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Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Die Geschichte des Königs von El-Jemen und seiner drei Söhne.

»Man erzählt, daß im Lande El-Jemen ein Sultan lebte, der drei Söhne hatte, von denen zwei von einer Mutter waren, während der dritte von einer andern entstammte. Der König aber konnte diese zweite Frau und ihren Sohn nicht leiden und hatte sie zugleich mit ihrem Sohn fortgeschickt und der Dienerschaft der Küche zugeteilt, ohne während 197 einer langen Zeit jemals nach ihnen zu fragen. Eines Tages begaben sich die beiden Brüder zu ihrem Vater und sprachen: »Wir möchten auf die Jagd gehen.« Ihr Vater versetzte: »Seid ihr auch stark genug für solches Vergnügen?« Sie entgegneten: »Ja, fürwahr, wir sind es.« Da gab er jedem von ihnen ein Pferd mit Zubehör an Sattel und Zaumzeug, und die beiden ritten fort. Sobald aber der dritte Sohn, der zugleich mit seiner Mutter in die Küche verbannt war, vernahm, daß die andern beiden auf Jagd ausgezogen waren, ging er zu seiner Mutter und rief: »Ich möchte auch wie meine Brüder auf die Jagd reiten.« Seine Mutter erwiderte: »O nein Sohn, ich bin nicht imstande dir ein Pferd oder etwas derart zu kaufen.« Als er nun vor ihr zu weinen anhob, brachte sie ihm einen silbernen Gegenstand, mit dem er sich zum Bazar aufmachte, wo er ihn für einen Dinar verkaufte. Dann begab er sich zu einer benachbarten Mühle und kaufte sich einen lahmen Klepper, worauf er ein Stück Brot zu sich nahm und ohne Sattel oder Zaum seinen Klepper bestieg und seinen Brüdern nachsetzte. Er folgte ihnen den ersten und zweiten Tag, am dritten schlug er jedoch die entgegengesetzte Richtung ein und gelangte zu einem Wadi, wo er auf eine Feder von Perlen und Smaragden stieß, die in der Sonne glänzte; er hob dieselbe auf und steckte sie auf sein Haupt, worauf er vor Freude singend weiter trabte. Als er sich aber der Stadt näherte, kamen ihm seine Brüder entgegen, packten und schlugen ihn und jagten ihn fort, nachdem sie ihm seine Feder fortgenommen hatten. Er war zwar viel stärker und schöner als sie, da er und seine Mutter jedoch von dem König verstoßen waren, wagte er nicht ihnen Widerstand zu leisten. Als ihm nun seine beiden Brüder die Feder fortgenommen hatten, verließen sie ihn frohlockend und begaben sich zu ihrem Vater, dem sie den Schmuck zeigten; und ihr Vater freute sich über sie und nahm den Schmuck verwundert in die Hand, während der jüngste Sohn mit fast zerbrochenem Herzen zu seiner Mutter ging. Hernach sagte 198 der Sultan jedoch zu seinen Söhnen: »Ihr habt hierin keine Geschicklichkeit bewiesen, ehe ihr mir nicht den Träger dieser Feder gebracht habt.« Da versetzten sie: »Wir hören und gehorchen, und wir wollen uns aufmachen ihn zu suchen.« Alsdann beschafften sie sich hinreichende Wegzehrung und zogen, nachdem sie sich von ihrem Vater verabschiedet hatten, nach der Stadt aus, in welcher sie den Vogel vermuteten.

So stand es mit ihnen; als aber ihr unglücklicher Bruder von ihrer Fahrt vernahm, steckte er ein Stück Brot zu sich und nahm von seiner Mutter Abschied, worauf er seinen lahmen Klepper bestieg und drei Tage lang den Spuren seiner Brüder folgte. Mit einem Male befand er sich mitten in der Wildnis, und er zog fort und fort durch sie, bis er zu einer Stadt gelangte, deren Bewohner alle weinten und jammerten und schrieen und lamentierten. Infolgedessen redete er einen Scheich an und sprach zu ihm: »Der Frieden sei auf dir!« Als ihm der Alte seinen Salâm erwidert und ihn bewillkommnet hatte, fragte er ihn und sprach: »O mein Onkel, sag' mir doch, was die Ursache dieser Klagen und dieses Kummers ist?« Der Alte versetzte: »O mein Sohn, unsre Stadt wird von einem gewaltigen Löwen geplagt, der jedes Jahr um diese Zeit zu uns kommt und dies bereits dreiundvierzig Jahre lang gethan hat. Alljährlich, wenn er erscheint, erwartet er mit einem Mädchen, das mit all ihrem Putz geschmückt und geziert ist, versorgt zu werden, und wenn er wie üblich kommt und das Mädchen nicht findet, so überfällt er die Stadt und vernichtet sie. Vor der Zeit seines Besuches werfen sie deshalb Lose über die Mädchen der Stadt und das Mädchen, das vom Los getroffen wird, wird geschmückt und zu einem Platz außerhalb der Mauern geführt, damit das Ungeheuer sie fressen kann. In diesem Jahr nun ist das Los auf die Tochter des Königs gefallen.