Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Die Geschichte des ersten Strolchs.

»Fürwahr, o mein Herr, meine Geschichte ist seltsam, und also ist sie: Ich hatte eine Mutter, der die Zeit von ihren Herden nur ein einziges Zicklein hinterlassen hatte. Einst beschlossen wir, es zu verkaufen, und kauften für seinen Erlös ein junges Kalb, das wir ein ganzes Jahr lang aufzogen, bis es fett und herangewachsen war. Dann sagte meine Mutter zu mir: »Nimm das Kalb und verkauf' es;« und ich nahm es und ging mit ihm auf den Bazar, wo ich sah, 214 daß es nicht seinesgleichen hatte. Mit einem Male kam eine Schar von etwa vierzig Vagabunden an und besah sich das Vieh. Da es ihnen gefiel, sprachen sie zu einander: »Laßt uns dies wegschleppen, daß wir ihm den Hals abschneiden und es abledern.« Hierauf kam einer von ihnen zu mir heran und fragte mich: »Bursche, willst du dies Zicklein verkaufen?« Ich versetzte: »O mein Oheim, fürwahr, das ist ein Kalb und kein Zicklein.« Er erwiderte: »Bist du blind? Es ist ein Zicklein.« Da rief ich: »Nein, ein Kalb.« Nun fragte er mich: »Willst du einen Piaster von mir haben?« Ich antwortete: »Nein, mein Oheim.« Hierauf verließ er mich, und ein anderer kam nach ihm zu mir und fragte mich: »Bursche, willst du dieses Zicklein verkaufen?« Ich erwiderte: »Es ist ein Kalb.« Er versetzte jedoch: »Es ist ein Zicklein,« und schimpfte mich aus, während ich das Maul hielt. Schließlich fragte er mich: »Willst du dafür einen Piaster haben?« Ich war damit jedoch nicht zufriedengestellt, und so zankten sie einer nach dem andern mit mir, indem jeder zu mir herankam und mich fragte: »Bursche, willst du dieses Zicklein verkaufen?« Schließlich redete mich ihr Scheich an und fragte: »Willst du es verkaufen?« worauf ich entgegnete: »Es giebt keine Kraft außer bei Gott! Ich will es dir unter der Bedingung verkaufen, daß ich seinen Schwanz von dir bekomme.« Der Scheich der Vagabunden erwiderte: »Du sollst den Schwanz haben, wenn wir es geschlachtet haben.« Alsdann zahlte er mir einen Piaster und kehrte, das Kalb mit sich forttreibend, zu seinen Leuten zurück. Nachdem sie es dann geschlachtet und abgehäutet hatten, nahm ich den Schwanz und kehrte zu meiner Mutter heim. Meine Mutter fragte mich: »Hast du das Kalb verkauft?« Ich erwiderte: »Ja, ich hab' es verkauft und habe einen Piaster und seinen Schwanz erhalten.« Da fragte sie: »Was willst du mit dem Schwanz anfangen?« Ich entgegnete: »Ich will den, der das Kalb von mir nahm und sagte, es wäre ein Zicklein, leimen und will ihm einen Streich spielen, der aus ihm zehnfach den Preis 215 herausbekommen soll.« Mit diesen Worten erhob ich mich und nahm den Schwanz, den ich ablederte, worauf ich ihn mit Nägeln und Glasscherben spickte. Dann verlangte ich von meiner Mutter einen Mädchenanzug und schmückte und parfümierte mich und verhüllte mein Gesicht mit einem Schleier, während ich meine Lenden unter meinen Sachen mit dem Kalbsschwanz gürtete. Hierauf ging ich wie ein jungfräuliches Mädchen aus, bis ich die Baracke jener Gauner erreichte. Ich fand, daß sie bereits das ganze Kalb gekocht und nichts unzubereitet gelassen hatten und dabei waren den Tisch aufzutragen und sich zum Abendessen zu setzen. Ich trat deshalb zu ihnen herein und sprach zu ihnen: »Der Frieden sei auf euch!