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Tausend und eine Nacht. Band IX
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Der fromme Israelit, der Weib und Kinder wiederfand.

Ferner erzählt man, daß einer der Angesehensten unter den Kindern Israel reich an Gut war und einen frommen und gesegneten Sohn hatte. Als seine Todesstunde kam, setzte sich sein Sohn ihm zu Häupten und sagte: »O mein Herr, gieb mir ein Vermächtnis.« Da sagte er: »O mein Sohn, schwöre nicht bei Gott, sei es wahr oder falsch.« Hierauf starb er; einige Verworfene von den Kindern Israel hatten dies jedoch vernommen und kamen nun zu ihm und sagten: »Dein Vater schuldete mir so und soviel, und du weißt es; gieb mir daher, was er von mir erhalten hat, oder schwöre.« Der Sohn, der von seines Vaters Ermahnung nicht abweichen wollte, gab jedem, was er von ihm verlangte, bis sein Gut dahin war und er in die größte Not geriet. Nun hatte er auch eine fromme gesegnete Frau, welche ihn mit zwei kleinen Knaben beschenkt hatte; und er sprach zu ihr: »Die Leute stellten so viele Forderungen an mich, und so lange ich noch Geld hatte die Forderungen zu bezahlen, that ich es, bis uns nichts mehr übrig geblieben ist; wenn nun noch andere Forderungen an uns stellen, kommen wir in die größte Not, und ist es daher das beste, daß wir uns durch die Flucht nach irgend einem Ort retten, wo uns niemand kennt, und dort unter dem Volk unser 47 Brot erwerben.« Und so bestieg er mit seiner Frau und den beiden Kindern ein Schiff, ohne zu wissen, wohin er ziehen sollte, doch »wo Gott beschlossen hat, wagt keiner nach seinem Beschluß noch etwas zu sagen«. – Das Schiff zerbrach, und der Mann und seine Frau und die beiden Knaben retteten sich jeder auf eine Planke und wurden von den Wogen getrennt. Die Frau und einer der Knaben wurden an zwei verschiedene Länder geworfen, der andere Knabe wurde von einem Schiff aufgenommen, und der Mann wurde von den Wellen an ein wüstes Eiland geschleudert, wo er, nachdem er an den Strand gestiegen war, die Waschung vollzog, den Gebetsruf erhob und das Gebet verrichtete.

Vierhundertundachtzigste Nacht.

Als er aber den Gebetsruf erhob, kamen allerlei Geschöpfe aus der Meeresflut und beteten mit ihm. Alsdann stieg er auf einen Baum und stillte mit den Früchten desselben seinen Hunger; hernach fand er eine Quelle und trank von ihr und lobte Gott, den Mächtigen und Herrlichen. Drei Tage lang brachte er in dieser Weise zu, und so oft er betete, stiegen die Geschöpfe der Flut aus den Wassern und beteten in derselben Weise wie er. Nach Verlauf der drei Tage aber hörte er eine Stimme, die laut rief und zu ihm sprach: »O du frommer Mann, der du deinen Vater und deines Herrn Beschluß so getreulich achtest und ehrst, bekümmere dich nicht, denn Gott, der Mächtige und Herrliche, wird dir alles, was deine Hand verlor, wiedergeben. Siehe, auf dieser Insel befinden sich Schätze und Geldhaufen und wertvolle Dinge, welche du nach Gottes Willen erben sollst; und sie liegen an der und der Stelle. Decke sie auf, und wir wollen Schiffe zu dir entsenden, du aber sei gütig zu dem Volk und lad' es zu dir ein, denn Gott, der Mächtige und Herrliche, wird dir ihre Herzen geneigt machen.« Da begab er sich nach jenem Ort, und Gott deckte ihm die Schätze auf. Nicht lange darauf begannen die Schiffe ihn 48 aufzusuchen, und er beschenkte das Schiffsvolk reichlich und sagte zu ihnen: »Wenn ihr mir Leute herschickt, so will ich ihnen das und das geben.« Da begannen die Leute von allen Gegenden und Orten zu ihm zu kommen, und ehe noch zehn Jahre verstrichen waren, war die Insel bevölkert und er der König ihrer Bewohner geworden; und niemand kehrte bei ihm ein, dem er nicht Geschenke machte, so daß sein Name in der Länge und Breite der Erde ruchbar ward.

Nun war sein älterer Sohn zu einem Mann gekommen, der ihn unterrichtete und gut erzog, und auch der jüngere Sohn war in eines Mannes Hand geraten, der ihm eine gute Erziehung gab und ihn im Kaufmannsgewerbe unterwies. Die Frau endlich war zu einem Kaufmann gekommen, der ihr sein Gut anvertraute und mit ihr einen Bund machte nicht Verrat an ihr zu üben, sondern ihr im Gehorsam gegen Gott, den Mächtigen und Herrlichen, ein treuer Helfer zu sein; außerdem nahm er sie auf allen seinen Reisen mit, und sie begleitete ihn zu Schiff überallhin. Da begab es sich, daß der ältere Sohn von dem Ruf jenes Königs vernahm und ihn aufsuchte, ohne daß er wußte, wer er war; und als er bei dem König eintrat, nahm ihn dieser zu sich und machte ihn zu seinem Geheimschreiber. Ebenso hörte der zweite Sohn von dem gerechten und frommen König und machte sich zu ihm auf, ohne zu wissen, wer er war; und als er bei dem König eintrat, machte dieser ihn zu seinem Geschäftsführer. Eine Zeitlang hatten beide Brüder bereits in seinen Diensten gestanden, ohne daß der eine etwas vom andern wußte, als der Kaufmann, bei dem die Frau jenes Königs lebte, gleichfalls von ihm und seiner Rechtlichkeit und Güte gegen die Leute hörte und ein Schiff mit prächtigen Stoffen und andern Kostbarkeiten seines Landes befrachtete und mit der Frau nach jener Insel zog. Als er daselbst gelandet war, begab er sich zum König und überreichte ihm sein Geschenk, über welches sich der König hocherfreut zeigte, so daß er ihm gleichfalls ein kostbares Geschenk einhändigen ließ. Da sich nun 49 aber unter dem Geschenk des Kaufmanns Drogen befanden, deren Namen und nutzbringende Eigenschaften er erfahren wollte, sagte er zum Kaufmann: »Bleib' die Nacht über bei uns.«

