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Tausend und eine Nacht. Band IX
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Der Schmied, welcher Feuer anfassen konnte.

Ferner erzählt man, daß einer der Frommen einst von einem Schmied vernahm, der in der und der Stadt lebte und seine Hand ins Feuer stecken und das glühende Eisen herausziehen könnte, ohne daß ihm das Feuer einen Schaden zufügte. Da machte sich der Mann nach jener Stadt auf und fragte nach dem Schmied, worauf man ihn zu demselben führte. Als er ihm nun zuschaute und ihn sorgsam beobachtete, sah er, daß er so verfuhr, wie man es ihm erzählt hatte. Da wartete er so lange, bis der Schmied seine Arbeit beendet hatte, worauf er ihn begrüßte und zu ihm sagte: »Ich möchte zur Nacht dein Gast sein.« Der Schmied erwiderte: »Freut mich und ehrt mich,« und nahm ihn mit sich in seine Wohnung, wo sie beide zur Nacht aßen und sich schlafen legten. Da aber der Mann den Schmied nicht zum Gebet aufstehen sah, und er auch sonst kein Zeichen von Frömmigkeit an ihm erblickte, sprach er bei sich: »Vielleicht verbirgt er sich vor mir.« Er blieb deshalb die folgende und auch die dritte Nacht bei ihm, fand jedoch, daß er nicht mehr that, als was das Gesetz und die Sunna vorschreibt, und daß er nur kurze Zeit in der Nacht zum Gebet auf war. Schließlich sagte er zu ihm: »O mein Bruder, ich hörte von der Gnade, die dir Gott verlieh, und schaute sie auch an dir; überdies beobachtete ich deinen Eifer, sah aber in deinem 30 Thun nichts von der Frömmigkeit, die sonst die Wunderthäter auszeichnet. Woher hast du diese Gabe?« Der Schmied versetzte: »Ich will dir den Grund hiervon erzählen: Ich war einst leidenschaftlich in eine Sklavin verliebt und bewarb mich um ihre Gunst, doch vermochte ich nichts bei ihr auszurichten, da sie fest an ihrer Keuschheit hielt. Da kam ein Jahr der Dürre, des Hungers und der Drangsal, Nahrung fehlte, und der Hunger drückte schwer. Und so geschah's, daß, während ich zu Hause saß, jemand an die Thür klopfte; wie ich nun herausging, siehe, da stand sie vor der Thür und sagte: »O mein Bruder, der Hunger quält mich schwer, und ich erhebe mein Haupt zu dir, daß du mir um Gottes willen etwas zu essen giebst.« Ich erwiderte ihr: »Weißt du nicht, wie sehr ich dich liebte, und was ich um deinetwillen ertrug? Ich gebe dir nicht eher etwas zu essen, als bis du dich mir hingiebst.« Da versetzte sie: »Lieber den Tod als Ungehorsam gegen Gott!« und ging fort. Nach zwei Tagen kehrte sie jedoch wieder und sprach dieselben Worte zu mir wie das erste Mal, und ich gab ihr gleichfalls dieselbe Antwort wie zuvor, worauf sie, dem Tode nahe, eintrat und sich ins Haus setzte. Als ich das Essen vor sie setzte, sagte sie, während ihre Augen in Thränen schwammen: »Gieb mir um Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, willen zu essen.« Ich erwiderte jedoch: »Nein, bei Gott, nur wenn du dich mir ergiebst.« Da sagte sie: »Der Tod ist besser für mich als Gottes, des Erhabenen, Strafe.« Alsdann erhob sie sich, ohne die Speise anzurühren, –

Vierhundertundzweiundsiebzigste Nacht.

und ging hinaus, folgende Verse sprechend:

O Einziger, des Huld die Schöpfung umfaßt,
Dein Ohr hört meine Klage, dein Auge schaut mein Leid.
Elend und Not betrafen mich und streiten wider mich,
Daß mir die Sprache versagt, nur einen Teil davon zu klagen.
Wie ein Verschmachtender bin ich, des Auge das Wasser schaut,
Doch schöpft sein Auge das Wasser nicht und keiner reicht ihm den Trunk. 31
Mein Verlangen reizt mich die Speise zu genießen,
Deren Lust vergeht, während die Sünde besteht.«

Nachdem sie zwei Tage fortgeblieben war, kam sie wieder und klopfte an die Thür; und wie ich nun herausging, sagte sie mit vor Hunger versagender Stimme zu mir: »O mein Bruder, meine Kraft ist verzehrt, und nur dir allein vermag ich mein Gesicht zu zeigen; willst du mir nicht um Gottes, des Erhabenen, willen etwas zu essen geben?« Ich versetzte: »Nein, es sei denn, daß du dich mir ergiebst.« Da trat sie ein und setzte sich ins Haus; ich aber hatte kein Essen bereit. Als jedoch das Essen gar war, und ich es in die Schüssel that, da ließ mich Gott von seiner Güte erfaßt werden, so daß ich bei mir sprach: »Wehe dir, dieses Weib, schwach an Verstand und Glauben, hat sich so lange Speise versagt, bis der Hunger ihre Standhaftigkeit gebrochen hat; und während sie sich einmal um das andere geweigert hat, bist du nicht imstande dich der Sünde wider Gott, den Erhabenen, zu enthalten.« Alsdann betete ich: »O Gott, ich bereue meines Fleisches Gelüste zu dir.« Hierauf brachte ich ihr das Essen und sagte zu ihr: »Iß und sei unbesorgt, denn, siehe, es ist um Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, willen.« Da hob sie ihre Augen gen Himmel und sprach: »O Gott, wenn dieser Mann die Wahrheit spricht, so laß ihm das Feuer in dieser Welt und in der künftigen nichts anhaben, denn siehe, du hast Macht über alle Dinge und vermagst Gewährung zu erteilen.« Hierauf verließ ich sie, um das Feuer von der Pfanne zu nehmen. Es war aber Winterszeit, und eine Kohle fiel auf meinen Leib; doch fühlte ich durch Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, Allmacht keinen Schmerz und hatte die Gewißheit, daß ihr Gebet erhört worden war. Und so nahm ich die Kohle in die Hand. ohne daß sie mich verbrannte, und ging zu ihr und sagte: »Freue dich, denn Gott hat dein Gebet erhört.« 32

Vierhundertunddreiundsiebzigste Nacht.

Da ließ sie den Bissen aus der Hand fallen und rief: »O Gott, nun da du mich meinen Wunsch an ihm hast erschauen lassen und hast mein Gebet erhört, nimm meine Seele von hinnen, denn siehe, du hast Macht über alle Dinge!« Da nahm Gott zur Stunde ihre Seele von hinnen, – Gottes Barmherzigkeit über sie!«

 


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