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Tausend und eine Nacht. Band XXIII
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Geschichte Mohammeds, des Sultans von Kairo.

Ich begann meine Laufbahn in der Welt als ein Derwisch, der nichts von den Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens besaß, bis ich eines Tages in den Besitz von gerade zehn Para kam, die ich für mich selber auszugeben beschloß, weshalb ich auf den Bazar ging, mir etwas zum Essen zu kaufen. Während ich mich hier umsah, gewahrte ich einen vorübergehenden Mann, der einen Affen mit einem Hundsgesicht an einer Kette führte und dabei rief: »Harrâdsch!Ruf der Auktionatoren. Dieser Affe steht für zehn Para zum Verkauf.« Infolgedessen trat ich an den Verkäufer heran und sprach zu ihm: »Nimm diese zehn Para;« worauf er dieselben nahm und mir den Affen gab, den ich nun zu meiner Kammer nahm, in der ich wohnte. Ich öffnete die Thür und trat mit meinem Kauf herein, indem ich bei mir hin und her überlegte, was zu thun wäre, und dabei sprach: »Wie soll ich für den Affen und für mich ein Mahl beschaffen?« Während ich aber noch bei mir nachdachte, verwandelte sich das Tier plötzlich in einen jungen Mann von schönem Gesicht, der seinesgleichen nicht hatte an Anmut, Wuchs und Ebenmaß, vollkommen wie der Vollmond in seiner vierzehnten Nacht; und plötzlich redete er mich an und sprach: »O Scheich Mohammed, du hast mich für zehn Para gekauft, für alles, was du besaßest, und überlegst jetzt, wie wir beide, ich und du, essen könnten.« Ich 26 versetzte: »Was bist du?« Er entgegnete jedoch: »Frag' jetzt nicht nach dem, was du sehen sollst, denn das Glück ist bei dir eingekehrt.« Hierauf gab er mir einen AschrafīEine Goldmünze von schwankendem Wert. und sprach: »Nimm dieses Goldstück, geh' zum Bazar und hol' uns dafür etwas zu essen und trinken.« Ich nahm das Goldstück und kaufte auf dem Bazar, was wir bedurften, worauf ich zu meiner Kammer zurückkehrte und das Essen vor ihn setzte; alsdann setzte ich mich an seine Seite und wir aßen, bis wir genug hatten, um dann gemeinschaftlich die Nacht in der Kammer zu verbringen. Als Gott aber den Morgen anbrechen ließ, sprach er zu mir: »O Mann, dieser Raum paßt nicht für uns; mach' dich auf und miete eine größere Wohnung.« Ich versetzte: »Ich höre und gehorche«; und, mich unverzüglich erhebend, machte ich mich auf und mietete einen größeren Raum im oberen Stockwerk der Karawanserei. Nachdem wir dorthin umgezogen waren, gab er mir zehn Dinare und sagte: »Geh' auf den Bazar und kauf' dir zur Ausstattung des Raumes, was nötig ist.« Infolgedessen ging ich aus und kaufte, was er befahl. Bei meiner Rückkehr fand ich ein Paket vor ihm, das einen Anzug enthielt, wie er Königen anstand; er gab mir denselben und wünschte, daß ich ins Bad gehen und die Sachen nach dem Bade anlegen sollte. Ich that es und wusch mich und kleidete mich an, worauf ich in jeder der vielen Taschen hundert Goldstücke fand, so daß ich, als ich den Anzug angelegt hatte, bei mir sprach: »Träume ich oder bin ich wach?« Alsdann kehrte ich zu dem Jüngling zurück, der sich, sobald er mich erblickte, auf seine Füße erhob und, meine Figur rühmend, mich an seiner Seite sitzen hieß. Mit einem Male holte er ein noch größeres Paket hervor und befahl mir, es zu nehmen und mich zum Sultan der Stadt zu begeben und um seine Tochter anzuhalten. Ich that dies und begab mich zum König der Stadt, indem ein Sklave, den der Jüngling gekauft hatte, 27 das Paket trug. Als ich mich dem Palast näherte, fand ich dort die Kämmerlinge, Eunuchen und Großen des Reichs, worauf ich mich ihnen näherte. Als sie mich aber in jenem Anzug erblickten, wurden sie von meiner Erscheinung eingenommen und fragten mich: »Was ist dein Anliegen und was begehrst du?« Ich erwiderte: »Ich wünsche eine Audienz beim König zu haben.« Da versetzten sie: »Warte eine kleine Weile, bis wir für dich Erlaubnis bei ihm eingeholt haben.