Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

Brauer, der sich in Falkenwerder nur einige Stunden bei Gotthold hatte verweilen können, war längst wieder fort; aber Gotthold gefiel sich in der Ruhe seiner Umgebungen, wo ihn Niemand mit unwürdigen Heirathprojekten quälte, und in der stillen freundlichen Gegend, wo ihm aus der Erinnerung seiner frühesten, vor zwölf, dreizehn Jahren hier verlebten glücklichen Kinderzeit, jedes Plätzchen lieb war, so, daß er seine Rückreise von einem Tage zum andern aufschob.

Er ritt und fuhr täglich aus, besuchte die zu dem weitläufigen Hauptgute gehörigen Vorwerke, durchstreifte die Forsten, durchsah die Rechnungen, besprach sich mit den Verwaltern, Schulzen und Bauern über künftige Verbesserungen, brachte die, während seiner Abwesenheit vernachlässigte Bibliothek in Ordnung, und hatte vom frühsten Morgen an, den ganzen Tag so viel zu thun, daß er kaum an sich, geschweige an etwas anderes denken konnte; nur Abends ward es ihm in dem alten geräumigen Schlosse unheimlich, mißbehaglich. Die Unterhaltung des wackern Verwalters, und das Geschwätz der alten ehrlichen Försterinn, fing an ihn zu langweilen, das ewige Alleine seyn in den scheunenähnlichen großen Stuben aber war ihm auch unerträglich, und er freute sich daher, zu hören, daß der landesherrliche Kreisrichter, Justizrath Strenge, der hier am Ende des der Kreisstadt nahgelegenen Dörfchens, seit Jahrzehnden schon, den Sommer über seine romantischen Besitzungen bewohnte, und auf mehrere Wochen verreist gewesen war, morgen wieder zurückkehren werde; der geistreiche, unterrichtete Mann war durch seine unzerstörbar frohe Laune, durch sein lebendiges Auffassen der ihm aufstoßenden Begegnisse, und durch seine herrliche Darstellgabe, einer der vorzüglichsten Gesellschafter, besorgte die wichtigern Rechtsangelegenheiten des Hauses mit der ihm eigenen Gewandtheit und Umsicht, und spielte Schach und Piket vielleicht im ganzen Lande am beßten.

Die Försterinn hatte Gottholden eben im Vorbeigehen von dem himmlischen Geruch der Lindenblüthe erzählt, die sie in der großen Allee am Ende des Parks genossen, und von dem Balsamduft der frischgemäheten Wiese außerhalb des Gartens; er nahm sich daher die vor wenig Minuten eingetroffenen Zeitungen mit, um sie in dem Lusthause, in der Nähe des belobten Platzes, zu lesen.

Wie so still und abgeschlossen war es hier! Vom Lusthause aus, das auf der Gartenmauer stand, hatte er die reizendste Aussicht über die waldumgrenzte große Wiese, von der die Bauermädchen, die das Heu gewendet, auf den Heimruf des Abendglöckleins vom Kirchthurme, mit den schönsten Wald- und Wiesenblumen geschmückt, unter Scherz und Lachen nach Hause zogen; die untergehende Sonne vergoldete die lichtgrünen Wipfel der hundertjährigen Lindenallee, die aus ihren Millionen Blüthen den süßesten Wohlgeruch verbreitete, und von Wald und Wiese stieg ein Meer balsamischer Düfte in die sanftbewegten Abendlüftchen empor; und das ferne Murmeln des Waldbaches, der die Wiese durchschlängelte, und das Rauschen im nahen Buchenhain, und das Klappern der fleißigen Mühle im Elsenbusch – Gotthold legte die Zeitungen weg, er konnte, er mochte nicht mehr lesen! Was gingen ihn hier die Welthändel an! Was konnte es ihm hier gelten, ob der oder der zum Handkuß gelassen, ob in den Kammern die linke oder rechte Seite obgesiegt, ob im Parlamente die oder jene Spiegelfechterei durchgegangen, ob die Staatspapiere ein Viertelprozent gestiegen oder gefallen waren; er stand auf und wollte ausreiten, um die durchwürzte Abendluft auf hundert Punkten der schönen Umgebung in die Brust zu saugen, in der eine ihm selbst unerklärliche Sehnsucht ihn ewig bestürmte, in der ein banges, unstetes Treiben lebte, und ihm das Gefühl abdrang; daß – und wenn auch alles um ihn her hier noch tausendmal schöner wäre, ihm doch noch Etwas fehle.

