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Tausend und eine Nacht. Band IX
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Legenden.

Der Engel des Todes vor dem stolzen König und dem frommen Mann.

Ferner erzählt man, o glückseliger König, daß einer der alten Könige eines Tages inmitten einer Anzahl seiner Hofstaaten und Großen auszureiten beschloß, um seinen Unterthanen die Wunder seiner Herrlichkeit vor Augen zu führen. Infolgedessen befahl er seinen Gefolgsmannen und Emiren und den Granden seines Reiches sich zum Auszug mit ihm zu rüsten und beauftragte seinen Kleidermeister ihm die prächtigsten Stücke zu bringen, wie sie sich für eines Königs Herrlichkeit geziemten. Ferner befahl er, daß ihm seine prächtigsten und edelsten Rosse vorgeführt würden, und als sie seinen Befehl ausgerichtet hatten, wählte er sich aus seinen Anzügen die Sachen, die ihn am besten gefielen, und die schönsten Pferde aus, zog dann die Sachen an, bestieg das Prachtroß und ritt inmitten seines Gefolges, um den Hals mit einer mit Edelsteinen und allerlei Perlen und Hyazinthen besetzten Kette geschmückt, aus, wobei er, von Hochmut und Hoffart aufgeblasen, den Hengst inmitten seiner Truppen tänzeln ließ. Da kam Iblîs zu ihm und, seine Hand auf seine Nasenlöcher legend, blies er ihm den Odem der Hoffart und des Stolzes ein, so daß er, von Dünkel verblendet, bei sich sprach: »Wer in aller Welt ist mir gleich?« und so hochmütig und hoffärtig wurde, daß er in eitlem Prunken und verblendet von Dünkel auf niemand herabschaute. Mit einem Male stand ein Mann in zerlumpten Kleidern vor ihm und bot ihm den Salâm, doch erwiderte ihm der König nicht den Gruß. Da faßte er den Zaum seines Pferdes, worauf der König rief: »Heb' deine Hand hinweg, denn du 6 weißt nicht, an wessen Zügel du deine Hand gelegt hast.« Der Mann erwiderte: »Ich habe ein Anliegen an dich.« Nun versetzte der König: »Wart', bis ich abgestiegen bin, und dann trag' mir dein Anliegen vor.« Der Mann entgegnete: »Es ist ein Geheimnis, und ich will es dir nicht sagen, es sei denn in dein Ohr.« Da neigte der König sein Ohr zu ihm herab, und der Mann sprach zu ihm: »Ich bin der Engel des Todes und will dir deine Seele nehmen.« Der König erwiderte: »So laß mir nur so viel Zeit, daß ich in mein Haus zurückkehre und von meinen Angehörigen, meinen Kindern, meinen Nachbarn und meinem Weib Abschied nehme.« Der Engel des Todes versetzte jedoch: »Mit nichten wirst du zurückkehren und sollst sie nimmer hier wiederschauen, denn deines Lebens Frist ist abgelaufen.« Alsdann nahm er seine Seele, so daß der König tot von seinem Rosse zu Boden stürzte, und ging von hinnen. Hierauf begab sich der Engel des Todes zu einem frommen Mann, an dem Gott, der Erhabene, sein Wohlgefallen hatte, und bot ihm den Salâm, worauf ihm derselbe den Gruß erwiderte. Dann sprach der Engel des Todes: »O frommer Mann, siehe, ich habe ein Anliegen an dich, doch ist es ein Geheimnis.« Da versetzte der fromme Mann: »Flüstere mir dein Anliegen ins Ohr;« und er that es und sprach: »Ich bin der Engel des Todes.« Da sagte der Mann: »Willkommen! Gott sei gelobt für dein Erscheinen! Siehe, schon oftmals spähte ich nach deinem Kommen aus, denn fürwahr, schon lange bliebst du aus bei dem nach deinem Erscheinen sich Sehnenden!« Der Engel des Todes entgegnete: »Wenn du noch ein Geschäft hast, so erledige es;« der fromme Mann erwiderte jedoch: »Ich habe kein wichtigeres Geschäft zu erledigen als vor meinem Herrn, dem Mächtigen und Herrlichen, zu stehen.« Da versetzte der Engel des Todes: »Warum wünschest du, daß ich deine Seele nehme, wo ich geheißen bin sie nach deinem Willen und Belieben zu nehmen?« Nun erwiderte er: »So gewähre mir so lange Aufschub, bis ich die Waschung 7 vollzogen habe und bete; und so ich mich im Gebet niedergeworfen habe, nimm meine Seele, während ich auf dem Boden liege.« Der Engel des Todes versetzte: »Siehe, mein Herr, der Mächtige und Herrliche, hat mich geheißen, daß ich dir deine Seele nicht anders nehmen soll, als wie du es bestimmst, und so werde ich thun, wie du gesagt hast.« Da erhob sich der Mann, verrichtete die Waschung und betete; und als er sich im Gebet niederwarf, nahm der Engel des Todes seine Seele, und Gott, der Erhabene, trug sie hinüber in die Wohnung der Barmherzigkeit, des Wohlgefallens und der Vergebung.

 


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