« Alsdann ging einer der Thürsteher hinein und berichtete die Sache dem Sultan, worauf derselbe Befehl erteilte mich vorzulassen. Und so kam der Mann wieder heraus und führte mich herein, während ich bei meinem Erscheinen vor der Majestät dem König den Salâm entbot und ihm Wohlergehen wünschte. Dann legte ich das Paket vor ihn und sprach: »O König der Zeit, dies sei ein Geschenk, das meinem Stand aber nicht deiner Würde entspricht.« Nun befahl der Sultan das Paket zu öffnen, und, wie er hineinsah, gewahrte er darin einen königlichen Anzug, wie er seinesgleichen niemals besessen hatte. Erstaunt über den Anblick, sprach er bei sich: »Bei Gott, ich besitze nichts gleich diesem, und hatte niemals einen so prächtigen Anzug zu eigen.« Alsdann sagte er: »Es sei angenommen, o Scheich, aber sicherlich hast du irgend einen Wunsch oder ein Anliegen an mich.« Ich versetzte: »O König der Zeit, es ist mein Wunsch mit dir durch die wohlbehütete Maid und die verschlossene Perle, deine Tochter, in Verwandtschaft zu treten.« Als der Sultan diese Worte vernahm, wendete er sich zum Wesir und sagte: »Rate mir, was ich in der Angelegenheit dieses Mannes thun soll?« Der Wesir entgegnete: »O König der Zeit, zeig' ihm deinen kostbarsten Stein und sprich zu ihm: Wenn du ein Juwel diesem gleich besitzest, so soll es die Brautgabe meiner Tochter sein.« Der König befolgte den Rat seines Wesirs, worüber ich vor Staunen außer mir ward und ihn fragte: »Wenn ich dir solch ein Juwel bringe, willst du mir dann die Prinzessin geben?« Der König entgegnete: »Ja, gewiß.« Da 28 verabschiedete ich mich von ihm und begab mich mit dem Juwel zu dem jungen Mann, der mich in dem Zimmer erwartete und mich fragte: »Hast du um die Prinzessin angehalten?« Ich erwiderte: »Ja, ich sprach in betreff ihrer mit dem Sultan, worauf er diesen Stein hervorholte und zu mir sprach: »Wenn du ein Juwel diesem gleich besitzest, so soll es meiner Tochter Brautgabe sein; und der Sultan vermag nicht sein Wort Lügen zu strafen.« Der Jüngling entgegnete hierauf: »Heute kann ich nichts thun, aber morgen will ich dir, so Gott will, zehn gleiche Juwelen bringen, die du dem König überbringen und schenken sollst.« Als dann der Morgen anbrach, erhob er sich und ging für eine Weile aus, worauf er mit zehn Juwelen zurückkehrte, die er mir gab. Ich nahm sie und machte mich mit ihnen zum Sultan auf den Weg, sie ihm, nachdem ich vor ihm erschienen war, alle zehn anbietend. Angesichts der kostbaren Steine verwunderte er sich über ihr reines Wasser und kehrte sich wiederum zum Wesir mit der Frage, was er in dieser Sache thun sollte. Der Wesir antwortete ihm: »O König der Zeit, du verlangtest von ihm nur ein Juwel, während er dir zehn brachte; es ist daher nur recht und billig ihm deine Tochter zu geben.« Infolgedessen berief der Sultan die Kadis und Efendīs, die den Ehekontrakt zwischen mir und der Prinzessin aufsetzten, worauf ich zu dem Jüngling, der im Zimmer verblieben war, zurückkehrte und ihm alles, was sich zugetragen hatte, erzählte. Er versetzte hierauf: »Am besten wäre es, die Hochzeitsceremonien sofort zu beendigen und der Braut deinen Besuch abzustatten; jedoch darfst du unter keiner Bedingung die Ehe vollziehen, ehe ich dich's heiße, nachdem ich etwas gethan habe.« Ich erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Als dann die Brautnacht kam, besuchte ich die Tochter des Sultans, saß jedoch in der ersten, zweiten und dritten Nacht fern von ihr an der Seite des Zimmers, ohne mich ihr zu nähern, wiewohl an jedem Tag ihre Mutter kam und die übliche Frage an sie richtete, worauf sie ihr antwortete: »Er 29 ist mir nicht genaht.« Sie betrübte sich deshalb schwer, denn es ist die Weise der Frauen, wenn ein Mädchen verheiratet ist und ihr Mann sie nicht heimsucht, zu glauben, daß die Leute irgend etwas dahinter vermuten, was nicht in Ordnung ist. Nach der dritten Nacht berichtete die Mutter die Sache dem Vater des Mädchens, der daraufhin rief: »Wenn er ihr heute Nacht nicht die Mädchenschaft nimmt, schlag' ich ihn tot.