Noch einmal schweifte sein Blick auf den vor ihm liegenden Matten umher, und längs dem Gebüsche vor dem Walde hin, da –nein, er hatte sich wohl getäuscht –dort, wo das, Weiß der jungen Birken ihm entgegen schimmerte – aber er hatte sich bestimmt geirrt – sein Auge sah unverwandt auf den Fleck dort, wo der Fußsteig waldeinwärts nach dem Buscheteiche zuging – er sprang die Treppe hinab und beflügelte seine Schritte als wolle er die Sonne einholen, und – bei den Blumenbeeten stand des Gärtners Aelteste, Susanne, und begoß die Lilien, den Levkoi und die Resede.

Er fiel seiner hastigen Eile in den Zügel; was hätte das Mädchen von ihm denken müssen, wenn er so vor ihr vorbeigesaus't wäre. Der – sanfte Kühlregen, der aus Susannens blanker Gießkanne auf das, von der Hitze des langen Juliustages fast versengte Blumenvölkchen erquickend herabsprühte – er hätte sich gleich mit begießen lassen mögen, so unruhig, so heiß, so glühend brannte ihm das verzehrende Feuer des Verlangens im kranken Herzen; auch ihm war es, als habe ihm die versengende Hitze alles Blut in den Adern gekocht, als durste ihn nach kühlender Erquickung.

Da ging, hob er, zu Susannen gewendet, an, und wußte in dem Augenblick nicht recht genau, warum er eigentlich fragte: da ging vorhin Jemand, weiß gekleidet, nach dem Buschteiche zu, das ist wohl – er wollte hinzusetzen: die Christiane, die alte Bettfrau gewesen, ob er gleich recht gut wußte, daß diese heute, am Sonnabend Abend, wo sie das ganze Schloß scheuern zu lassen pflegte, nicht abkommen konnte, und daß das Weiße, was er im jungen Birkengebüsch wahrgenommen zu haben vermeinte, ganz anders ausgesehen hatte, als die alte pumpelige Christiane; aber Susanne ließ ihn nicht ausreden, sondern fiel ihm mit einer Sicherheit in das Wort, als könne sie ihm hierüber die allergenauste Auskunft geben, und erzählte, daß das der taube Jakob, der Köhler, werde gewesen seyn, der seinen weißen Leinkittel zum Sontage gewöhnlich im Dorfe waschen lasse, und über die Wiese nach Hause, in seine Köhlerhütte gegangen seyn müsse.

Wie ein Leinkittel hatte die schnellfüßige Nymphe des Waldthales, die zwischen den weißstämmigen Birken durchgehuscht, auch nicht ausgesehen! Aber wer – wer war die Erscheinung gewesen!

Längs dem Buschteiche lief auf dem Damme der Fußsteig, auf dem er von der Wiese das unbekannte Luftgebilde in die Birken hatte verschwinden gesehen, ganz richtig durch den Eichenkamp hin, und dann durch die hohen Tannen zu Jakobs Köhlerhütte, und hinter dieser war die Welt zwar nicht mit Bretern zugenagelt, aber alle weitere Verbindung mit den Nachbargütern war dort durch einen meilenlangen und über tausend Schritte breiten Moor-Bruch abgeschnitten, den wahrscheinlich noch nie ein menschlicher Fuß durchwatet hatte, denn er war an den meisten Stellen mehr als fünf Ellen tief und hie und da grundlos.

