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Zwischen der letzten Gluth der Feuersbrunst und dem ersten Strahl der Todtenkerzen lagen für die Betroffenen Stunden, deren Eindruck keine Zeit in ihrem Gedächtniß verlöschen wird, und doch kam und schwand ihnen Alles wie ein wirrer Traum.
Die Bitte des Grafen an Wanda, daß sie sich fassen möge, ließ derselben keinen Zweifel, keine Hoffnung. Sie wehrte mit matter Hand die Theilnehmenden von sich, legte den Kopf zwischen die Arme und schluchzte. Dem Grafen aber blieb die Wohlthat der Thränen versagt. Stieren Blickes, zusammengesunken saß er und erschien plötzlich um zehn Jahre gealtert, stumpf und grau. Sogar auf die Trostsprüche des Pfarrers, daß Sterben Auferstehen sei, äußerte er nur drei Worte: »Warum nicht ich?!«
Herr von Wiek war durch den Wehruf seines Kindes geweckt worden und winkte Herrn Titus heran, der eben einen Blick in die Kammer warf. Der kleine Mann trug jetzt einen großen Bedientenmantel. Doch unter diesem schlug sein Herz tapferer und wärmer, als jemals früher, und er übernahm es mit ebensoviel Takt als aufrichtigem Antheil, Herrn von Wiek das schwerste Verhängniß, den Flammentod Richard's mitzutheilen. Dennoch war es beinah zu viel für den alten Herrn; er wurde blau und roth im Gesicht, so daß Titus ängstlich ihn auf den Rücken zu klopfen anfing. »Es bedeutet immer Unglück,« waren Wiek's erste Worte als er soweit sich erholt hatte, um sprechen zu können – »es bedeutet immer Unglück, wenn man von Hagel träumt.«
Unterdessen hatten sich vor und in dem Försterhaus eine Menge Menschen versammelt, welche in Wort und Miene aufrichtigen Kummer verriethen, denn Graf Helm war bei Allen beliebt. Die Dorfjugend freilich, die infolge des Ereignisses einen außerordentlichen Feiertag hatte, fühlte sich am meisten zur Brandstätte hingezogen. Es dünkte die kleinen flachshaarigen Helmburger, daß Schutt und Trümmer schöner seien, als aller Prunk und Glanz des ragenden Schlosses, und ein Winkel in der arg verwüsteten Säulenhalle des Unterbaues erregte ihnen das süßeste Grauen eines Schauermärchens. Dort nämlich, unter einem alten, mit Wachstropfen besäeten, schwarzen Kirchenteppich lag – bis zur Ankunft der Behörde – der Todte.
Im Laufe des Nachmittags kam der Landrichter mit seinem Actuar und nahm den Befund zu Protocoll. Dann wurde der Leichnam in dem Sarge beigesetzt, den Graf Helm als Memento mori für sich hatte anfertigen lassen.
Es ward Wanda nicht vergönnt, ihren Verlobten noch ein Mal zu sehen – aus Gründen, die sie schaudernd gelten ließ.
– – – Und nun war die Nacht angebrochen; am längst entwölkten Himmel erschienen die Gestirne; dicht unter ihnen dämmerten die Schneegebirge über den schwarzen Wälderzügen der Vorberge. Das häßliche Zerstörungswerk im Schlosse wurde von den Schatten des Gewaltigeren verhüllt.
Im Försterhaus waren heute alle Fenster erleuchtet, und die Stube, wo die vornehmen Gäste um den Theetisch versammelt waren, nahm sich beim Lampenschimmer, mit der Holzvertäfelung, den Hirschgeweihen und alten Kupferstichen an den Wänden sehr wohnlich und behaglich aus, – wenn nur die Gesellschaft darin weniger schweigsam gewesen wäre.
Man hatte sich über die nächste Zukunft verständigt:
Die Herren fahren heute noch ins Dorf zum Pfarrer, die Damen bleiben bei der Försterin. Wann morgen Abend Richard von Holberg mit allem Pomp in der Gruft der Schloßkirche beigesetzt sein wird, will der Graf seine Gäste nach der Hauptstadt begleiten, von wo diese die Reise in ihre Heimath fortsetzen.
»Ein Täßchen Thee, eins nur, mein Herzenskind,« suchte Papa Wiek seiner Tochter den duftenden Trank aufzureden.
