Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»O mein Herr, ich war einstmals ein Besitzer von Herden, von denen mir jedoch nichts als ein einziger alter Stier mit schlechtem Fleisch und Fell übrig geblieben war; und, als ich ihn zu verkaufen suchte, wollte ihn keiner der Fleischer von mir kaufen, ja nicht einmal als Geschenk annehmen. Mich ekelte deshalb das Vieh und der Gedanke, es zu essen, an, und da der Stier weder zum Mahlen noch zum Pflügen zu gebrauchen war, führte ich ihn in einen großen Hof, wo 223 ich ihn schlachtete und ihm das Fell abzog. Dann zerschnitt ich sein Fleisch in Stücke und rief alle Hunde des Viertels, worauf alle zusammenliefen, daß kein einziger zurückblieb. Nachdem ich sie in den Hof hereingelassen hatte, verriegelte ich die Thür und gab jedem Hund ein Stück Fleisch im Gewicht von einem halben Pfund. Alle fraßen sich satt, ich aber hielt sie drei Tage lang in dem Hause, das groß war, verschlossen, bis die Leute nach ihren Hunden suchten und riefen: »Wohin mögen nur die Köter gelaufen sein?« Da erzählte ich ihnen, wie ich sie in das Haus gesperrt hatte, worauf jeder, der einen Hund besaß, kam und ihn abholte. Ich aber sprach nun: »Dein Hund hat ein volles Pfund Fleisch gefressen;« und so nahm ich von jedem sechs Para, ehe ich ihm seinen Köter gab, bis ich für das Fleisch des Tiers eine Summe von zweitausend Para eingenommen hatte. Schließlich blieb nur noch ein einziger einäugiger Hund bei mir, der keinen Herrn hatte. Ich nahm einen Stock und prügelte ihn, worauf er fortlief, und ich hinterdrein, bis er zu einem Haus mit offenstehender Thür kam, in das er lief. Nach dem verhängten Geschick traf es sich aber, daß die Hausherrin einen einäugigen Mann bei sich wohnen hatte. Als ich daher in das Haus lief und zu ihr sagte: »Gieb mir den Einäugigen, der bei dir ist, heraus,« glaubte sie, ich spräche von ihrem Gatten, da sie nichts vom Hunde wußte, und kam infolgedessen auf mich zu und rief: »Um Gott, mein Herr, verhülle, was Gott verhüllt hatDer Mann muß demnach ein Verbrechen begangen haben.; zerstöre nicht unsern Ruf und bring' nicht Schande über uns.« Dann fügte sie noch hinzu: »Nimm diese Spange von mir und verrat' uns nicht.« Da nahm ich sie und ging meines Weges, während sie pochenden Herzens wieder heimkehrte, wo sie fand, daß ihr Mann sich in gleichem Zustande befand, seitdem er mich hatte rufen hören: »Bring' den Einäugigen heraus.« Als sie sich dann aber im Zimmer umsah und den einäugigen Hund in einem Winkel gewahrte, erkannte sie, daß ich das Tier gemeint hatte. 224 Da schlug sie sich voll Kummer über den Verlust ihrer Armspange vors Gesicht und lief mir nach und rief: »O mein Herr, ich habe den einäugigen Hund gefunden; komm daher zurück mit mir und nimm ihn.« Mich dauerte die Frau, und ich gab ihr das Armband wieder. Hernach aber ward mein Herz von Furcht ergriffen, daß sie mich denunzieren könnte, und ich verließ mein Dorf und kam hierher, wo wir drei zusammenkamen und seither vereint lebten.«
Der König ward von dieser Geschichte erheitert und sprach: »Bei Gott, eure Abenteuer sind wundersam; ich wünsche jedoch zu wissen, ob ihr etwas von den Geschichten verflossener Sultane vernommen habt; und, wenn dies der Fall ist, so erzählt es mir. Zuerst muß ich euch jedoch in meine Stadt nehmen, damit ihr euch ausruhen könnt.« Da fragten sie: »O mein Herr, wer bist du unter dem Stadtvolk?« Er versetzte: »Ich bin der König dieses Landes, und ich kam hierher zu jagen; dadurch jedoch, daß ich euch fand, ward ich von der Jagd abgebracht.« Als sie seine Worte vernahmen, erhoben sie sich auf ihre Füße und küßten die Erde vor ihm, indem sie sprachen: »Wir hören und gehorchen.« Alsdann zogen sie mit ihm in die Stadt, wo der König ihnen ein besonderes Zimmer anweisen ließ und für sie Rationen an Speise und Trank verordnete und ihnen Ehrenkleider verlieh. Sie blieben in seiner Gesellschaft, bis der Sultan sie eines Nachts vor sich kommen ließ. Als sie vor ihm erschienen, und es gerade um die Zeit war, nachdem der König das IshāgebetDas Ishâgebet besteht aus zehn Verneigungen des Körpers. verrichtet hatte, sprach er zu ihnen: »Ich wünsche, daß jeder von euch, der eine Geschichte von den vergangenen Königen weiß, sie mir erzählt.« Einer von den vier versetzte: »Ich weiß solch eine Geschichte;« worauf der König entgegnete: »So erzähl' sie uns.«
Ende des dreiundzwanzigsten Bandes.