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Schloß Helmburg erstand aus der Asche kaum weniger prächtig, als es vordem gewesen. Zwar trug man beim Bau dem bequemeren Geschlecht von heute Rechnung, doch im Charakter, in den großartigen Verhältnissen zeigte sich der alte Plan. Das Innere war verschwenderisch ausgestattet, und wenn auch Freunde strengen Stils Manches getadelt haben würden, so war doch von Decorationsarchitekten, Künstlern und Handwerkern Nichts verabsäumt, um das Auge zu blenden.
Die Erinnerung an den Schloßbrand und das schreckliche Ende Richard's wurde durch folgenschwerere Ereignisse abgeschwächt, die, während die neue Helmburg langsam emporwuchs, Schlag auf Schlag das ganze Reich erschütterten. Denn ein Bruderkrieg Der preußisch-österreichische Krieg von 1866/67, auch ›Deutscher Krieg‹, ›Deutscher Bruderkrieg‹ oder ›Deutsch-Deutscher Krieg‹ genannt. hatte sich entzündet, und die Lande des Königs, wenn auch nicht jene stillen Gebirgsthäler, waren, eben weil er sie bewahren wollte, nun doch die Wahlstatt geworden.
Graf Helm verlebte das blutige Jahr in der Residenz, und es schien, als ob der Waffenlärm und die allgemeine Aufregung, die Siegeshoffnungen des Anfangs, ja, auch noch die Hiobsposten des Fortgangs ihm über das eigene Familienunglück hinweghelfen würden. Er ging wieder kerzengerade und war ausschließlich Soldat und Patriot, um das Schicksal seines Hauses so wenig bekümmert, daß er kaum bedauerte, daß der Krieg die Verbindung mit seinem Neffen und den Wiek's, welche im fernsten Süden weilten, unterbrach. Allein es erging dem greisen Manne wie einem Berauschten: Auf das Stadium der Erregung folgte das der Abspannung, und zuletzt zeigte sich, daß Schwächung gewesen, was einer Steigerung seiner Lebensgeister so sehr geähnelt hatte. Als das Kriegsspiel mit der völligen Niederlage der Seinigen und unrühmlichem Frieden geschlossen hatte, war Graf Helm abgestumpft und verbraucht, und fortan Nichts mehr im Stande, auf sein Gemüth eine Macht auszuüben. Dahin war alle Kraft und Lebensfreude. Er erlosch.
So traf ihn der heimgekehrte Egon, und unschwer wurde es diesem, dem Energielosen abzuringen, was der Graf Helm von ehedem wohl kaum gewährt hätte: die Einwilligung zu des Neffen und Erben Ehe mit Helene. Sterbende sind bereiter zu segnen, als zu fluchen.
Drei Wünsche gingen Helenen innerhalb zwei Jahren in Erfüllung. Auf der italienischen Reise brachte sie's, indem sie ihr Verhältniß zu Egon klug zu verbergen wußte, dahin, daß Onkel Wiek sie adoptirte. Sie durfte den Familiennamen ihrer Mutter führen. Dann triumphirte sie über den flatterhaften Egon und den adelsstolzen Grafen; Jener gab ihr seine Hand, und dieser seinen Segen. Und endlich kam der alte Majoratsherr ihren geheimen Wünschen auch darin nach, daß er starb. Durch seinen Tod wurde sie Gräfin Helm-Holberg.
Damit hatte sie Alles erreicht, was sie gewollt. Sie besaß Rang und Reichthum. Ihre Schönheit war berühmt, und Niemand zweifelte trotz ihrer vornehmen Zurückhaltung an ihrem glänzenden Geiste. Allerdings hatte ihr irgendwer einen bösen Namen gegeben, der in gewissen Kreisen ihr für alle Zeiten blieb: Sie hieß »die Dame ohne Herz.« Doch sie wußte das und – trug es leicht.
Eine gewisse Ruhelosigkeit schien dem jungen Ehepaar eigen. Sie lebten fast immer auf Reisen, und ob in der Residenz oder auf dem Lande, in den Alpen oder an der See, in der Heimath oder Fremde – nirgend weilten sie lange.
