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Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Die Geschichte des Sultans und seiner Söhne mit dem verzaubernden Vogel.

Von einem der Könige im Morgenland erzählt man, er habe drei Söhne gehabt, deren ältester eines Tages die Leute reden hörte: »An dem und dem Ort befindet sich ein Vogel, Kleinnachtigall der Schreihals geheißen, der jeden, der dorthin kommt, in ein Steinbild verzaubert.« Als der Thronerbe dies vernahm, begab er sich zu seinem Vater und sprach: »Ich möchte ausziehen und jenen Wundervogel in meine Gewalt bekommen.« Der Vater erwiderte: »Mein Sohn du willst nichts anders als dein Leben opfern und uns deiner berauben; denn jener Vogel hat bereits Könige und Sultane verdorben, 188 geschweige denn Paschas und Bannerträger, Männer, in deren Griff du ein reines Nichts wärst.« Der Sohn entgegnete jedoch: »Ich muß unbedingt ausziehen, und, wenn du es mir verbietest, so nehme ich mir das Leben.« Da rief sein Vater: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« worauf der Sohn erwiderte: »Leidenschaften erglühen für eine gemeine Welt und Schritte werden zu einer gemeinen Welt gelenkt, das tägliche Brot aber wird von Gott verteilt und geschenkt.« Nun sagte sein Vater zu ihm: »So zieh' aus, mein Sohn, und mögest du deinen Wunsch erreichen.« Hierauf beschafften sie ihm etwas Wegzehrung, und er trat die Fahrt an. Bevor er jedoch aufbrach, zog er seinen Siegelring vom Finger und gab ihn seinem zweiten Bruder mit den Worten: »O mein Bruder wenn dir dieser Siegelring deinen kleinen Finger preßt, dann wisse und sei überzeugt, daß mir ein Mißgeschick widerfahren ist.« Der jüngere Bruder nahm den Siegelring an sich und steckte ihn an seinen kleinen Finger, während der älteste nunmehr von seinen Eltern und Brüdern und den Großen des Reiches Abschied nahm und sich auf den Weg zur Stadt machte, in welcher der Vogel hauste. Er reiste Tag und Nacht, bis er die Stätte erreichte, an der der Vogel Kleinnachtigall weilte, dessen Gewohnheit es war zwischen der Zeit des Nachmittags und Sonnenuntergangs auf seinem Käfig Posto zu fassen und hernach zur Nachtruhe wieder hineinzuschlüpfen. Näherte sich ihm jedoch jemand, um ihn zu fangen, dann setzte er sich fern von ihm und ließ sich bei Sonnenuntergang auf den Käfig nieder, indem er mit klagender Stimme laut rief: »Wer spricht zum Armen und Elenden: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Trauernden und Getrennten: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Betrübten und Vergrämten: Kehr' ein zur Nacht?« Wenn dann diese Worte den Mann, der vor ihm stand, bekümmerten, und er versetzte: »Kehr' ein zur Nacht,« so hob der Vogel, noch ehe die Worte seinen Lippen entflohen waren, 189 ein wenig Staub neben seinem Käfig aus und streute es ihm über das Haupt, wodurch er alsbald zu Stein ward. Als nun der Jüngling bei dem Vogel ankam, setzte er sich fern von ihm bis zum Sonnenuntergang, worauf sich mit einem Male Kleinnachtigall auf seinen Käfig setzte und rief: »Wer spricht zum Armen und Elenden: Kehr ein zur Nacht? Wer spricht zum Trauernden und Getrennten: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Betrübten und Vergrämten: Kehr' ein zur Nacht?« Da that der Ruf dem Jüngling leid, so daß sich sein Herz besänftigte und er rief: »Kehr' ein zur Nacht.« Dies aber war gerade, als die Sonne unterging, und, sobald er das Wort ausgesprochen hatte, nahm der Vogel etwas Staub und streute es dem Jüngling aufs Haupt, der alsbald zu Stein ward.