« Da erhoben sie sich in ihrer Freude allesamt vor mir und erwiderten meinen Gruß, indem sie hinzufügten: »Bei Gott, unsre Nacht ist eine weiße!« Hierauf aß ich mit ihnen, und alle neigten sich mir zu, und ihre Schnauzbärte wackelten in der Erwartung der Freuden. Als dann die Dunkelheit hereinbrach, sprachen sie: »Diese Nacht ist für unsern Scheich, hernach aber soll sie jeder von uns für eine Nacht nehmen.« Mit diesen Worten verließen sie mich und gingen ihres Weges. Ihr Oberhaupt fing nun aufgeräumt an mit mir zu plaudern, als plötzlich mein Blick auf ein Seil fiel, das von der Decke herabhing, so daß ich rief: »O Scheich!« Er versetzte: »Jawohl, o meine Herrin und Licht meiner Augen.« Nun fragte ich ihn: »Warum hängt dieses Seil hier?« Er erwiderte: »Das Seil heißt die Hängevorrichtung; wenn nämlich einer meiner Genossen Strafe verdient, so ziehen wir ihn an diesem Seil empor und verhauen ihn.« Da sagte ich: »Hänge mich auf und laß mich sehen, wie es gemacht wird.« Er versetzte jedoch: »Das verhüte der Himmel! Ich will mich anstatt deiner aufhängen, und du sollst mich dann anschauen.« Alsdann erhob er sich und band sich fest ans Seil, worauf er mir zurief: »Zieh' mich empor und befestige das Seil an jener Stelle.« Da that ich es und band es fest, ihn in der Luft hängen lassend, bis er rief: »Laß das Seil 216 los.« Ich erwiderte jedoch: »Laß mich zuerst das Schauspiel genießen.« Dann zog ich ihm alle Sachen vom Leib und, den Kalbsschwanz, der mit Nägeln und Glassplittern gespickt war, hervorholend, sprach ich zu ihm: »O Scheich, ist dies der Schwanz eines Kalbs oder eines Zickleins?« Da fragte er mich: »Was für ein Weib bist du?« Ich entgegnete: »Ich bin der Besitzer des Kalbs.« Alsdann schlug ich die Ärmel bis zu den Ellbogen zurück und wichste ihn so lange, bis ihm die Haut abging und er die Sinne verlor und keinen Atem mehr zum Sprechen besaß. Hierauf erhob ich mich und durchsuchte die Halle, wo ich mancherlei Wertsachen fand, unter denen sich auch eine Kiste befand, in der ich dreihundert Goldstücke und einen Haufen Thaler, Silberlinge und NeugroschenArabisch: Dschadîd; zehn Stücke dieser Münze machten einen halben Dirhem aus. entdeckte. Ich legte Hand an das Ganze und nahm auch einige der wertvollsten Kleidungsstücke zu mir, worauf ich alles zusammenpackte und damit fortging. Gegen Morgen kam ich dann wieder bei meiner Mutter an und sagte: »Nimm dies als Preis für das Kalb, das ich vom Käufer erhielt.« Als nun der Tag hoch war und die Sonne heiß ward, versammelte sich die ganze Rotte des Scheichs und sprach: »Fürwahr, unser Hauptmann hat bis zur Frühstückszeit geschlafen.« Einer von ihnen aber sagte: »Das kommt daher, daß er mit dem Mädchen so vergnügt und üppig gelebt hat; zweifellos ist ihre Nacht eine weiße gewesen.« In dieser Weise redeten sie miteinander, und jeder von ihnen äußerte seine Meinung, bis es hoher Mittag ward und einige von ihnen sagten: »Kommt und laßt uns ihn aus dem Schlaf wecken.