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9.

Der Sonntag Vormittag währte aber auch ewig lange. Nach der Kirche war noch kein Mensch da. Die Mädchen wollten auf den Schloßthurm, von dem aus rundum die weiteste Aussicht sich bis hinunter zu dem grünen Waldkranze dem Auge darbot, aber die Hofmarschallinn meinte, der scharfe Luftzug da oben könne den leicht gekleideten Kindern nachtheilig seyn, und fragte lächelnd: wer denn zuerst den Einfall gehabt; sie sehe ja wöchentlich mehreremale aus der Nachbarschaft Leute bei sich, und bis jetzt habe man deren Ankunft immer ruhig im Zimmer abgewartet.

Aurora wollte hinauf, entgegnete Brunehild, und ward, als sie den Purpur gewahrte, der Aurorens Wange pfeilschnell übergoß, feuerroth, denn sie hatte den feinen Stachel, der in der Mutter Frage gelegen, im Gefühle ihrer kaum mehr zu gewältigenden Sehnsucht verstanden, zugleich aber war ihr auch in der Rosenflamme, die auf Aurorens Wangen erglühte, das erste Lichtchen aufgegangen, und hatte den Argwohn geweckt, daß die Engelgeduld, mit der die werthe Cousine die ganze Woche lang ihre kleinen Schwärmereien ertragen und genährt, wohl etwas anders, als Freundschaft für sie seyn könne.

Ihr habt Euch ja geputzt, Kinder, fuhr die Hofmarschallinn beifällig scherzend fort: als erwarteten wir den Fürsten selber.

Nun, ich doch wahrhaftig nicht, erwiederte Aurora schnell und mit einem Tone, dem man es anhörte, daß sie der Tante Neckerei verwunde, und es war wahr, es blitzte, während Brunehild die ganze Herrlichkeit ihres beßten Schmuckes ausgelegt, kein Steinchen an ihr, dafür aber war ihr Haar und Anzug auf das sorgfältigste und geschmackvollste geordnet, sie prangte in dem allerfeinsten Hauskleide, und ihr jugendlich schöner Körper, die Frische ihrer zarten Haut, die Formen ihrer üppigen Fülle und ihre blühende Farbe, der Seidenglanz ihres Ringelhaares, das Schmelzende ihrer brennenden Augen, die milde Lieblichkeit ihres Engelgesichtchens, die Anmuth ihres natürlichen, frohen Sinns, alles war so sonntäglich, so feiertagmäßig, daß die Tante selbst die eigene Tochter darüber vergaß und Freund Gotthold in diesen Reizen unrettbar, unwiederbringlich verloren, sich aber für das gelungene Meisterwerk, Auroren dem Prinzen glücklich entrückt zu haben, von Viktors Eltern fürstlich belohnt und mit dankbaren Auszeichnungen beehrt sah.

Endlich rollte ein Wagen nach dem andern in den Schloßhof; zuletzt auch der Gräflich-Ulmenhorstsche mit sechs schaumbedeckten Rappen; Papa ward aus dem Wagen gehoben; jetzt kam Gotth – nein er kam nicht.

Brunehild und Aurore standen mit einigen bereits versammelten Gästen an den Fenstern. Brunehilden verging, als der Wagen, ohne daß Gotthold ausgestiegen, nach dem Stalle zu fuhr, die Sprache. Auroren vergingen die Sinne. Keines wagte das Andere anzusehen, denn Beide fürchteten, sich vor den Umstehenden zu verrathen, und die Hofmarschallinn las jetzt erst in den langen Gesichtern der Mädchen recht deutlich, mit welcher Sehnsucht sie den Säumigen erwartet hatten.

Graf Ulmenhorst entschuldigte des Sohnes Ausbleiben mit heftigen Zahnschmerzen, die ihn heute früh, kurz vor der Abfahrt, überfallen; daß dieß aber bloßer Vorwand war, und daß selbst der Vater an die Zahnschmerzen nicht glaubte und den Sohn lieber verdammt als entschuldigt hätte, ward aus der Weise seines Vortrages jedermänniglich klar.

Die Hofmarschallinn gab bald nach den ersten Begrüßungen dem Grafen einen Wink, sich aus dem Versammlungzimmer zu entfernen und ihr in ein Seitenkabinet zu folgen.

Hier sollte er beichten. Aber er wußte nichts.