Zu derselben Zeit saß sein Bruder daheim und gedachte des Wanderers, als mit einem Male der Ring seinen Finger quetschte. Da rief er: »Fürwahr, mein Bruder ist ums Leben gekommen und hat den Tod gefunden; jedoch muß ich ebenfalls ausziehen und nach ihm schauen und sehen, wie es ihm ergangen ist.« Alsdann sprach er zu seinem Vater: »O mein Vater, ich wünsche meinen Bruder zu suchen.« Der alte Vater entgegnete: »Warum, o mein Sohn, wolltest du wie dein Bruder werden und mich ebenfalls deiner berauben?« Der Sohn versetzte jedoch: »Ich muß; und ich will nicht eher ruhen als bis ich nach meinem verlorenen Bruder ausgezogen bin und gesehen habe, wie es ihm ergangen ist.« Hierauf erteilte sein Vater Befehl zu seiner Reise und machte ihm genügende Wegzehrung zurecht; bevor er jedoch fortzog, sprach er zu seinem jüngsten Bruder: »Nimm diesen Ring und steck' ihn auf deinen kleinen Finger, und, so er dich preßt, so wisse und sei überzeugt, daß mein Lebensblut vergossen ist und ich umgekommen bin.« Dann nahm er von ihnen Abschied und machte sich auf den Weg zur Stätte des verzaubernden Vogels. Tage und Nächte und Nächte und Tage lang reiste er, bis er an jener Stätte angelangt war; und, 190 als er den Vogel Kleinnachtigall fand, setzte er sich fern von ihm, bis sich gegen Sonnenuntergang der Vogel auf seinen Käfig setzte und zu rufen anhob: »Wer spricht zum Armen und Elenden: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Trauernden und Getrennten: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Betrübten und Vergrämten: Kehr' ein zur Nacht?« Dieser Ruf dauerte den jungen Prinzen, sobald er jedoch gesprochen hatte: »Kehr' ein zur Nacht,« nahm Kleinnachtigall etwas Staub neben seinem Käfig aus und bestreute sein Haupt damit, worauf er alsbald zu Stein ward und neben seinem Bruder lag.

Der jüngste der drei Prinzen saß gerade beim Mahl mit seinem Vater, als plötzlich der Ring enger ward, daß er ihm fast den Finger abschnitt; da sprang er auf und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Sein Vater fragte ihn deshalb: »Was fehlt dir, mein Sohn?« worauf er versetzte: »Mein Bruder ist verdorben und verloren, und nun muß ich ebenfalls ausziehen und nach den beiden sehen.« Da rief sein Vater: »Warum solltet ihr drei umkommen?« Der Sohn versetzte jedoch: »Ich muß dies thun, denn ich kann nicht hinter ihnen zurückbleiben, ohne zu sehen, was ihnen widerfahren ist; entweder kehren wir alle drei gesund und wohlbehalten zurück, oder mir ergeht es wie ihnen.« Da befahl der Vater seinen Leuten die Vorkehrungen für seine Fahrt zu treffen, und, nachdem sie ihm genügend Wegzehrung beschafft hatten, nahm er von ihnen Abschied und zog fort. Als er aber von seinem Vater schied, banden der Greis und seine Gemahlin die Grambinden um ihre Stirn und hoben an bei Tag und Nacht zu weinen. Inzwischen reiste der Jüngling fort und fort, bis er um die Zeit des Nachmittags die Stätte des Vogels erreichte, wo er seine Brüder zu Stein verzaubert vorfand. Um Sonnenuntergang setzte er sich in einiger Entfernung von dem Vogel, als dieser sich auf den Käfig setzte und zu rufen anhob: »Wer spricht zum Armen und Elenden: Kehr' ein zur 191 Nacht? Wer spricht zum Trauernden und Getrennten: Kehr' ein zur Nacht? Wer spricht zum Betrübten und Vergrämten: Kehr' ein zur Nacht?« Aber obwohl er diese und noch andere Worte und Bitten derselben Art rief und seine Rufe fortsetzte, verhärtete der Prinz sein Herz, und es fand sich niemand, der ihm Antwort gab. Als nun die Sonne unterging und er seine Rufe vergeblich gethan hatte, schlüpfte er in den Käfig, worauf der jüngste Prinz sich erhob und, herzueilend, die Thür hinter ihm schloß. Da sprach der Vogel: »Du hast die That vollbracht, o Sohn des Sultans;« und der Jüngling versetzte: »Sag' an, wie du diese Geschöpfe Gottes verzaubert hast.« Kleinnachtigall erwiderte: »Neben dir liegen zwei Haufen Thon, ein weißer und ein blauer; der blaue dient zum Verzaubern und der weiße zum Lösen des Zaubers.« Da trat der Jüngling an sie heran und nahm etwas von dem weißen Thon, den er auf die Steine streute, indem er dabei sprach: »Nehmt eure frühere Gestalt wieder an.« Und, wie er es that, verwandelten sich alle die Steine wieder in Menschen wie zuvor. Unter ihnen befanden sich aber Söhne von Sultanen und Kinder von Königen, Wesiren, Paschas und Großen, nebst den beiden ältern Brüdern des jungen Prinzen. Alle begrüßten ihn und beglückwünschten einander zu ihrer Errettung, einer aber trat an den Prinzen heran und sagte zu ihm: »Fürwahr, dieser Ort ist eine Stadt, deren Bewohner samt und sonders verzaubert sind.« Da nahm er etwas weißen Thon und schritt in die Straßen; und, da er fand, daß sich die Sache verhielt, wie es ihm angegeben war, begann er Thon auf die Bilder von Stein zu streuen, worauf sich alle zu menschlichen Wesen verwandelten. Schließlich erhoben sich alle Bewohner jener Stadt und boten dem Prinzen Geschenke und Raritäten an, bis er eine große Menge davon hatte. Als jedoch seine Brüder sahen, daß er Herr des Vogels Kleinnachtigall und seines Käfigs geworden war und alle jene Geschenke und auserlesenen Schätze erhalten hatte, wurden sie von Neid erfüllt und sprachen zu 192 einander: »Wie soll unser Bruder alles dies davontragen, während wir bei ihm in dienender Stellung verbleiben, zumal wenn er mit uns heimzieht und in unser Land zurückkehrt? Werden dann nicht die Leute sagen, daß die beiden ältern Brüder durch die Hand des jüngsten errettet sind? Wir können solch eine Schmach nicht ertragen.« So zog der Neid in sie ein, und in ihrer Eifersucht planten sie den Tod ihres jüngsten Bruders, der nicht wußte, was in ihnen vorging, und was verborgen im Schoß der Zukunft auf ihn lauerte.

