangekommen, und wie sie, um seiner nur los zu werden, ihm endlich den Willen gethan, und wie sie es ihm, als sie es nur erst einmal über die Lippen gebracht, drei-, viere und fünfmal habe wiederholen müssen, und wie er dann, im Uebermaße seiner Freude, sie mit beiden Armen umschlungen, und ihr Mund und Auge, und Stirn und Wangen mit süßen bedeckt, – das, ja das, meinte sie lächelnd,und legte beide Händchen auf die entfesselte Brust, in welcher der kleine geflügelte Mordbrenner, Amor genannt, eine Feuersbrunst anschürte, die nie verlöschen sollte, das, ja das schien ihr selbst die Ansichten der Pfarrfrau in etwas zu bestätigen.

Sie lispelte leise: Schlaf wohl, lieber Gotthold, schlafe recht wohl, mein süß geliebter Freund, und schlummerte hinüber in das Reich der glücklich Liebenden, in das Reich der Träume.


 << zurück weiter >>