»Papa, ich bitte Dich!« sagte sie mit erhobenen Händen.
»Nein? Und Du auch nicht, Helene? Kinder! Kinder! – Aber Sie, mein gutes Fräulein?«
Fräulein Sophie nahm ihm seufzend die Tasse ab.
»Wie wär's, theurer Graf, mit einem Glas Wein? Meinen Sie nicht? Nein?! … Du lieber Himmel, wer hätte gestern, als wir die Ehre hatten, mit Seiner Majestät zu speisen, wer hätte gestern gedacht, geahnt – – – Ja, ja, das Leben ist schwer. Aber, Wanda, Du solltest wirklich eine Tasse –«
Wanda weigerte sich aufs neue.
»Ich sprach heute Nachmittag mit dem Pfarrer,« fuhr Wiek fort. »Er redete mir aus der Seele. In solchen Fällen zeigt sich, daß wir Christen doch alle Eines Glaubens sind.«
»Vergebung, Herr von Wiek,« entgegnete Egon mit rauher Stimme. »In solchen Fällen zeigt sich die Ohnmacht der Religion. Vertrösten kann sie wohl, aber nicht trösten. Trost sind Gründe. Kann mir Jemand sagen, warum mein Bruder, der das beste Herz der Welt besaß, auf so elende Weise umkommen mußte?! Er hatte keinen Feind, außer im Himmel.«
Der alte Graf rüttelte sich auf und sprach: »Hüte auch Du Dich vor dem Unerforschlichen! Wir alle sind Sünder.«
»Ich protestire, Onkel, gegen solche Lebensloose. Da herrscht Laune, Gewalt, kein Plan.«
»Lästre nicht!«
Das Auge Egon's suchte sie, die ihn besser verstand: Helene; allein sie hielt die Wimper gesenkt.
Nun fiel wieder lange Zeit kein Wort; dann, da die Wanduhr Neun geschlagen, trat ein Diener zu Helm und sagte leise: »Wenn der Herr Graf befehlen –«
An solchen Tagen heftiger Geisteserregungen ist das Frauenauge immer überzuquellen bereit. Wanda verzog den Mund, ihre Nasenflügel begannen zu zittern, im nächsten Moment weinte sie laut, und Fräulein Sophie leistete ihr Gesellschaft. Helene dagegen führte nur ihr Tuch an die Augen. Den Lachmuskel konnte sie leichter commandiren.
… Vor dem Aufbruch wollten Fräulein von Wiek und der Graf am Sarge Richard's beten. Niemand sollte sie begleiten.
Als der Tiefgebeugte mit Hilfe der Diener sich emporhob, sprang sein Neffe hinzu und wollte ihm einen Mantel um die Schulter hängen. Das nahm der alte Herr gewaltig übel. Er hatte plötzlich alles Mißtrauen des Greisenalters. Fühlt sich Egon schon als Erbe und wünscht mich hinfälliger, als ich bin?
So denkend zwang er sich zu einer strammen Haltung. »Ich bin in der Gebirgsluft aufgewachsen und abgehärtet,« murrte er. »Liebe Wanda, Ihren Arm!«
Diener mit Windlichtern leuchteten dem Paar auf seinem Kirchengang. Durch das geöffnete Portal trat es allein; und hier im dunklen Gewölbe zeigte ihm der Flackerschein am anderen Ende den Weg zum Geliebten.
Man hatte, einem Wunsche Wanda's zufolge, verabredet, daß der Pfarrer wieder auf der Orgel spielte, deren Töne damals – wie kurze Zeit ist's her! – ihren Bräutigam so tief erschütterten.
Jetzt, da jene Beiden dem Katafalk sich näherten, begannen als Trost und Ersatz für sanfteres Licht Töne das Gewölbe zu erfüllen. Keusch und süß begannen sie, brausten an und starben wieder sacht dahin … So sollte das Menschenleben sein, und, ach, so ward es Richard nicht vergönnt, durch eigene Schuld und die unabweislichen, unwiderruflichen Pathengaben des Geschicks.
Die Orgel wurde auch im Försterhaus gehört, wo sie Helene aus ruhelosen Gedanken schreckte. Sie blickte erblassend Egon an.
Er, mit dem Rücken am Fenster lehnend, beobachtete die schöne Träumerin. »Es geschieht auf Wanda's Wunsch,« antwortete er.