Als sie nun ihr Werk beendet hatten, erhob sich der jüngste Prinz und befahl seinen Pagen und Eunuchen die Lasten auf die Kamele und Maultiere zu packen, und alle traten, nachdem sein Geheiß vollzogen war, die Heimfahrt an. Sie reisten Tage und Nächte lang, bis sie sich ihrem Ziel näherten, als der jüngste Prinz seinem Gefolge befahl einen offenen Platz zu suchen, wo sie der Ruhe pflegen könnten. Sie erwiderten: »Wir hören und gehorchen;« und, als sie auf einen solchen Platz stießen und dort einen steinernen Brunnen fanden, sprachen die ältern Brüder zum jüngsten: »Dies ist ein zur Rast geeigneter Ort, zumal wo sich der Brunnen hier befindet; denn das Wasser ist süß und gut zu trinken, und wir können damit unsre Leute und die Tiere versorgen.« Der Jüngling versetzte: »Es ist das Gewünschte;« und so schlugen sie die Zelte hart am Brunnen auf und ließen, nachdem das Lager errichtet war, das Abendessen bereiten. Gegen Sonnenuntergang trugen sie dann die Tische auf und aßen zur Genüge, bis sie die Nacht überfiel. Der jüngste Prinz hatte aber einen Siegelring, den er dem Vogel Kleinnachtigall abgenommen hatte, und er hütete ihn so sorglich, daß er niemals ohne ihn schlief. Seine Brüder warteten nun bis er in Schlaf versunken war, worauf sie sacht an ihn heranschlichen, ihn fesselten und zu dem Brunnen schleppten, in den sie ihn warfen, ohne daß jemand etwas davon gewahr wurde. Am nächsten Morgen erhoben sie sich und befahlen den Dienern aufzuladen, denen sie, als sie nach ihrem Herrn fragten, 193 erwiderten, er schliefe in der Sänfte. Infolgedessen erhoben sich die Kameltreiber und luden die Lasten und die Sänfte auf, und die beiden Prinzen schickten ihrem Vater dem König einen Boten mit der frohen Nachricht. Als der Bote bei ihm eintraf und ihm die Freudenbotschaft überbrachte, saßen der König und alle seine Großen auf und ritten seinen Söhnen zum Empfang entgegen, sie zu begrüßen und zu ihrer wohlbehaltenen Heimkehr zu beglückwünschen. In ihrem Zuge gewahrte er aber auch den Vogel Kleinnachtigall den Schreihals im Käfig, so daß er sie erfreut fragte: »Wie bekamt ihr ihn in eure Hand?« Dann erkundigte er sich auch nach ihrem Bruder, und sie versetzten: »Nachdem wir den Vogel in unsre Gewalt bekamen, brachten wir ihn hierher; von unserm jüngsten Bruder wissen wir jedoch nichts.« Nun fragte der König, der seinen jüngsten Sohn über die Maßen liebte: »Habt ihr nicht nach ihm gesucht und seid ihr nicht mit ihm zusammen gewesen?« Sie erwiderten: »Ein Wandersmann sagte, er hätte ihn irgendwo gesehen.« Als der Vater dies von ihnen vernahm, rief er, die Hände zusammenschlagend: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Soviel von ihnen; als sie nun ihren jüngsten Bruder in den Brunnen warfen, erwachte er und rief, als er spürte, daß er in die Tiefe fiel: »Ich nehme meine Zuflucht zu den allgenügenden Worten Gottes vor dem Übel, das er geschaffen hat!« Und durch den Segen dieser heiligen Worte erreichte er den Grund des Brunnens, ohne einen Schaden oder eine Verletzung davon zu tragen. Als er sich hier gefesselt vorfand, stemmte er sich wider seine Banden und löste sie; da aber der Brunnen einen tiefen Boden hatte, und er hier auf eine gewölbte Nische stieß, setzte er sich in dieselbe und rief: »Fürwahr, wir sind Gottes, und zu Ihm kehren wir zurück! Sie, denen ich einen guten Dienst erwies, lohnten es mir mit dem Gegenteil; jedoch ist die Macht bei Gott.« Plötzlich hörte er in der Nähe jemand sprechen, und die Stimme sagte: »O Schwarzkopf, wer ist 194 unter uns gekommen?