« Mit diesen Worten begaben sich alle zur Thür der Halle und öffneten sie, worauf sie ihren Scheich mit blutüberströmtem Leib am Strick hängen sahen. Da fragten sie ihn: »Was ist mit dir geschehen?« Mit schwacher Stimme antwortete er ihnen: »Fürwahr, das Mädchen ist gar kein Mädchen gewesen, sondern war der Bursche, dem das Kalb gehörte.« Sie versetzten: 217 »Bei Gott, wir müssen ihn packen und totschlagen.« Der Scheich aber entgegnete: »Bindet mich los und führt mich ins Bad, damit ich mir das Blut von der Haut abwaschen kann.« Sie ließen ihn nun herab und schafften ihn auf einem Esel ins Bad; ich aber begab mich zum Schlachthaus und beschmierte meinen Leib mit Stierblut und beklebte ihn mit Flocken von Baumwolle, so daß ich wie ein Schwerkranker aussah, worauf ich an einem Stab zu demselben Bad humpelte. Die Leute wiesen mich ab, indem sie zu mir sagten: »Der Scheich der Vagabunden ist jetzt im Bade, und es darf keiner zu ihm herein.« Ich versetzte: »Ich bin ein von Krankheit behafteter Mensch.« Da sagte einer von ihnen: »Dies ist ein armer Kerl; laßt ihn doch herein.« Infolgedessen trat ich ein, und, als ich nun den Scheich allein antraf, zog ich den Schwanz hervor und fragte ihn: »O Scheich, ist dies der Schwanz von einem Kalb oder einem Zicklein?« Er entgegnete: »Wer bist du?« Da sagte ich: »Ich bin der Besitzer des Kalbs,« und verwichste ihn so lange mit dem Schwanz, bis ihm die Puste ausgegangen war. Dann verließ ich ihn und ging durch eine andre Thür zum Bad hinaus, um seine Kumpane zu vermeiden. Nach einiger Zeit gingen diese zu ihm herein und, als sie nun ihren Scheich in den letzten Zügen und stöhnend vor Schmerzen von den Schlägen daliegen sahen, fragten sie ihn: »Was ist mit dir vorgefallen?« Er entgegnete: »Jener Bresthafte, der in das Bad kam, war kein andrer als der Besitzer des Kalbs, und er hat mich halbtot geschlagen.« Da hoben sie ihn auf und trugen ihn fort, während er ihnen befahl: »Tragt mich zur Stadt hinaus, schlagt mir dort ein Zelt auf und legt mich in dasselbe, während ihr mich rings umgebt und mich keinen Augenblick verlasset.« Hierauf luden sie ihn auf einen Esel und schafften ihn zu dem angegebenen Platz, wo sie ein Zelt aufschlugen und ihn in dasselbe legten; dann setzten sie sich alle rings um dasselbe. Bald darauf kam mir dies zu Ohren, und nun verkleidete ich mich und begab mich in die Nähe des Zelts, wo ich einen Beduinen seine Schafe hüten sah. Da sagte ich zu 218 ihm: »O Beduine, nimm dieses Goldstück und tritt nahe an das Zelt heran und rufe laut: »Ich bin der Besitzer des Kalbs;« dann aber lauf' für dein Leben, denn, wenn sie dich zu packen bekommen, schlagen sie dich tot.« Der Araber erwiderte: »Bei Gott, wenn sie auch ihre besten Mähren ritten, so könnte mich keiner von ihnen einholen!« Während ich nun auf die Schafe acht gab, näherte sich der Beduine dem Zelt und rief so laut als er konnte: »Bei Gott, ich bin der Besitzer des Kalbs.« Als die Vagabunden dies vernahmen, sprangen sie allesamt auf die Füße und stürzten sich mit gezückten Schwertern auf den Beduinen. Sobald er sich jedoch, von der ganzen Rotte verfolgt, in einiger Entfernung von dem Zelt befand, trat ich in dasselbe ein und sprach, indem ich den Kalbsschwanz unter meinen Sachen hervorzog: »O Scheich, ist dies der Schwanz eines Kalbs oder eines Zickleins?