« Die Kunde hiervon kam meiner Braut zu Ohren, und sie erzählte mir alles, so daß ich zu dem jungen Mann ging und ihm die Sache mitteilte. Da sagte er: »Wenn du sie besuchst, so sprich: »Bei Gott, ich erfreue mich deiner nicht eher, als bis du mir das Amulettarmband an deiner rechten Schulter giebst.« Ich versetzte: »Ich höre und gehorche.« Als ich sie dann zur Nacht besuchte, fragte ich sie: »Begehrst du wirklich, daß ich mich dein erfreue?« Sie versetzte: »Gewiß.« Da sagte ich: »Dann gieb mir zuerst das Amulettarmband von deiner rechten Schulter.« Sie erhob sich sofort und reichte es mir, es abnehmend, worauf ich in Wahrheit ihr Ehemann ward und zu dem jungen Mann ging, ihm den Edelstein zu übergeben. Alsdann kehrte ich zu meiner Frau zurück und ruhte bei ihr bis zum Morgen; als ich jedoch erwachte, fand ich mich der Länge nach in meiner Kammer in der Karawanserei daliegen. Wie vom Donner gerührt, fragte ich mich: »Bin ich wach oder träume ich?« Und nun gewahrte ich auch meine frühern Sachen, mein geflicktes Derwischgewand, mein zerlumptes Hemd und meine kleine Trommel; den feinen Anzug jedoch, den mir der Jüngling gegeben hatte, trug ich weder an meinem Leib noch konnte ich irgend eine Spur von ihm entdecken. Da wanderte ich, nach allem, was mir widerfahren war, mit einem Herzen voll Feuersgluten durch Gegenden voll Menschengedränge und einsame Flecken, ohne in meiner Verstörtheit zu wissen, was ich thun und wohin ich mich drehen und wenden sollte, als ich mit einem Male in einem stillen Teil der Straße einen Maghribiten sitzen sah, der vor sich einige beschriebene Blätter hatte und 30 einigen Herumstehenden das Schicksal wahrsagte. Als ich dies sah, trat ich nahe an ihn heran und begrüßte ihn mit dem Salâm; er erwiderte ihn mir und, meine Züge genau betrachtend, rief er: »O Scheich, hat es der Verruchte gethan und dich von deiner Braut gerissen?« Ich versetzte: »Jawohl.« Hierauf sagte er zu mir: »Gedulde dich ein Weilchen,« und ließ mich an seiner Seite sitzen. Sobald sich dann die Menge zerstreut hatte, sprach er zu mir: »O Scheich, der Affe, den du für zehn Silberlinge kauftest, und der sich plötzlich in einen jungen Mann von den Kindern Adams verwandelte, ist kein menschliches Wesen, sondern ein Dschinnī, der in die Prinzessin, die du heiratetest, verliebt ist. Da er sich ihr wegen des verzauberten Amuletts an ihrer rechten Schulter nicht zu nähern vermochte, wendete er diese List gegen dich an und gewann es, so daß er es jetzt trägt. Ich aber will in Bälde seine Vernichtung bewerkstelligen, damit die Dschinn und Menschen vor seiner Bosheit Ruhe haben; denn er ist einer der rebellischen und verworfenen Satane, welche sich dem Befehl unsers Herrn Salomo – Frieden sei auf ihm! – widersetzen.« Alsdann nahm der Maghribit ein Blatt und schrieb darauf als wäre es ein Buch, worauf er seinen Namen darunter setzte und es versiegelte. Dann überreichte er es mir mit den Worten: »O Scheich, nimm dies Schreiben und begieb dich damit zu einem bestimmten Platz, wo du warten und die Vorübergehenden beobachten mußt. Stärke dein Herz, und, so du einen Mann, begleitet von einem zahlreichen Gefolge, ankommen siehst, überreiche ihm dieses Papier, denn er ist's, der dich deinen Wunsch erreichen lassen wird.« So nahm ich denn das Papier von dem Maghribiten und begab mich zu der Stelle, die er mir beschrieben hatte, die ich nach ununterbrochener Wanderung während der ganzen Nacht und der Hälfte des folgenden Tages erreichte; dann setzte ich mich, bis das Dunkel anbrach, und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Als das erste Viertel der Nacht verstrichen war, erschien plötzlich ein 31 blendender Lichterglanz in der Ferne, der auf mich zukam, und, als der Schein näher kam, unterschied ich Leute mit Lampen und Laternen und einen Zug von Dienern, wie er Königen angestanden hätte. Sie schauten mich an, während mein Herz vor Furcht erbebte und ich in großer Angst