Dergleichen Sentimentalität ließ sich von der Thörin erwarten, dachte Helene und empfand mehr, als Gleichgiltigkeit, empfand Haß gegen ihre Cousine. Und so sind alle Frauen, sagte sie sich. Hab' ich denn nicht Recht, sie zu verachten? Ich trage nur vor der Welt die Maske, die Anderen setzen noch mit sich selbst die erbärmliche Komödie fort … So redete sie sich ein, blind dagegen, daß nicht die Empfindsamkeit Wanda's überhaupt ihr Blut erregte – sie ist ihr zuweilen sehr bequem – sondern dieses Beispiel von Sentimentalität.
Zu den Anwesenden sagte sie: »Das ist ja ein sehr rührender Einfall. Der Schmerz macht Poeten. Finden Sie nicht auch, lieber Onkel?«
»Sehr, sehr! – wenn sich das arme Kind nur nicht erkältet! – Fräulein Sophie, bitte, gehen Sie meiner Tochter nach! Sie soll sich nicht zu stark erschüttern – mir zu Liebe nicht!«
Damit sank Papa Wiek wieder in den Lehnstuhl zurück
Außer ihm waren nur noch Helene und Egon im Zimmer. Herr Titus war längst nach Schwaneck zurückgekehrt; die Diener rüsteten den Wagen.
Indem hatte sich Egon dem Mädchen genähert.
»Helene,« sagte er mit verschleierter Stimme, »so herzlos es klingt – ich kann nicht mehr an den Todten denken.«
»Vergessen Sie so bald, was Ihnen theuer war?«
»Sie wissen, was mich alle Vergangenheit vergessen macht!«
»Ich weiß und will Nichts wissen.«
»Helene!« bat er. Da sie den Blick nicht aufschlug, fuhr er, seine Bewegung kaum bezwingend, fort: »Ich kann nur noch an unsere Zukunft denken.«
» Unsere? – Unsere Wege trennen sich morgen.«
»Und das sagen Sie so gelassen? … Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch, unfähig, meine Wünsche zu meistern, unfähig, dem Glück zu entsagen. Ich will meinen Willen haben wie ein Kind und müßte ich ein Teufel werden, um ihn durchzusetzen – Doch fort mit allen Phrasen! Ich bin jetzt reich, die Welt steht mir offen, ich kann mit vollen Zügen das Leben genießen. Aber ich begehre nur Eins von der Welt, vom Leben: Dich!«
»In ähnlicher Weise redete auch Ihr Bruder. Doch so erwirbt man mich nicht.«
»Wie anders? Am Fuß einer Bergwand hier in der Nähe steht ein Kreuz. Ein schönes Mädchen versprach ihrem Freier unter der Bedingung Herz und Hand, daß er ihr vom Felsengrat einen Strauß Edelweiß pflücke. Keine Gemse wagt sich hinauf. Er unternahm's – und stürzte zerschellt hinab. Dennoch – stellen Sie mir dieselbe Aufgabe – ich thu's! Ich wage Alles um diesen Preis und habe mein Leben schon gewagt.«
Jetzt traf ihn ihr voller, inniger Blick. »Sie haben Recht, mich daran zu erinnern. Ich verdanke Ihnen mein Leben.«
»Ich that nur, was jeder Cavalier an meiner Stelle gethan hätte. Sprechen wir nicht davon – und doch – eben davon! Nie werde ich die Stunde vergessen können, als ich Sie auf diesen Armen trug. Ich rettete Sie aus den Flammen, doch zehrendes Feuer ist seitdem in meinem Blut! Und da sollen wir morgen scheiden?! Das fordern Sie nicht! Das wag' ich nicht.«
»Wenn mein Onkel Sie hörte – ich beschwöre Sie, still! Was wollen Sie von mir? Ein armes Mädchen wie ich darf nicht solchen Reden lauschen.«
»Warum nicht? Wenn ein Mann um Sie wirbt, der Sie liebt, der es ehrlich meint. Sie sind ehrgeizig, Helene. Wie das Schicksal jetzt sich fügte, kann ich Ihnen Rang, Reichthum, die Erfüllung aller Ihrer Wünsche an meiner Seite verheißen. Das reizt Sie vielleicht, meine Hand anzunehmen. Sie lieben mich nicht; man sagt, Sie wären ohne Gemüth. Das reizt mich. Ich male mir aus, wie es sein muß, diesen schönen Marmor zu beleben und trau' es mir zu …«
»Worte – Launen!«
»Prüfen Sie mich! Ich will Ihnen während des Trauerjahrs wie Ihr Schatten folgen.«
»Wenn aber Ihr Onkel es verbietet?«
»Er wird nicht, sobald er meinen festen Willen sieht. Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter.«
Helenens Brust athmete schwerer. Ein Roth – war es Triumph oder Unentschlossenheit? – überflog ihr Gesicht; dann sagte sie leise: »Mein Herz ist noch frei.«
»Das ist mir genug. Ich spreche noch vor der Abreise mit unseren Verwandten.«
Sie legte rasch ihre Hand auf seinen Arm: »Noch nicht! … ich sage Ihnen morgen Antwort … Nun verlassen Sie mich!«
Er führte ihre Hand an seine Lippen und flüsterte strahlenden Auges:
»Also morgen!«
»Heute«, sagte sich der Erwachende, des schönen Preises gewiß.