« Als der Jüngling diese Worte vernahm, schwieg er und setzte sich neben den Alten. Nach einer Weile erhob er sich jedoch wider und begab sich zu dem Ort, wo der Löwe zu erscheinen 199 pflegte, und stellte sich dort auf, als mit einem Male die Tochter des Königs schweren Herzens zu ihm kam. Als sie den Jüngling dort sitzen sah, begrüßte sie ihn und schloß Freundschaft mit ihm, worauf sie ihn fragte: »Was führte dich an diese Stätte?« Er versetzte: »Dasselbe, was dich hierhergeführt hat, brachte mich ebenfalls her.« Da sagte sie: »Fürwahr, der Löwe wird noch in dieser Stunde kommen, um mich zu packen; sobald er mich jedoch sieht, wird er dich noch vor mir zerreißen, und so verlieren wir beide unser Leben. Steh' daher auf und rette dich oder du wirst von der Bestie verschlungen.« Er entgegnete jedoch: »O meine Herrin, ich bin zu dieser Stunde dein Opfer.« Während sie noch miteinander sprachen, kehrte sich mit einem Male die Welt um, Staubwolken und Sandsäulen wirbelten auf, und Wirbelwinde sausten um sie, und siehe, mit einem Male erschien das Ungeheuer und kam herzu seine Flanken mit seinem Wedel peitschend, daß es wie der Schall von Kesselpauken dröhnte. Als die Prinzessin den Löwen gewahrte, strömten ihr die Thränen über die Wangen, der Jüngling aber sprang stracks auf die Füße und trat, sein Schwert aus der Scheide ziehend, dem Feind entgegen, der bei seinem Anblick mit den Zähnen wider ihn knirschte. Der Prinz empfing ihn jedoch tapfer, behend von rechts nach links springend, so daß der Löwe vor Wut raste und, in der Absicht ihm die Glieder auseinander zu reißen, einen Satz nach dem Jüngling machte; er aber versetzte ihm mit aller Kraft seines Vorderarms einen Hieb und pflanzte einen so gewaltigen Schwertstreich zwischen seine Augen, daß die Klinge blitzend zwischen seinen Schenkeln herausfuhr und er blutüberströmt tot zu Boden sank. Als die Prinzessin diese Heldenthat ihres Beschützers sah, freute sie sich mächtig und wischte ihm mit ihrem Tuch den Schweiß von der Stirn, während der Jüngling zu ihr sagte: »Steh' auf und kehr' zu deinen Angehörigen heim.« Sie versetzte: »O mein Herr und mein Augenlicht, wir wollen beide zusammen heimkehren als wären wir eins.« Er erwiderte jedoch: 200 »Dies kann nicht sein.« Alsdann verließ er sie und schritt fürbaß, bis er die Stadt erreichte, wo er sich neben einem Laden ausruhte. Sie erhob sich nun ebenfalls und kehrte mit Anzeichen schwerer Kümmernis zu ihren Eltern heim. Als diese sie erblickten, pochten ihre Herzen aus Furcht, das Ungeheuer könnte die Stadt überfallen und sie vernichten. Sie aber sprach zu ihnen: »Bei Gott, der Löwe ist erschlagen und liegt tot da.« Da fragten sie ihre Tochter: »Was hat ihn getötet?« Sie erwiderte: »Ein hübscher Jüngling von schönem Gesicht.« Sie vermochten jedoch ihren Worten kaum zu glauben und machten sich zur Stätte auf, wo sie das Ungeheuer mausetot daliegen sahen. Ebenso vernahmen alle Bewohner der Stadt diese Freudenbotschaft und freuten sich mächtig darüber; der Sultan fragte nun aber seine Tochter: »Kennst du den Mann, der ihn erschlug?« Sie antwortete: »Ich kenne ihn.« Alsdann ließ der König, als keine Spur von dem Jüngling zu finden war, in der Stadt ankündigen, daß sich niemand dem König widersetzen und keiner verziehen sollte, seinem Befehl Folge zu leisten, sondern sollten jedermann, Groß und Klein, erscheinen und an den Fenstern des Palastes seiner Tochter vorübergehen. Und so zog der Herold aus und kündete es in der ganzen Stadt an, worauf die Unterthanen drei Tage lang an den Fenstern der Prinzessin vorüberzogen, während sie dasaß und vergeblich den Jüngling, der den Löwen erschlagen hatte, zu gewahren erwartete. Als schließlich keine Seele mehr übrig geblieben war, die nicht Revue passiert hatte, fragte der Sultan: »Ist etwa jemand fern geblieben?« Sie erwiderten: »Kein einziger außer einem fremden Jüngling, der dort und dort wohnt.« Da rief der König: »Bringt ihn her und laßt ihn vorübergehen.« Die Leute eilten ihn zu holen, und, sobald er sich dem Fenster näherte, ward ein Tuch auf ihn niedergeworfen. Alsdann ließ ihn der Sultan vor sich kommen, und der Jüngling begrüßte ihn, als er vor ihm stand, und küßte die Erde vor ihm, worauf er den Sultan mit dem Chalifensegen segnete. Der Sultan 201 fand Wohlgefallen hieran und fragte ihn: »Bist du der Mann, der den Löwen erschlug?