Abermals beunruhigten kriegerische Gerüchte das Land. Nur deshalb bezogen die gräflichen Gatten im dritten Sommer der Ehe endlich auf längere Zeit ihr neues Schloß im Gebirge. Gäste wurden geladen und stellten sich ein. Allerdings nur Herren; denn Helene liebte nicht Frauengesellschaft, und ihr Gemahl fühlte sich hinter der Flasche oder am Spieltisch am wohlsten.
Seit kurzem wohnte ein alter Bekannter, Legationsrath Burg, in der Nähe, bei seinem hohen Gönner auf Schwaneck. Zwar war er auch diesmal nicht zum Vergnügen im Gebirge, sondern hatte wie in jenem verhängnißvollen Sommer eine Mission, doch kam er häufig, fast täglich vom königlichen Lustschloß nach Helmburg herüber.
Mit ihm beschäftigten sich die Gedanken Helenens als sie an einem schwülen Abend allein in ihrem Boudoir saß. Natürlich mit ihm, denn wer sonst im Schlosse wäre des Nachdenkens werth! Die anderen Gäste alle sind im Vergleich zu Burg – Bah, sie kräuselt verächtlich die Lippen. Und zwischen Egon und ihm ist überhaupt kein Vergleich.
Weder ziehen sie sich gegenseitig an, noch stoßen sie sich ab. Egon nennt im Kreise seiner Kumpane den Legationsrath einen »verdammt intelligenten Burschen.«
Es schmeichelt Helene, daß der bedeutende Mann sie auszeichnet, und sie hört ihn schon deshalb gern, weil er, sonst verschlossen, in ihrer Gegenwart beredt wird. Doch – es läßt sich in der That Viel zu seinem Lobe sagen: Sein Geist geht auf menschliche Erkenntniß en gros, nicht blos en détail; er kommt niemals in den Fall, Erscheinung für Erfahrung zu halten; er giebt sich nicht mit schwierigen Nichtigkeiten ab. Mit kurzen Worten: Legationsrath Burg ist der Einzige, den sie – den sie verehren könnte …
Der Weg, den ihre Gedanken gingen, wäre für jede andere junge Frau gefährlich gewesen. Aber Helene verlor sich nicht. Indem sie plötzlich aufstand, erhob sie sich gleichsam über die lockende Welle.
In demselben Augenblick fuhr ein Wagen in den Schloßhof … Ob es der Legationsrath ist? Nein, man meldet ihr einen neuen Gast: Herrn Waldemar!
Ihr Vater!
Helene hatte ihn seit dem Abschied auf Wiek nicht gesehen. Er bezog von ihrem Gemahl einen allerdings bescheidenen Jahresgehalt und hielt sich zur Gegenleistung, welche zwar nicht gefordert, aber anerkannt wurde, von seinem Kinde fern.
»Was bringt ihn nun auf einmal hierher?! Was will er von mir?« Das war der einzige Gedanke, mit dem Helene ihrem Vater entgegenging. Und auch die Antwort darauf gab sie sich selbst, die einzige, die sie fand oder, richtiger, suchte: Geld!
Fast ebenso sehr wie über seine Ankunft, erschrak sie über sein Aussehen. Diese gebückte, skelettähnliche Gestalt mit dem schleppenden, schleichenden Gang, dem zitternden Schädel, dem hohlen Blick war ihr Vater und Lehrmeister! Seine Hand faßte kalt sie an wie eine Hand aus dem Sarge. Sie führte ihn zum Lehnstuhl, in den er, nach Athem ringend, kraftlos versank.