Die weiße Gestalt mußte also entweder in der Köhlerhütte übernachten wollen, oder im Geröhrig des Buschteiches, oder im Moorbruche ihre Wasserresidenz haben, oder im Abendnebel verschwinden, oder wieder auf dem Fußsteige zurückkommen, – wieder zurückkommen, wiederholte er heimlich vor sich hin, eilte durch das Schloß über den Hof in den Stall und rief dem Reitknecht zu: den Braunen, den Ali heraus! – Der Reitknecht stürzte mit sämmtlichen Stallleuten in die Geschirrkammer, um Sattel und Zeug zu holen, und zehn geschäftige Hände sattelten und zäumten, von dem Hastrufe aufgeschreckt, mit einer Eil, daß in zwei Minuten der vogelschnelle Araber marschfertig war.

Soll ich mit? fragte der Reitknecht, der irgendwo eine Feuersbrunst, oder sonst ein Unglück in der Nähe vermuthete, und seinen Herrn begleiten zu dürfen wünschte.

Nein, brummte dieser verdrießlich, denn er ärgerte sich über sich selber, daß er durch sein auffallendes Dringen die Leute auf den vorhabenden Ritt aufmerksam gemacht, und über das unselige Verhältniß, nichts unbemerkt thun zu können.

Um der unzeitigen Neugier der Lästigen nur aus den Augen zu kommen, schwang er sich auf den spiegelblanken Renner und stürmte zum Hofe hinaus nach der frisch gemäheten Wiese zu, den Blick auf die jungen Birken gerichtet. Beim letzten Hause des Dorfes erst fiel ihm das lange schmale Brückchen über das Fluthbette beim Ständer des Buschteiches ein; da hinüber mußte er, wenn er bis zur Köhlerhütte wollte, und das schmale Beet war bloß für Fußgänger zu passiren; der keckste Waghals hätte sich nicht erdreistet, sein Pferd über diesen halsbrechenden Steig zu führen.

Noch verstimmter als zuvor befahl er dem vor dem Hause stehenden Knecht, den Braunen auf das Schloß zurückzubringen, und setzte seinen Weg über die Wiese zu Fuß fort. Die ganze Familie stürzte aus der Hütte und sah verwundert dem jungen Herrn nach, der durch das Dorf gesprengt gekommen war als brenne es hinter ihm, und jetzt beim heraufdämmernden Abende nach dem Walde zu wanderte, wo, nach ihrer Meinung, weder Hund noch Katze zu finden sey.

Gotthold fühlte die Blicke der Staunenden hinter sich her, wie Nadelstiche, verwünschte die Sucht der Menschen, sich um Dinge zu bekümmern, die sie nichts angehen, und dachte sich recht lebhaft in die peinliche Lage der Großen der Erde, die im ganzen Leben auch keinen Schritt thun können, ohne von der unleidlichen Menge überall ausspionirt und bekrittelt zu werden. Zuletzt, als er sich den Unmuth allmälig vergangen, kam er nach und nach zur Betrachtung seiner selbst, und wußte am Ende nicht, oh er sich schämen, oder sein werthes Ich auslachen solle.

Er war in hundert Gesellschaftzirkeln gewesen, wo er die schönsten Frauen und Mädchen gefunden, ohne einen Schritt gethan zu haben, um sie wieder zu sehen, und hier ritt und lief er sich außer Athem und brachte seine Dienerschaft, das ganze Dorf in Aufruhr, um – – ja, eigentlich wußte er wahrhaftig nicht recht, was er hier wollte; er übersetzte sich zwar sein Jagen und Treiben in eine Art zu rechtfertigender Neugierde, zu sehen, wer hier, auf dem Grund und Boden seines väterlichen Erbes, und meilenweit fern von aller Nachbarschaft aus den gebildetern Ständen, das gewesen seyn könne, und meinte, daß er, hätte er die weiße Gestalt auf dem Gute eines Dritten, oder in der Nähe einer volkreichen Stadt erblickt, kein Glied darum gerührt haben würde; aber so ganz unvermischt war jene sogenannte Neugierde doch nicht.