« Der Jüngling versetzte: »Jawohl.« Da sagte der König: »Erbitte dir eine Gunst, daß ich sie dir gewähre.« Nun sagte der Jüngling: »So bitte ich Gott und unsern Herrn, den Sultan, daß er mich mit seiner Tochter vermählt.« Der König versetzte jedoch: »Erbitte dir etwas Geld.« Da aber riefen alle Großen des Reiches: »Bei Gott, er verdient die Prinzessin, da er sie vor dem Löwen errettete und die Bestie erschlug.« Und so befahl denn der König das Eheband zu knüpfen und ließ den Bräutigam in Prozession zur Braut geleiten, die sich mächtig über ihn freute; dann ruhten beide während der Nacht bei einander, und er nahm ihr die Mädchenschaft. In den letzten Stunden der Nacht erhob sich der Jüngling jedoch, ohne seine Braut zu wecken, und vertauschte ihren Siegelring mit dem seinigen, worauf er auf ihre Handfläche schrieb: »Ich bin Alā ed-Dîn, der Sohn des und des Königs, der in der Hauptstadt Indiens wohnt, und, so du mich aufrichtig liebst, komm zu mir; andernfalls aber bleib' in deines Vaters Haus.« Alsdann verließ er sie, ohne sie aufzuwecken und zog zehn Tage lang durch die Wüsten und Wildnisse, Nacht und Tag über reisend, bis er in die Nähe einer Stadt gelangte, die von einem Elefanten geplagt ward. Dieses Ungetüm kam jedes Jahr und nahm ein Mädchen von der Stadt; und diesmal war gerade die Prinzessin, die Tochter des Königs jener Stadt an der Reihe. Als der Jüngling die Straßen der Stadt betrat, ward er von Stöhnen und Seufzen, Geschrei und Wehklagen empfangen, so daß er sich danach erkundigte, worauf er die Antwort erhielt, daß der Elefant sogleich erscheinen würde, um das Mädchen zu packen und zu verschlingen. Da fragte er: »Zu welcher Stelle kommt er?« Sie zeigten ihm nun eine Stelle außerhalb der Stadt, und er machte sich sofort auf den Weg und setzte sich dort. Mit einem Male erschien die Prinzessin weinend und mit thränenüberströmten Wangen, weshalb er zu ihr sprach: »O meine Herrin, sei unbesorgt.« Sie 202 versetzte: »O Jüngling, bei Gott, du wirfst dein Leben zwecklos fort und suchst deinen Tod ohne Grund; steh' daher auf und rette dich, denn der Elefant wird sogleich hier sein.« Und siehe, da kam das Untier auch schon aus dem Herzen der Wüste herbei und machte eine Staubwolke, vor Wut trompetend und seine Flanken mit dem Schweif peitschend. Als er jedoch an dem gewohnten Platz ankam, ward er von dem Jüngling empfangen, der mit einem Herzen härter als Felsgestein auf ihn stürzte und ihn durch einen Hagel von Hieben ermüdete. Als ihn dann der Elefant attackierte, empfing er das Ungeheuer mit einem Hieb zwischen die Augen, den er mit aller Kraft seines Vorderarms austeilte, daß die Klinge blitzend zwischen seinen Schenkeln herausfuhr und er tödlich getroffen zu Boden sank und sich in seinem Blut wälzte. Da erhob sich die Prinzessin im Übermaß ihrer Freude und eilte auf den Jüngling zu indem sie ihre Hände um seinen Nacken schlang und, ihn zwischen die Augen küssend, rief: »O mein Herr, mögen deine Hände nimmer gelähmt werden und deine Feinde nie über dich frohlocken!« Er erwiderte ihr: »Kehr' zu deinen Angehörigen zurück.« Sie versetzte: »Wir müssen beide zusammen heimkehren.« Er entgegnete jedoch: »Das ist kein guter Rat,« und verließ sie, doppelt schnellen Schrittes, indem er sprach: »O Gott, mag mich keiner sehen!« Als er die Stadt betreten hatte, setzte er sich neben den Laden eines Schneiders und begann mit ihm zu plaudern, als der Mann mit einem Male sagte: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Zu dieser Stunde hat der Elefant die Tochter des Königs gepackt und in Stücke zerrissen und verschlungen, wo sie die Hauptstütze ihrer Eltern ist.« Und siehe, da verbreitete sich mit einem Male lauter Jubel durch die Stadt, und jemand hob an zu rufen: »Fürwahr, der Elefant, der Jahr für Jahr herkam, ward von einem blutjungen Menschen erschlagen, und der Sultan hat einen Herold ausgesandt unter dem Volk auszurufen: »Der Mann, der das Ungeheuer erschlagen hat, 203 erscheine vor dem König, sich eine Gunst zu erbitten und das Mädchen zu heiraten.« Da fragte der Jüngling den Schneider: »Was ist los?« Der Schneider erzählte ihm nun den wahren Sachverhalt, worauf er fragte: »Wenn ich zum König gehe, wird er sie mir dann geben?