»Du freu'st Dich, mich zu sehen,« konnte er endlich sprechen, »– freu'st Dich – Es geht Dir gut.« Den Blick umherwerfend, versuchte er das alte kluge Lächeln, doch es ward nur ein Grinsen »Was mich betrifft, so geht es zu Ende – Consummatum est – Ich will mich nur noch mit eigenen Augen überzeugen, ob meine Lehren gute Früchte getragen –.« Er blinzelte zu dem schönen Weibe empor und ließ dann abermals den Blick im prächtigen Zimmer umherwandern. »Sie haben – sie haben! – Herrliche Früchte; großartige Resultate – Nun merk' auf Eins: Genieße das Leben, so lang Du jung bist! Alter ist häßlich wie die Armuth –« er richtete sich, indem er mit den Fingern die Stuhllehnen umkrallte, halb empor und sagte mit Nachdruck: » Das Alter ist schrecklich – – Aber man lebt doch!«
Helene antwortete Nichts. Soll sie ihm sagen, daß sie dies kostbare Gut, dies Göttergeschenk – zu athmen – zuweilen verwünscht? Er würde fragen: »Warum?« und welche Antwort könnte sie dem Klugen geben? … Warum?! – weiß sie selbst doch keine genügende Antwort. Eine Kluft thut sich an manchem Tag und in mancher Nacht vor ihr auf, bodenlos, »des Tartaros Finsterniß«, und Sehnsucht erfaßt sie, in solchen Abgrund zu versinken. – –
Nach langer Pause nahm ihr Vater wieder das Wort: »Ich bin auch auf Wiek gewesen – ja ich mußte doch meinen Schwager besuchen! – Der hat sich gar nicht verändert – gefräßig, faul und gesund! – Wanda ist verheirathet – nicht ganz so glücklich wie Du – ihr Mann besitzt Nichts – doch sie hat jetzt ein Baby, und das genügt ihres Gleichen zum vollkommenen Glück.« Er blickte Helene, die kinderlose, von der Seite an – ihre Züge veränderten sich nicht.
»Sie läßt Dich grüßen,« fuhr er fort; »auch soll ich Dir sagen, daß Fräulein Sophie jetzt Frau Ministerialsecretärin ist.«
»Ich weiß es; ihr Mann ist in Schwaneck.«
»Was Du sagst? Also auch der Legationsrath?
»Auch der.«
»So, so?! – Hatte früher oft mit ihm zu thun. – – Wenn ich meine Memoiren schreiben wollte! – Vielleicht finde ich noch Zeit – – Titel: ›Hinter den Coulissen‹! – denn Alles ist Komödie, und das Vorurtheil ist der Souffleur. – – O!« wimmerte er plötzlich und rieb die Kniee, »das sticht, schneidet und wühlt – ich wollte meinen Feinden die Schmerzen vermachen können!«
Unterdessen weilte der Gemahl Helenens mit einigen Freunden – Offizieren, Gutsnachbarn am grünen Tisch. Sie waren im Wald gewesen, hatten gefrühstückt, getafelt und machten jetzt ein Spielchen. Egon hielt die Bank, doch das Glück war heute nicht beim Bankier. Wie die Mäuse geräuschlos trugen die Bedienten neue Flaschen zu, denn wenn Seine Gnaden getrunken und dazu im Spiel Malheur haben –
»Mach' Er das Maul auf!« herrschte er den Jäger an, der ihm flüsternd einen neuen Gast meldete. »W– wer ist da?«
»Herr Waldemar.«
»Herr Wallmer?« lallte Egon, »kenn' ich nicht –« Dann erinnerte er sich, und sein flammendes Gesicht wurde purpurn. »Ah so – der Geier versteh' das Gewisper! – Sag' der Gräfin – einen Augenblick Geduld, meine Herren! – sage der Gräfin, ich ließe mich entschuldigen – würde morgen das Vergnügen haben.«
»Ein schönes Vergnügen!« murmelte er in sich hinein.
»Besuch?« fragte Einer der Herren.
»Keiner von Belang – Wer hatte auf die Dame gesetzt? Habe kein Glück mit der Dame – Sie haben ein leeres Glas, Wiburg …«
Morgens war Helene gewöhnlich allein. Wenn ihr Gemahl spät und mit schwerem Kopf zu Bett gegangen war, sah sie ihn bis zur Tafel, die auf den Abend verlegt wurde, nicht. Und es war über dem Spiel gestern Nacht und Tag geworden.