« Sein Gefährte erwiderte: »Bei Gott, dieser Jüngling ist der Sohn des Sultans, sein Vielgeliebter; er hat seine Brüder vom Zauber befreit und führte sie heim, während sie Verrat wider ihn übten und ihn in diesen Brunnen warfen. Indessen hat er einen Siegelring bei sich, der ihn, wenn er ihn reibt, fragt, was er wünscht und alle seine Befehle ausführt.« Da sprach der Prinz bei sich: »Ich befehle dem Diener des Ringes mich aus dem Brunnen zu schaffen;« dann rieb er ihn, und sofort erschien der Dschinnī und rief: »O Sohn des Sultans, was begehrst du von mir?« Der Prinz erwiderte: »Ich wünsche, daß du mich aus dem Brunnen schaffst und mich mit einem Heer von Pagen, Eunuchen, Zelten, Baldachinen, Fahnen und Bannern versiehst.« Der Dschinnī versetzte: »Zu Befehl.« Alsdann hob er ihn aus dem Brunnen, und der Jüngling fand dicht daneben alles, was er brauchte, so daß er den Leuten befahl ihre Sachen aufzuladen. Nachdem dies geschehen war, zog er weiter nach der Stadt seines Vaters und stieg in Sicht derselben auf einem breiten Plan ab, wo er ihnen das Lager aufzuschlagen befahl. Infolgedessen schlugen sie die Zelte auf, während die Diener vor ihnen Wasser auf den Boden sprengten und die Banner und Fahnen aufpflanzten; und die Pauker paukten, die Trompeter bliesen Fanfaren, und die Köche machten das Abendessen zurecht. Als nun das Stadtvolk diesen Pomp und dieses Wesen sah, glaubten sie, es wäre ein Sultan gekommen ihre Stadt zu erobern, so daß sie zu Hauf' zum König zogen und ihn davon benachrichtigten. Wie er jedoch ihre Worte vernahm, fühlte er sein Herz hinschmelzen und sein Inneres pochen, und von ahnender Freude erfüllt rief er: »Preis sei Gott, mein Herz verspürt ein gewisses Wohlbehagen, wiewohl ich nicht weiß, wie die Sache steht; und Gott hat in seiner heiligen Schrift gesprochen: »Wir haben gute Nachricht vernommen.« Hierauf saßen er und die Großen des Reiches auf und ritten, bis sie die Front der Zelte erreichten, wo der König von seinem Roß abstieg. Der Prinz, 195 sein jüngster Sohn, war aber in einen Anzug gekleidet, der einem verborgenen Schatz hätte angehören können, und, als er nun seinen Vater sah und erkannte, erhob er sich und empfing ihn, indem er ihm die Hände küßte, während sein Vater ihn in seinem stolzen Aufzug nicht erkannte, sondern ihn für einen fremden Sultan hielt. Mit einem Male fragte ihn der Prinz: »Wo ist dein jüngster Sohn?« Als der König diese Frage vernahm, sank er in Ohnmacht und versetzte, nachdem er sich wieder erholt hatte: »Fürwahr, mein Sohn hat sein Blut vergossen und ist die Speise der Raubtiere geworden.« Da lachte der Jüngling laut und rief: »Bei Gott, dein Sohn hat nichts von den Wechseln und Unfällen der Zeit erlitten, sondern befindet sich noch in den Banden des Lebens und ist wohl und gesund; nicht das geringste Leid ist ihm widerfahren.« Da fragte der Vater: »Wo ist er?« Und der Jüngling versetzte: »Er steht vor dir.« Nun schaute ihn der Sultan an und faßte ihn scharf ins Auge; und, da er nun erkannte, daß es sein eigener Sohn war, der mit ihm redete, schlang er in seiner Freude die Arme um seinen Nacken und sank mit ihm ohnmächtig zu Boden. Erst nach einer Stunde kam er wieder zu sich und fragte seinen Sohn, wie es ihm ergangen wäre, worauf er ihm alles erzählte, wie er den verzaubernden Vogel Kleinnachtigall und den Zauberthon in seine Hand bekommen und seine Brüder und die zu Stein verwandelten Bewohner der Stadt damit bestreut und alle wieder in ihre frühere menschliche Gestalt verwandelt hätte. Ebenso erzählte er ihm, was für Geschenke ihm gemacht wären, und wie ihn seine Brüder an einem gewissen Ort gefesselt und in den Brunnen geworfen hätten.