« Der Schneider versetzte: »Wer bist du, daß du die Tochter des Königs heiraten solltest?« Der Prinz entgegnete: »Wir wollen zu ihm hingehen und ihm etwas vorlügen und sagen: Ich bin's, der das Ungeheuer erschlug.« Der Schneider erwiderte: »O Jüngling, du läufst vorsätzlich und absichtlich in deinen Tod, denn, wenn du ihm etwas vorlügst, so haut er dir sicherlich den Kopf ab.« Der Jüngling, der auf den Herold gelauscht hatte, sagte jedoch: »Steh' auf und begleite mich, daß du meiner Hinrichtung zuschauen kannst.« Da erhoben sich beide und begaben sich zum Palast des Sultans, wo sie um Erlaubnis zum Eintritt baten. Der Kämmerling verwehrte es ihnen, aber die Prinzessin schaute gerade aus dem Fenster hinaus und warf, als sie den Prinzen mit dem Schneider sah, das Tuch auf sein Haupt, indem sie dabei laut rief: »Bei Gott, dort ist er; niemand anders als er erschlug den Elefanten und befreite mich von ihm.« Der Schneider verwunderte sich über den Jüngling, als aber der König sah, daß seine Tochter das Tuch auf ihn geworfen hatte, ließ er ihn vor sich kommen und fragte ihn, wie sich die Sache zugetragen hatte, worauf er ihm die Geschichte wahrheitsgemäß berichtete. Da sprach der König: »Bei Gott, meine Tochter war verloren, so daß dieser Jüngling sie rechtmäßig verdient hat.« Dann knüpfte er das Eheband zwischen den beiden, und der Jüngling begab sich nach der Hochzeit in Prozession zu ihr und nahm ihr die Mädchenschaft, indem er die Nacht über bei ihr ruhte. Als der Tag jedoch nahte, erhob sich der junge Prinz und schrieb, als er sie schlummern sah, auf ihre Handfläche: »Ich bin der und der, der Sohn des und des Königs in der und der Residenz; wenn du mich aufrichtig liebst, so komm und suche mich, oder bleib' andernfalls in deines Vaters Haus.« Ohne 204 sie aufzuwecken, zog er dann weiter zur Stadt des verzaubernden Vogels und durchmaß Nächte und Tage lang die Wüsten und Wildnisse, bis er an den Ort gelangte, wo der Vogel Kleinnachtigall wohnte, dem die Feder gehörte. Der Vogel gehörte aber der Prinzessin, der Tochter des Königs, der in jener Stadt residierte, und es war die größte der Städte und ihr Vater der mächtigste der Könige. Als er die Hauptstraßen betreten hatte, lehnte er sich gegen den Laden eines Ölhändlers und sprach zu ihm: »Der Frieden sei auf dir!« Der Ölhändler erwiderte ihm den Gruß und lud ihn ein an seiner Seite Platz zu nehmen, worauf die beiden zu plaudern begannen, als ihn der Prinz mit einem Male fragte: »O mein Herr, was für Auskunft kannst du mir über einen gewissen Vogel und seinen Besitzer geben?« Der Ölhändler versetzte: »Ich kenne nur Öl, Honig und zerlassene Butter, wovon ich dir so viel geben will als du verlangst.« Da sagte der Jüngling: »Das ist keine Antwort auf meine Frage;« worauf der Ölhändler wiederum entgegnete: »Ich weiß von nichts und kehre mich an nichts als allein an das, was ich bei mir im Laden habe.« Infolgedessen erhob sich der Jüngling und verließ ihn, um seine Nachforschungen weiter fortzusetzen; so oft er sich jedoch nach dem Vogel und seinem Besitzer erkundigte, gingen die Leute auf einen andern Gegenstand über und gaben ihm keine andre Antwort als: »Wir wissen es nicht.« Dies dauerte, bis er einen hochbetagten Scheich anredete, dessen Alter fast hundert Jahre zählte. Da er allein an einer Seite der Stadt saß, trat der Jüngling an ihn heran und bot ihm den Salâm, worauf der Alte ihm den Gruß erwiderte und, ihn freundlich willkommen heißend, einlud an seiner Seite Platz zu nehmen. Als sie dann miteinander zu plaudern begannen, fragte ihn der Prinz: »O mein Oheim, was kannst du mir von dem Vogel sagen, dessen Gefieder aus Edelsteinen besteht, und was weißt du von seinem Besitzer?« Der Alte schwieg eine Weile, dann aber rief er: »O mein Sohn, was fragst du mich danach? O mein Kind, fürwahr 205 die Könige und Söhne von Königen haben sie zu heiraten begehrt, doch erreichten sie es nicht; und in der That viele haben ihr Leben um ihretwillen geopfert. Wie könntest du demnach hoffen, sie zu gewinnen? Jedoch, mein Sohn, geh' und kaufe dir sieben Lämmer; schlachte sie, häute sie ab, brate sie und zerteile sie in zwei Hälften, denn sie hat sieben Thüren, an deren jeder ein reißender Löwe als Hüter steht; und vor der achten, welche das Mädchen und den Vogel verwahrt, halten vierzig Sklaven Wache, die dort jederzeit liegen. Und nun überlasse ich dich deinem Glück, mein Sohn.