Die Uhr hatte Zehn geschlagen, und Helene schrieb eben an irgend eine ihr sehr gleichgiltige Bekannte, als man ihr den Legationsrath meldete. Er trat mit einer Hast, die an dem Gelassenen befremdete, ins Zimmer.
»Verzeihung, gnädige Gräfin,« entschuldigte er sich, »daß ich störe. Ich komme, leider um Abschied zu nehmen.«
Helene sah ihn betroffen an.
»Abschied? Doch nur auf kurze Zeit? Man hält Sie in Schwaneck zurück?«
»Nein, gnädige Gräfin, binnen vierundzwanzig Stunden muß ich zu Hause, das heißt, bei meinem Chef sein.«
»Und warum so plötzlich? Oder ist es ein Staatsgeheimniß?«
»Eins von denen, welche sich nicht lang bewahren lassen. Wir werden Krieg Der deutsch-französische Krieg von 1870/71, der für Deutschland die Einheit, allerdings militärisch und von oben, erbrachte. haben.«
»Darauf war ich gefaßt.«
»Auf die Möglichkeit – aber auch auf die Folgen eines solchen Krieges?«
»Der Stärkere wird siegen,« antwortete Helene, wieder in ihrem kühlgewohnten Ton. »Die bekannte Klugheit Ihrer Regierung bürgt mir dafür, daß wir – ich sage als Ihre Landsmännin ›wir‹ – daß wir auch diesmal die Ueberlegenen sind.«
»Der Kluge – und warum sollte der Rechtliche nicht auch klug sein dürfen! – erwägt die Eventualitäten und sieht sich vor. Dennoch – Alles läßt sich nicht berechnen …«
»Eins am wenigsten,« fuhr er mit Bitterkeit im Tone fort, »der Sinn eines jungen Fürsten. Sie wissen ja, theure Gräfin, daß ich hier nicht harmlos genießen durfte – daß ich – o, es wurde mir, dem Praktischen, nicht leicht, mit Rechtsgründen gegen Gefühlswallungen streiten zu müssen und nach Utopien gewiesen zu werden, wo es sich um ganz bestimmte Größen handelt. Nicht als ob ich den wunderbaren Geist und das edle Gemüth Ihres neuen Herrn und Königs verkennte oder vergäße, daß der ideale Zug die schönste Blüthe des Jünglings ist, hingegen die Männlichkeit sich an die thatsächlichen Erscheinungen hält – doch die Weltordnung ist nun einmal keine vollkommene, und in der Politik giebt es nur Eine Rücksicht: das Staatsinteresse … Ich achte die Bedenken Ihres Fürsten, aber ich bedarf seiner Kanonen.«
»Sie bedürfen der Hilfe?« rief Helene mit stolzem Ausdruck.
»Fühlt sich die Landsmännin dadurch beleidigt? Jedenfalls können einige hunderttausend Mann mehr uns nur nützlich sein, und es ist ein Grundsatz der Kriegführung: was mir nützt, schadet dem Feinde.«
Indem war er aufgestanden, in ungewöhnlicher Bewegung, um das Zimmer zu durchschreiten. Dann wandte er sich wieder zu Helene.
»Der Krieg ist unabwendbar – zuerst schlagfertig sein, ist der erste Sieg … Da müßte die Resolution Ihrer Regierung heute schon den Kammern unterbreitet, das Bündniß morgen eine Thatsache sein … Es giebt Stunden, welche plötzlich reifen, was seit Jahren vergeblich versucht worden. Jetzt wäre solch' eine Stunde, und ich sehe hier zu Lande nur halbe Entschließungen, keinerlei Maßregeln … Ach, warum besitze ich nicht die Beredsamkeit, die vom Herzen zum Herzen strömt, betäubt, bezaubert, hinreißt! Ich weiß, daß ohne Enthusiasmus nichts Großes vollbracht wird, ich selbst habe ihn hier, im Kopfe – aber er glimmt nur, schlägt nicht in Flammen aus; ich habe keine Blitze, wenn ich rede; ich komme über die Bürgermeistertugend, wie Cromwell die Behutsamkeit nannte, nicht hinweg.«
»Der König wird der Zeitströmung nachgeben müssen.«
»Wird! wird! Das Futurum ist immer von Uebel … Des Fürsten Berather sind nicht alle uns hold – und auf wen hört er überhaupt! … Es giebt nur Eine Stimme, die dämonisch auf ihn wirken, Ein Wesen, das ihn sofort zur Entscheidung überreden würde –«
»Wer wäre das?«
»Gnädige Gräfin – Sie!«
Sie sprang auf – ihre Augen erweiterten ihr Mund öffnete sich.
