Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IX
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Der Wolkenmann.

Ferner erzählt man, daß unter den Kindern Israel ein sehr frommer und durch Askese berühmter Mann lebte, dessen Gebete Gott erhörte, und dem sein Herr jede seiner Bitten erfüllte; und dieser Mann hauste im Gebirg und verbrachte die Nächte eifrig im Gebet. Gott aber – Preis Ihm, dem Erhabenen! – hatte ihm eine Wolke geschenkt, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete und ihm reichlichen Regen spendete, so daß er mit ihm die Waschung vollzog und seinen Durst stillte. Lange Zeit hatte er in dieser Weise gelebt, bis er in seinem Eifer nachließ, worauf Gott ihm zur Strafe die Wolke fortnahm und ihm die Erhörung seines Gebets versagte. Er wurde deshalb schwer betrübt und bekümmert und ließ nicht ab sich nach den Tagen zu sehnen, in denen Gott ihn begnadet hatte, und seufzte und klagte und trauerte, bis eines Nachts eine Stimme zu ihm im Traume sprach: »So du willst, daß Gott dir deine Wolke wieder giebt, so begieb dich zu dem und dem König in der und der Stadt und bitte ihn, daß er für dich betet; dann wird Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – dir deine Wolke wiedergeben und wird sie durch den Segen seiner frommen Gebete zu dir ziehen lassen.« Da machte sich der Mann zu der Stadt, die ihm im Traume genannt war, auf und erkundigte sich nach dem König, worauf man ihn zu ihm wies. Als er zum Palast kam, sah er vor dem Thor einen Sklaven auf einem großen Stuhl in prächtiger Kleidung sitzen. An 33 ihn herantretend, begrüßte er ihn, und der Sklave erwiderte ihm den Salâm und fragte ihn: »Was ist dein Begehr?« worauf der Mann erwiderte: »Ich bin ein Mann, dem Unrecht widerfahren ist, und bin zu dem König gekommen, um ihm meine Sache vorzutragen.« Da erwiderte der Sklave: »Du hast heute keinen Zutritt zum König, da er in der Woche einen bestimmten Tag für Bittsteller anberaumt hat; es ist der und der Tag, gehab' dich daher wohl, bis der Tag kommt.« Den Mann verdroß es, daß der König sich so von den Leuten abschloß und sprach: »Wie kann dieser König einer der Heiligen Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, sein, wenn er in solcher Weise verfährt?« Alsdann ging er fort und wartete auf den ihm angegebenen Tag. »Als nun der Tag kam, den mir der Thürhüter genannt hatte, begab ich mich – so erzählt er, – zum Palast und fand an dem Thor eine große Volksmenge, welche auf Erlaubnis zum Eintritt wartete; da trat ich unter sie und wartete mit ihnen, bis ein Wesir in prächtiger Kleidung hinter einem Geleit von Eunuchen und Sklaven herauskam und die Bittsteller aufforderte einzutreten. Ich trat nun mit ihnen ein und, siehe, da saß der König da, und vor ihm standen die Hofstaaten nach Rang und Würden, und der Wesir trat an seinen Platz und ließ einen nach dem andern vortreten, bis die Reihe an mich kam und der Wesir mich vor den König führte. Sobald mich jedoch der König anschaute, sagte er: »Sei willkommen, Wolkenmann! Setz' dich, bis ich Zeit für dich habe.« Da ward ich über seine Worte bestürzt und bekannte seine Würde und Überlegenheit. Als nun der König die Anliegen der Leute erledigt hatte und mit ihnen fertig geworden war, erhob er sich, und der Wesir und die Großen des Reiches erhoben sich gleichfalls; dann faßte mich der König bei der Hand und führte mich in seinen Palast, an dessen Thür ich einen schwarzen Sklaven in prächtigen Kleidern erblickte, der auf dem Haupt einen Helm trug und zur Rechten und Linken Panzer und Bögen zu stehen 34 hatte. Sich vor dem König erhebend und eilig seinen Befehl und seine Wünsche ausführend, öffnete er die Thür, worauf der König mit mir, meine Hand in der seinigen haltend, eintrat, bis wir zu einer kleinen Thür gelangten, durch welche er, nachdem er sie selber geöffnet hatte, zu einer öden Ruine schritt; hier trat er in einen Raum, in dem sich weiter nichts befand als ein Gebetsteppich, ein Becken für die Waschung und einige Palmblätter, zog seine Sachen aus, legte einen Rock aus grober weißer Wolle an und setzte sich ein Filzbarett aufs Haupt. Alsdann setzte er sich, mich ebenfalls sitzen heißend, und rief seine Gattin, worauf dieselbe antwortete: »Zu Diensten.« Dann fragte er sie: »Weißt du, wer heute unser Gast ist?« Und sie erwiderte: »Jawohl, es ist der Wolkenmann.« Da sagte er: »Komm' nur herein und laß dich durch seine Anwesenheit nicht abhalten;« und nun trat ein Weib ein, schön wie ein Traumbild, mit einem Angesicht, das wie der Neumond schimmerte, und angethan mit wollenem Rock und Schleier.