« Als der Prinz diese Worte vernommen hatte, bat er den Scheich um seinen Segen, und der Scheich betete für ihn. Dann verließ er ihn und kaufte die Lämmer, worauf er sie schlachtete, abhäutete, briet und jedes in zwei Hälften zerteilte. Nachdem er gewartet hatte, bis die Nacht mit ihrem Dunkel niedergestiegen war und das Kommen und Gehen der Leute aufhörte, erhob er sich und begab sich zu dem ihm angegebenen Platz, wo er den Löwen fand, der so groß wie ein ausgewachsener Stier war. Er warf ihm ein halbes Lamm zu, worauf ihm die Bestie den Eingang freigab, und ebenso war es mit den andern sechs Thüren, bis er die achte erreichte. Hier fand er die vierzig Sklaven alle in tiefem Schlaf am Boden liegen, so daß er leisen Schrittes zum Vogel Kleinnachtigall eintrat, den er in einem mit Perlen und Edelsteinen besetzten Käfig gewahrte, während die Prinzessin, seine Herrin, auf einem Polster schlafend dalag. Er schrieb auf ihre Handfläche: »Ich bin der und der, Sohn des Königs So und So von der und der Stadt; ich trat bei dir ein und sah dich entblößt im Schlafe daliegen, und ebenso nahm ich den Vogel fort. Liebst du mich jedoch und sehnst du dich nach mir, dann komm' zu mir in meine Stadt.« Hierauf nahm er den Vogel und ging fort, indem er mit den Löwen ebenso wie bei seinem Kommen verfuhr. Der Verhüller verhüllte ihn, und er verließ die Stadt, ohne eine Seele zu treffen, und wanderte die ganze Nacht hindurch, bis der 206 Morgen anbrach, worauf er sich an einem Ort verbarg, um sich auszuruhen und etwas zu essen. Sobald es jedoch lichter Tag ward, erhob er sich wieder und setzte seine Reise fort, indem er Gott um Schutz anflehte. Gegen Mittag fand er mitten in der Wüste wie eine Oase Weidegründe von Beduinen, und, als er näher kam, empfing ihn der Besitzer derselben und begrüßte ihn mit dem Salâm und segnete ihn. Er verbrachte die Nacht bei ihnen bis zur Morgendämmerung, als der Scheich des Lagers, der von dem Fremden gehört hatte, ihn besuchte und willkommen hieß. Als er in ihm einen Jüngling von hübschem Gesicht und Wuchs fand und bei ihm den verzaubernden Vogel in einem Käfig sah, verwunderte er sich über die Heldenthat des Jünglings und rief: »Preis sei Gott, der sein Geheimnis den schwächsten seiner Geschöpfe geoffenbart hat! Fürwahr, dieser Vogel hat den Tod vieler Wesire, Könige und Sultane veranlaßt, und jener Knabe gewann ihn und trug ihn fort. Dies kommt jedoch von seinem Glück her.« Von Mitleid für ihn erfaßt, gab ihm der Scheich dann ein Pferd und etwas Proviant, und der Prinz zog nun wieder weiter und durchmaß die Wildnis Tage und Nächte lang, bis er in Sicht der Residenz seines Vaters kam. Wie er aber achtlos einherzog, kamen plötzlich seine Brüder ihm entgegen und nahmen ihm den verzaubernden Vogel fort, worauf sie ihn schalten und schlugen und forttrieben. Dann zogen sie in die Stadt ein und suchten ihren Vater auf, der sie mit Auszeichnungen aufnahm und sie hocherfreut begrüßte. Sie schenkten ihm den Vogel Kleinnachtigall und sprachen: »Hier bringen wir ihn dir, wir erlitten um seinetwillen viel Mühsal und Plagen.« Ihr Bruder aber, der ihn in Wirklichkeit erbeutet hatte, ging betrübten Herzens zu seiner Mutter und vergoß Thränen, so daß sie ihn fragte: »Was fehlt dir, und was ist dir zugestoßen?« Da erzählte er ihr, wie es ihm ergangen war, und sie erwiderte: »Gräme dich nicht, mein Sohn, dein Recht wird bald offenbar werden.« Alsdann beruhigte sie ihn und beschwichtigte sein Herz. 207

Soviel von ihnen; als nun aber die Prinzessin, die Herrin des Vogels, in der Morgendämmerung erwachte und ihre Augen öffnete, fand sie, daß ihr Liebling verschwunden war, und bemerkte, wie sie um sich schaute, plötzlich etwas auf ihrer Handfläche geschrieben. Sobald sie es aber gelesen und den Inhalt begriffen hatte, stieß sie einen lauten Klageruf aus, daß der Palast davon wiederhallte und ihr Vater fragte, was los wäre, ohne daß es jemand zu erklären wußte. Da erhob sich der Sultan unverzüglich und begab sich zu seiner Tochter; als er sie antraf, wie sie sich des Vogels wegen vors Gesicht schlug, fragte er sie: »Was ist mit dir geschehen?« Da erzählte sie ihm alles und sagte: »Fürwahr, den, der in mein Gemach trat und mich unverhüllt sah und betrachtete und auf meine Handfläche schrieb, will ich haben und keinen andern.