Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IX
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Das schiffbrüchige Weib.

Ferner erzählt ein SeijidNachkomme Mohammeds.: »Als ich in einer finstern Nacht um die Kaaba schritt, hörte ich mit einem Male eine Stimme aus bekümmertem Herzen klagen und die Worte sprechen: »O Allgütiger, deine alte Huld! denn, siehe, mein Herz läßt nicht ab von seinem Bund mit dir.« Als ich die Stimme vernahm, flog mein Herz so stark, daß ich fast des Todes war; doch ging ich auf die Stimme zu und siehe, da fand ich, daß sie von einem Weib gekommen war. Nun sprach ich: »Der Frieden sei auf dir, o Gottesmagd!« und sie erwiderte: »Und auf dir sei der Frieden, die Barmherzigkeit und die Segnungen Gottes!« Hierauf sagte ich zu ihr: »Ich beschwöre dich bei dem erhabenen Gott, was ist das für ein Bund, an welchem dein Herz festhält?« Sie entgegnete: »Hättest du mich nicht bei dem Allgewaltigen beschworen, so würde ich dir nicht meine Geheimnisse verraten. Schau, was vor mir ist.« Da schaute ich hin, und siehe, da lag vor ihr ein schlafendes Kind, das in seinem Schlaf tiefe Atemzüge that. Alsdann sagte sie: »Ich zog schwanger mit diesem Knaben zur Pilgerfahrt nach dem Gotteshaus aus und bestieg ein Schiff, doch kamen die Wogen mit ihren Schrecken über uns, die Winde stürmten uns entgegen, und das Schiff brach; ich rettete mich jedoch auf eine seiner Planken, auf der ich mit diesem Knäblein niederkam. Während es nun in meinem Schoß lag, und die Wogen mich hin und her warfen, –

Vierhundertundsiebenundsechzigste Nacht.

Da kam plötzlich einer der Matrosen zu mir herangeschwommen und, auf die Planke klimmend, sagte er zu mir: 19 »Bei Gott, mich gelüstete es schon nach dir auf dem Schiff, und nun, da ich zu dir gekommen bin, ergieb dich mir oder ich werfe dich ins Meer.« Da sagte ich zu ihm: »Wehe dir, ist dir das, was du gesehen hast, aus dem Gedächtnis entschwunden, und hast du keine Lehre daraus gezogen?« Er erwiderte: »Ich habe das schon öfters gesehen und bin entronnen, drum kehre ich mich nicht daran.« Da sagte ich: »Mann, wir sind im Elend und hoffen durch Gehorsam und nicht durch Sünde aus ihm errettet zu werden.« Da er mich jedoch weiter bedrängte, und ich mich vor ihm fürchtete, suchte ich ihn zu hintergehen und sagte zu ihm: »Gieb mir wenigstens so lange Zeit, bis der Kleine schläft.« Er aber riß das Kind von meiner Brust und warf es ins Meer. Als ich nun sah, was er mit dem Knaben gethan hatte, flog mein Herz, und in übermäßigem Kummer erhob ich mein Haupt zum Himmel und betete: O du, der du den Menschen von seinem Herzen trennst, trenne mich von diesem grimmen Löwen, denn, siehe, du hast Macht über alle Dinge! Und, bei Gott, noch hatte ich nicht mein Gebet beendet, da erhob sich ein Ungetüm aus dem Meere und riß ihn von der Planke hinab, daß ich allein mit meinem Kummer und Gram und verzehrt von Sehnsucht nach meinem Knaben übrigblieb. Nachdem ich den Tag über und die Nacht auf dem Meere umhergetrieben war, erblickte ich am andern Morgen in der Ferne das Segel eines Schiffes, und die Wellen warfen mich weiter hin und her, bis mich der Wind in die Nähe des Schiffes getrieben hatte, worauf mich die Leute auf ihr Schiff nahmen. Mit einem Male, als ich mich umschaute, gewahrte ich mein Kind unter ihnen, und da warf ich mich auf dasselbe und rief: »O ihr Leute, das ist mein Kind; wie ist es zu euch gekommen?« Und sie erwiderten: »Als wir übers Meer segelten, blieb das Schiff mit einem Male stehen, und, siehe, da gewahrten wir ein Ungetüm wie eine große Stadt, auf dessen Rücken dieses Kind saß und am Daumen lutschte. Da nahmen wir es zu uns aufs Schiff.« 20 Als ich dies von ihnen vernahm, erzählte ich ihnen meine Geschichte und dankte meinem Herrn für seine Gnade, indem ich ihm gelobte, daß ich nie von seinem Hause weichen und ihm immerdar dienen wollte. Und seitdem richtete ich nie eine vergebliche Bitte an ihn.« Als ich ihre Erzählung vernommen hatte, streckte ich die Hand nach meinem Geldbeutel aus und wollte ihr etwas schenken; sie wies mich jedoch ab und sagte: »Hinweg, du nichtiger Thor, habe ich dir nicht von Gottes reicher Güte und Großmut erzählt, daß ich von irgend einem andern als ihm eine milde Gabe annehmen sollte?« Und so vermochte ich sie nicht zu bewegen, daß sie etwas von mir annahm, und verließ sie und ging meines Weges. Sie aber diente ihrem Herrn beständig bei seinem heiligen Haus, bis der Tod sie heimsuchte.

 


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