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Tausend und eine Nacht. Band IX
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Iskender Zul-Karnein und der genügsame König.

Iskender Zul-Karnein = Alexander (der Große) der Zwiehörnige, d. h. der Herr des Ostens und Westens.

Ferner erzählt man, daß Iskender Zul-Karnein auf seinem Zuge auch zu einem armseligen Volk gelangte, das nichts von den Habseligkeiten der Welt besaß, und das seine Toten vor den Thüren seiner Wohnungen begrub und allezeit die Gräber besuchte und den Staub von ihnen kehrte und sie reinhielt und Gott, den Erhabenen, bei ihnen anbetete; ihre einzige Nahrung aber bestand in Gras und den Gewächsen des Bodens. Wie nun Iskender Zul-Karnein einen Mann zu ihnen schickte und ihren König vor sich lud, weigerte sich dieser und sagte: »Ich bedarf seiner nicht.« Da begab sich Zul-Karnein zu ihm und fragte: »Wie steht es mit euch, und was treibt ihr? Denn ich sehe weder Gold oder Silber bei euch noch finde ich bei euch etwas von den Gütern dieser Welt.« Der König erwiderte: »Siehe, von den Gütern dieser Welt wird niemand satt.« Da fragte ihn Iskender: »Warum grabt ihr die Gräber vor euern Thüren?« Sie erwiderten: »Damit wir sie stets vor Augen haben und immerdar an den Tod denken und das Jenseits nicht vergessen, auf daß die Weltliebe aus unsern Herzen weicht und wir nicht durch sie von der Anbetung unsers Herrn, des Erhabenen, abgelenkt werden.« Hierauf fragte Iskender: »Warum esset ihr Gras?« Und der König erwiderte: »Weil wir es verabscheuen unsere Leiber zu den Gräbern der Tiere zu machen, 12 und weil die Lust beim Essen nicht über den Schlund hinabreicht.« Alsdann streckte er seine Hand aus, langte einen Menschenschädel vor und sagte zu Iskender, indem er den Schädel vor ihn legte: »O Zul-Karnein, weißt du wohl, wer der Herr hiervon war?« Er erwiderte: »Nein.« Da sagte der König: »Sein Herr war einer der Könige der Welt, der seine Unterthanen tyrannisierte und vornehmlich die Schwachen bedrückte und seine Zeit mit dem Aufhäufen der vergänglichen Güter der Welt vergeudete; da nahm Gott seine Seele und machte das höllische Feuer zu seinem Wohnort, und dieses hier ist sein Kopf.« Hierauf streckte er seine Hand zum zweitenmal aus und fragte ihn, einen andern Schädel vor ihn legend: »Kennst du diesen Schädel?« Iskender erwiderte: »Nein.« Da sagte er: »Dies war einer der Könige der Erde, welcher seine Unterthanen gerecht behandelte und für das Volk seines Reiches und seiner Herrschaft ein Herz voll Fürsorge hatte, bis Gott seine Seele nahm und ihn in seinem Paradiese wohnen ließ, wo er seinen Rang erhöhte.« Hierauf legte er seine Hand auf Zul-Karneins Haupt und sagte: »Wüßte ich doch, welcher der beiden Schädel du bist!« Da weinte Zul-Karnein laut und preßte ihn an seine Brust und sagte zu ihm: »Wenn du Verlangen nach meiner Gesellschaft trägst, so bekleide ich dich mit dem Wesirat und teile mit dir mein Königreich.« Der Mann erwiderte jedoch: »Weit gefehlt, weit gefehlt! ich trage hiernach kein Verlangen.« Nun fragte ihn Iskender: »Und weshalb dies?« Und der König antwortete: »Weil alle Menschen deines Geldes und Gutes wegen deine Feinde sind; dagegen sind alle meine wahren Freunde wegen meiner Genügsamkeit und Armut, da ich nichts besitze und nicht nach irdischem Gut trachte; ich verlange weder nach ihm noch begehre ich es, da die Genügsamkeit allein mir genug ist.« Da preßte ihn Iskender von neuem an seine Brust, küßte ihn zwischen die Augen und zog weiter. 13

 


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