Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IX
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Schluß der Abenteuer Bulûkijās.

Alles dieses erzählte die Schlangenkönigin Hâsib Kerîm ed-Dîn, und als sie ihre Erzählung beendet hatte, fragte er sie: »Woher hast du alles dies erfahren?« Die Schlangenkönigin erwiderte: »Wisse, o Hâsib, vor fünfundzwanzig Jahren schickte ich eine große Schlange, welche in Ägypten eine Tochter, Namens Bint Schumûch, hatte, mit einem Brief zu Bulûkijā, in dem ich ihm meinen Salâm entbot. Wie nun die Schlange in Ägypten eintraf, erkundigte sie sich bei den Leuten nach Bulûkijā, und man führte sie vor ihn. Als sie ihn erblickte, begrüßte sie ihn und übergab ihm den Brief; er aber fragte sie, nachdem er den Brief gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte: »Kommst du von der Schlangenkönigin?« Sie erwiderte: »Jawohl.« Da sagte er: »Ich wünsche mit dir zur Schlangenkönigin zu ziehen, da ich ein Anliegen an sie habe.« Die Schlange antwortete ihm: »Ich höre und gehorche;« dann nahm sie ihn mit sich zu ihrer Tochter, von der sie sich nach kurzer Begrüßung wieder verabschiedete, und sagte zu Bulûkijā, nachdem sie ihre Tochter verlassen hatte: »Schließ' die Augen.« Da schloß er die Augen, und wie er sie wieder öffnete, stand er auf dem Berg, in welchem ich mich jetzt befinde. Die Schlange führte ihn nun zu einer andern und begrüßte sie, worauf diese sie fragte: »Hast du den Brief Bulûkijā übergeben?« Sie antwortete: »Jawohl; er ist selber mitgekommen und da ist er.« Da trat Bulûkijā an die andere Schlange heran, begrüßte sie und fragte sie nach der Schlangenkönigin, worauf sie ihm erwiderte: »Sie ist mit ihrem ganzen Heer nach dem Berge Kâf gezogen, doch wird sie nächsten Sommer wieder hierher kommen. Jedesmal, wenn sie nach dem Berge Kâf zur Überwinterung übersiedelt, setzt sie mich an ihrer Statt ein, bis sie wieder zurückgekehrt ist. Wenn du also ein Anliegen an sie hast, so will ich es dir erfüllen.« Da sagte Bulûkijā zu ihr: »Ich 162 wünsche, daß du mir das Kraut bringst, dessen Saft, so man es zerkleinert und auspreßt, jeden, der ihn trinkt, vor Krankheit, greisem Haar und Tod bewahrt.« Die Schlange erwiderte ihm: »Ich bringe es dir nicht eher, als bis du mir deine Abenteuer erzählt hast, die du nach deiner Trennung von der Schlangenkönigin erlebtest, als du mit Affân zur Grabstätte des Herrn Salomo auszogst.«

Da erzählte ihr Bulûkijā seine Abenteuer von Anfang bis zu Ende und verschwieg ihr auch nicht Dschânschāhs Geschichte. Nachdem er seine Erzählung beendet hatte, wiederholte er dann von neuem seine Bitte und bat sie um Erfüllung seines Anliegens, damit er wieder heimkehren könnte; die Schlange erwiderte ihm jedoch: »Beim Herrn Salomo, ich kenne den Weg zu jenem Kraut nicht!« Hierauf befahl sie der Schlange, die ihn hergebracht hatte, ihn wieder in sein Land zurückzubringen, und sie antwortete: »Ich höre und gehorche,« und sagte zu Bulûkijā: »Schließ' die Augen.« Da schloß er seine Augen, und, als er sie wieder öffnete, sah er, daß er sich auf dem Berg Mokattam befand, worauf er in seinen Palast hinunterstieg. Als nun die Schlangenkönigin vom Berge Kâf wieder zurückkehrte, begab sich die Schlange, welche sie an ihrer Statt eingesetzt hatte, zu ihr, begrüßte sie und erzählte ihr, nachdem sie ihr Bulûkijās Gruß ausgerichtet hatte, alle die Wunderdinge, die Bulûkijā auf seiner Wanderung geschaut hatte, und sein Zusammentreffen mit Dschânschāh. Auf diese Weise, o Hâsib Kerîm ed-Dîn, erfuhr ich Bulûkijās und Dschânschāhs Abenteuer.« Als Hâsib Kerîm ed-Dîn dies von der Schlangenkönigin vernommen hatte, bat er sie: »O Schlangenkönigin, erzähle mir doch noch, was Bulûkijā weiter auf seiner Heimkehr nach Ägypten erlebte.« Da erzählte sie: »Wisse, o Hâsib, als Bulûkijā sich von Dschânschāh getrennt hatte, wanderte er Tage und Nächte lang, bis er zu einem großen Meer gelangte. Hier rieb er seine Füße wieder mit dem Saft, den er bei sich hatte, ein, und wanderte über die Oberfläche 163 des Meeres, bis er zu einer Insel mit vielen Bäumen, Früchten und Bächen gelangte, als wäre sie der Garten Eden. Da wanderte er auf der Insel umher, bis er einen riesigen Baum sah, dessen Blätter so groß wie Schiffssegel waren. An den Baum näher tretend, gewahrte er unter demselben einen Tisch mit allerlei köstlichen Speisen gedeckt, und auf dem Baum einen großen Vogel aus Perlen und grünem Smaragd mit silbernen Füßen, während sein Schnabel aus rotem Hyazinth und seine Federn aus kostbarem Erz bestanden: und der Vogel pries Gott, den Erhabenen, und segnete Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil! –

Fünfhundertundzweiunddreißigste Nacht.