Wenn er sich nur nicht vor seinem Verstande gefürchtet hätte, der ihm, meinte er wieder, wenn es sich doch noch ergeben sollte, daß er sich getäuscht, und daß es dennoch der taube Jakob in seinem morgigen, Sonntag-Staate, oder eine andere, dem ähnliche Person gewesen, gewaltig beißende Rübchen schaben werde, er hätte gern mit sich selbst darauf wetten wollen, daß das räthselhafte Figürchen das anmuthigste Grazienkind gewesen wäre; der Gang, wenn man dieses Schweben anders so nennen konnte, die Grazie, die Haltung, die schönen Formen – er hatte das alles nur mit halbem Blick gesehen, und wegen der, das Ganze hie und da verdeckenden Birkenzweige nicht einmal mit halbem, aber – die Erinnerung an Auroren, deren Bild ihm, selbst wider seinen Willen, in der Seele fester geblieben als er glaubte – konnte mit Theil an der Einbildung haben, – aber hatte ihn nicht alles getäuscht, so war diese Gestalt hier der ihrigen nicht unähnlich gewesen; nur diese hier war ihm feiner, veredelter, geistiger vorgekommen!

Wenn es Aurora selbst – dummer, einfältiger Gedanke! – er hätte gleich stehen bleiben und auf dem Flecke umkehren können! –Aber wenn sie das Mädchen hieher gesendet – ganz unmöglich war das wahrhaftig nicht; denn daß es im Plane gelegen, ihn mit Auroren zu verbinden, darüber hatte er mathematische Gewißheit, und daß diesen Plan nichts mehr zu befördern im Stande gewesen wäre, als das Mädchen hieher gehen zu lassen, in die tiefe Einsamkeit, die recht geeignet war, das Herz für das sanfte Gefühl der Lie –

Da kam, nicht 50 Schritte weit von ihm, über den schmalen Steig Auro – nein, Aurora war es nicht – ein Feenkind, eine Himmelsbotinn der göttlichen Unschuld nur konnte das Zauberkind seyn, das von den letzten Strahlen der scheidenden Sonne goldig und wundersam umglänzt, ihm hier – entgegen schwebte. –

Gotthold starrte athemlos hin; das Mädchen sah ihn nicht, denn es hatte die Augen auf das geländerlose Bret geheftet, über das es eben etwas zaghaft herüberschwankte; in der einen Hand den Strohhut und die Handschuhe, und in der andern ein zierlich geflochtenes, mit frischen Waldblumen geschmücktes Körbchen mit Erdbeeren; auf dem Arme ein buntes Umschlagetuch; das seidenglänzende, rabenschwarze Lockenköpfchen mit einem leichten Gewinde von Heideblüthen umschlungen; die jugendlich frische Gestalt von einem schneeweißen überfeinen Gewande umflossen, und vor der jungfräulichen Pracht des Busens eine nickende Rose nebst Blatt und Knospe – so schaukelte das engelschöne Mädchen auf dem wippenden Brete herüber, und Gotthold war unterdeß mit Meilenschritten heran geeilt; fast dicht vor ihm schlug das Mädchen die großen veilchenblauen Augen auf, und mit dem Entzücken des Wiedersehens rief es, sich freundlich verbeugend: Guten Abend Herr Graf!

Guten – hob Gotthold an, aber der Abend blieb ihm im Munde stecken, denn er hätte das Mädchen, das ihm mit seiner über irdischen Anmuth immer noch halb wie eine himmlische Erscheinung vorkam, mit den Augen verschlingen mögen, und der Wohllaut ihrer Silberstimme klang ihm im Tiefsten seiner trunkenen Seele melodisch wieder.