Heute wird Helene ihm eigen! – Wird nicht auch heute sein Bruder begraben?!
Helene jedoch vermied ihren Freier mit kaum verhehlter Absicht, indem sie mit der trauernden Braut im Försterhause eingeschlossen blieb. Er sah sie nur Minuten lang.
…… Sonnenuntergang. Die Glocken läuten das Ave, heute zugleich die Ladung zu einer ernsten Feier. Aus Helmburg und anderen Ortschaften kommen die Frauen und Männer, in schwarzer Tracht. Von weit her pilgern sie, in langgestreckten Zügen, welche die Windungen der Gebirgswege beschreiben.
Beim Beginn der Feierlichkeit faßt die Kirche nicht alle Versammelten. Viele knieen in der Vorhalle und auf den Stufen, die in die Kirche führen. Das Innere derselben ist schwarz ausgeschlagen, inmitten erhebt sich hoch das verhängnißvolle Gerüst mit der Bahre, trotz der Blumenkränze, womit es überschüttet worden, traurig und düster. Die Leidtragenden – auch von Schwaneck kamen der Adjutant des Königs und Burg – knieen dem Sarge gegenüber. Die gräflichen Diener und Beamten, mit brennenden Kerzen, umgeben den Katafalk.
Ach, die ehernen Thürflügel der Gruft stehen schon offen.
Zwischen den eintönigen Responsorien wird zuweilen ein leises Schluchzen vernehmbar ……
Der Sarg ist gesegnet, doch bevor die Träger die schauerliche Last auf ihre Schultern heben, richtet der Pfarrer das Wort an die Trauernden. Er blickt dabei den Grafen an, und dieser sucht mit schwimmenden Augen ihn festzuhalten.
»Wisset, sagte der Apostel zu seinen Thessalonichern, wisset, daß ihr euch nicht um eurer entschlafenen Brüder willen betrüben sollet, gleich Jenen, die keine Hoffnung haben. Damit wollte der Apostel sagen –«
Graf Helm hört nicht Mehr, Graf Helm wird ohnmächtig ins Freie getragen … Helene denkt unwillkürlich, daß man bald auch ihn so gegen Osten betten werde. – – –
Mondaufgang! Zwei Menschen stehen hinter dem Forsthause, am leise rauschenden Wald: Helene und Egon.
Nun ja, das Begräbniß des Bruders hat ihn erschüttert, seine Augen sind vom Weinen entzündet; doch das Bild der schönen Helene wurde von den Thränen nicht getrübt, und ihr Wort blieb unvergessen. Im Gegentheil; indem der Gram alle seine Empfindungen vertieft, faßt Egon sein Verhältniß zu dem Mädchen ernsthafter auf, er fühlt plötzlich das Bedürfniß, zu lieben, zu beglücken und ein Anderer, ein Besserer zu werden.
»Beim Andenken meines unglücklichen Bruders,« beginnt er mit ihm ungewohntem Pathos »beim Andenken meines unglücklichen Bruders, der sein Vergehen wider Sie so fürchterlich gesühnt, frage ich: Darf ich um sie werben, darf ich hoffen?«
»Ja.«
»Also keine Trennung morgen!? Ich begleite Sie nach Wiek – nach Italien – bis die Trauerzeit verstrichen, bis ich Dich vor der Welt mein nennen darf!?«
»Ja.«
»Aber den Unsrigen sagen wir es morgen!«
Nach kurzer Ueberlegung entgegnete sie:
»Nein!«
Die Reisenden hatten am folgenden Morgen eine herrliche Fahrt. Nur das bunter gefärbte Laub ließ den Herbst ahnen, die blauen Lüfte aber waren mild und würzig und freuderfüllt, und die grünen Berge wie das bevölkerte Thal von gleicher Heiterkeit. Die Hähne krähten in den Dörfern, Heerdeglocken schallten aus dem Wald.