Ehe er aber noch seine Erzählung beendet hatte, traten mit einem Male seine beiden Brüder herein, die beim Anblick seiner stolzen Pracht, wie er von allem Wohlstand umgeben war, nur noch neidischer und haßerfüllter auf ihn wurden. Sobald ihr Vater sie jedoch erblickte, rief er: »Ihr habt in meinem Sohn Verrat wider mich geübt und mich 196 belogen, und, bei Gott, es giebt für euch von meiner Seite keinen andern Lohn als den Tod.« Hierauf befahl der Sultan ihre Hinrichtung, als sich der jüngste Prinz für seine Brüder ins Mittel legte und sprach: »O mein Herr, eines jeden That erhält ihren Lohn.« Und so erreichte er Verzeihung für sie. Sie verbrachten die Nacht insgesamt im Lager, am andern Morgen aber luden sie auf und kehrten in fröhlichster Stimmung zur Stadt zurück.«

Als der König diese Geschichte vom Überbringer der Früchte vernommen hatte, fand er Wohlgefallen an ihr und sprach erfreut: »Bei Gott, o Scheich, all unsre Sorge und Trübsal ist von uns gewichen; und, fürwahr, diese Geschichte verdient mit goldener Tinte auf die Seiten der Herzen der Menschen geschrieben zu werden.« Der Scheich versetzte: »Bei Gott, o König der Zeit, dies ist ein wunderbares Abenteuer; jedoch weiß ich noch eins, das wunderbarer, vergnüglicher und ergötzlicher als das eben von dir vernommene ist.« Da sagte der Sultan: »Du mußt es mir unbedingt erzählen;« worauf der Obstverkäufer versetzte: »So Gott will, in der kommenden Nacht.«

Als nun die nächste Nacht hereinbrach, und sie das Nachtgebet verrichtet hatten und nach dem Nachtessen dasaßen, miteinander zu plaudern und Anekdoten zu erzählen, sagte der König zum Obsthändler: »Erzähl' uns etwas, das du über die Könige der Vorzeit vernommen hast.« Da versetzte er: »Ich höre und gehorche,« und hob an:

 


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