Sie kennen mich wohl gar nicht mehr? fragte das holde Kind des Waldthales, zwischen Scherz und ernster Erinnerung der Vergangenheit. Aus den Augen, aus dem Sinn, fuhr sie im Tone des leichten Vorwurfs fort, und schien sich an Gottholds fortwährendem Sinnen über ihr kleines Ich zu ergötzen: nein, da sind wir Landmädchen beständiger, setzte sie hinzu: und gehn mit der Erinnerung an das, was uns das Glück bescheert hat, haushälterischer um; noch heute auf dem Herwege dachte ich mit recht herzlicher –aber das ist doch seltsam, unterbrach das Mädchen, auf einmal sehr ernst geworden und mit fast feierlicher Betonung, sich selbst – hier –sie sah scheu hinab in den schillernden Wasserspiegel des Buschteiches – hier auf der nämlichen Stelle!

Julchen! schrie Gotthold, freudig überrascht, auf, umschlang das schöne Mädchen, drückte, sie an das überfröhliche Herz, nannte sie mit den süßesten Schmeichelnamen und küßte das Rosenmündchen, den Sammet der blühenden Wangen, die dunkelblauen, langbewimperten Liebesterne, die schwarzen, feingeformten Bogen darüber, und das ganze lustige Amorettenköpfchen in so übermäßiger Unzahl, und betheuerte immer dazwischen seine Freude, sie so groß und wunderhübsch wieder zu finden, in so seligem Ungestüm, daß Julchen in den ersten Minuten gar nicht zum Worte kommen konnte.

Ihre Hauptangst bei dieser Sturmfeier des Wiedersehens schien die Besorgniß zu seyn, daß Jemand in der Nähe gewesen und Gottholds wilden Wiedererkennung-Jubel mit angesehen haben möge, denn noch lange nachher blickte sie fast hinter jeden Strauch, und forschte auf jeden Baum, ob nicht etwa ein unzeitiger Lauscher sich irgendwo versteckt gehabt habe, aber Gottholds zehnmal wiederholte Versicherungen, daß er sie nie gekannt haben würde, wenn er ihr an irgend einem dritten Orte begegnet wäre, daß er gleich bei seiner Ankunft hier nach ihr gefragt, daß man ihm aber von einer kleinen Reise zu einer ihrer befreundeten Familie erzählt, daß ihm überall etwas gefehlt habe, und daß es ihm nun erst gefallen werde, verscheuchten bald jeden andern Gedanken, als den an ihn, und an die Freude, ihn endlich wieder, und so wieder zu sehn, aus ihrer Seele, und sie erzählte ihm nun mit der ihr eigenen lebendigen Lust und Laune, wie oft sie sich den Augenblick gedacht, wo sie ihm einmal auf ihrem Lebenswege begegnen werde, und wie sie sich ihn immer vorgestellt, wie sie das Bild, das sie sich von ihm in die Seele geprägt, festgehalten, und wie sie ihn überall, wo sie ihn gefunden, auf der Stelle würde wieder erkannt haben; sie war heute erst von ihrem kleinen Ausfluge zurückgekommen, hatte von seiner Ankunft gehört, und war, wie sie in der Unschuld ihrer Natürlichkeit mit Schelm-Lächeln gestand, nach der Köhlerhütte gegangen, in der Hoffnung, ihn auf dem Wege über die Wiese vielleicht im Garten zu sehen.

Vor zwei Jahren hatte sie bei den sieben Linden, wo sie sonst als Kinder immer in die Erdbeeren gegangen, seinem Andenken zu Ehren die schönsten Ananas-Erdbeeren, die der Vater weither aus den berühmten Vierlanden bei Hamburg verschrieben, eigenhändig gepflanzt, von diesen hatte sie hier die Erstlinge gepflückt, um sie ihm zum Willkommen zu senden, und als ich, fuhr sie fort: das Körbchen bis an den Rand gefüllt hatte, eilte ich zurück und hoffte, Sie auf dem Heimwege vielleicht, wenigstens in der Ferne zu seh'n, da begegnen Sie mir hier – setzte sie mit weicher Stimme hinzu, und in die Veilchenspiegel ihrer Seele traten helle Perltropfen tiefster Rührung: hier auf dieser Stelle, wo Sie mit eigener Todesgefahr mir das Leben gerettet. Hundertmal wohl bin ich seit der Zeit da gewesen, und immer habe ich Ihrer mit frommem Danke gedacht und für Ihr Wohl still zu meinem Gott gebetet, und er hat mein Gebet erhört; Sie sind groß und stark geworden, und, wie Alle uns erzählt, die von Ihnen Nachricht hatten, gut und brav geblieben.