« Ihr Vater erwiderte: »O meine Tochter, viele Söhne von Wesiren und Königen suchten den Vogel zu gewinnen, und es mißglückte ihnen; nimm jetzt an, er sei gestorben.« Die Prinzessin versetzte jedoch: »Ich begehre keinen andern als den Mann, der mich im Schlaf fand und mich betrachtete; er ist der Sohn des Königs So und So und wohnt in der und der Residenz.« Da fragte ihr Vater: »Was ist da also zu thun?« Sie erwiderte: »Ich muß ihm danken und muß seine Stadt aufsuchen und ihn heiraten, denn sicherlich kann es unter allen Königssöhnen keinen schöneren und anmutigeren als ihn geben, der durch seine List in diese so wohlbehütete Stätte zu mir eingedrungen ist. Wie könnte es wohl einen ihm gleich geben?« Hierauf befahl ihr Vater den Truppen, sich vor der Stadt zu sammeln, und holte für seine Tochter Raritäten, Geschenke und Maultiersänften hervor, und sie schlugen die Zelte auf und luden die Lasten nach drei Tagen zur Abreise auf. Dann zogen sie Tage und Nächte lang einher, bis sie sich der Stadt näherten, in welcher der Jüngling den Elefanten erschlagen und die Tochter des Königs errettet hatte. Hier ließ der Sultan sein Lager mit allen seinen Zelten nahe bei den Mauern 208 aufschlagen, damit alle der Rast pflegten. Als jedoch der König der Stadt dies sah, ritt er hinaus den Fremden zu besuchen und fragte ihn, nachdem er ihn begrüßt hatte, weshalb er mit einem so großen Heer gekommen wäre. Der Sultan teilte ihm mit, was seiner Tochter widerfahren war, wie sie den bezaubernden Vogel verloren hätte, und wie der Jüngling in ihr Gemach gekommen wäre und eine Schrift auf ihre Handfläche geschrieben hätte. Als der König dies von ihm vernahm, erkannte er für gewiß, daß es derselbe Prinz war, der den Elefanten erschlagen und hierdurch seine Tochter gerettet hatte. Er sagte deshalb zum Sultan: »Fürwahr, derselbe, der den Vogel deiner Prinzessin raubte, hat ebenfalls meine Tochter geheiratet, denn er verrichtete die und die Thaten.« Hierauf erzählte er ihm, wie er den Elefanten erschlagen hatte, sowie alles andre von Anfang bis zu Ende, und, sobald der Sultan diesen Bericht vernahm, rief er: »Bei Gott, meine Tochter ist zu entschuldigen; sie hat ihre Einsicht und Klugheit bewiesen.« Alsdann erhob er sich und begab sich zu ihr, ihr zu erzählen, was er von dem König der Stadt vernommen hatte, und sie verwunderte sich über die Geschichte der Abenteuer des Jünglings und seine Erlegung des Elefanten. Sie verbrachten nun an jener Stätte die Nacht, und als die Kunde hiervon alsbald die Ohren der Gemahlin des Jünglings, die durch ihn vom Elefanten errettet worden war, erreichte, sprach sie zu ihrem Vater: »Ich muß ebenfalls zu ihm ziehen, daß ich mit ihm vereint werde.« Da ließ ihr Vater der König seine Truppen zugleich mit den Großen des Reiches außerhalb der Stadt neben dem Heer des Großsultans aufziehen, und am nächsten Tage befahlen beide Könige die Lasten zum Aufbruch aufzuladen. Als ihr Befehl ausgerichtet war, brachen beide auf und zogen Tage und Nächte lang, bis sie sich der Hauptstadt des Königs näherten, wo der Jüngling den Löwen erschlagen hatte. Sie schlugen in der Nähe der Stadt ihre Zelte auf, und bald darauf kam der König jener Stadt zu ihnen herauf sie zu begrüßen und 209 fragte sie nach der Ursache ihres Kommens, worauf sie ihm ihre Abenteuer von Anfang bis Ende mitteilten. Überzeugt von der Wahrheit der Geschichte; kehrte er zu seiner Tochter zurück und erzählte es ihr, worauf sie ebenfalls rief: »Ich muß gleich ihnen ausziehen, ihn zu suchen und mit ihm vereint zu werden.« Da kehrte ihr Vater zu dem Sultan und dem König zurück und erzählte ihnen, wie der Jüngling den Löwen erschlagen und seine Tochter errettet hatte; und beide riefen verwundert: »Bei Gott, dieser Jüngling ist in allen seinen Unternehmungen glücklich; wüßten wir doch, wie er mit seinem Vater steht, ob er von ihm geliebt oder gehaßt ist!« Alsdann unterhielten sich die drei Könige über die Vorzüge des Jünglings, bis sich der dritte König erhob und den Großen seines Reiches und seinen Truppen befahl sich zu versammeln. Ebenso ließ er für seine Tochter Maultiersänften herausschaffen und alles, was sie an Raritäten und Geschenken brauchte, rüsten. Alsdann erteilten die drei Könige Befehl, die Lasten aufzuladen, und brachen mit ihren Töchtern auf, die stets, wenn sie sich unterhielten, die hohen Gaben des Prinzen rühmten: und die Prinzessin, die den Vogel besaß, pflegte dann zu sagen: »Ihr seid mit ihm zusammengekommen,« worauf die andern erwiderten: »Wir verbrachten mit ihm nur eine einzige Nacht.