Aus dem Eifer, mit dem der Vater Auroren um einen Tanz für ihn gebeten, aus der Anordnung der Tischnachbarschaft, aus dem, was der Vater von dem höheren Besitzthum erwähnt, und was Schnüren von dem, den dringenden Umständen abgenöthigten Plane gesagt, hatte Gotthold das ganze Spiel zusammen gereihet, das der Vater, der hoffentlich von dem vorgeblichen oder wahrscheinlichen Drange der Umstände nichts wußte, und von den glänzenden Aussichten, die seinem Gotthold durch Aurorens Hand eröffnet werden sollten, geblendet worden, gekartet habe.

Beweise für seine, ihm von Schnüren in das Herz geschraubte Vermuthung fehlten; über die ganze Angelegenheit viel zu sprechen, hatte Schnüren selbst zu den kitzlichen Halssachen gezählt; überdieß hatte dieser ihm noch vor dem Nachhausefahren vom Balle sein Ehrenwort abgefordert, ihn nie und gegen keinen Menschen als den zu nennen, der ihm über Aurorens Verhältniß zum Prinzen das nähere Licht gegeben. Folglich hielt Gotthold für das Klügste, sich über die Geschichte mit keinem Worte auszulassen.

Des Vaters Frage, warum er dem Obermundschenk seinen Tischplatz überlassen, beantwortete er mit der Aeusserung, daß er das für schicklich gehaltene, auf des Vaters Aeusserung, daß es geschienen, als ob er bei und nach dem Essen nicht recht aufgelegt gewesen, erwiederte er ein kurzes, daß ich nicht wüßte; auf die Erkundigung, welche der Ball-Damen ihm am beßten gefallen, ließ er sich in ein breiteres Detail ein und nannte deren ein Dutzend, unter diesen, nach seiner Meinung recht fein berechneter Weise, auch Auroren, und auf die Meldung, daß die Hofmarschallin ihn mit zum Sonntage eingeladen, entgegnete er gar nichts.

Im Laufe der Woche brachte der Vater, auf weiten Umwegen, das Gespräch öfter wieder auf die Hofmarschallin und dann auf Auroren zurück; Gotthold, der ihn immer von weitem kommen sah, bestätigte sich dadurch in der Gewißheit des vorhandenen Heirathplanes, und schlug, um sich nie zu verrathen, den Weg der diplomatischen Schweigsamkeit ein; er machte, wenn der Vater auf dieß Kapitel kam, bloß den Zuhörer, und antwortete nur, wenn er ausdrücklich um seine Meinung gefragt ward.

Bis jetzt hatte der Vater immer nur mit Enthusiasmus von Auroren gesprochen und ihre guten Seiten nach allen Kräften herausgestrichen; auf diese Weise sah er wohl, kam er nicht zum Zweck, Gottholds Gesinnungen zu erforschen, denn er konnte, die Hände auf dem Rücken, stundenlang neben ihm hergehen und brachte keinen Laut über die Lippen, ungeachtet er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit immer bei dem Gespräche war, denn er fand es höchst interessant, zu sehen, wie sich sein guter Vater abmühete, ihn für Auroren, die dieser wohlgemeinten Verwendung wahrhaftig nicht werth war, endlich zu gewinnen.

Der Vater hieb sich jetzt einen neuen Weg in das Holz. Er tadelte Auroren und meinte, daß Gotthold, wenn er etwas für sie empfinde, gewiß bald auftreten und sich ihrer annehmen, sie zu entschuldigen oder zu rechtfertigen suchen werde. Das Mädchen schien ihm etwas gefallsüchtig, auch etwas gar zu lebhaft, gar zu lustig; sie gebe sich, wie sie sey; so habe sie nicht einmal so viel Gewalt über sich gehabt, es zu verbergen, wie ungelegen ihr des Obermundschenks unerwartete Tisch-Nachbarschaft gewesen; ein tüchtig Portiönchen Eitelkeit sey ihr auch nicht abzusprechen, und – er wollte ihr zwar nicht Unrecht thun, aber das Uebergewicht, das sie hinsichtlich ihrer Kenntnisse und ihrer Hoferziehung über manche andere Fräulein der Gesellschaft unläugbar gehabt, sey doch fast ein wenig zu bemerkbar geworden; auch scheine Aurora die Huldigungen der sie umschwärmenden jungen Männer als einen ihr von Gott und Rechtswegen gebührenden Tribut anzusehen, und, wohl aus unzeitigem Stolze, ein fast zu geringes Gewicht darauf zu legen, denn außer mit Gotthold, bei dem sie, vermuthlich als den Sohn vom Hause, eine Ausnahme machen zu müssen geglaubt, habe sie mit Keinem so lange und so freundlich gesprochen, sondern sie immer kurz und beinahe spröde abgefertigt.

