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Tausend und eine Nacht. Band IX
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Der fromme israelitische Tablettflechter und sein Weib.

Ferner erzählt man, daß unter den Kindern Israel ein Mann lebte, einer der besten unter ihnen, welcher eifrig seinem Herrn diente und entsagungsreich alle irdischen Dinge aus seinem Herzen geschafft hatte. Derselbe hatte ein Weib, das ihm treu und allezeit gehorsam hilfreich zur Seite stand, und mit dem er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts den ganzen Tag über Tablette flocht und Fächer anfertigte. Sobald dann der Tag zu Ende ging, machte sich der Mann mit seiner Arbeit in der Hand auf und schritt durch die Gassen und Straßen, nach einem Käufer suchend. Sie pflegten aber den Tag über streng zu fasten. Eines Morgens nun standen sie wieder auf und arbeiteten fastend den ganzen Tag; gegen Abend ging dann der Mann wie gewöhnlich, mit seiner Arbeit in der Hand aus und suchte einen Käufer dafür, als er auch an der Thür eines der Kinder dieser Welt, eines reichen und angesehenen Mannes, vorüberkam. 24 Nun hatte der Israelit aber ein hübsches Gesicht und eine schöne Gestalt, so daß sich die Frau des Herrn jenes Hauses in ihn verliebte, und daß ihr Herz in heftiger Leidenschaft zu ihm entbrannte; und da ihr Gatte abwesend war, rief sie ihre Sklavin und sagte zu ihr: »Such' den Mann durch irgend eine List zu uns zu bringen.« Da ging die Sklavin zu ihm heraus und rief ihm nach, als wollte sie die Sachen, die er in der Hand hielt, kaufen.

Vierhundertundneunundsechzigste Nacht.

Als nun der Mann auf seinem Wege anhielt, sagte sie zu ihm: »Komm' herein, meine Herrin wünscht etwas von den Sachen, die du in der Hand hast, zu kaufen, doch möchte sie dieselben zuvor besehen und prüfen.« Da der Mann ihre Worte für wahr hielt und nichts schlimmes darin sah, trat er ein und setzte sich auf ihren Befehl, worauf sie die Thür hinter ihm verriegelte. Alsdann trat ihre Herrin aus ihrem Gemach zu ihm ein, packte ihn bei seiner Tunika und sagte zu ihm, indem sie ihn in ihr Zimmer zog: »Wie lange soll ich noch warten mit dir allein zu sein, wo meine Geduld ein Ende hat? Der Raum ist durchräuchert, das Essen steht bereit, der Hausherr ist heute Nacht abwesend, und ich gebe mich dir hin, wo sich Könige und Hauptleute und Reiche vergeblich um meine Gunst beworben haben.« In dieser Weise redete sie lange auf ihn ein, während der Mann aus Scham vor Gott, dem Erhabenen, und aus Furcht vor der schmerzlichen Strafe sein Haupt nicht vom Boden erhob. Wiewohl er sich von ihr zu befreien suchte, vermochte er es nicht, so daß er schließlich zu ihr sagte: »Ich bitte dich um etwas.« Sie erwiderte: »Was ist's?« Und er versetzte: »Ich bitte dich um reines Wasser, und dann möchte ich damit auf die höchste Stelle deines Hauses steigen, um mich dort zu reinigen, damit du es nicht siehst.« Sie entgegnete: »Das Haus ist geräumig und hat Verstecke und Winkel genug und das Kloset steht bereit.« Er versetzte jedoch: »Ich will 25 mich nur droben waschen.« Da sagte sie zu ihrer Sklavin: »Steig' mit ihm zur obersten Aussichtsterrasse des Hauses;« worauf die Sklavin mit ihm hinaufstieg, ihm ein Gefäß mit Wasser gab und ihn dann verließ. Hier vollzog nun der Mann die Waschung und betete in zweimaliger Verneigung; dann schaute er hinunter, um sich auf die Erde hinabzustürzen; doch sah er, daß es hoch war, und fürchtete nicht anders als in Stücken unten anzulangen. Dann aber dachte er nach über seine Sünde wider Gott und an die Strafe, die seiner wartete, so daß ihm das Opfer seines Lebens und sein Blut ein Leichtes dünkte und er betete: »Mein Gott und mein Herr, du siehst, was mich befallen hat, und meine Lage ist dir nicht verborgen, denn du hast Macht über alle Dinge. Hierauf stürzte er sich hoch von der Aussichtsterrasse herunter; Gott aber sandte ihm einen Engel, der ihn mit seinen Schwingen auffing und ihn sicher und ohne Schaden unten ankommen ließ. Als er auf dem Boden stand, lobte er Gott, den Mächtigen und Herrlichen, für seinen gnädigen Schutz und seine Barmherzigkeit und begab sich gradeswegs zu seiner Frau, die bereits lange auf ihn gewartet hatte. Wie er nun mit leeren Händen bei ihr eintrat, fragte sie ihn, weshalb er so lange ausgeblieben sei, was aus den Sachen, die er mit sich genommen hatte, geworden wäre, und weshalb er mit leeren Händen wiederkäme. Da erzählte er ihr von der Versuchung, die ihm in den Weg getreten war, und daß er sich von jenem Hause hinuntergestürzt hätte, daß ihn aber Gott errettet hätte, und sie rief: »Gelobt sei Gott, der die Versuchung von dir abgewendet hat, und der zwischen dich und solches Unglück trat!« Dann setzte sie noch hinzu: »O Mann, die Leute sind es gewohnt, daß wir in jeder Nacht Feuer in unserm Ofen machen; wenn sie nun sehen, daß wir heute Nacht kein Feuer im Ofen haben, so werden sie wissen, daß wir nichts zu essen haben; zur Dankbarkeit gegen Gott gehört es aber, daß wir unsere Armut verbergen und das Fasten des verflossenen Tages in der 26 Nacht fortsetzen, und Gott, der Erhabene, wird uns schon versorgen.« Hierauf ging sie zum Ofen, packte ihn voll Holz und machte Feuer, um dadurch die Nachbarinnen irre zu führen.