« Dann erzählten sie ihr, wie er den Elefanten und den Löwen erschlagen hatte, und sie rief verwundert aus: »Bei Gott, er ist vom Schicksal beglückt!« In solcher Weise verbrachten sie Tage und Nächte und Nächte und Tage, bis sie sich der weitberühmten Stadt, dem Ziel ihrer Fahrt und ihrer Wünsche, näherten. Gegen Sonnenuntergang trafen sie dort ein, und die drei Könige, die zusammen abgestiegen waren, befahlen die Zelte aufzuschlagen und hießen die Feueranzünder und Fackelträger die Fackeln und Leuchten anzünden, so daß das ganze Wadi taghell erleuchtet ward. Als aber die Bewohner der Stadt dies sahen, riefen sie mit vor Furcht erbebenden Herzen und zitternden Muskeln: »Fürwahr, es muß eine besondere Bewandtnis mit 210 dem Eintreffen der Heere dieser drei Könige haben.« Die Fremden verbrachten die Nacht in ihrem Lager, bis der Morgen anbrach, worauf die Könige zusammenkamen und einen Boten mit einer Einladung zum König der Stadt schickten, der nach Empfang desselben rief: »Ich höre und gehorche.« Dann saß er ohne Aufschub und Verzug auf und ritt zum Lager der Fremden, wo er abstieg und zu ihnen eintrat sie zu begrüßen; in gleicher Weise erhoben sie sich vor ihm und wünschten ihm langes Leben, worauf sie ihn einluden Platz zu nehmen und mit ihm eine Stunde lang plauderten. Er war jedoch im Meer der Gedanken versunken und sprach fortwährend bei sich: »Wüßte ich nur, weshalb die Könige in mein Land gekommen sind!« Die Könige plauderten mit ihm bis zur Mittagszeit, als die Tische mit kostbaren Gerichten in Schüsseln und Schalen von kostbaren Metallen aufgetragen wurden, während die Becken und Eimer aus lauterm Gold bestanden, so daß sich der König darüber verwunderte und bei sich sprach: »Bei Gott, solche Raritäten finden sich nicht bei mir.« Nachdem sie zur Genüge gegessen hatten, ward ihnen Wasser gebracht, und sie wuschen sich ihre Hände, worauf ihnen Konfekt, Kaffee und Scherbetts aufgetragen wurden. Alsdann aber fragten die drei Könige ihren Gast: »Hast du Kinder?« Er versetzte: »Ja, ich habe zwei Söhne.« Da sagten sie: »Laß sie vor uns kommen, damit wir sie sehen.« Infolgedessen schickte er nach ihnen und befahl ihnen zu erscheinen. Die Prinzen legten ihre feinsten Sachen an und parfümierten sich; dann saßen sie auf und ritten zum Palast ihres Vaters. Die drei Prinzessinnen aber standen da, nach ihnen zu sehen, und die Herrin des Vogels Kleinnachtigall fragte die beiden andern: »Ist er einer von diesen beiden?« Sie versetzten: »Nein, er ist nicht unter ihnen.« Da rief sie: »Bei Gott, dies sind hübsche Männer!« Die andern entgegneten jedoch: »Fürwahr, unser Gatte ist viel hübscher und schöner als sie.« Als nun die Könige die beiden Brüder sahen, sprachen sie zu dem Vater 211 der Prinzen: »Wir bedürfen ihrer nicht;« der dritte König aber, der den Prinzen, welcher den Vogel seiner Tochter geraubt hatte, nicht kannte, sagte: »Bei Gott, dies sind zwei hübsche Jünglinge!« Hierauf fragten die beiden andern Könige ihren Vater: »Hast du keinen andern Sohn als diese beiden?« Er erwiderte: »Ja, ich habe noch einen Sohn, jedoch habe ich ihn verstoßen und habe seine Mutter zu den Küchenmädchen gethan.« Da sagten sie: »Laß ihn holen.« Und so schickte er einen Boten aus, ihn zu holen. Er erschien ohne jeglichen Schmuck, sobald ihn aber die beiden Prinzessinnen sahen, sprachen sie zu einander in betreff seiner, und er neigte sich ihnen zu und besuchte sie in ihrem Zelt, worauf sie sich vor ihm erhoben und, ihre Arme um seinen Hals werfend, ihn zwischen die Augen küßten. Da fragte die dritte Prinzessin, die Herrin des Vogels Kleinnachtigall, die beiden andern: »Ist er's?« und, als sie es bejahten, erhob sie sich gleichfalls und küßte ihm die Hand. Nachdem er jedoch mit ihrer Begrüßung zu Ende gekommen war, begab er sich unverzüglich zu den versammelten Königen, die sich respektvoll vor ihm erhoben und ihn begrüßten und willkommen hießen, während sich sein Vater hierüber höchlichst verwunderte. Alsdann setzte sich der Jüngling fern von seinen Brüdern und fragte sie: »Wer von euch beiden nahm zuerst die Feder?