Gotthold spazirte nach wie vor, die Hände auf dem Rücken, neben dem Vater, und biß oft gewaltsam die Lippen zusammen, um kein Wort herauszulassen. Der Vater that dem Mädchen, mit den mehresten seiner Urtheile, schreiend Unrecht, das mußte er zu ihrer Ehre selbst jetzt, wo er ihr nicht grün war, wo sie seine Achtung und Liebe verloren, eingestehen, aber wenn er nur eine Sylbe zu ihrer Rechtfertigung fallen ließ, so hatte der Vater ein Häkchen, um das weitere Gespräch, das dieser auf dem Herzen hatte, daran zu hängen, das sah er wohl im Voraus, und darum nahm er zu seiner Diplomatenklugkeit wieder seine Zuflucht, und schwieg als hätte er keine Zunge im Munde, und ließ das Mädchen frisch weg verdammen und verurtheilen; wußte er doch aus den früheren Lobreden des Vaters, und aus dem weither zusammengeholten, ganz einseitigen und meist ungegründeten Tadel, was der alte Herr mit der ganzen Komödie beabsichtigte.

Den Sonnabend war der Vater noch auf demselben Flecke, auf dem er am Montage früh gewesen war. Jetzt schoß ihm das Blatt. Bestimmt hatte Gotthold sein Herz schon irgendwo aufzuheben gegeben, und daher dessen unbegreifliche Kälte gegen die reizende Aurora, deren Zauber ja sonst in das jugendliche Pulverfaß augenblicklich hätte einschlagen müssen.

Die bei Gottholds raschem Temperamente, bei seinem für Liebe so empfänglichen Herzen, und bei seinen, von den festen Grundsätzen des Vaters, über das Heiligthum einer unverfälschten Ahnenreihe abweichenden Ansichten, wohl zu entschuldigende Angst, daß der Herr Sohn bereits eine Wahl getroffen, deren Billigung in das Reich der Unmöglichkeit gehöre, und daß es dann mit dem, gerade in diesem Punkte unbeweglichen Starrkopfe, zu starken und hartnäckigen Tänzen kommen werde, drückte ihm jetzt, nach weiter, umschweifiger Auseinandersetzung der Nothwendigkeit, nun auch auf eine anständige, den Ansprüchen der Familie genügende Verbindung mit der Zeit denken zu müssen, die vertrauliche Frage ab: ob Gotthold unter den vielen Bekanntschaften, die er aus seinen Reisen gemacht, vielleicht ein Mädchen gefunden, das der Ehre werth sey, in seinen Siegelring sein Wappen neben dem Gräflich Ulmenhorst'schen stechen zu lassen?

Gotthold lachte verneinend, und aus der Unbefangenheit seiner Antwort, in der die Versicherung lag, an etwas der Art zur Zeit noch, nie – er hielt im Augenblick inne, denn er besann sich, am letzten Balle doch ziemlich nahe daran gewesen zu seyn, und fuhr dann mit gedämpfterer Stimme fort, – noch nie ernstlich gedacht zu haben, nahm der Vater, der des Sohnes untrügliche Wahrheitliebe kannte, zu seiner großen Beruhigung wahr, daß von der Seite, gegen den Plan mit Auroren, nichts im Wege liege.

Gotthold aber durchschaute seiner Seits die Absicht dieser Präliminairfrage bis auf den Grund, und nahm sich in diesem Augenblicke vor, morgen um keinen Preis mit zu fahren.

Am Sonntag Morgen, als der Vater schon im Wagen saß, ließ Gotthold hinab sagen, daß es ihm wegen heftiger Zahnschmerzen, die ihn die ganze Nacht gequält, unmöglich sey, ihn zu begleiten. Auf das Höchlichste überrascht, sprang der Alte wieder heraus, eilte auf Gottholds Zimmer, und wollte vor ihm seinen Aerger über die wahrscheinlich blos vorgewendete Krankheit ausschütten, und ihn gerade heraus fragen, was er gegen Auroren und das Haus der Hofmarschallinn habe, aber auf der Treppe besann er sich wieder der ausdrücklichen Ordre der Hofmarschallinn, vor der Hand den jungen Leuten von irgend einer Absicht, sie mit einander zu verheirathen, durchaus nichts merken zu lassen; er bezähmte also seinen aufwallenden Zorn, und stellte sich, als komme er bloß, sich nach des armen Sohnes Befinden näher zu erkundigen.