Vierhundertundsiebzigste Nacht.

Alsdann erhob sie sich mit ihrem Gatten, und beide vollzogen die Waschung und stellten sich zum Gebet hin, als mit einem Male eine ihrer Nachbarinnen um Einlaß bat, um sich aus ihrem Ofen Feuer zu holen. Sie erwiderten ihr: »Der Ofen steht zu deiner Verfügung.« Wie nun die Frau an den Ofen trat, um sich Feuer zu holen, rief sie: »He, du da, nimm dein Brot heraus, bevor es verbrennt.« Da sagte sie zu ihrem Mann: »Hörst du, was diese Frau sagt?« Und er erwiderte: »Steh' auf und sieh zu.« Da stand sie auf und ging zum Ofen, und, siehe, da war er voll feinen und weißen Brotes. Sie nahm nun die Brote und brachte sie, Gott, dem Mächtigen und Herrlichen, für seine reiche Gabe dankend, ihrem Mann, worauf sie von dem Brot aßen und Wasser tranken und Gott, den Erhabenen, lobten. Alsdann sagte die Frau zu ihrem Mann: »Komm', laß uns zu Gott, dem Erhabenen, beten, daß er uns etwas schenkt, wodurch wir der Plage ums tägliche Brot und der Mühsal der Arbeit überhoben sind, damit wir unser ganzes Leben in Andacht und Gehorsam gegen Gott verbringen können.« Der Mann erwiderte ihr: »Gut,« und betete zu seinem Herrn, während sie zu seinem Gebet das Amen sprach; und, siehe, da spaltete sich das Dach und ein Hyazinth fiel herab, mit seinem Schimmer das ganze Haus erleuchtend. Da dankten und lobten sie Gott noch inbrünstiger und freuten sich über die Maßen und beteten was Gott, der Erhabene, nur wollte.D. h. sie beteten immerzu. Gegen Ende der Nacht legten sie sich schlafen, und nun war es der Frau im Traum, als wäre sie ins Paradies getreten 27 und sähe dort eine Menge Kanzeln und Stühle aufgereiht und geordnet stehen. Da fragte sie: »Was sollen diese Kanzeln und diese Stühle?« Und es wurde zu ihr gesprochen: »Dies sind die Kanzeln der Propheten und das die Stühle der Frommen.« Nun fragte sie: »Und wo ist der Stuhl meines Gatten?« Da wurde zu ihr gesprochen: »Hier.« Wie sie ihn nun anschaute, gewahrte sie ein Loch an seiner Seite und fragte: »Was bedeutet dieses Loch?« Und es wurde ihr geantwortet: »Dieses Loch rührt von dem Hyazinthen her, der zu euch durch das Dach eures Hauses hinabfiel.« Da erwachte sie weinend und bekümmert darüber, daß der Stuhl ihres Gatten unter den Stühlen der Frommen einen Schaden hatte, und sagte: »O Mann, bete zu deinem Herrn, daß er diesen Hyazinthen wieder an seinen Platz bringt, denn Hunger und Elend wenige Tage zu ertragen ist besser als ein Loch in deinem Stuhl unter den Gefährten der Segnungen.« Da betete der Mann zu seinem Herrn, und mit einem Male erhob sich der Hyazinth zum Dach und flog davon, während sie ihm nachschauten. Und von nun an lebten sie weiter in ihrer Armut und Frömmigkeit, bis sie vor Gott, den Mächtigen und Herrlichen, traten.

 


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