Graf Helm fuhr mit den Damen in einem großen, bequemen Reisewagen, Wiek und Egon in einer leichteren, zweisitzigen Kalesche. Neben dem Kutscher der letzteren saß der älteste Sohn des Försters, ein hübscher Bursche von zwanzig Jahren, welcher eben in jenen Tagen nach einer Forstakademie sollte und mit Erlaubniß des Grafen die Fahrgelegenheit benutzte.
Das nächste Ziel, die Bahnstation, lag, unweit eines Städtchens, waldumschlossen in den Vorbergen. Dort im schattigen Wirthsgarten des Bahngebäudes ging es bei der Ankunft unserer Reisenden bereits laut, ging es lustig her. Denn ein Trupp junger Leute, Studenten, Maler, erwartete, auf der Heimkehr von einer Gebirgstour, den nächsten Zug. Sie hatten Ränzel um und trugen Knotenstöcke, staubig waren ihre Schuhe, und sonnverbrannt, aber fröhlich ihre Gesichter. So bildeten sie einen auffallenden Gegensatz zu der schweigsamen, vornehmen Gesellschaft, die in der offenen Wartehalle sich niederließ.
Der alte Graf hing, sobald er Platz genommen, den Kopf und sah mit mattem, gleichgiltigem Blick auf den lebendigen Schwarm. Egon widmete, einem Augenwinke seiner Königin gehorchend, alle Aufmerksamkeit der trauernden Braut, welche noch immer mit Thränen kämpfte, indessen ihr Vater vorläufig durch Hitze und Mücken von schmerzlicheren Betrachtungen abgezogen wurde.
Einige Schritte weiter saß Helene. Sie hörte mit halbem Ohr auf das Gespräch, das Mademoiselle Sophie, im Verkehr mit Untergebenen niemals schüchtern, mit dem jungen Förster – Anton Reinhard hieß er – im Tone eines Examens führte.
»Haben Sie nur die Dorfschule absolvirt?«
Dem Waldsohn war es in dieser Gesellschaft gar nicht wohl, weshalb er bei seinen Antworten kaum die Augen aufschlug.
»Nein, unser Herr Pfarrer unterrichtete mich in Latein und Mathematik.«
»Warum besuchen Sie dann nicht lieber ein Gymnasium und später die Universität?«
»Ah nein, ich möcht' um Nichts in der Welt was Anderes, als Jäger werden.«
»Liegt der Ort, wohin Sie wollen, auch so schön wie Helmburg?«
»Ich war noch nicht dort, aber ich glaube, nicht – es giebt ja dort keine Berge.«
»War das Mädchen, das beim Abschied von Ihnen so sehr gerührt schien, Ihre Schwester?«
Der Bursche wurde roth bis zu den Ohren.
»Nein,« antwortete er zögernd, »das war die Bühelmüller Pepi.«
Da läutete die Signalglocke zum ersten Mal. Nur wenige Minuten, und der Zug wird heranbrausen, der sie alle aus der freien Natur in die Städte führt. Das wurde auch von den Fröhlichen mit Wehmuth empfunden, sie schaarten sich zusammen, und von jugendlich kräftigen, gutgeschulten Stimmen ertönte das herrliche Lied Eichendorff's:
»O Thäler weit, o Höhen,
O frischer, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt'ger Aufenthalt!
Bald werd' ich dich verlassen,
Fremd in die Fremde gehn,
In wildbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn!«
Das Zitat montiert die ersten vier Zeilen der ersten Strophe mit den ersten vier Zeilen der vierten und letzten Strophe.
Helene wandte das Gesicht mit dem Ausdruck der Geringschätzung, die Augenlider kaum erhebend, dem jungen Förster zu, den das Lied zu Thränen rührte.
»Wenn Sie so weichherzig sind,« sagte sie, »werden Sie's in der Welt nicht weit bringen.«