« Sie blieben stumm, er aber fragte nun von neuem: »Wer von euch erschlug den Löwen und den Elefanten, und wer von euch wappnete sein Herz und trat in das Gemach der erhabenen Herrin, der Tochter dieses Sultans, und nahm ihren Vogel Kleinnachtigall fort?« Sie schwiegen jedoch und gaben ihm keine Silbe zur Antwort. Da sprach er zu ihnen zum drittenmal: »Weshalb überfielt ihr mich und schlugt mich und nahmt mir den Vogel Kleinnachtigall fort, als ich es nicht vermochte, euch beide niederzuhauen? Jedoch hat jedes Ding seine Zeit; dieser mein Vater verbannte mich und meine Mutter, und gab ihr nie, was ihr zukam.« Mit diesen Worten fiel er mit dem Schwert über seine beiden Brüder her und erschlug 212 beide mit einem einzigen Streich, worauf er sich ebenfalls auf seinen Vater stürzen und ihn niederhauen wollte. Da aber wehrten es ihm die drei Könige, und der König, dessen Tochter den Vogel besaß, machte der Sache ein Ende, indem er darauf drang, daß das Eheband zwischen ihm mit seiner Tochter geknüpft würde. Und so suchte er sie noch in derselbigen Nacht heim, und die drei Prinzessinnen wurden seine rechtmäßigen Gemahlinnen. Nach diesem befahl sein Vater, seine Mutter wieder in den Palast aufzunehmen, und er ehrte sie und verbannte die Mutter seiner beiden ältern Söhne, da er überzeugt war, daß sein jüngster Sohn die Heldenthaten verrichtet, und den Löwen und Elefanten erschlagen und den Vogel Kleinnachtigall geraubt hatte. Außerdem wies er dem Prinzen und seinen drei Prinzessinnen einen besondern Palast an und gab ihm ein Kommando, und so ward ihre Freude immer größer. Nachdem aber die drei Könige vierzig Tage lang an jenem Ort verweilt hatten, beschlossen sie wieder in ihre Länder und Residenzen heimzukehren, und ihr Schwiegersohn überreichte ihnen Geschenke und Raritäten, worauf sie ihn segneten und ihres Weges zogen. Nach diesem setzte sich der junge Prinz, der Sultan und Herrscher geworden war, auf den Thron seines Reiches, und alle gehorchten ihm, und die Diener Gottes beteten für ihn. Da begab es sich eines Tages, daß er Lust bekam auf die Jagd auszuziehen, und er brach mit seinem Gefolge auf und zog aus, bis sie sich mitten in der Wildnis befanden. Als er hier auf eine unterirdische Höhle stieß, wollte er in dieselbe hineingehen; seine Begleiter hielten ihn jedoch davon ab, und mit einem Male kam ein Mann in abgetragenen Kleidern aus der Wüste auf ihn zu, an dem die Spuren der Wanderung zu sehen waren, und der etwas Wasser und Zehrung trug. Der König fragte ihn: »Woher kommst du und wohin gehst du?« Der Mann versetzte: »Wir sind drei Leute in dieser Höhle, die wir aus unserm Land geflüchtet sind; und, so wir etwas an Speise und Trank bedürfen, geht einer von uns fort und holt Proviant 213 für zehn Tage.« Da fragte der König: »Und weshalb seid ihr aus euerm Land geflüchtet?« Der Mann erwiderte: »Fürwahr, unsre Geschichte ist wunderbar, und unsere Abenteuer sind ergötzlich und absonderlich.« Hierauf versetzte der König: »Bei Gott, wir wollen diesen Ort nicht eher verlassen als bis wir eure Geschichten vernommen haben; jeder von euch drei soll uns sein Abenteuer erzählen, damit wir es aus seinem eigenen Mund vernehmen.« Alsdann befahl der König einem Teil seines Gefolges wieder heimzuziehen, während er mit den übrigen dort verblieb; außerdem schickte er einen Kämmerling nach der Stadt, etwas Lebensmittel, Wasser und Wachskerzen und, was sonst erforderlich war, zu holen, indem er bei sich sprach: »Fürwahr, Geschichten zu hören ist besser als Jagd und Vogelsang, denn Geschichten erheitern und erfreuen des Menschen Herz.« Und so machte sich der Kämmerling auf den Weg und kehrte nach einer Weile mit allem, was der König verlangt hatte, zurück; dann holte er mit dem andern Gefolge den Strolch und seine beiden Kumpane und führte sie vor den König, wo sie alle drei niedersitzen ließen, ohne daß die drei Strolche wußten, daß die Persönlichkeit vor ihnen der König der Stadt war. Sie plauderten nun miteinander bis zum Anbruch der Nacht, worauf der König ihnen befahl ihre Geschichten zu erzählen und ihre Erlebnisse vorzutragen. Sie versetzten: »Wir hören und gehorchen,« und der erste von ihnen hob also an und erzählte:

 


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