war; der Zug marschierte jedoch an mir vorüber, immer zwei zu zwei, und nun nahte auch der Hauptzug, in dem sich ein Sultan der Dschânn befand. Als er sich mir näherte, stärkte ich mein Herz und, vortretend, überreichte ich ihm den Brief, worauf er anhielt und, ihn öffnend, laut las. Es stand aber folgendes in ihm geschrieben: Es sei dir kund gethan, o Sultan der Dschânn, daß der Überbringer dieses unsres Schreibens ein Anliegen an dich hat, das du ihm durch Vernichtung seines Feindes erfüllen mußt. Wenn sich dem irgend jemand widersetzt, so wollen wir ihn zum Tode befördern, und, so du selber ihn nicht rettest, sollst du selber vor mir für dich Rettung suchen.

Als der König der Dschânn das Schreiben gelesen und seinen Inhalt und die in ihm stehenden Geheimnisse begriffen hatte, rief er sogleich einen seiner Sergeanten, der sofort vor ihm erschien, und befahl ihm ohne Verzug den und den Dschinnī vor ihn zu führen, der sich durch seine Zaubereien der Tochter des Sultans von Kairo bemächtigt hatte. Der Bote versetzte: »Ich höre und gehorche,« und verschwand sofort, worauf er nebst einigen andern nach einer Abwesenheit von etwa einer Stunde wiederkehrte und den Dschinnī vor den König brachte, der ihn anfuhr: »Verruchter, weshalb hast du diesem Manne Übles angethan und das und das verübt?« Der Dschinnī versetzte: »O mein Herr, alles dies kam von meiner Liebe zur Prinzessin her, die einen Zauber in ihrem Armring trug, der mich hinderte ihr zu nahen, und deshalb bediente ich mich dieses Mannes mein Vorhaben auszuführen. Ich bekam den Talisman in meine Hand und erreichte meinen Wunsch, jedoch liebe ich das Mädchen und werde ihm nimmermehr etwas zuleide thun.« Als der Sultan diese Worte vernahm, versetzte er: »Dein Fall kann nur auf die eine oder 32 andere Weise erledigt werden: Entweder giebst du das Armband zurück, daß der Mann wieder mit seiner Frau vereint wird und sie mit ihrem Gatten wie zuvor, oder du widersetzest dich mir, und ich befehle dem Scharfrichter dir den Kopf abzuschlagen.« Als der Dschinnī – denn er war es, der die Gestalt eines Affen mit einem Hundsgesicht angenommen hatte – diese Worte vernahm, weigerte er sich und rebellierte gegen den König, indem er schrie: »Ich will das Armband nicht zurückgeben und will auch das Mädchen nicht loslassen, denn niemand darf sie besitzen als ich allein.« Nach solchen Worten versuchte er zu entfliehen, worauf der Sultan der Dschânn andern und stärkern Mâriden befahl ihn festzunehmen. Infolgedessen packten sie ihn und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken, ihn in Ketten und Halseisen legend und ihn hinter dem König der Dschânn herschleifend, bis dieser seine Stätte erreicht hatte, wo er ihn vor sich bringen ließ und ihm das Armband abnahm. Alsdann befahl der Sultan ihn zum Tode zu befördern, und sie richteten seinen Befehl aus. Nachdem dies geschehen war, bat ich um das Armband, und ich erhielt es nach dem Tod des Mârids zugleich mit meinem feinen Anzug. Hierauf kehrte ich in die Stadt zurück; sobald ich sie aber betrat und die Garden und Höflinge mich erblickten, schrieen sie laut vor Freude und riefen: »Das ist der Schwiegersohn des Sultans, der verschwunden war.« Alsdann kamen alle Leute herbeigeeilt und begrüßten mich, mich voll hohem Respekt empfangend, während ich, nachdem ich den Palast betreten hatte, sofort das Gemach, das für mich und meine Gemahlin eingeräumt war, aufsuchte, wo ich sie in tiefem Schlaf und betäubt daliegen sah, in welchem Zustand sie sich seit der Zeit befunden hatte, als ich ihr das Armband abgenommen hatte. Als ich ihr dann das Juwel wieder an ihre rechte Schulter anlegte, erwachte sie und stand auf, sich zurecht machend, worüber ihr Vater, und die Großen des Reiches und alles Volk von übermäßiger Freude erfüllt wurden. Hernach lebten wir aufs 33 glücklichste beisammen, bis ihr Vater starb, der mich, da er keinen Sohn hatte, zu seinem Nachfolger ernannte, so daß ich ward, was ich jetzt bin.