Logen die über der Stuhllehne hängenden Kleidungstücke nicht, so hatte Gotthold wirklich den Willen gehabt, mitzufahren; log das schwarzseidne Tuch, das er um Kinn und Wangen, das weiße, das er um den Kopf gebunden hatte, und der mit allen möglichen Hausmitteln besetzte Tisch nicht, so hatte er wirklich Zahnweh. War er die ganze Woche einsylbig und maulfaul gewesen, so war er jetzt gar stumm.

Der alte Graf meinte, daß man sich zuweilen zwingen müsse, und daß namentlich der Zahnschmerz einem festen Willen, ihn zu verläugnen, unterthan sey, und erzählte mehrere Beispiele von Schauspielern, die mit dem wüthendsten Zahnweh hinter den Coulissen gestanden, und, sobald sie auf die Bühne getreten, ihn augenblicklich verloren hätten. Gotthold machte eine Pantomime dazu, als wolle er sagen, daß seine Sorte nicht so fügsam zu seyn scheine; die Hofmarschallinn, meinte der Vater, würde ihm gar nicht glauben wollen, daß Gotthold sich von einer solchen Kleinigkeit –bei dem Worte Kleinigkeit fuhr Gotthold nach dem linken Backen, wimmerte laut, schnippte mit den Fingern der Rechten und schnitt Gesichter, als sey der Höllenschmerz, den Ihre Excellenz, die Frau Hofmarschallinn für eine Kleinigkeit anzusehen geruhen wollten, im Stande, den daran Leidenden an die Grenze der Verzweiflung zu bringen; der Vater murmelte, um die letzte Mine springen zu lassen, etwas von Brunehilden und Auroren vor sich hin, das ungefähr so klang, als ob diese beiden den verhätschelten Zärtling auslachen würden, der es vorzöge, lieber zu Hause zu bleiben, und ihre Gesellschaft Preis zu geben, als in das nächste Städtchen zu fahren, sich den heillosen Störenfried ausziehen zu lassen, und dann frisch und wohlgemuth bei der Mittagtafel, zwischen ihnen Platz zu nehmen; aber Gotthold hörte vor dem schwarzseidenen Tuche, das er über die Ohren gezogen, von den Lockworten nichts, und überdieß hatte er sich in ein scharfes Aetzmittel getauchte Baumwolle zwischen die Zähne gestopft, und stand über dem Spucknapf, um sich des Wassers, das ihm in deren Folge im Munde zusammenlief, zu entledigen, und schüttelte in dieser Märtyrer-Stellung, auf die Frage, ob für dießmal durchaus keine Hoffnung sey, der Frau Hofmarschallinn Excellenz heute aufwarten zu können, ohne aufzusehen, achselzuckend mit dem Kopfe.

Der alte Herr fuhr brummend von dannen, und Gotthold freute sich, mit seiner ihm abgedrungenen Nothlüge dießmal glücklich durchgekommen zu seyn.

Der Domestiken halber spielte .er seine Krankenrolle noch fort, und hütete das Zimmer, versicherte jedoch einige Stunden später dem alten Lippert, der ihm die von dem nächsten Postamte eingelaufenen Briefe überbrachte, daß ihm schon um Vieles besser sey, und schrieb den, von diesem ihm empfohlenen Hausmitteln, zu dessen großem Gaudium, übermenschliche Heilkräfte zu.

Unter gedachten Briefen befand sich ein Schreiben eines Universitätfreundes, des Assessors Brauer, der ihm meldete, in einer der entferntesten Regierungen angestellt worden zu seyn; er werde morgen dahin abgehen, komme auf seiner Reise den Donnerstag durch Falkenwerder, und werde sich außerordentlich freuen, wenn er das Glück haben könne, dort seinen alten ehrlichen Gotthold zu finden.

Anspannen, – vier Pferde! rief der junge Graf, sich vergessend, riß die Tücher vom Kopfe, schrieb ein Paar Zeilen an den Vater, in welchem er ihm die Veranlassung seiner schnellen Abreise meldete, damit dieser, wenn die Dienerschaft von seiner schnellen Genesung etwa erzählte, über die Wahrheit seiner Krankheit keinen bösen Verdacht schöpfe, und ihm die Wahrheit seiner Behauptung, daß starke Gemütherschütterungen das Zahnweh augenblicklich vertreiben könnten, durch das Anführen bestätigte, daß über die unvermuthete Freude, seinen alten Freund, den Assessor zu sehen, seine Schmerzen sich sofort verloren hätten.


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