Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Die Geschichte des Schulmeisters mit dem geschlitzten Mund.

»Ich begann, o König der Zeit, ebenfalls als ein Schulmeister und hatte unter meiner Obhut an achtzig Knaben. Ich war aber so streng, daß ich vom Morgen bis zum Abend unter ihnen saß und sie nie vor Sonnenuntergang nach Hause entließ. Es ist dir jedoch bekannt, o unser Herr König, daß der Verstand der Knaben entsprechend ihrem Alter kurz ist, und daß sie nichts lieben als Spiel und Zusammenkommen auf den Straßen und im Viertel. Ich kehrte mich nicht hieran, sondern plagte sie immer mehr, bis sie eines Tages alle zusammenkamen und durch Vermittlung des ältesten Ordners übereinkamen und sich verabredeten mir einen Streich zu spielen. Er machte es mit ihnen aus, daß am nächsten Tage keiner in die Schule treten sollte, dem er nicht beigebracht hätte beim Eintreten zu sprechen: »Deine Gesundheit, o unser Herr, wie gelb ist dein Gesicht!« Der erste nun, der sich zeigte, war der Ordner, und er sprach, wie sie es ausgemacht hatten; ich fuhr ihn jedoch hart an und schickte 76 ihn fort. Hierauf kam der zweite und sprach ebenso wie der erste, und dann der dritte und vierte, bis zehn Knaben dieselben Worte gesprochen hatten, so daß ich bei mir sprach: »Du da, du mußt wirklich unwohl sein, ohne daß du es weißt.« Alsdann erhob ich mich und begab mich in den Harem, wo ich mich niederlegte, als mit einem Male der Ordner, der gegen hundertundachtzig Halbe gesammelt hatte zu mir hereinkam und sagte: »Nimm dies, o unser Herr, und verwende das Geld für deine Gesundheit.« Da sprach ich bei mir: »Du da, nicht an jedem Donnerstag sammelst du sechzig Para von den Knaben ein;« alsdann sagte ich zu ihm: »Geh' und laß sie für einen Tag frei;« worauf er fortging und sie aus der Schule zum Spielplatz entließ. Am nächsten Tage sammelte er ebensoviel als am ersten ein und brachte mir wieder das Geld, indem er zu mir sprach: »Verwende dies Geld für deine Gesundheit, o unser Herr.« Dasselbe that er am dritten und vierten Tag, indem er die Knaben viel Geld beisteuern ließ und es mir überreichte, und fuhr in dieser Weise bis zum zehnten Tag fort. Als er mir aber an diesem Tage das Geld brachte, hielt ich gerade ein gekochtes Ei in der Hand, das ich essen wollte; bei seinem Anblick sprach ich jedoch bei mir: »Wenn er dich essen sieht, hört er mit der Unterstützung auf.« Infolgedessen stopfte ich das Ei in meine Backen und klappte die Kinnbacken zusammen. Da aber kehrte sich der Knabe zu mir und rief: »O mein Herr, deine Backe ist stark geschwollen.« Ich versetzte: »Das ist nur ein Geschwür.« Da zog er ein Messer aus seinem Ärmel hervor und, auf mich loskommend, packte er meine Backe und schlitzte sie auf, daß das Ei herausfiel worauf er sagte: »O mein Herr, dies war's, was dich quälte, und nun ist's von dir genommen.« Dies war die Ursache meines geschlitzten Mundes, o unser Herr Sultan. Hätte ich aber die Habgier beiseite gethan und das Ei in Gegenwart des Ordners gegessen, was könnte es dann für einen üblen Ausgang genommen haben? Alles dies aber kam her 77 von meiner Verstandesschwäche; denn, hätte ich die Knaben stets um die Nachmittagszeit entlassen, so hätte ich weder etwas dabei gewonnen noch verloren. Indessen der Geber der Geschicke besteht durch sich selber; und dies ist mein Fall.«

Da wendete sich der Sultan lachend zum Wesir und sagte: »Die Thatsache ist, daß jeder Schulmeister schwachköpfig ist;« worauf der Wesir erwiderte: »O König der Zeit, allen Pädagogen fehlt das Wahrnehmungsvermögen und die Überlegung; auch können sie nicht gesetzlich zulässige Zeugen vor dem Kadi werden, weil sie den Worten kleiner Kinder glauben, ohne Beweis zu haben, ob sie die Wahrheit oder Unwahrheit reden. Infolgedessen muß ihrer im Jenseits eine große Belohnung wartenDies ist natürlich ironisch gemeint.

Hierauf fragte der Sultan den Lahmen und sprach: »Und du, woher bist du lahm?« Da hob der Dritte an zu erzählen:

 


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