Als der Derwischsultan alles dies vernahm, verwunderte er sich über alles, was in dieser Welt von Wundern und absonderlichen Dingen geschah. Der Sultan Mohammed aber sprach zu ihm: »O mein Bruder, verwundere dich nicht, denn was einmal im voraus bestimmt ist, muß uns geschehen. Unbedingt mußt du jedoch mein Wesir werden, da du in der Kunst des Herrschens und Regierens erfahren bist und ich seit dem Tod meines Schwiegervaters in Verlegenheit war einen Wesir zur Verwaltung des Königreiches zu finden. Werde deshalb mein erster Ratgeber im Reich.« Der Derwisch versetzte: »Ich höre und gehorche«; worauf der Sultan ihm ein kostbares Ehrenkleid anlegte und ihm seinen Siegelring und alle die andern Sachen, die zu seinem Amt gehörten, übergab, indem er ihm zugleich einen geräumigen Palast überwies, den er mit prächtiger Einrichtung und wattierten Teppichen, Geschirr und andern Dingen derart einrichten ließ. Und so nahm der Wesir seinen Amtssitz ein und hielt unverzüglich einen Diwan ab, befehlend und widerrufend, gebietend und verwehrend, wie er es für recht und billig erachtete: und der Ruf seiner Gerechtigkeit und Billigkeit ward weit und breit kund, so daß jeder, der irgend eine Sache, ein Anliegen oder ein anderes Geschäft hatte, zu dem Wesir kam, daß er anordnete, was ihm ratsam erschien.

In dieser Weise verfuhr er viele Jahre, als eines Tages des Sultans Gemüt bedrückt ward und er nach dem Wesir sandte. Der Wesir entsprach seinem Befehl, worauf der Sultan zu ihm sprach: »O Wesir, mir ist schwer ums Herz.« Der Wesir entgegnete: »So begieb dich, o König, in die Schatzkammer deiner Juwelen und Edelsteine und kehre sie in deiner Hand um und um, dann wird sich deine Brust wieder ausdehnen.« Der Sultan that demgemäß, da es jedoch auf seine Mißstimmung keine Wirkung hatte, sprach er: »O Wesir, ich 34 kann diese trübselige Stimmung nicht loswerden, und nichts behagt mir in meinem Palast; wir wollen uns beide daher verkleiden und ausgehen.« Der Wesir versetzte: »Ich höre und gehorche.«

Alsdann zogen sich die beiden in ein Privatgemach zurück ihre Kleider zu wechseln und legten die Tracht von Derwischen aus dem Perserland an, worauf sie ausgingen und die Stadt nach rechts und links durchstreiften, bis sie zu einem Maristân, einem Irrenhaus, gelangten. Hier fanden sie zwei junge Leute, von denen der eine den Koran las, während der andere ihm zuhörte; beide aber waren wie Irre in Ketten gelegt. Als der Sultan dies sah, sprach er bei sich: »Bei Gott, das ist ein wundersames Ding!« Alsdann fragte er die beiden Leute: »Seid ihr wirklich wahnsinnig?« Sie versetzten: »Nein, bei Gott, wir sind nicht gestört, jedoch sind unsere Abenteuer so wunderbar, daß sie, wenn sie mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben wären, eine Lehre wären für alle, die sich belehren lassen.« Da fragte der König: »Wie sind sie?« worauf sie erwiderten: »Jeder von uns hat seine eigene Geschichte«; und der, welcher den Koran vorgelesen hatte, rief: »Höre, o König, meine Geschichte:

 


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