Vierhundertundeinundachtzigste Nacht.

Der Kaufmann erwiderte: »Siehe, ich habe auf dem Schiff eine Frau, der ich schwor, keinen andern mit ihrer Obhut zu betrauen; es ist eine fromme Frau, deren Gebete mir Glück gebracht haben, und deren Ratschläge mir von Segen gewesen sind.« Da versetzte der König: »Ich will zuverlässige Leute zu ihr schicken, welche die Nacht bei ihr verbringen und alles, was bei ihr ist, bewachen sollen.« Der Kaufmann willigte hierin ein und blieb nun bei dem König, welcher seinen Geheimschreiber und seinen Verwalter zu ihr schickte, indem er zu ihnen sagte: »Gehet hinab zum Schiff dieses Mannes und behütet es die Nacht über, so Gott will, der Erhabene.« Da gingen sie hinab zum Schiff und der eine von ihnen setzte sich auf das Hinterteil und der andere aufs Vorderteil, worauf sie einen großen Teil der Nacht damit zubrachten, daß sie den Namen Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, aussprachen. Dann aber sagte der eine zum andern: »He, du da, der König hat uns mit der Wache betraut, doch fürchte ich, der Schlaf könnte uns übermannen; komm' und laß uns einander Geschichten erzählen und die Freuden und Leiden, die wir erschaut haben.« Darauf erwiderte der andere: »O mein Bruder, was mich anlangt, so besteht meine Prüfung darin, daß mich das Geschick von Vater und Mutter und von meinem Bruder trennte, der denselben Namen wie du führte; und dies kam daher, daß unser Vater von dem und dem Lande über See zog, wobei die Winde wider uns stürmten, so daß das Schiff zerbrach und Gott uns trennte.« Als der andere diese Erzählung vernahm, fragte er: »Wie war der Name deiner Mutter mein Bruder?« Er erwiderte: »So und so.« Da fragte 50 er: »Und wie war der Name deines Vaters?« Er erwiderte: »So und so.« Da warf sich Bruder dem Bruder in die Arme und rief: »Bei Gott, du bist wirklich und wahrhaftig mein Bruder.« Hierauf erzählten beide Brüder einander die Erlebnisse ihrer Kindheit, während ihre Mutter ihnen zuhörte; doch verbarg sie ihr Geheimnis und festigte ihre Seele mit Geduld. Als nun die Morgenröte aufstieg, sagte der eine der beiden zum andern: »Komm', mein Bruder, wir wollen zu Hause weiter plaudern;« und der andere erwiderte: »Schön;« worauf sie fortgingen. Bald hernach kam der Mann zum Schiff und, da er die Frau in großer Kümmernis antraf, fragte er sie: »Was fehlt dir und was ist dir zugestoßen?« Sie erwiderte: »Du schicktest mir zur Nacht Leute, die Böses mit mir im Schilde führten, so daß ich ihretwegen tief bekümmert bin.« Da begab sich der Kaufmann erzürnt zum König und teilte ihm mit, wie sich die beiden Getreuen benommen hatten; und der König, der die beiden wegen ihrer erwiesenen Treue und Frömmigkeit liebte, ließ sie sofort vor sich entbieten und befahl ebenfalls die Frau ihm vorzuführen, damit sie ihm angäbe, was sie gegen die beiden vorzubringen hätte. Als sie nun vor ihn geführt wurde, fragte er sie: »O Frau, was haben diese beiden Getreuen wider dich verbrochen?« Sie erwiderte: »O König, ich beschwöre dich, bei dem großen Gott, dem Herrn des Thrones, dem Allgütigen, befiehl ihnen, noch einmal die Worte zu sprechen, die sie gestern Nacht sprachen.« Da sagte der König zu ihnen: »Wiederholet eure Worte und verberget nichts.« Und nun wiederholten sie ihr Gespräch, als sich der König mit einem Male mit einem lauten Aufschrei vom Thron erhob, sich auf beide stürzte und, sie umarmend, rief: »Bei Gott, ihr seid wahr und wahrhaftig meine Söhne!« Da entschleierte die Frau ihr Antlitz und rief: »Und ich bin, bei Gott, eure Mutter!« So waren sie alle wieder beisammen und führten das schönste und beste Leben, bis der Tod sie heimsuchte. Preis Ihm, der seinen Diener errettet, 51 so dieser ihn sucht, und seine Hoffnung und sein Vertrauen nicht zu Schanden macht!

 


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