Ja, hier war es, fiel Gotthold, von ihrer Rede und von dem sonderbaren Zufalle, Julchen gerade auf dieser Stelle wieder zu finden, begeistert ihr in das Wort: noch sehe ich Dich, als wenn es heute wäre, nach dem Vergißmeinnicht-Busche hinab gehen, wie Du vom schlüpfrigen Ufer abglittest, augenblicklich zu Grunde gingst, und wie das schwarze Köpfchen wieder auftauchte und dann verschwand.

Und wie Sie dann mit lautem Schrei nachstürzten, fuhr Julchen, fröhlich weinend, fort: mich umschlangen, mit mir rasch herausschossen, mit mir herüberschwammen und mich hier bei dem Weidenstrauche auf das Ufer legten. Sie weinten vor Freude, nahmen Ihr kleines Mützchen vor das Gesicht, knieten nieder und beteten: Vater unser der Du bist im Himmel. O, mein edler Gotthold, das werde ich, das kann ich nie vergessen. Das alles wird ewig in meinem Herzen leben.

Sie zog seine Hand an die hochwogende Brust und wollte in der Seligkeit des Augenblicks ihre Lippen darauf drücken, aber Gotthold umschlang das liebreizende Kind, besiegelte das Entzücken des Wiedersehens mit einem minutenlangen herzlichen Kusse, und Julchen sah sich nach keinem Späher um, denn sie meinte in ihrer heiligen Unschuld, daß die Engel im Himmel selber gegen diesen Kuß nichts einwenden könnten; sie reichte dem geliebten Retter ihres Lebens, als Huldigungopfer ihrer Dankbarkeit, die Erstlinge der selbstgepflanzten Vierländer Erdbeeren, suchte die schönsten und größten aus, und als er im Scherze der kosenden Liebe versicherte, daß sie ihm noch besser schmecken würden, wenn sie ihm solche würze, und ihr die aromatische Beere vor den kleinen Mund hielt, daß sie die Hälfte davon genieße und ihm die andere gebe, und Julie, während sie, vom Sinne seiner zarten Bitte geschmeichelt, die blendend weißen Perlzähne, schalkhaft lächelnd, auf das saftreichste Pracht-Exemplar ihrer Erdbeeren setzte, und die sprechenden azurblauen Augen zu ihm aufschlug, da rissen alle Sehnen, da sprangen alle Fesseln, die ihm bis dahin das Herz zusammengeschnürt hatten, und es flog hinüber zu der keuschen Jungfrau, die in ihrer Unschuld mit sorglicher Theilnahme ihn fragte, was ihm fehle, denn seine Wangen hatte der dunkelste Purpur überflogen; das aber war das Herzblut, das ihm unter süßem Schmerz aus der frischen Wunde entquoll, die ihm die Liebe geschlagen.

Er eilte hinab zu dem erwähnten Vergißmeinnicht-Busche, pflückte einige Blumen und steckte sie – indem er ihr mit gesenktem Blick und mit sichtbarer Verwirrung bedeutete, daß dieß das Blümchen der Treue sey, was er zu dem der Liebe auf den heiligen Altar der Unschuld lege, – neben die Rosen, an Juliens Brust, aber die Hand zitterte ihm gewaltig, denn durch das Miederchen, das die schönen Formen ihres schlanken Gliederbaues wohlgefällig bezeichnete, fühlte er den raschen Schlag ihres, ihm gehörenden Herzens.