»Ja, Sie – ich gebrauche seine eigenen Worte – Sie üben einen dämonischen Zauber auf ihn aus. Wenn Sie jetzt zu Pferde sich setzten, ihn aufsuchten, vor ihm sich niederwürfen –«
Sie unterbrach ihn jählings. »Das wagt mir Jemand zu sagen!« rief, »das sagen Sie mir!?« stöhnte sie und schlug die Hände über das erblaßte Gesicht …
Der Legationsrath sah sie überrascht und zweifelnd an. Dann trat er ihr näher und sagte, indem er ihr sanft die Rechte niederzog. »Gräfin! – Helene! Anstatt mir zu zürnen, erwägen Sie, daß es Eins giebt, was unsere Seele so erfüllen kann, daß wir ihm Alles, Glück, Liebe, Leben opfern: Ein großer Zweck!« – –
Sie stand einige Secunden lang mit versteinertem Antlitz. Dann hob sich die Oberlippe auf einer Seite. Die Miene Helenens drückte ungläubigen Spott aus, und Röthe kehrte in die Wangen, Leben in die ganze Gestalt wieder.
»Sie haben mir soviel von dem Palmenhaus in Schwaneck erzählt,« sagte sie, immerhin ein wenig befangen, »daß ich es in Ihrer Begleitung gern einmal sehen möchte – Wie wär's, wenn Sie vor Ihrer Abreise – zum Beispiel heute – mit mir hinüber führen –«
Nur ein Augenblinken verrieth die Ueberraschung des Anderen. Ruhig, höflich wie immer bat er, die Zeit zu bestimmen.
»O wenn es Ihnen genehm ist: sogleich!«
»Ich stehe zu Befehl.«
Sie machte eine Bewegung nach dem Tische hin, allein der Legationsrath kam ihr zuvor. »Erlauben Sie –« sagte er, und die Glocke klang.
– Von der Gluth des Weges war im königlichen Park Nichts mehr zu spüren; in Dämmerkühle und Dämmerlicht schritten Helene und der Legationsrath eine herrliche Avenue hinab, die zu dem sogenannten »Palmenpavillon« von Schwaneck, einem zierlichen Vorbau des Lustschlosses führte. Als sie sich dem Eingang näherten, klang ihnen, obzwar sehr gedämpft, doch vernehmbar Musik von Streichinstrumenten entgegen.
Burg blieb unwillkürlich stehen. »Hören Sie? – Musik!«
»Gewiß,« versetzte Helene mit einem flammenden Blick auf ihn, »und ich erwiedere Ihnen heute, was ich, wie ich mich sehr wohl erinnere, schon bei unserer ersten Begegnung zu bemerken nöthig fand: Ich hege kein Vorurtheil gegen Musik.«
Er verneigte sich lächelnd und ließ der schönen Frau den Vortritt in die Halle. Der vor dem Eingang mit halbgeschlossenen Augen duselnde Lakai hatte dem bekannten Legationsrath, dem Gaste des Königs respectvoll die Thürflügel geöffnet.
Die Luft war durch Fontänen gekühlt und doch eigenthümlich schwer und berauschend. Vom Ende der Halle klangen – eben jetzt in einem feurigen Rhythmus – Geigen- und Cellotöne. Die Musiker selbst waren nicht sichtbar, wie denn die Fülle von säulenartigen Schäften und hängenden Zweigen, gefächerten und gefiederten, größten und zartesten Blättern und vielfarbigen Blüthen dem Wanderer von Schritt zu Schritt ein Geheimniß entgegensetzte.