Als Bulûkijā diesen großen Vogel erblickte, fragte er ihn: »Wer und was bist du?« Der Vogel erwiderte ihm: »Ich bin einer der Vögel Edens und wisse, mein Bruder, als Gott, der Erhabene, Adam aus dem Paradiese vertrieb, warf er ihm vier Blätter nach, daß er sich mit ihnen bedeckte. Die vier Blätter fielen auf die Erde, und eines von ihnen ward von den Würmern gefressen, und so entstand die Seide. Das zweite fraßen die Gazellen auf, und so entstand der Moschus; das dritte ward von den Bienen verzehrt und lieferte den Honig, und das vierte fiel ins Land Indien, und so entstanden die Gewürze. Was mich aber anlangt, so flog ich mit Adam ebenfalls aus dem Garten Eden und durchschweifte die ganze Erde, bis Gott mir diesen Ort zur Wohnung gewährte. In jeder Woche aber kommen in der Nacht zum Freitag die Heiligen und Häupter des Glaubens aus der ganzen Welt zum Besuch auf diese Insel und speisen von dem gedeckten Tisch, an dem sie Gott, der Erhabene, bewirtet, die Nacht und den folgenden Tag über, worauf der Tisch wieder zum Paradiese entschwebt, ohne daß die Speisen irgendwie abnehmen oder verderben.« Hierauf aß Bulûkijā und lobte Gott, den 164 Erhabenen, als mit einem Mal El-Chidr, – Frieden sei auf ihm! – erschien. Da erhob sich Bulûkijā vor ihm, begrüßte ihn und wollte fortgehen; der Vogel aber sagte zu ihm: »Bleib sitzen, Bulûkijā, in El-Chidrs Gegenwart.« Wie sich nun Bulûkijā wieder gesetzt hatte, sprach El-Chidr zu ihm: »Sag' mir, wer du bist, und erzähle mir deine Geschichte.« Da erzählte ihm Bulûkijā alle seine Abenteuer von Anfang bis zu Ende bis zu seinem Zusammentreffen mit ihm und fragte ihn: »O mein Herr, wie weit ist der Weg von hier nach Kairo?« El-Chidr erwiderte: »Fünfundneunzig Jahre.« Als Bulûkijā dies vernahm, brach er in Thränen aus; dann warf er sich auf El-Chidrs Hand und bat ihn, indem er sie mit Küssen bedeckte: »Erlöse mich aus dieser Fremdlingschaft, und Gott, der Erhabene, wird es dir lohnen; denn siehe, ich bin dem Tode nahe und weiß weder aus noch ein.« El-Chidr versetzte: »Bitte Gott, den Erhabenen, daß er mir erlaubt, dich, bevor du stirbst, nach Kairo zu bringen.« Da weinte Bulûkijā und demütigte sich vor Gott, dem Erhabenen, im Gebet, und Gott, der Erhabene, nahm sein Gebet gnädiglich an und befahl El-Chidr – Frieden sei auf ihm! – durch Inspiration, ihn zu seinen Angehörigen zurückzubringen. Und nun sprach El-Chidr – Frieden sei auf ihm! – zu Bulûkijā: »Erhebe dein Haupt, denn Gott hat dein Flehen erhört und hat mir geoffenbart deine Bitte zu erfüllen und dich nach Kairo zurückzubringen; fasse mich daher an, halte dich mit beiden Händen fest an mir und schließ' deine Augen.« Da that Bulûkijā nach seinen Worten, und als er seine Augen geschlossen hatte, machte El-Chidr einen einzigen Schritt und sprach zu Bulûkijā: »Öffne deine Augen wieder.« Da öffnete er seine Augen und sah, daß er vor der Thür seines Palastes stand; wie er sich nun aber umwendete, um von El-Chidr Abschied zu nehmen, fand er keine Spur von ihm. 165

Fünfhundertunddreiunddreißigste Nacht.

Als er in seinen Palast trat, und seine Mutter ihn erblickte, stieß sie einen lauten Schrei aus und sank im Übermaß ihrer Freude in Ohnmacht. Da sprengten sie ihr Wasser ins Gesicht, und als sie nun wieder zu sich kam, umarmte sie ihren Sohn und weinte bitterlich, während Bulûkijā bald weinte bald lachte. Bald hernach kamen alle seine Angehörigen, seine Freunde und alle, die zu ihm gehörten, an und beglückwünschten ihn zu seiner wohlbehaltenen Heimkehr, und die Freudenkunde flog schnell durchs ganze Land, und von allen Seiten liefen Geschenke ein, die Tamburins rasselten, die Flöten wurden geblasen, und helle Freude herrschte überall. Hierauf erzählte ihnen Bulûkijā seine Geschichte und alle seine Abenteuer, und wie er schließlich mit El-Chidr zusammengetroffen war, und dieser ihn an die Thür seines Palastes gebracht hatte; und alle verwunderten sich und weinten, bis sie des Weinens überdrüssig wurden.«

 


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