Arm in Arm gingen sie über die Wiese zurück, in Juliens Wohnung, und setzten sich in den Garten; das wirthliche Mädchen trug in der blühenden Jelängerjelieber-Laube dem willkommenen Gaste ein einfaches Abendmahl auf, und Beide saßen, kos'ten und plauderten, Gotthold von seinen weiten Reisen, und Julie von den kleinen Begebnissen ihres bisherigen Stilllebens, bis der Wächter im Dörfchen eilfe abrief; da stieg der Vollmond aus dem schweigsamen Waldthale auf und leuchtete dem Glücklichen heim, dem es schwer geworden seyn mußte, aus dem stillen Blumengärtchen, aus dem Meere seiner balsamischen Wohlgerüche, und aus den Armen des Mädchens zu scheiden, das in traulichem Geschwätz die Reife ihres Verstandes, die himmlische Güte des Herzens, und die Tiefe ihres Gemüths vor ihm entfaltet hatte, denn er hatte mehr als zehnmal Abschied genommen und der Gutenachtküsse viele gefordert, und war immer wieder geblieben, und hatte immer noch etwas zu sagen und zu fragen gehabt, bis endlich, als er im Scherz vorgab, auf einmal von einer so gewaltigen Schläfrigkeit befallen worden zu seyn, daß er nicht fort könne, und sehr naiv erklärte, den kurzen Rest der Nacht hier in der Laube bleiben zu wollen, um sie morgen früh recht zeitig wieder zu sehen, Julie einen thaugetränkten Nachtviolenstengel brach, mit diesem ihm, um ihn wieder munter zu machen, muthwillig in das Gesicht spritzte, und ihn unter tausend Tändeln und Lachen aus dem Garten drängte.

Ueber der niedrigen Geländerthür, die sie wohlweislich gleich hinter ihm verriegelt hatte, mußte sie ihm, auf seine Versicherung, daß er sonst kein Auge zuthun könne, noch den allerletzten Kuß geben, und ausserdem versprechen, den allallerletzten ihm noch nachzusenden, wenn er um die Ecke der Schulzenwohnung biege, und Julchen war ehrlich genug, ihr gegebenes Wort zu halten und die verschwiegenen Nachtlüftchen trugen ihm das Verheißene nach, was sie mit beiden Händen; freundlich nickend, spendete.

In dem, von schwer seidenen Vorhängen umrauschten breiten Paradebette, legte sich der arme Gotthold bald auf die rechte, bald auf die linke Seite, bald auf den Rücken, bald auf die Nase, bald in die Länge, bald in die Quere, er konnte vor süßer Unruhe nirgend den gewünschten Schlaf finden; machte er die Augen auf, so sah er gerade in das mild ihm zulächelnde Vollmondgesicht, in das, wie er sich einbildete, Julchen jetzt gewiß auch noch schauete, und machte er sie zu, so ward das Uebel noch ärger, dann kehrte das Bild des eben verlebten seligen Abends ihm vor die berückte Seele, und die Phantasie malte ihm, was ihr seine heimlichen Wünsche eingeflüstert, mit gefälligem Pinsel hinein, und warf auf die Hauptstellen so blitzende Lichter, und auf andere wieder so dunkel verhüllende Schatten, und überfirnißte das Ganze mit so lüsternem Glanze, daß, Gotthold in dem Traumwahne, als sey das alles diesen Abend in der Wirklichkeit so vor ihm vorübergegangen, aus einer Verzückung in die andere verfiel, und erst zu einiger Ruhe gelangte, als er aufsprang, das Fenster öffnete, und Brust und Stirne in der Kühle des frühen Morgenthaues badete; doch auch hier verkümmerte ihm das Krähen der muntern Hähne sein Verlangen nach endlichem Schlafe. Die Glücklichen, sagte er verdrießlich halblaut zu sich selbst: sie sitzen im Kreise ihrer Lieben, und ich bin in meinem weiten Prunkzimmer allein, und immer allein.


 << zurück weiter >>