« Der Scheich versetzte: »Bist du nicht der Mann, der rief: Ich bin der Besitzer des Kalbs?« Ich entgegnete: »Nein, ich bin's nicht.« Dann machte ich mich mit dem Schwanz über ihn her und verwichste ihn so lange, bis er nicht mehr japsen konnte. Alsdann nahm ich die Sachen, die seinen Leuten gehörten, und wickelte sie in ein Linnentuch, worauf ich mich fortmachte und zu meiner Mutter ging, zu der ich sagte: »Nimm dies als Preis für das Kalb.« Inzwischen hatten die Vagabunden den Beduinen verfolgt, ohne ihn fassen zu können, und waren wieder ermüdet von der Jagd ins Zelt zurückgekehrt, wo sie den Scheich atem- und regungslos vorfanden und allein fähig, ihnen Zeichen zu machen. Sie sprengten ihm deshalb ein wenig Wasser ins Gesicht, und, als er nun wieder zum Leben kam, sagte er zu ihnen: »Fürwahr, der Besitzer des Kalbs kam zu mir und schlug mich halbtot, und der Kerl, der da rief, er wäre der Besitzer des Kalbs, ist sein Helfershelfer.« Da rasten alle vor Wut, der Scheich sprach jedoch zu ihnen: »Tragt mich nach Hause und gebt an, daß euer Scheich gestorben ist. Dann badet meinen Leib, und tragt mich zum Totenacker, begrabt mich zur Nacht und grabt mich am nächsten Morgen wieder 219 aus, damit der Besitzer des Kalbs hört, daß ich gestorben bin, und mich in Ruhe läßt. Fürwahr, so lange ich lebe, wird er eine List nach der andern wider mich ersinnen und eines Tages bei mir eindringen und mich ganz totschlagen.« Sie thaten nun nach ihres Scheichs Geheiß und begannen zu weinen und wehklagen, und sprachen: »Unser Hauptmann ist gestorben,« so daß sich das Gerücht von dem Tod des Vagabundenscheichs verbreitete. Ich aber, der Besitzer des Kalbs, sprach bei mir: »Bei Gott, wenn er gestorben ist, so werden sie sicherlich eine Trauerfeierlichkeit für ihn veranstalten.« Als sie ihn nun gewaschen und eingewickelt hatten und auf der Bahre zum Totenacker hinaustrugen, um ihn zu bestatten, schloß ich mich auf halbem Wege dem Leichenzug an und trat plötzlich mit einer scharfen Sacknadel unter die Bahre, ihm dieselbe in den Leib stoßend, so daß er mit einem lauten Schrei auffuhr und sich aufrecht auf die Bahre setzte. Da verwunderte sich alles Volk und rief: »Der Tote ist wieder lebendig geworden.« Ich aber bekam nunmehr große Furcht und sprach bei mir: »Nicht alle Abenteuer sind einander gleich; vielleicht erkennen sie mich und schlagen mich tot.« Infolgedessen verließ ich die Stadt und kam hierher.«

Da rief der König: »Fürwahr, das ist eine wundersame Geschichte.« Nun aber sagte der zweite Strolch: »Bei Gott, o mein Herr, meine Geschichte ist seltsam und merkwürdiger als diese, denn, fürwahr, ich verübte Thaten wie Verrückte, und unter all den Streichen, die ich vollbrachte, geschah es auch, daß ich starb und begraben ward und einen Plan ausheckte, durch den sie mich wieder aus dem Grabe zogen.« Da sagte der König: »Bei Gott, wenn deine Geschichte wunderbarer als die erste ist, so muß ich dich mit etwas belohnen. Jetzt aber erzähl' uns dein Abenteuer.« Und so hob er an und erzählte:

 


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