Unser Paar war noch nicht allzuweit eingedrungen, als Helene, plötzlich erschöpft und fiebernd zugleich, auf eine Ruhebank sich niederließ. »Sie haben Recht,« hob sie das Gesicht zu Burg empor; »ich sage, mit nur geringer Variante, wie Sie: Wenn nicht Glück und Liebe unsre Seele erfüllen, thut's am Ende ein großer Zweck.«
»Seine Majestät,« meldete der Legationsrath, der infolge eines Geräusches sich umgesehen hatte.
Der Fürst, mit seinem Adjutanten in den Weg biegend, war von der unerwarteten Erscheinung offenbar auf das freudigste überrascht. Er begrüßte die Dame, die erglühend sich vor ihm neigte, mit mehr, als Huld; er ließ sich das Vergnügen nicht nehmen, selbst ihr Führer im Labyrinth zu sein.
Der Adjutant und Burg folgten in einiger Entfernung.
»Vergebung, lieber Rath,« sagte Ersterer, »fühlen Sie sich unwohl? Sie sind plötzlich so blaß –«
»In der That,« erwiederte der Andere und fuhr mit dem Tuch über die Stirn, »ich fürchte, ich ertrage die Luft hier nicht länger. Wie wär's, lieber Baron,« fügte er mit einem eigenthümlichen Lächeln hinzu, »wenn wir unseren Spaziergang draußen weitersetzten!«
Die folgenden Tage brachten gewaltige Aufregungen: Kriegserklärung, Alliancen, den Ruf zu den Fahnen! Die Gäste verließen Helmburg, und da nur der unbequeme zurückblieb, entschuldigte sich Egon mit dem Ernst der Situation und fuhr nach der Residenz.
Helene blieb mit ihrem hüstelnden, von den Reisestrapazen völlig erschöpften Vater allein. – –
Ein schöner Morgen hatte sie zu einem Spazierritt verlockt, und sie lenkte in ein Waldthal hinab, auf dessen wohlgebahnten Wegen ihr Roß ausgreifen konnte. Vor einer Försterei hielt sie Rast. Hier hauste Reinhard, der mit ihr vor Jahren nach der Bahnstation gefahren war, aber bald seinen Weg in den geliebten Wald zurück gefunden, mit einer hübschen, braven Frau in glücklichster Ehe.
Als Helene heute, die Schleppe ihres schwarzen Reitkleides über den Arm genommen, den blauen Schleier vom glühenden und doch so schönen Gesicht zurückgeschlagen, in das Vorgärtchen eintrat, kam ihr die Försterin verstört entgegen. »Ach, Frau Gräfin – wissen Sie schon? – Mein Mann – –« Sie konnte vor Weinen nicht ausreden.
Ihr Mann, der ihr gefolgt war, legte die Hand beruhigend auf ihre Schulter.
»Nun?« fragte Helene.
»Sie haben meinen Mann einberufen – er soll mit – in den Krieg!«
»Das ist traurig, aber er ist nicht der Einzige.«
»Das wohl, aber er ist der Einzige, um den mir das Herz bricht.«
Er zog seine Frau an sich und sagte: »Still, Pepi – Du weißt, es muß sein – Geh' hinein! Mach' uns vor der Frau Gräfin keine Schand'!«
Sie warf einen liebe- und jammervollen Blick auf ihn und aber gehorchte.
Scenen sind der Frau Gräfin verhaßt. Sie war nicht mehr müde, wollte wieder zu Pferde. Reinhard gab ihr das Geleit.
An der Gartenthür – der Reitknecht kam eben mit den Pferden vor – blieb Helene plötzlich stehen und faßte den jungen Mann fest ins Auge.
»Sie setzen mich in Erstaunen. Sonst erschienen Sie mir ziemlich weichherzig – und heiratheten, wenn ich nicht irre, aus Liebe – und nun, da es sich vielleicht um ewige Trennung handelt – was macht Sie in diesem Fall so stark?!«
Seine Augen wurden groß und leuchtend.
»Gnädige Gräfin, die Pflicht!«
Ende.
Druck von G. Bernstein in Berlin.