Vierhundertundvierundsiebzigste Nacht.

Alsdann fragte der König: »Wünschest du unsere Geschichte zu erfahren oder sollen wir für dich beten und willst du dann wieder fortgehen?« Er antwortete: »Nein, ich möchte zuvor eure Geschichte hören, denn danach verlangt mich mehr.« Hierauf erzählte der König: »Meine Väter und Vorfahren überkamen und erbten das Königreich einer vom andern und Großer von Großem, bis sie alle gestorben waren, und der Thron an mich fiel; Gott hatte mir dies jedoch verhaßt gemacht, und lieber hätte ich die Welt durchwandert und das Volk sich selbst überlassen; da ich jedoch fürchtete, es könnte Anarchie unter ihnen ausbrechen, die Gesetze könnten nicht mehr berücksichtigt werden, und die Einheit des Glaubens könnte sich auflösen, verzichtete ich auf meine Pläne, gab jedem Oberhaupt einen anständigen Gehalt, legte den königlichen Ornat an und setzte die Sklaven vor die 35 Palastthore zum Schrecken für die Bösen, zum Schutz für die Guten und zur Aufrechterhaltung der Gesetze. Nachdem ich alles dies erledigt hatte, begab ich mich in diese meine Wohnung, und legte meinen Ornat ab; und dies ist meines Vaterbruders Tochter, die wie ich der Welt entsagt hat, und die mir in der Andacht treu zur Seite steht. Diese Palmblätter hier verarbeiten wir des Tages, um durch den Ertrag unserer Arbeit zur Nacht unser Fasten brechen zu können, und in dieser Weise haben wir an die vierzig Jahre gelebt. Bleibe bei uns, – und Gott wird sich deiner erbarmen, – bis wir unsere Arbeit verkauft haben, iß und schlaf' bei uns und zieh morgen, nachdem dein Wunsch erfüllt ist, Inschallāh, so Gott will, deines Weges.« Gegen Abend holte ein Knabe von fünf Jahren ihre Arbeit und nahm sie auf den Bazar, wo er dieselbe für einen Karat verkaufte und für den Erlös Brot und Bohnen kaufte. Als er beides gebracht hatte, aß ich mit ihnen und schlief bei ihnen; um Mitternacht aber erhoben sich beide und beteten und weinten. Um das Morgengrauen betete dann der König und sprach: »O Gott, siehe dieser dein Knecht bittet dich, daß du ihm die Wolke wiedergiebst, und du hast Macht hierzu; o Gott, laß ihn seines Gebetes Erhörung schauen und gieb ihm seine Wolke wieder;« und seine Frau sprach das Amen dazu. Und mit einem Male erschien die Wolke am Himmel, worauf der König mir die frohe Botschaft mitteilte, und ich nun von beiden Abschied nahm und fortging; und die Wolke folgte mir wie zuvor; und alles, was ich seitdem von Gott, dem Erhabenen in ihrem Namen erbitte, gewährt er mir.«

 


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